Auf Achse im dschungelfeuchten Süden
Unser Geduldsfaden droht zu zerreissen, als wir auf dem dritten Ausdruck des Mietvertrags noch immer Ungereimtheiten entdecken. Obendrein unterbreitet uns der Angestellte des Autovermieters, es seien noch nicht die gesamten Kosten gestemmt. Aber um nicht noch weitere wertvolle Zeit zu verlieren, beenden wir das Diskutieren bald. Denn der eifrige Herr wirkt nicht sonderlich kompetent und darum werde ich die ungerechtfertigten Auslagen in der Heimat zurückfordern. Zähneknirschend zücken wir die
Kreditkarte. Die leidige Bürokratie endlich abgehakt, steht zu unserem Entsetzen gar kein Wagen bereit. Der Mann verschwindet und während wir warten, rückt der Uhrzeiger unaufhaltbar gegen Mittag. Schliesslich ein gebuchtes Modell auf den Platz gezaubert, stimmt die Autonummer nicht mit jener im Vertrag überein. Was solls. Ernüchtert verfallen wir der belizischen Gelassenheit und lassen es gut sein…
Raus aus der Stadt. Belize City verabschiedet sich im Rückspiegel. Die Strecke südwestwärts ist keine Unbekannte, kennen wir diese Hauptverkehrsachse vom Busfahren der ersten Woche. Jetzt sitzt Roland hinter dem Steuer und lenkt unseren Geländewagen konzentriert über das stellenweise ruinierte Teerband. Eine gute Stunde und 80 Kilometer später erreichen wir Belmopan, auf knapp 100 Metern am Fusse der Maya Mountains gelegen. Die überschaubare Stadt ohne jegliche Attraktionen erweckt einen eher unscheinbaren Eindruck und strahlt keinerlei Macht aus. Mit nur rund 20‘000 Einwohnern handelt es sich um eine der kleineren Hauptstädte der Welt. Dank der zentralen geografischen Lage stellt Belmopan immerhin einen Verkehrsknotenpunkt dar.
Ausserhalb im Grünen erfolgreich ein Gästehaus für die kommende Nacht aufgespürt, besuchen wir nachmittags beruhigt den kleinen Guanacaste Nationalpark am Stadtrand. Eine grüne Oase, Verkehrslärm inklusive. Das Pflanzenschutzgebiet ist nach einem
riesigen Guanacaste-Baum benannt, dessen Umfang über acht Meter misst. Wegen einer demolierten Brücke ist der grösste Teil des Wanderwegs leider gesperrt. Doch sind wir ehrlich, für Bewegung ist es ohnehin zu heiss. Schlaff setzen wir uns stattdessen auf eine Bank am Fluss. Eine prickelnde Abkühlung ist in Sicht, doch die Badehose dummerweise nicht mitgekommen.
Ein Vogelchor reisst uns aus dem Schlaf. Nein, wir sind nicht etwa auf der harten Parkbank eingedöst, sondern es liegt eine Nacht in einem bequemen Bett hinter uns. Die familiäre Unterkunft beherbergt nebst den Gästen eine Aufzuchtstation für Gefieder, das nun zu früher Morgenstunde aufgeweckt um die Wette zwitschert und unser Schlafgemach mit einem lautstarken Konzert erfüllt. Später tischt uns der Herr des Hauses auf dem grossen gemeinschaftlichen Balkon ein deftiges Frühstück auf – Eier, Speck und Rösti wandern munter in unsere Mägen. Ein frisch gepresster Orangensaft sorgt für einen ausreichenden Vitaminschub, während unsere Augen in die grüne Weite schweifen. Herrlich.
Spontan verlängern wir unseren Aufenthalt um eine weitere Nacht. Statt wie geplant weiterzureisen, streben wir einen Tagesausflug an. Der soeben gefällte Entscheid beflügelt, da sich der Blue Hole Nationalpark nur 25 Kilometer weiter südlich an die bewaldeten Berghänge bettet. Ein blaues Loch, doch nicht zu verwechseln mit dem gigantischen Blue Hole weit draussen in der Karibik. Das
besagte runde Loch im Regenwald wird von klarem Wasser aus einem unterirdischen Höhlensystem gespeist und ist ungefähr acht Meter tief. Hinter der Badestelle ragt steil eine Felswand empor. Doch bevor wir uns eine Erfrischung im wohltuenden Nass gönnen, wandern wir entschlossen durch den Dschungel.
