Abgelegene Banda-Inseln
Stockdunkle Nacht. Gähnend schleichen wir aus dem Hotel. Noch sind die Strassen von Kuta leergefegt. Auch der Flughafenbetrieb wirkt noch verschlafen – die Uhr zeigt erst 04:15. Etwas benommen blicken wir auf die Anzeigetafel. Unser Abflug um sechs Uhr ist nicht aufgelistet, was uns leicht beunruhigt. Wohl selbst noch verschlafen, stellen wir erst später fest, dass der Flug um eine Stunde nach hinten verschoben wurde – wir sind erleichtert. Die Warterei am Flughafen scheint aber so schnell kein Ende zu nehmen, erst mit nochmaliger Verspätung heben wir endlich von Bali ab. Regen klatscht ans ovale Fenster, der Ausblick von weit oben über die Inselwelt bleibt uns leider einmal mehr vergönnt. Die einst grosszügig berechnete Umsteigezeit in Surabaya entpuppt sich zu einem Wettlauf gegen die Zeit. Uff geschafft, glücklicherweise stehen wir noch rechtzeitig am Gate. Ob es unser Gepäck auch schafft?
Der nächste Flieger steigt überpünktlich in die Lüfte. Bei der Zwischenlandung in Makassar werden zu unserem Erstaunen alle Passagiere aus dem Flugzeug gejagt. Mit dem Bus kurven wir ins Flughafengebäude, wo wir uns einen neuen Boarding-Pass verschaffen müssen. Es herrscht ein heilloses Gedränge, von allen Seiten drücken die Leute ungeduldig zum Schalter vor – gesittet in einer Schlange stehen ist für Indonesier wohl zu langweilig. Schlussendlich erneut die Sicherheitskontrolle passiert, schleust man uns sofort wieder durch das Boarding-Gate. Noch immer haben wir keinen blassen Schimmer, was hier eigentlich vorgeht. Die Krönung folgt, als uns beim Gang zum Flughafenbus eine Menschenmasse entgegenströmt. „Der Flug hat Verspätung“, regt sich ein Passagier augenrollend auf, „unmittelbar vor dem Flugzeug verfrachtete man uns zurück in den Bus mit der Anweisung, nochmals im Terminal zu warten.“ Nach einer Stunde ist es dann soweit. Der Flieger bahnt sich einen Weg durch graue Wolkenschluchten, doch je weiter östlich wir geraten, desto klarer zeigt sich der Himmel. Bestens, denn schliesslich versprechen wir uns auf den Molukken Sonne, jetzt wo im westlichen Teil Indonesiens die Regenzeit mittlerweile Einzug gehalten hat.
In Ambon gelandet, parkt unsere Maschine direkt neben einem Fingerdock. Doch wie schon in den anderen beiden Flughäfen bleiben die beweglichen Arme unangetastet und scheinen nur zur Zierde da. Beängstigend lange harren wir auf unser Gepäck. Ich schicke stumme Stossgebete zum Himmel. Einen Schalter „Lost & Found“ gibt es zwar, doch macht er keinen vertrauenserweckenden Eindruck. Uns fällt ein Stein vom Herzen, als unsere Rucksäcke nach einer geschlagenen Stunde endlich auf dem Gepäckband anrollen. Mit einem soeben kennengelernten Franzosen, der in den Molukken so gut wie zu Hause ist, teilen wir ein Taxi zu unserem Hotel. Der Tag neigt sich dem Ende entgegen. Mittlerweile seit dreizehn Stunden auf Reisen, und noch immer befinden wir uns in Indonesien – das Land ist gigantisch! Mehr als 17‘000 Inseln reihen sich über 5‘000 Kilometer entlang des Äquators und bilden somit den grössten Inselstaat der Welt mit drei verschiedenen Zeitzonen. Genau, unsere Uhren müssen noch eine Stunde vorgestellt werden…
Unser eigentliches Ziel noch nicht erreicht, nächtigen wir in einem schicken Resort direkt am Meer. Zwar blättert im Zimmer die Farbe von den Wänden und das Hotel ist den Preis nicht wert, doch es ist das einzige, das wir in der Nähe des Fährhafens gefunden haben. Der nächste Morgen begrüsst uns trüb und nass – muss das sein? Zum Hafen in Tulehu ist es nur ein Katzensprung. Wir teilen uns ein Taxi mit Anja und Marcel, zwei sympathischen Holländern, welche heute auch die abgelegenen Banda-Inseln anpeilen. Das Treiben am Hafen ist hektisch, insbesondere vor einem kleinen Fenster, wo offensichtlich die Fahrkarten zu erwerben sind. Roland drängelt wie ein Indonesier, damit er für uns rechtzeitig Tickets ergattern kann. Noch immer peitscht uns Regen ins Gesicht und der Wind sorgt für ein aufgebrachtes Meer. Uns kommt zu Ohren, dass es wegen der miesen Wetterverhältnisse noch nicht sicher ist, ob die Fähre überhaupt loslegen wird. Als nach einer Weile das Schiff mit Treibstoff vollgepumpt wird, atmen wir auf.
