Auf Achse im Südwesten
Nach dem Frühstück drehen wir den Schlüssel, kehren aufgeregt unserer lieb gewonnenen Wohnung in Perth den Rücken. Die Übernahme unseres gemieteten Allradcampers steht unmittelbar bevor. Auf den ersten Blick erweckt der Landcruiser einen guten Eindruck, die robusten Reifen sind brandneu. Mit Wendy nehmen wir unser fahrbares Daheim kurz in Augenschein. „Enjoy your trip!“, winkt die aufgestellte Dame, währenddessen wir die ersten Meter rückwärts rollen. An das laut knatternde Motorengeräusch müssen wir uns zuerst gewöhnen. Das neue Vehikel schnurrt nicht leise wie unser Campervan in Neuseeland – im Vergleich fühlen wir uns wie auf einem Traktor.
Rasch decken wir uns im nächsten Supermarkt mit den allernötigsten Lebensmitteln ein, bevor wir uns auf einem nahegelegenen Campingplatz in Karrinyup, einem Vorort von Perth, niederlassen. Nach diversen Erfahrungen mit Mietfahrzeugen haben wir uns geschworen, am ersten Tag nicht weit zu fahren und den 4×4-Poptop-Camper und dessen Zubehör genau unter die Lupe zu nehmen. Wie sich herausstellt, war dies eine weise Entscheidung. Zwar entlarven wir keine grossen Mängel, doch einen Haufen kleine. Ein Wagenheber ohne Kurbel – bei einem platten Pneu irgendwo im Nirgendwo keine Situation, in die man geraten möchte. Auch unsere Camperküche taugt noch nichts – das unverzichtbare Verbindungsstück zwischen Gasflasche und Schlauch fehlt, der Stöpsel vom Waschbecken passt nicht und die Halterungen am Auto für das Befestigen der Abstellfläche sind ausgerissen. Todmüde schieben wir uns abends aufgewühlt ins harte Bett im hochgestellten Dach. Doch der Schlaf lässt auf sich warten – zu viele Gedanken purzeln uns durch den Kopf…
Eigentlich dachten wir stets, für die längere Zeit in Australien ein Fahrzeug zu kaufen. Doch es kam anders. Unerwartet bekamen wir ein verlockendes Angebot zur Miete. Wir waren hin- und hergerissen, wägten mehrmals die Vor- und Nachteile ab. Schlussendlich siegte das Mietfahrzeug, denn ein Kauf bedingt viel Aufwand, Recherche und auch etwas Glück. Man weiss nie, was genau man bekommt und wieviel Geld man allenfalls in den Sand setzt. Und da wir einmal mehr ohne grosse Vorausplanung in ein „neues“ Land eintrudelten, gab es auch ohne Aufspüren eines geeigneten Campers noch viel zu tun – Neuseeland verarbeiten, Australien vorbereiten.
Übernächtigt steuern wir am nächsten Morgen zur Übernahmestation zurück, wo man sich den nötigen Reparaturen am späteren Nachmittag annimmt. In der Zwischenzeit durchforsten wir Warenhäuser und Campingläden, schaffen Stauboxen, Wasserkanister, Campingtisch und weitere Annehmlichkeiten an, denn schliesslich sind wir mit diesem Gefährt 150 Tage auf Achse. Immer wieder verlängern wir auf dem angenehm in den Bäumen gelegenen städtischen Campingplatz um eine weitere Nacht, widmen uns erneuten Einkäufen und dem häuslichen Einrichten. Es ist zeitfressend, bis im engen Fahrzeug für alles ein Plätzchen gefunden ist – das Tetris-Spiel gelingt uns nicht im ersten Anlauf. Doch nach vier Tagen sind wir fürs Erste organisiert und gerüstet. Wir genehmigen uns einen Drink und stossen erwartungsvoll auf unsere rollenden vier Wände und das bevorstehende Abenteuer in Down Under an…
Ostersonntag und australische Schulferien. Mit gemischten Gefühlen brausen wir südwärts, wir befürchten, dass viel Volk auf Achse ist. Mittags legen wir im Yalgorup Nationalpark einen Zwischenhalt ein. Von einer Aussichtsplattform am Strand bestaunen wir grosse, wie halbwegs im Sand eingebuddelte Kugeln. Doch die runden Dinger sind nicht wie vermutet Steine, sondern für das menschliche Auge unsichtbare, durch Mikroorganismen gebildete Strukturen, mit bereits 2000 Jahren auf dem Buckel. Die sogenannten Thromboliten des Lake Clifton sind unverwechselbar und geben ein hinreissendes Bild ab.