Die feuchte Luft im Wald steht beinahe still. Bald purzelt Schweiss aus allen Poren. Immerhin spendet die tropische Pflanzenwelt gehörig Schatten. Nach einer knappen Stunde stehen wir am Eingang zur St. Herman‘s Cave. Urplötzlich umarmt uns eine angenehme Frische. Die lange Höhle entstand in Jahrtausenden und wird von durchfliessendem Wasser stets weiter ausgewaschen sowie durch herabfallende Tropfen geformt. Fette Stalaktiten hängen
protzig von der Decke. Ins mystische Innere vorgedrungen, drehen wir für einen Augenblick unsere Stirnlampen aus. Stockfinster und mucksmäuschenstill. Ausser uns regt sich nichts. Nach 200 Metern ist Schluss, ein Schild warnt: Weitergehen nur mit Führer erlaubt. Kaum aus den Fängen der Höhle entlassen, umgarnt uns wieder eine dschungelfeuchte Hitze.
Am nächsten Morgen verabschieden wir uns endgültig von Belmopan. Auf gehts, nochmals entlang der Maya Mountains, ab in den Süden. Der Hummingbird Highway zähle zu den landschaftlich schönsten Strassen, verspricht unser Reisehandbuch. Der graue Asphalt windet sich höher und höher, durch saftiges Dschungelgrün, das beidseits der geschmeidigen Fahrbahn wuchert. Winzige Dörfer, vereinzelte Unterkünfte sowie ausgedehnte Naturschutzgebiete säumen die reizvolle Strecke. Eine Stunde verstrichen und im Tiefland in Küstennähe angekommen, biegen wir kurz vor Dangria, der grössten Stadt im Süden, auf den Southern Highway ein. Ein Kontrastprogramm, führt die Strasse schnurgeradeaus und der Landstrich ist eher trocken. Doch schon bald schwenken wir nach rechts und folgen dem Wegweiser: Mayflower Bocawina Nationalpark.
Über eine unbefestigte grobe Piste dringen wir ins bewaldete Landesinnere vor. In einer Rüttelpartie von knapp zehn Kilometern erreichen wir das Eingangstor zum besagten Nationalpark. Dieser ist nach einer der alten Maya-Stätten in diesem Gebiet benannt. Bestehend aus Mischwald und Dschungel fühlen sich hier Tiere wie Ameisenbären und Brüllaffen sowie natürlich eine vielfältige Vogelwelt wohl. Der junge Parkwächter erläutert uns mit Herzblut das den Park durchziehende Wegnetz. Der freundliche Mann nimmt sich Zeit, die hat er offenbar reichlich, sind die Autos auf dem Parkplatz an einer Hand abzuzählen.
Die Wanderschuhe geschnürt, stiefeln wir los. Die Antilope Falls im Visier. Erst geradeaus und dann langsam bergan, verwandelt sich der angenehme Fussweg in einen steilen Pfad, der uns über umfangreiches Wurzelwerk lotst. Wir staunen über gigantische Wurzeln – dahinter könnte man sich sogar verstecken. Montierte Seile dienen zum Festhalten und Hochziehen, geben uns Sicherheit und entlasten die Beinmuskeln. Die schwüle Tropenhitze fühlt sich an wie ein bleischwerer Wollmantel. Mein Herz hämmert. Ein letzter Seufzer. Nach einer knappen Stunde haben wir
es geschafft. Vor uns sprudelt ein schmächtiger Wasserfall heiter in ein Becken. Kurzerhand reissen wir uns die verschwitzten Klamotten vom Leib. Zaghaft gleiten wir ins kühle Wasser und wischen uns den Schweiss vom Körper. Auch die sagenhafte Aussicht entschädigt für alle Strapazen. Erfrischt schauen wir über das tiefgrüne Dschungeldach bis zum samtblauen Streifen am Horizont, dem karibischen Meer.
Im kleinen Resort inmitten des Naturschutzgebiets haben wir für heute Nacht kurzfristig ein nettes Zimmer gebucht. Weit weg von Lärm und Hektik, wenn es in Belize so etwas überhaupt gibt. Im dazugehörigen Restaurant, umringt von zahllosen Pflanzen und exotischen Blumen, nippen wir glückselig an einem Willkommensdrink. Der Alkohol knallt wie ein Pistolenschuss ins Blut, was uns den paradiesischen Moment noch intensiver wahrnehmen lässt. Der Rumpunsch ist stark, wohl stärker als wir. Etwas beschwipst ziehen wir uns auf unsere Veranda zurück und geniessen die harmonische Ruhe der Natur, bis kurz nach sechs eine sternenklare Nacht hereinbricht.