Mit indonesischer Pünktlichkeit – eine Stunde zu spät – setzt sich die Schnellfähre in Bewegung. Grosse Wellen schwappen ans Boot, bescheren uns eine unangenehm schwankende Fahrt in Richtung Südosten. Es dauert nicht lange, bis bei den ersten Fahrgästen das Frühstück in hohem Bogen im Wasser landet. Im Bauch des Schiffes ist es trotz übergezogenem Faserpelz und Socken kalt wie in einer Tiefkühltruhe, das Gebläse läuft auf Hochtouren. Als die Niederschläge nachlassen, klettern wir aufs Deck, um wieder aufzutauen. Die steinharten Bänke entpuppen sich innert Minuten als unbequem und lassen die sowieso schon lange Fahrt noch länger erscheinen. Der Nachmittag ist bereits weit fortgeschritten, als am Horizont endlich Inseln in Sicht sind. Rund 200 Kilometer liegen hinter uns, als wir nach knapp sieben Stunden von der wiegenden Fähre springen. Wir sind wohlbehalten in Bandaneira, der Hauptinsel des kleinen paradiesischen Archipels inmitten der Banda-See eingetroffen. Nach zwei Tagen ist unser eigentliches Ziel erreicht!
Die Banda-Inseln gehören zu den südlichen Molukken im Osten Indonesiens und liegen zwischen den grossen Nachbarn Sulawesi und Papua. Von elf Inseln sind deren sieben bevölkert, insgesamt leben nur etwa 20‘000 Menschen hier. Auf vielen Landkarten sucht man die winzige Inselgruppe, welche in der Kolonialzeit äusserst begehrt und hart umkämpft war, vergebens. Die Bandas zählten zu den für ihren Reichtum weltbekannten „Gewürzinseln“. Der Muskatnussbaum wuchs ursprünglich nur hier und nirgendwo sonst auf der Welt. Bereits vor Jahrtausenden wurde von Ureinwohnern Muskatnuss geerntet, um damit mit den grösseren Molukken-Inseln Handel zu treiben. Im 16. Jahrhundert begannen die Portugiesen, die Muskatnuss erstmals nach Europa einzuführen. Im Mittelalter entsprach der Preis eines Kilogramms des kostbaren Gewürzes dem Wert einer Kuh, auch galten die begehrten exotischen Nüsse als Heilmittel gegen Pest. Nachdem die Portugiesen fast ein Jahrhundert lang den Gewürzhandel beherrschten, wurden sie von Briten und Holländern verdrängt. Letztere eroberten das Inselreich 1621 und rotteten die einheimische Bevölkerung vollständig aus, sicherten sich mit diesem brutalen Vorgehen den Muskatnuss-Monopolhandel für 150 Jahre. Für die Arbeit auf den Plantagen wurden Sklaven aus anderen Teilen Indonesiens hierher verschleppt, deren muslimische Nachfahren heute auf den Inseln leben. In einer abenteuerlichen Mission gelang es 1770 den Franzosen einige Bäume zu klauen und diese auf Mauritius anzupflanzen. Der Anbau von Muskatnuss ist auf den Bandas zusammen mit dem Fischfang weiterhin der wichtigste Wirtschaftszweig.