Weiter südlich peilen wir nachmittags ausserhalb des nicht touristischen Harvey einen Campingplatz im Grünen an. Trotzdem blitzen wir gnadenlos ab. „It’s Easter!“, entgegnet die Frau an der Rezeption mit aufgesteckten rosaroten Hasenohren vorwurfsvoll. Ostern ist nicht zu übersehen – man wird doch trotzdem fragen dürfen. So geht unser erster Fahrtag in Westaustralien gänzlich unspektakulär auf einem Zeltplatz inmitten des Dorfzentrums zu Ende… Western Australia ist der grösste Staat und seine Fläche nimmt fast ein Drittel Australiens ein. Das mehrheitlich flache Gebiet ist siebenmal so gross wie Deutschland. Kein Wunder ist unsere Kilometerzahl auf dem Zähler immens – beinahe 300’000, obwohl das Fahrzeug erst sechs Jahre alt ist.
Stockender Osterverkehr, zum Glück auf der Gegenfahrbahn. Viele Urlauber nehmen heute offensichtlich den Heimweg unter die Räder – erleichtert atmen wir auf. Die Schulferien dauern jedoch noch eine weitere Woche an. Die Region mit den südlich von Perth gelegenen Stränden sei äusserst beliebt. So sind wir am Meelup Beach nordwestlich von Dunsborough nicht allein, finden jedoch abseits des Treibens tatsächlich einen ruhigen Fleck inmitten rot gefärbter Felsen, welche die Bucht reizvoll umrahmen. Der weisse Sand ist puderfein, das Wasser leuchtet in einem satten Türkisblau – ein Traum.
Weitere wunderbare Strände lassen wir hinter uns, bevor wir ans Cape Naturaliste vordringen. Verschiedene Wanderpfade überziehen die wilde Schönheit, rötliche sandige Wege führen durch grünes Buschland. Immer wieder können wir sagenhafte Ausblicke auf das unter uns tosende Meer erhaschen. Die Wellen des Indischen Ozeans prallen mit voller Wucht an die zerklüftete Felsenküste. Über Sanddünen stiefeln wir hinunter zu einem kleinen Strand. Stundenlang könnten wir die heranrollenden Wassermassen beobachten, die sich spektakulär in ein gigantisches Schaumbad brechen.
Auf der anderen Seite des Kaps liegt Yallingup. Der kleine Ort ist wegen der perfekten Welle insbesondere bei Surfern gefragt. Das Wasser tobt, mächtige Wogen donnern in die sichelförmig geschwungene Bucht. Uns lassen die reissenden Fluten jedoch kalt – kühl ist es ohnehin schon. Das Wetter ist wechselhaft und sobald sich die Sonne verabschiedet, sinken die Temperaturen rasant. Also geniessen wir
die letzten Sonnenstrahlen statt mit einem Brett im Wasser lieber mit einem Bier im Sand. Nur wenige Schritte trennen uns vom Campingplatz oberhalb vom Strand. Der Herbst setzt sich durch und aus einem gemütlichen Abend draussen wird auch heute wieder nichts. Bald verkriechen wir uns in unser Campernest und der wild wellende Ozean rauscht uns in den wohlverdienten Schlaf.