Frühmorgens prasseln intensive Regenschauer aufs Dach. Nach kurzer Zeit ist der Spuk zwar wieder vorbei, doch die Luftfeuchtigkeit fühlt sich danach hundertprozentig an. Alles ist tropfnass, die steinigen Wanderwege gefährlich glitschig und alsbald baden wir im eigenen Saft. Es ist Zeit, dem friedvollen Mayflower Nationalpark den nassen Rücken zu kehren.
Die Reiseetappe weiter in den Süden gestaltet sich glanzlos. Die dürre Gegend ist geprägt von Nadelbäumen, die Palmen machen sich rar. Unser Tagesziel Placencia liegt am Ende einer langgezogenen Landzunge. Die Route verläuft auf dem schmalen Landstreifen zwischen Lagune und Karibik, beidseits ist Wasser auszumachen. Eine verschwenderische Anzahl von Bremsschwellen kommt uns in die Quere, die „liegenden Polizisten“ zwingen uns stets wieder abzubremsen. Zahlreiche Ferienhäuser und Hotels liegen am Weg, hier hat ein Bauboom Einzug gehalten. Doch gewisse Bauprojekte schlummern vor sich hin und es ist offensichtlich, dass schon lange keine Kelle mehr gerührt wurde. Die Investitionen scheinen nicht alle auf solidem Sand gebaut zu sein.
Nach 70 Fahrkilometern erreichen wir die Südspitze und gleichzeitig das Zentrum der Touristenhochburg Placencia. Restaurants, Kneipen und Coffee Shops sind in den letzten
Jahren wie Pilze aus dem Boden geschossen. Obschon hier der Tourismus viel Platz einnimmt, ist nicht der gesamte Strandbereich mit Hotels zugepflastert. Auch Einheimische hausen wassernah, die grossen schicken Sterne-Resorts liegen ausserhalb der Ortsmitte. Kunterbunte Holzhäuser im karibischen Stil sorgen für frohe Farbtupfer und die Atmosphäre ist völlig entspannt. Wie überall in Belize erleben wir die Menschen auch hier überhaupt nicht aufdringlich. Gemächlich schlendern
wir über den groben weissen Sand. Die Kokospalmen neigen sich im kräftigen Wind, der Ozean schlägt wütend hohe Wellen. Die Brandung spült eine Menge Seegras heran und hinterlässt einen bräunlichen Streifen – leider kein Hingucker. Nach einer Verschnaufpause mit Pizza und Meerblick, bummeln wir in unser Hotel Paradise zurück. Zwar nicht gerade das Paradies, der Name ist eine masslose Übertreibung, aber immerhin am Wasser erbaut…
Nach einer Nacht ziehen wir weiter, wieder nordwärts. Eine gute Fahrstunde entfernt an der Küste erwartet uns Hopkins, ein Garifuna-Dorf etwas südlich von Dangria. Die Garifuna sind ein aus schwarzen Sklaven und karibischen Eingeborenen hervorgegangenes Mischvolk, das im frühen 19. Jahrhundert von der Karibikinsel St. Vincent nach Belize immigrierte. Der Süden des Landes steht unter starkem Einfluss dieser schwarzen Kariben – Musik und Trommeln gehören bei den Garifuna
zum Lebensstil. Das Leben der auffallend dunkelhäutigen Menschen spielt sich hauptsächlich entlang der Dorfstrasse ab. Anspruchslose Holzhäuser reihen sich an vernachlässigt wirkende Buden, zwischendrin lauern schlichte Restaurants oder kleine Tante-Emma-Läden. Das einst verschlafene Fischerdorf mauserte sich zu einem Touristenort, wo sich einige Unterkünfte am kilometerlangen Sandstrand locker verteilen.
Bereits zuhause habe ich für die kommenden vier Nächte ein Strandhotel mit
angeschlossener Tauchbasis gebucht, um allenfalls nochmals unserem Unterwasser-Hobby zu frönen. Mit dem Abtauchen am vorgelagerten Glovers Reef liebäugelnd, erkundigen wir uns sogleich nach dem Tauchbetrieb. Leider läuft dieser trotz Hochsaison auf Halbmast und es wird nicht täglich ans Riff hinausgefahren, geschweige in den nächsten Tagen den ins Auge gefasste Tauchplatz angepeilt. Schade, aber schonend fürs Portemonnaie, ist das Tauchen in Belize sündhaft teuer.
