Abschiednehmen in Bentota
Abschiednehmen von Sri Lanka, insbesondere aber auch von unserem Reiseleben insgesamt. Für unsere letzten Tage auf der Tropeninsel leisten wir uns ein Wohlfühlhotel und gönnen uns erholsame Momente am Meer – Streicheleinheiten für die Seele. Die Tage sind gezählt, das Ende kommt in grossen Schritten näher. Wehmut oder Freude? Unsere Emotionen sind schwierig einzuordnen, stecken wir vielfach in einem Wechselbad der Gefühle. Der Wunsch, noch länger durch die exotische Ferne zu schweifen, kommt nicht auf. Allerdings löst der Gedanke an die Heimat auch keine unbändige Euphorie aus, ist die erste Zeit des Ankommens bestimmt kein Zuckerschlecken. Aber auf gewisse Dinge freuen wir uns natürlich, mitunter unsere Liebsten wieder in die Arme zu schliessen…
Nach den vergangenen Reiseetappen mit dem Bus, bietet sich ab Galle in Richtung Norden wieder der Schienenverkehr an. Wir ziehen in Erwägung, heute eine Fahrkarte der zweiten Klasse zu erstehen, doch als wir die lange Warteschlange am entsprechenden Bahnschalter erblicken, sehen wir wohlweislich davon ab. Rasch kaufen wir ein Ticket der dritten Klasse, denn auch unserer Erfahrung entsprechend, ist dort das Gedränge meistens weniger gross wie in der zweiten, wo massenhaft Touristen reisen. Ob zweite oder dritte Klasse, belastet der Fahrpreis von umgerechnet 70, respektive 35 Rappen den Geldbeutel kaum. In der Schweiz würden wir für dieselbe Strecke ungefähr das Vierzigfache hinblättern.
Auf dem Bahnsteig erwartet uns ein Menschenauflauf. Uns schwant nichts Gutes, zumindest schmälert sich die Chance auf einen Sitzplatz. Überpünktlich rollt der bereits volle Zug ein und macht unsere Befürchtungen wahr. Immerhin stehen keine Passagiere im Gang herum und wir erbeuten Platz an einer der Türen, die ständig offenbleiben, auch während der Fahrt. Einer von uns kann sich auf den Boden setzen, die Füsse auf den Treppenstufen. Der Expresszug hält nur an wenigen, auserwählten Haltestellen und ist häufig rasant auf Achse. Die Wagons ruckeln schwungvoll und kräftiges Festhalten ist deshalb notwendig. Angenehm wirbelt der Fahrtwind durch meine Haare, währenddessen eine üppig grüne Palmenlandschaft vorbeiflitzt. Eine knappe Stunde später hüpfen wir in Aluthgama von Bord – dem Tor zu den Ferienresorts in Bentota.
Eigentlich die günstigste Zimmerkategorie gebucht, erhalten wir unverhofft ein Upgrade auf Deluxe – wir sind entzückt. Entspannt folgen wir dem Hotelangestellten gespannt zu unserem Daheim für die nächsten vier Nächte. Wow, wir haben den Glückstreffer gelandet! Das in einem verspielten Stil gehaltene Zimmer trumpft mit kolonialen Bauelementen auf. Das breite Himmelbett ist mit farbenfrohen Kissen geschmückt. Das Nonplusultra ist jedoch der grosse Balkon, der erhaben auf den riesigen Garten mit alten Bäumen und einen schicken Pool blickt. Dünne Kokospalmen recken in den blauen Himmel, und hinter dem Palmengrün lässt sich etwas Ozeanblau ausmachen. Bei lautem Meeresrauschen und einer tropischen Brise werfen wir uns glückselig auf die bequemen Balkonsessel…
Lautes Hornen macht auf sich aufmerksam und schon einen kurzen Moment später rattert ein langer Zug unmittelbar vor unseren Augen durch. Ein leichtes Vibrieren durchfährt unsere Körper. Keine zwanzig Meter von unserem Balkon entfernt verlaufen die Bahnschienen, quasi zwischen dem Hotelgarten und dem Strand. Die hier nah am Meer und in den Palmenhainen verlaufende Eisenbahnlinie stellt aber keine grosse Verkehrsbelastung da. Täglich fahren in jede Richtung nur rund zehn Züge und wir sehen es eher als Sensation. Lediglich auf jene in der Morgenfrühe könnten wir verzichten, reissen sie uns manchmal aus den nächtlichen Träumen. Doch vernehmen wir im Verlaufe des Tages das ankündigende Pfeifen, hetzen wir ans Balkongeländer. Rolands Eisenbahnherz klopft freudig und leidenschaftlich versucht er, den Zugverkehr bildlich einzufangen. Tagsüber sind die Wagons vielfach proppenvoll und Menschentrauben krallen sich an den Eingängen fest oder stecken ihre Köpfe weit aus den Fenstern.
Mit kugelrunden Frühstücksbäuchen stolpern wir vormittags über die Geleise – einen Bahnübergang im eigentlichen Sinne gibt es nicht. Doch rauscht ein Zug heran, ist dies nicht zu überhören. Jenseits der Schienen beginnt der feine Sand und nach ein paar Schritten im Palmenschatten, zieht uns der breite Sandstreifen in seinen Bann. Davor erstreckt sich der weite Indische Ozean. Wellen donnern und überschlagen sich in ein wildes Schaumbad. Unser Strandabschnitt ist ruhig und nur vereinzelt warten Liegestühle auf Sonnenhungrige. Die Urlaubsresorts sind verzettelt, meistens wie unseres vom flachabfallenden Strand zurückversetzt und in den Palmen verborgen.