Doch wir haben nicht etwa wegen der Muskatnuss den langen Weg in Angriff genommen, sondern der abgeschiedenen, noch ziemlich unberührten Tauchgründe wegen. Auf Bandaneira ist eine deutschgeführte Tauchbasis ansässig, die wir zusammen mit dem holländischen Paar ansteuern. Hier herrscht Betrieb und wir schnappen uns noch das letzte Zimmer der kleinen Hotelanlage, die unmittelbar am klaren Wasser unweit des Hafens in der Bucht liegt. Vor unserer Nase ragt ein wohlgeformter grün überwachsener Vulkankegel empor – in Indonesien werden wir immer wieder an den vulkanischen Ursprung der Eilande erinnert… Bei einem Willkommenstrunk kommen wir mit den anderen Gästen schnell ins Gespräch und wir fühlen uns auf Anhieb wohl in der gesellschaftlichen Umgebung. Frühstück wird im Hotel zwar serviert, doch ein Restaurant gibt es keines. „Dieses Business soll in der Hand der lokalen Bevölkerung bleiben“, erklärt uns Tuta, der engagierte Besitzer der Tauchschule, der stets zu einem Plauderplausch mit seinen Gästen aufgelegt ist. Im Dorf gibt es eine Handvoll einfacher familiärer Imbissstuben, die alle in etwa mit denselben Gerichten aufwarten. Lokale Spezialitäten wie gebratene Auberginen mit „Kenari Nut“, einer mandelartig sämigen Sauce, munden hervorragend und sind eine willkommene Abwechslung zu den uns verleideten indonesischen Klassikern. Selbstverständlich findet auch die Muskatnuss in der bandanesischen Küche Verwendung. Eigentlich keine Nuss, sondern ein Obstkern – die äussere dicke Schale der Frucht wird getrocknet oder kandiert genossen. Eine zuckersüsse Muskatnussmarmelade steht jeden Morgen auf dem Frühstückstisch.
Bandaneira, ein beschaulicher Ort – die Spuren der geschichtsträchtigen Vergangenheit sind nicht zu übersehen. Das überschaubare Zentrum haben wir in Windeseile erkundet. Autos gibt es so gut wie keine. Nur vom gelegentlichen Knattern von Motorrädern bleiben wir nicht verschont. Die alten Häuser aus kolonialen Zeiten haben ihre besten Jahre längst hinter sich und sind mehrheitlich von trostlosem Verfall begriffen. Auf einem Hügel thront eine unübersehbare holländische Festung aus damaliger Zeit, die mittlerweile vollständig restauriert noch immer über die malerische Umgebung wacht. In den Strassen liegen Matten, wo die ausgebreiteten murmelgrossen Muskatnüsse sich die Sonne auf die Nuss scheinen lassen. Wir schlendern durch farbenfrohe Marktstände – eine Meeresbrise von Fisch und Salz weht uns entgegen. Hunderte von Fischen sind an der prallen Sonne zum Trocknen ausgelegt. Wir beobachten die dunkelhäutigen Männer, die die frischen Stücke geschickt von einer auf die andere Seite wenden. Eine Aludose, gefolgt von einem Plastikbecher, fliegt achtlos über unsere Köpfe hinweg, plumpst wenige Meter weiter vorne ins Meer. Wir schlucken einmal leer. Noch immer haben wir uns nicht an das leidige Müllproblem in Indonesien gewöhnt. Das Wasser in der Bucht ist glasklar und gibt den darin schwimmenden Abfall unverblümt zur Schau frei. Eine traurige Angelegenheit.
Der Himmel verspricht nichts Gutes und öffnet seine Schleusen früher als gedacht. Schon vor dem ersten Tauchgang werden wir klatschnass. Die Sonne fehlt, was uns jeweils missmutig stimmt, da sich dann auch die Welt unter der Wasseroberfläche düsterer präsentiert. „Wow, diese Sicht!“, juble ich innerlich, als wir in den Ozean hinabgleiten. Das Wasser um die Banda-Inseln ist aufgrund deren Abgeschiedenheit und der Tiefe der Banda-See besonders klar und Sichtweiten von mindestens 30 Metern sind an der Tagesordnung. Ehe wir uns versehen, sind wir bereits in 30 Metern Tiefe angelangt und noch immer ist die Unterwasserwelt lichtdurchflutet. Wir vergeben Petrus, denn sogar ohne Sonne sind die Verhältnisse atemberaubend. Billy, unser Tauchguide, lotst uns durch eine reizende Höhle und weiter an der wunderschön mit Hart- und Weichkorallen bewachsenen Felswand entlang. Enthusiastisch sucht er nach Kleinkram und deutet mit seinem Metallstab auf Winzlinge, die wir ohne Lupe kaum erkennen können. Unser Ding sind jedoch eher die von blossem Auge gut erkennbaren Geschöpfe, die das Riff beleben und in eine bunte Szenerie tauchen. Nebst farbig gemusterten Meeresbewohner und in der leichten Strömung treibenden Fischschwärme ist es das Riff selber, das uns tief beindruckt. Der intakte Korallengarten lässt keine Wünsche offen. Die Vielfalt an Gewächsen ist immens, die riesigen Fächerkorallen und Vasenschwämme sind ein Blickfang. Die Korallenriffe gehören angeblich zu den gesündesten weltweit…