Vom Bett aus Ozeanblick – wir lieben es. Frühmorgens blinzelt die Sonne schräg ins Schlafzimmer und das Meer funkelt wie ein Diamantenteppich. Vögel zwitschern vergnügt,
sachte wiegen die Palmen im Wind. Ein tropischer Morgen wie aus dem Bilderbuch. Gähnend bleiben wir liegen, fläzen uns im breiten Bett und lassen den perfekten Moment auf uns wirken. In einer weitläufigen gepflegten Gartenanlage verteilen sich viele grosse Bungalows – wir bewohnen den oberen Stock eines solchen Häuschens mit grossem Balkon. Stundenlang könnten wir hier draussen sitzen und dem Wellenrauschen lauschen, wären die Stühle etwas weicher.
Heute steht ein Entspannungstag auf dem Programm, da das Tauchen ja ins Wasser fällt. Nach dem späten Morgenessen schmeissen wir uns auf einen Liegestuhl im Schatten. Auch hier trübt angeschwemmtes Seegras den Blick. Die Angestellten räumen das braune Zeug in Schubkarren weg, doch kaum ist die Arbeit getan, fängt sie schon wieder von neuem an. Deshalb schwimmen wir statt im trüben Salzwasser lieber im türkisen Pool, den wir heute ganz für uns alleine haben. Das Ferienresort ist wider Erwarten nicht ausgebucht, wahrscheinlich mehr als halbleer. Doch uns stört etwas mehr Raum und Frieden keineswegs – im Gegenteil, das ist wunderbar.
Nachmittags hieven wir uns schwerfällig aus den Liegestühlen, denn ein Hungergefühl klopft an. Da wir, abgesehen vom hoteleigenen Restaurant, abseits des kulinarischen Geschehens residieren, tuckern wir mit unserem Mietauto für ein frühes Nachtessen ins Dorf. Durch einen Teil der Ortschaft schleusen sich Einbahnstrassen. Der Asphalt ist jedoch breit, mit einem grosszügigen Streifen für Fussgänger. Dennoch ist höllische Aufmerksamkeit gefragt, denn oftmals kommt uns unverhofft ein Vehikel entgegen. Gestern hielt sich Roland noch brav an die Regeln, doch heute benimmt er sich schon offensiv wie ein Einheimischer. „Wenn sogar die Polizei in die falsche Richtung fährt…“, begründet er sein Vergehen schulterzuckend. Ob das ein gutes Argument ist? Eins ist hingegen klar: Bis zum nächsten Abzweig auf die in Gegenrichtung führende Strasse ist es noch unverhältnismässig weit. Meine Bedenken erweisen sich als unbegründet. Die Polizei lässt uns in Ruhe, nicht so dafür die Mücken oder Sandfliegen, die uns im Strandlokal ungehemmt in unsere nackte Haut stechen.
Kaum die Autotür geöffnet, steigt ein modriger Geruch in unsere Nasen. Der Duft von feuchtem Dschungel. Es ist erst halb neun und der Parkplatz noch gähnend leer. Für den
Besuch des „Cockscomb Basin Wildlife Sanctuary“ sind wir heute absichtlich früh aus dem Bett gekrochen. Mit zehn Kilometern Schotterpiste in den Knochen, registrieren wir uns erstmals im Besucherzentrum und studieren die anschauliche Übersichtskarte. Das Reservat umfasst beachtliche 370 Quadratkilometer und ist somit fast so gross wie das Appenzellerland. Ein Dutzend unterschiedlich anspruchsvolle Wanderwege durchziehen den Regenwald, der mit vielerlei exotischen Pflanzen und mit bis zu 40 Meter hohen Bäumen aufwartet.
Laub raschelt unter unseren Sohlen. Vögel trällern genussvolle Melodien. Ansonsten beglückt uns Morgenstille. Wir haben uns für den sechs Kilometer langen „Tiger Fern Trail“ entschieden. Noch hängt ein grauer Dunst über uns, dicke Tropfen fallen träge von den Blättern. Vermutlich hat es nachts geregnet, denn der Waldboden ist aufgeweicht. Trotz einer leichten Morgenfrische schwitzen wir im Nu – die tropische Feuchtigkeit lässt grüssen. Mittlerweile geht es steil bergan. Erst rinnen feine Bächlein kitzelnd den Rücken hinab, dann kullert Schweiss aus jeder Pore. Es tropft mir richtiggehend vom Gesicht. Unglaublich. Wie verhält sich das wohl in der Regenzeit?