Weiter entlang der wellengepeitschten Küste in Richtung Süden. Etwas ins Landesinnere zurückversetzt liegt Margret River, der schmackhaften Rebensäfte wegen berühmt. Mediterranes Klima und entsprechende Erde sorgen für weit herum bekannte, hervorragende Qualitätsweine. Im kleinen Ort sind Touristen den Einheimischen gegenüber meist in der Überzahl – heute bestimmt auch. Ein Wuseln in den Strassen, mit Glück ergattern wir einen Parkplatz. Im Supermarkt ist es eiskalt, der ganze Laden ein gigantischer Kühlschrank. Drinnen ist es sogar kälter wie draussen, in Schichten gehüllt legen wir uns Lebensmittelvorräte an. Und dann nichts wie weg, nicht einmal der Wein hält uns hier…
Über den Boranup Drive holpern wir weiter Richtung Süden. Die raue unbefestigte Piste schlängelt sich durch einen entzückenden Eukalyptuswald, hinauf zu einem Aussichtspunkt mit Weitblick auf tiefblaues Meer. Das Cape Leeuwin ist nicht mehr fern. Das Kap verdankt den Namen einem niederländischen Schiff, das
hier im Jahre 1622 aufkreuzte. Ein hoher weisser Leuchtturm markiert den südwestlichsten Punkt Australiens, wo der Indische Ozean wild schäumend auf das Südpolarmeer trifft. Die Brandung zischt, hohe Wellen schlagen laut an den schroffen Felsen auf. Schippert man von hier südwärts, landet man in der Antarktis – bis zum Südpol fehlen jedoch noch weite 5400 Kilometer. Macht man sich nach Südwesten auf, kommt man irgendwann in Südamerika an, nach Westen in Afrika und nach Nordwesten in Indien… Doch wir bleiben hier, schliesslich ist uns das
Wetter im Moment gut gesinnt. Wir schweifen über die malerische Klippenlandschaft und erfreuen uns an der am späten Nachmittag in mildes Licht getauchte Szenerie. Im nahegelegenen Fischerort Augusta, rund 300 Kilometer von Perth entfernt, lassen wir den Abend ausklingen.
Von der Westküste steuern wir landeinwärts. Bald gleiten wir durch das Gebiet der Southern Forests, in deren dichten Wäldern riesige Bäume emporragen. Karri und Red Tingle wachsen gelegentlich bis zu 100 Meter in die Höhe und sind oft mehrere hundert Jahre alt. Diese Eukalyptusbäume kommen nur in Westaustralien vor und zählen zu den am höchsten wachsenden Harthölzern der Welt. Im kühlen Schatten der Baumgiganten spriessen und gedeihen Unmengen von Pflanzen. Nach zwei Stunden Fahrt erreichen wir Pemberton, das Herz der Southern Forests. Früher
wurde ein Grossteil der Karri-Wälder gefällt, heute werden sie in etlichen Nationalparks geschützt. Einer davon ist der Warren Nationalpark, unweit von Pemberton. Eine zehn Kilometer lange Rundwanderung schleust uns an den eindrucksvollen Baumriesen vorbei. Die Stämme der Karri-Bäume sind auffallend hell, deren Farbpalette reicht von gelbgrau bis goldorange. Munteres Vogelgezwitscher erfüllt den Wald, ansonsten ist es mucksmäuschenstill und wir kreuzen keine Menschenseele.
Der wahrhaftige Höhepunkt ist der Bicentennial Tree, der rund 70 Meter in den Himmel ragt. Metallsprossen machen das Erklimmen des hölzernen Riesen möglich. Einst dienten mit Sprossen beschlagene Karri-Bäume als sogenannte Fire Lookouts, um in schwindelerregender Höhe frühzeitig Waldbrände zu erkennen… 130 lange Nägel verteilen sich rund um
den Stamm, unterbrochen wird die luftige Wendeltreppe von mehreren Plattformen. Bereits nach einer Handvoll der dünnen Sprossen verlässt mich der Mut, nur Roland wagt sich auf allen Vieren ins Geäst. Zügig kommt er voran, ist bald hoch oben in der Baumkrone angelangt. Die Aussicht über das grüne Blätterdach und weit darüber hinaus sei grossartig, die Menschen unter ihm winzig klein. „Es war nicht furchterregend wie angenommen“, beurteilt er seinen Aufstieg im Nachhinein, „während des Kletterns durfte ich lediglich nicht in die Tiefe schauen.