Die Anreise nach Pulau Hatta, zur südöstlichsten Banda-Insel, ist lang, aber lohnt sich. Die Fahrt auf dem grossen hölzernen Tauchschiff ist gemütlich und die kleine Insel lockt mit imposanten Steilwänden und Überhängen. Das Eiland erreicht und die Tauchausrüstung montiert, stürzen wir uns in freudiger Erwartung vom Boot. Welche Begegnungen beschert uns die fantastische Fischwelt wohl diesmal? Langsam sinken wir in die bodenlose Tiefe, um erst weit unten im Blauen nach grossen Kerlen Ausschau zu halten. Es besteht durchaus die Möglichkeit, auf scheue Hammerhaie zu treffen. Doch dieses Glück bleibt uns vergönnt, stattdessen erfreuen wir uns einem sich graziös vorbeischwingenden Adlerrochen. Unsere Tauchcomputer zeigen bald unmissverständlich an, uns in höhere Gefilde begeben zu müssen. Entlang einer mit artenreichen Korallen gesegneten Steilwand erhält unsere Tauchtruppe plötzlich Zuwachs – eine Schildkröte schliesst sich uns an, paddelt gemächlich neben uns her. Schlussendlich enden wir auf dem Riffdach, das nur wenige Meter unter der Wasseroberfläche funkelt. Tausende von Fischen tummeln sich. Und wir mittendrin in diesem gigantischen Aquarium, was unsere Taucherherzen leidenschaftlich schlagen lässt.
Nach zwei Tagen stimmt endlich auch das Wetter. Heute klettern wir bereits im Morgengrauen mit noch leeren Mägen aufs Schiff, Frühstück wird an Bord serviert. Die soeben erwachende Sonne taucht die Inselwelt in ein mildes Licht, das spiegelglatte Wasser schimmert wie Samt in verführerischen Blautönen. Die Stimmung mutet geheimnisvoll an. Schneeweise Wolken türmen sich neckisch über den Eilanden auf – Wattebäusche wie das Tüpfchen auf dem i. „Da, Delfine!“, gluckst einer der Taucher aufgeregt. Eine grosse Schule der anmutigen Genossen begleitet unser Boot für eine geraume Weile. Oft springen sie im Duo synchron aus dem Wasser, beglücken uns mit ihrer morgendlichen Show. Nach knapp zwei Stunden liegt Pulau Run, die westlichste der Inseln, vor unseren Tauchmasken. Nicht nur bekannt ihrer Tauchgründe, sondern auch ihrer grausamen Geschichte wegen. Wurde diese kleine unschuldige Insel vor Jahrhunderten im Kampf gegen die Muskatnuss den Holländern abgegeben, die im Tausch den Engländern die damals noch unbekannte Insel Manhattan im heutigen New York überliessen.
Yellow stehen seine unbändigen Haare wild zu allen Seiten ab. Der blutjunge Wuschelkopf sorgt heute für unser Taucherwohl. Leider stülpt er sich für die Tauchgänge eine Kopfhaube über, doch seine lustige Haarpracht hätte uns vielleicht sogar vom Betrachten der Korallenriffe abgehalten. Die Wassertemperaturen gelten zwar als lauwarm, doch unter Wasser kühlt der menschliche Körper 25 Mal schneller aus wie an Land und ein Grossteil der Wärme entschwindet über den Kopf… Nach dem Eintauchen in die andere Welt aller nur erdenklichen Farben und Formen, schippern wir weiter zu einem unbewohnten Inselchen. Die blendend weissen Sandstrände von Neilaka sind von leuchtendem Türkis eingerahmt – auch unter dem kristallklaren Wasser verbirgt sich ein Paradies. Auf dem Heimweg steuern wir noch Ai, eine weitere Insel an und verschwinden ein drittes Mal blubbernd im sonnenlichtdurchfluteten Meer. Fette wohlgemusterte Muränen gucken aus ihren Verstecken in der bunt verzierten Korallenwand, begutachten mit ihren schwarzen Knopfaugen friedlich die in die Flossen kickenden, aus einer Tauchflasche saugenden Genossen…