„Alle zehn Minuten kommt eine Bank“, versprach uns der Ranger im Besucherzentrum aufmunternd. Ich dachte, er übertreibe schamlos. Doch es stimmt. Wie immer macht Roland diese drückende Schwüle weniger zu schaffen. Er fotografiert unermüdlich die Details, von Blumen und Blüten über herzförmige Blätter, und versucht, den Urwald bildlich einzufangen. Nebst Vogelvieh lassen sich
leider keine Tiere blicken. Nur mit viel Glück finden angeblich Begegnungen von Angesicht zu Angesicht statt, doch Geräusche und Spuren belegen ihre Gegenwart. Das Naturschutzgebiet beherbergt eine Population von rund 200 Jaguaren, von denen hin und wieder Fährten zu entdecken sind. Ausserdem sind hier weitere vier Wildkatzen heimisch, sowie Affen, Schlangen, Tapire, Hirsche und eine Unzahl von Vögeln.
Aus dem Wald raus, offenbart sich eine Weitsicht auf das grüne unendliche Blättermeer und den Victoria Peak, der mit rund 1100 Metern Höhe einer der höchsten Berge des Landes darstellt. Zwischenzeitlich sind die Wolken der Sonne gewichen, die nun einen Glanz über die prächtige Szenerie wirft.
Weiter gehts, steil hinab zu den Tiger Fern Falls. Kein wirkliches Spektakel, denn es fliesst nur spärlich Wasser. Der wahre Luxus ist, dass wir den prickelnden Badespot ausschliesslich für uns haben. Erst als wir nach einer geraumen Weile wieder keuchend am Aussichtspunkt oben angelangen, kreuzen uns erste Wandergenossen. Ich bin völlig ausgelaugt, das Element Regenwald
bekommt mir nicht gut. Eine dunkle Wolkenwand rückt uns langsam auf die Pelle. Gerade eben auf dem Parkplatz angekommen, entleeren sich die prallen Wolken schwallartig. Im Schutze des Besucherzentrums, wo der heftige Regen wild auf das Wellblechdach trommelt, harren wir dem ausgiebigen Wolkenbruch. Eine Dusche – zumindest in Belize – ist ein Klacks dagegen.
Nachmittags zurück in Hopkins, ist auch dort alles triefend nass. Kurz darauf lacht die Sonne, als sei nichts gewesen. Auf dem Steg beim Hotel zelebrieren wir einem Sundowner, knabbern Chips und schlürfen zufrieden ein Bier. Kein Lüftchen weht. Die Ruhe nach dem Sturm. Abends ist es in unserem Zimmer stickig heiss. Das dumpfe Brummen des Ventilators verströmt eine wohltuende Brise und begleitet uns bald in den wohlverdienten Schlaf.
Der letzte Tag in Hopkins ist angebrochen. Ein letzter Tag am Strand. Das Wetter ist makellos. Der Himmel blau, die Luft rein. Das Landschaftsgemälde wirkt sage und schreibe wie frisch gewaschen. Gemütlichkeit ist angesagt. Eine zuckerige Ananas versüsst uns den Strandtag, ein Cocktail untermalt den Sonnenuntergang. Wehmütig nehmen wir Abschied vom Meer. Und vom ins Herz geschlossene facettenreiche Belize…
Nach einer halben Stunde unterbrechen wir die Rückfahrt bei den Barquedier Falls. Herzlich empfängt uns ein älterer Mann, drückt uns gütig einen Wanderstock in die Hand und erläutert bereitwillig, wie wir zur Sehenswürdigkeit gelangen. Der Weg ist zwar ausgeschildert und frisst nur eine Viertelstunde, doch scheinbar vertieft er sich gerne in einen Schwatz mit Besuchern. Derweil sich der Wasserfall in unser Blickfeld schiebt, balancieren wir das letzte Wegstück auf Steinen dem Flussbett entlang. Kaskaden ergiessen sich märchenhaft in ein von steilen Felswänden umrahmtes Becken. Ein friedlicher Fleck. Wir halten inne und staunen ein Weilchen, doch dann rufen unsere weiteren Pläne.