Zwei Nächte verweilen wir im Warren Nationalpark, tief im lauschigen Gigantenwald. Der grösste Luxus ist die ungestörte Natur, der zweite das Plumpsklo. Auf eine Dusche müssen wir verzichten, Trinkwasser gilt es selbst mitzubringen. Unsere Stimmung ist bedrückt, doch nicht etwa deshalb. Seit wir den Camper übernommen haben,
funktioniert der Kühlschrank nicht einwandfrei. Seitens der Übergabestation galt es, erstmals einige hundert Kilometer zurückzulegen, damit die zweite Batterie, die den Eisschrank versorgt, vollständig geladen werden kann. Doch alles Fahren hilft nichts. Kaum geparkt, steigt die Temperatur des Kühlschranks
flink in zweistellige Bereiche. Nun irritiert uns sogar noch eine rote Warnlampe und ein piepsender Alarm – was ist nur los? Roland wälzt das Handbuch vorwärts und rückwärts, findet jedoch keine Antwort. Mobilfunknetz gibt es hier keines, ein Anruf an den Vermieter ist im Moment aussichtslos. In Australien ist man schnell irgendwo im Nirgendwo…
Am nächsten Morgen sind nicht nur wir betrübt, sondern auch das Wetter. Nebel hängt im Blätterdach fest, bei Nieselregen reisen wir weiter. An Walpole vorbei bis ins „Valley of the Giants“ – hier sind die hochgewachsenen Tingle Trees die Stars.
Wütende Waldbrände umzingelten einige dieser Eukalyptusbäume, zurück blieben riesige schwarze Aushöhlungen in deren Stämme. Trotzdem leben die Tingle Trees fröhlich weiter. Ungemütlich feuchte Spaziergänge treiben uns bald in ein Café, wo wir uns im Trockenen an einer dampfenden Tasse etwas aufwärmen können. Spätnachmittags erreichen wir Denmark, ein kleiner Touristenort am Meer. In unserer Camperküche hält das lodernde Gas dem rauen Wind kaum stand – bis die Suppe brodelt dauert es etwa dreimal so lange.
Unaufhörlich prasselt Regen auf unser Dach, morgens ist alles grau und nass. Erneut camperunfreundliches Wetter. Weiter ostwärts. Nach einer Fahrstunde erstreckt sich die grösste Stadt des Südwestens über mehrere Hügel in herrlicher Lage an einer riesigen Bucht. Doch Albany ist überschaubar, nur rund 30’000 Einwohner hausen hier. Im historischen Kern reihen sich hübsche Häuser aus viktorianischer Zeit aneinander – die älteste europäische Siedlung in Western Australia versprüht Charme. Wir hoffen, das miese Wetter wenigstens zum Abarbeiten unserer Einkaufsliste nutzen zu können. Aber es ist Sonntag, die meisten Läden sind geschlossen. Nicht wie in Perth, wo die Türen der Supermärkte und Warenhäuser praktischerweise sieben Tage die Woche offen stehen.
Neuer Tag, Montag. Der Termin in der Autowerkstatt zur Messung der Batterien steht an. Schleunig ist klar, die zweite ist völlig ausgepumpt. Endlich haben wir Klarheit und dieser alte Übeltäter wird ausgewechselt. Wir sind erleichtert, und der Kühlschrank hält unsere Köstlichkeiten seither auch wieder kalt. Mit neuer Kraft spulen wir den lieben langen Tag die Einkaufsstrasse rauf und runter, klappern alle möglichen Geschäfte ab. Noch immer fehlt es uns an notwendiger Ausrüstung – Campinglampe, Wasserfilter, Solardusche und noch ein paar Dinge mehr. Ausgelaugt düsen wir
abends aus der Stadt, nächtigen auf einem schlichten Campingplatz in idyllischer Lage unmittelbar am Wasser. Hartnäckige Wolken geben unerwartet die abtauchende Sonne frei und bescheren uns für einen Augenblick eine himmlische Abendstimmung, bevor – wie immer viel zu früh – die Nacht bereits um sechs über uns hereinbricht. Auch nach knapp zwei Wochen sind wir noch nicht richtig in unserem neuen Camperdaheim angekommen, wohl des harzigen Starts und den Launen des Wetters wegen…
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