„Wieso tue ich mir das eigentlich an?“, frage ich mich leise, währenddessen ich schwerfällig einen Fuss vor den nächsten setze und mit dem steilen Aufstieg kämpfe. Schon nach wenigen Metern kamen wir arg ins Schwitzen, mittlerweile rinnt der Schweiss in Bächen aus allen nur erdenklichen Poren. Ständig wische ich mir mit einem Lappen erneut das Gesicht trocken. Ich fühle mich schon nach kurzer Zeit völlig ausgelaugt, benötige jede Viertelstunde eine kurze Verschnaufpause. Roland wird langsam ungeduldig, läuft jedoch brav wie ein Lamm hinter mir her. „Wie weit ist es wohl noch bis zum Gipfel?“ Unser Ziel ist nicht in Sicht, die verbleibende Aufstiegszeit nicht abzuschätzen. Der Weg führt durch Wald, der immerhin oft Schatten spendet und uns mehrheitlich vor der glühenden Sonne bewahrt, die schon um acht Uhr morgens erbarmungslos herabknallt. Eine feuchtheisse Schwüle nimmt uns völlig ein, kein Lüftchen verschafft etwas Abhilfe. Der Pfad wird steiler und ist mittlerweile von losem Geröll übersät. Manchmal können wir Bäumchen am Wegesrand packen, um nicht wegzurutschen. Roland streckt mir gütig einen dünnen Ast zu, den ich dankbar als Wanderstock benutze. Langsam lichtet sich der Wald, die Sonne brennt schonungslos. Schroffe Felsen zwingen uns, hohe Stufen zu bewältigen. Ich leide, kann mich nicht erinnern, einen Aufstieg jemals so anstrengend empfunden zu haben. Vielleicht stecken uns die vielen Tauchgänge der letzten Tage noch in den Knochen. Doch Roland meistert unsere Vulkanbezwingung klar beschwingter.
Nach knapp drei Stunden ist der Gipfel endlich erreicht. Erschöpft setze ich mich erstmals hin, während Roland die atemberaubende Szenerie fotografisch festhält. Der Rundumblick ist sagenhaft – der Ozean glitzert in einem satten Blauton, die Inseln sind von türkisfarbenen Ringen umgeben. Aus kleinen Rissen im Fels strömen warme Dämpfe. Der Blick auf die steil abfallenden Wände des riesigen Kraters ist schwindelerregend. Der 656 Meter hohe, aktive Vulkan Gunung Api brach zuletzt 1988 aus… Wir fühlen uns wie in einem Backofen – von oben brät uns die Sonne, von unten das erhitzte Gestein. Nur gelegentlich küsst uns ein wohltuender Windhauch. So herrlich der Ausblick ist, die Mittagshitze drängt uns bald zum Abstieg. Hochkonzentriert schaffen wir uns Meter um Meter hinab, immer auf der Hut, auf dem groben Geröll nicht auszurutschen. Müde, aber unendlich froh wieder Meereshöhe erlangt zu haben, bitten wir beim Haus am Ende des Pfades um einen Bootsritt zurück nach Bandaneira. Der kleine Holzkahn zischt über das ruhige Wasser und lädt uns wenige Minuten später am Steg vor unserem Daheim ab. Durstig machen wir uns über eine Dose Sprite her, leeren das süsse Getränk gierig in wenigen Zügen. Nach einer erfrischenden Dusche werfen wir uns ausgelaugt aufs Bett. Später brummt Rolands Schädel, sein Magen schlägt Saltos – er scheint nun eher unter Spätfolgen des Vulkans zu leiden…
Draussen heult ein Sturm, weckt uns mitten in der Nacht. Am Morgen können wir nicht wie geplant zum Tauchen ausfahren, das zornige Wetter ist noch nicht verrauscht. Immerhin hat sich am Mittag der Ozean beruhigt und die Sonne spendet scheue Strahlen. Ein letztes Mal begrüssen wir die uns ans Herz gewachsenen Meereskreaturen, spüren gut getarnte Tintenfische und skurrile Drachenköpfe auf und verabschieden uns schlussendlich vom berauschenden Unterwasserfilm. Zwar sind wir noch immer hin- und hergerissen, ob wir uns morgen von den hinreissenden Bandas losreissen können oder nicht – das allerletzte Wort ist noch nicht gesprochen. Doch die Schnellfähre verkehrt nur zweimal wöchentlich und später im Dezember ist es höchst ungewiss, ob sie überhaupt noch hier aufkreuzt. Jederzeit kann ihr Betrieb ohne Vorwarnung eingestellt werden, da im Januar die Inseln meist von einer kurzen stürmischen Regenperiode heimgesucht werden – die richtige Regenzeit jedoch findet von Juni bis August statt. Der Luftweg bleibt uns sowieso abgeschnitten, trotz Landebahn quer über Bandaneira – Susi Air hat ihren Betrieb bis auf weiteres eingestellt. Lassen wir nun die Vernunft oder die fabelhafte Unterwasserwelt siegen?
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