Was tue ich da nur? Meine Knie sind butterweich. Im Vorfeld war ich keineswegs nervös
oder habe das Unterfangen gar in Frage gestellt. Aber als wir nun mit Helm bewaffnet und gleichzeitig gefangen in einem Tragegurt mit baumelnden Karabinern auf der ersten Plattform stehen, starre ich etwas besorgt in die Tiefe. Für mich ist es das erste Mal, Roland hingegen hat es schon vor zehn Jahren in Costa Rica ausprobiert. Er ist die Ruhe selbst…
„Angel Falls Zip Lining“. The longest, the highest and the fastest. Acht unterschiedlich lange, hohe und steile Strecken liegen uns zu Füssen. Die längste ist gegen 800 Meter lang, die höchste verläuft 300 Meter über dem Dschungel. Insgesamt knapp zwei Kilometer Seilrutsche, wo man Geschwindigkeiten bis zu 90 Stundenkilometern erlangen kann. Wenn das kein Grund zur Aufregung ist.
https://youtu.be/L4Bna9g9eME
Immerhin glauben wir uns in guten Händen. Elvis und Kevin verstehen ihr Handwerk und betreuen uns charmant. Der junge Elvis, seine etwas längeren Haare zu dünnen Zöpfen geflochten und im Nacken zusammengebunden, bereitet unsere Neunergruppe einfühlsam auf den ersten Ritt vor. Als erstes hüpft der kleine Kevin schwungvoll ins Seil. Darauffolgend macht Elvis, auch seine Figur zierlich, einer um den anderen von uns startklar. Mit flinken Handgriffen klickt er uns ans Doppelseil und schubst uns dann hemmungslos ins Bodenlose. Ehe wir uns versehen, schwirren wir über das Dach des fabelhaften Dschungels und rasen auf die gegenüberliegende Plattform zu, wo uns Kevin geschickt wieder vom Seil befreit.
Ein kurzes Kraxeln durch den Wald oder ein paar Stufen bringen uns jeweils schnaubend zum nächsten hölzernen Startpunkt. Jedes Mal beschleicht mich erneut ein mulmiges Gefühl, dagegen vermag auch das süsse Lächeln von Elvis nicht ankommen. Meistens dreht es mich in den Lüften und vor allem anfangs bin ich sehr auf die ganze Handhabung konzentriert, so dass ich fast vergesse, meinen Blick umher schweifen zu lassen. Baumkronen soweit das Auge reicht, meist weit unter uns. Kaum lässt das Herzklopfen etwas nach, spüre ich auch schon wieder festen Boden unter den Füssen. Roland meistert das Abenteuer souverän und kann es im Gegensatz zu mir vollumfänglich geniessen. Doch auch ich bin begeistert vom rasanten Entdecken des Regenwaldes aus der Vogelperspektive. Nach dem kompletten Durchgang von zwei Stunden Dauer, weiss ich nun, wie es abgeht, und könnte es ein zweites Mal wahrscheinlich entspannter angehen…
Auf halber Strecke auf dem Hummingbird Highway, trennt uns noch eine halbe Stunde von Belmopan, wo wir die allerletzte Nacht dieser Reise verbringen. Warmherzig empfangen uns Omar und Ellen in ihrer behaglichen Villa San Juan, die in einer ruhigen Seitengasse liegt. Das ältere Ehepaar führt ihr Bed & Breakfast hingebungsvoll. Gemeinsam plaudern wir am nächsten Morgen ausgiebig, während wir das leckere hausgemachte Frühstück schlemmen. Überschwänglich bedanken sich die beiden für unseren Aufenthalt und wünschen uns eine reibungslose Fahrt zum Flughafen.
Eine lange Heimreise steht uns bevor, die bereitet uns etwas Bauchweh. Aber wir klagen nicht, schliesslich ist alles freiwillig. Dennoch, ganz in der Art haben wir es nicht geplant. Dass zur sowieso schon langen Heimreise mit zweimaligem Umsteigen kurz vor den Toren der Heimat ein Aufenthalt von neun Stunden in Paris hinzukommt, war beim Buchungszeitpunkt nicht absehbar. Später wurde unser passender Anschlussflug gestrichen und man buchte uns auf die nächstmögliche Verbindung um, was die gesamte Reisedauer auf fast 30 Stunden anschwellen liess…
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