An Bord der Ilala
“Tuuuut!” Laut ertönt das dumpfe, langgezogene Hupen der Ilala. Nur eine Stunde zu spät, mit afrikanischer Pünktlichkeit also, legt die Fähre langsam los. Wir verlassen den Hafen von Monkey Bay morgens um neun, die Sonne brennt bereits steil vom Himmel. Gemächlich schippern wir über den Malawisee – eine Reiseetappe der etwas anderen Art.
Die MV Ilala ist bereits ein älteres Semester, wurde im Jahre 1949 erbaut, jedoch kürzlich überholt und mit einem neuen Motor ausgestattet. Das nostalgische Schiff fasst 460 Passagiere, 40 Besatzungsmitglieder und tonnenweise Fracht. Einmal die Woche fährt es in jede Richtung zwischen Monkey Bay im Süden und Chilumba im Norden. Unterwegs legt die Fähre elf, oft stundenlange Stopps ein. Wieviel Zeit genau diese Zwischenhalte beanspruchen ist ungewiss und hängt vor allem von der geladenen Ware ab. Die gesamte Reise dauert gemäss Fahrplan drei Tage und zwei Nächte, manchmal im Endeffekt etwas länger.
Die beiden oberen Decks sind der ersten Klasse gewidmet. Komfortabel ist die teuerste Klasse beim besten Willen nicht – bequeme Polstersessel oder Liegen sucht man vergeblich. Zuoberst gibt es nebst einer Bar mit ein paar Hockern lediglich wenige harte Holzbänke, dafür viel Raum und meist viel Ruhe. Denn nur wenige Passagiere können sich die beste Klasse leisten, in erster Linie Touristen. Neben uns ist noch ein älteres englisches Paar – Penny und Bill – mit von der Partie. Auch ihr Ziel ist Likoma Island, eine Insel in der Mitte des Malawisees. Einen Tag später werden wir voraussichtlich das besagte Eiland erreichen. Da wir eine Nacht auf See verbringen, haben wir eine der wenigen Kabinen gebucht – kein Luxus, aber zwei Betten und das Gepäck kann sicher verstaut werden. Auf den unteren Decks findet sich die zweite und dritte Klasse, wo sich Scharen von Menschen und sperrige Fracht den wenigen Platz teilen.
Seit Stunden gondeln wir über den ruhigen See, an Bord sind die kleinen Wellen kaum zu spüren. Mir soll es recht sein, bin ich schnell von Seekrankheit geplagt. Langsam, mit nur etwa 15 Stundenkilometern, sind wir auf Fahrt. Die malerische, grün bewachsene Uferlandschaft zieht somit im Zeitlupentempo an uns vorbei. Wie friedlich sich die Reise im Vergleich zu einer Fahrt in einem überfüllten Minibus gestaltet – wir schätzen die neue Reiseart. Bald ist es Mittag. Der Kellner sucht uns auf, fragt, ob wir Essen bestellen möchten und streckt uns lächelnd eine Speisekarte entgegen. Die Auswahl ist erstaunlich gross, überpünktlich wird das Mittagsmahl im Restaurant serviert.
Im Zickzack gleiten wir über das Wasser, um beidseits des langen Sees verschiedene Küstenorte anzusteuern. Passagiere steigen aus, andere wiederum steigen zu. Anlegestege gibt es meistens nicht, die Fähre ankert und mit zwei Beibooten werden Menschen und Ware an Land geschifft. Oft fahren die kleinen Boote mehrmals vollbeladen hin und her und es dauert lange, bis die grossen Ladungen im Bauch der Ilala verschwunden sind. Was alles transportiert wird, lässt uns staunen: Riesige runde Körbe gefüllt mit Tomaten oder Kohl, schwere Maissäcke, gestapelte Eierkartons, unzählige Schachteln jeglicher Grösse, ein Motorrad, Dutzende Käfige mit gackernden, stinkenden Hühnern, Kochherd, Kühlschrank, ja ganze Sofagarnituren und Bettgestelle finden den Weg an Bord – zieht hier wohl jemand um? Gespannt verfolgen wir das bunte Treiben von oben…
Immer noch liegen wir im Hafen von Chipoka, noch ist nicht alles verstaut, am Ufer warten immer noch schwer beladene Leute. Mittlerweile ist das Wasser spiegelglatt. Der Tag neigt sich dem Ende entgegen, die Sonne geht langsam am Horizont unter. Wundervoll türmen sich Quellwolken auf, uns wird ein stimmungsvoller Sonnenuntergang beschert. Ein Abendrot lässt den Himmel nochmals aufleuchten. Kleine Fischerboote perfektionieren das Bild – Glücksgefühle machen sich in uns breit. Endlich ist die Ilala wieder abfahrtsbereit und tuckert in die dunkle Nacht hinaus.
In unserer Kabine ist es stickig heiss, auch liegt ein Mief von Fisch in der Luft. Immerhin wälzt ein Ventilator stotternd die schlechte Luft um und versprüht eine leichte Brise. Das Rotieren der Motoren und das Stimmengewirr lullen uns aber bald in den Schlaf. Die Nacht ist jedoch kurz, in aller Herrgottsfrühe sind die Hähne an Bord schon in Morgenstimmung und krähen um die Wette. Etwas später werden die Beiboote an Seilen ins Wasser herabgelassen, dessen Rattern uns erneut den Schlaf raubt. Ein Stopp, mitten in der Nacht. Ein Kommen und Gehen. Es ist lärmig, den Weg in die Träume finden wir nicht mehr. Beim ersten Tageslicht steigen wir aufs Oberdeck, geniessen müde die friedliche Morgenstimmung und das leichte Wiegen des Schiffes. Der See ist aufgewühlt, alles ist nass. In der Ferne zeugen rabenschwarze Wolken vom vergangenen nächtlichen Regen.
Wir steuern Likoma Island entgegen. Lange schon können wir die Insel erspähen, aber nur im Schneckentempo kommen wir unserem Ziel näher. Während über dem Festland mächtige Wolkenketten schweben, präsentiert sich das Wetter in Richtung Insel von der Sonnenseite. Das alte Schiff überquert auf dem Weg nach Norden den See von Ost nach West – mittlerweile liegt zu unserer Rechten die wilde, üppig grüne Küste von Mozambique. Der Malawisee grenzt grösstenteils an Malawi, teilt sich aber die Ostseite mit Mozambique und Tanzania. Wir schlemmen eine letzte Mahlzeit im Speiseraum der Ilala, dann heisst es Abschied nehmen. Die Insel ist mittlerweile zum Greifen nah. Die interessante 27-stündige Seereise geht zu Ende…
Es gibt keinen Steg, wir ankern vor der Küste und haben das Vergnügen, mit einem der Beiboote an Land zu schaukeln. Kaum am Ufer stürzt sich eine Handvoll Jungs auf uns, versucht aggressiv unser Gepäck dem kleinen Boot zu entreissen. Mit der Ruhe ist es vorerst vorbei. Mit grimmigen Blicken quasseln sie ständig auf uns ein, höchst unangenehm. Wir schaffen es, dem Gewusel zu entrinnen und finden glücklicherweise bald den richtigen Mann – Dan, der Gesandte von der Unterkunft. Er schleust uns aus der Menschenmenge und organisiert einen Fahrer. “Die aufdringlichen Beachboys sind nicht nur für euch eine Plage, sondern auch für die Einheimischen”, erwidert der Mann mit den leuchtenden Augen und der schelmischen Mütze kopfschüttelnd, “meinen mit ihrer rüpelhaften Art ein paar Kwachas verdienen zu können, was vielen sauer aufstösst”. Uns auch…
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