Das aus den Katalogen etlicher Asien-Veranstalter bekannte Bentota ist kein richtiges Dorf, sondern vorwiegend ein Konglomerat aus touristischen Einrichtungen. Schon seit den 1970er-Jahren wird das rund 60 Kilometer südlich von Colombo liegende Areal belebt, hauptsächlich von Pauschaltouristen. Aber die Gäste verteilen sich am weitläufigen Strand und wir geniessen das friedliche Bummeln Hand in Hand. Einer der letzten Strandspaziergänge für eine geraume Weile. Uns befällt ein beklemmendes Gefühl – der Abschied von Sri Lanka scheint zum Greifen nah. Wann werden wir wohl das nächste Mal wieder am Meer weilen? Und wo?
Das Meer ist zu aufgebracht zum friedlich Planschen, deshalb stürzen wir uns in das einladende Hotelschwimmbecken. Eine Abkühlung stellt das Wasser jedoch nicht im Geringsten dar, fühlt es sich an wie ein Thermalbad. Hinterher auf dem Liegestuhl, ist im Handumdrehen nichts mehr wie es war. Abrupt wird der geruhsame Tag einschneidend unterbrochen. Mit Tränen in den Augen streckt mir Roland sein Handy unter die Nase – ich ahne Ungutes. Sein Mami liegt im Spital. Die notfallmässige Operation hat sie zwar überstanden, doch es geht ihr schlecht und niemand weiss, wie es weitergeht. Wir entscheiden schliesslich, in einigen Tagen frühzeitig in die Schweiz zu fliegen – zwei Wochen vor geplanter Rückkehr. Unverzüglich gilt es, Umbuchungen und Annullationen zu tätigen sowie ein paar weitere Dinge in die Wege zu leiten.
Die Geschehnisse versetzen uns einen Dämpfer und gedanklich sind wir bereits halbwegs daheim. Dennoch möchten wir unsere allerletzten Tage in der Ferne trotz allem noch ein wenig zelebrieren und unseren Reisealltag gebührend ausklingen zu lassen. Am nächsten Tag weint auch der Himmel. Doch auf unserem grossen Balkon kann uns der strömende Regen nichts anhaben. Kurz vor Sonnenuntergang lockert sich die Bewölkung unverhofft auf. Derweil sich der Himmel in ein glühendes Orange verfärbt, schlürfen wir ein Bier. Erneut wird uns bewusst, wie rasant sich das Reiseende nun nähert, da unsere verbleibende Zeit schlagartig komprimiert wurde. Die ursprünglich geplante „Gnadenfrist“ in Abu Dhabi fällt ins Wasser. Bewusst haben wir dort etwas Zeit eingeplant, um in Ruhe abzuschliessen und einiges vorzubereiten, bevor die gesamte Heimat auf uns einprasselt. Das Abschiednehmen kommt nun eindeutig zu kurz. Aber wir möchten keinesfalls klagen, verstrichen fast zweieinhalb Jahre ohne nennenswerten Zwischenfälle, wofür wir unsäglich dankbar sind.
Schon ist der letzte Ferientag in Bentota da. Ich fühle mich innerlich leer, aber auch traurig. Und plötzlich sprudeln unsere Emotionen. Aufgewühlt schlendern wir ans Meer, um noch einmal das Salz auf unserer Haut zu spüren. Nur ein kurzes Schaumbad in den Fluten, drohen die heranrollenden Wellen uns jeweils die Füsse aus dem Sand zu ziehen. Den restlichen Tag verbringen wir auf unserem geliebten Balkon und versuchen, die Tropenidylle vollumfänglich in uns einzusaugen. Und Wärme zu tanken, zumal uns in der Schweiz eine klirrende Kälte erwartet. Die Meteorologen prophezeien tiefsten Winter – vom eisigen Wetter sind wir alles andere als angetan.
Wehmütig verabschieden wir uns am nächsten Mittag vom harmonischen Resort. Der Schnellzug ist einmal mehr voll und hält keine freien Sitzplätze bereit, dafür ergattern wir wieder eine Türe. Die Schienen nach Norden führen oft nah der Küste entlang. Gelegentlich meinen wir, das Meer schwappe demnächst in den Zug. Während die beschauliche Szenerie an uns vorbei schwirrt, schwirren verschiedene Gedanken durch unsere Köpfe. Bald wird die Gegend städtischer. Armselige Quartiere von Colombo breiten sich aus, bevor sich ein unspektakulärer Mix aus glänzenden Hochhäusern und hässlichen Altbauten präsentiert. In der Hauptstadt steigen wir um. Die feuchtheisse Luft im Wagon steht beinahe still – eine Sauna sondergleichen. Unsere Gedankengänge verfangen sich in der eiskalten Schweiz und kühlen unsere erhitzten Gemüter zumindest mental.
Der überfüllte Bummelzug kommt nur schleppend voran, hält er an jeder Station. Spätnachmittags erlangen wir nach vier Reisestunden endlich den wohlbekannten Bahnhof von Negombo. Der Kreis schliesst sich. Hier in Flughafennähe residierten wir schon bei unserer Ankunft. Auch quartieren wir uns für die allerletzte Nacht wieder im selben Gästehaus ein. Silvia heisst uns warmherzig willkommen und verwöhnt unsere Gaumen mit einem letzten „Rice & Curry“. Die liebenswürdige Frau weiss das Nationalgericht raffiniert zuzubereiten, vermochte kein anderer Koch solch leckere Gemüsecurrys auf den Tisch zu zaubern. Auch beim Frühstück vergeben wir Silvia die Bestnote. Ihre Pfannkuchen mit Kokosfüllung schmecken einmalig und versüssen uns das zwiespältige Abschiednehmen…
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