Bildschöner Freycinet Nationalpark
Seufzend drehen wir uns noch einmal in den Bettfedern. Die Morgenfrühe zeigt uns ein nasses Gesicht, eine graue Wolkendecke schmiegt sich über die Hügel. Der Wetterbericht für die kommenden Tage versetzt uns einen Dämpfer. Generell herrscht an der Ostküste ein trockeneres und milderes Klima wie an der regenreichen, oft stürmischen Westküste – bis die Wolken hier ankommen, haben sie sich meistens schon abgeregnet. Doch heute macht uns trübes Regenwetter einen feuchten Strich durch unsere Pläne. Unser nächstes Ziel, der vielgerühmte Freycinet Nationalpark, muss warten…
Erst am späten Vormittag düsen wir los, nur 50 Kilometer nordwärts, weiter bis nach Swansea. Das Städtchen liegt in einer geschützten Bucht. Wir stellen unser fahrbares Daheim an den Strand, schaffen uns einen Arbeitsplatz mit Meerblick. Unverhofft reisst der Himmel auf und gönnt uns ein paar sonnige Momente sowie eine verschwommene Sicht auf die zuvor gänzlich in Wolken verborgene Freycinet Peninsula in der Ferne. Bei einem kurzen Bummel um die Landspitze fallen wieder erste Tropfen. Ab ins Café, wo wir uns an einem dampfenden Cappuccino aufwärmen und den Gaumen mit einem Schokomuffin kitzeln. Für den restlichen Nachmittag verkriechen wir uns erneut im regengeschützten Bauch des Campers.
Neuer Tag, altes Wetter. Auch die Prognosen für heute sind ernüchternd. Tasmanien ist auf dem Radarbild verschwunden, die Insel vollständig von Regenzellen überschattet. Trotzdem rollen wir weiter, erneut rund 50 Kilometer der Ostküste entlang. Bevor wir zur Freycinet-Halbinsel abschwenken, machen wir einen kurzen Abstecher nach Bicheno. Im kleinen Fischerort, der im Sommer von Touristen überschwemmt wird, präsentiert sich der Tag noch düsterer. Den geplanten Küstenspaziergang lassen wir buchstäblich ins Wasser fallen, stattdessen nehmen wir einen kurzen Augenschein auf das spuckende Blowhole. Der graue Ozean ist aufgebracht, wütend spritzen schaumige Wassermassen in die Luft.
An der ruhevollen Ostküste ragt die bildschöne Freycinet Peninsula mit dem gleichnamigen Nationalpark ins Meer. Bestehend aus zwei Granitmassiven, ist das Wildnisgebiet eines der beliebtesten Besucherziele Tasmaniens – nicht ohne Grund. Hinter weissen Traumstränden ragen dicht bewachsene Bergzüge empor, und Sandbuchten warten mit kristallklarem, türkisfarbenem Wasser auf. Mit guter Miene zur bösen Witterung steuern wir einen ersten Aussichtspunkt an. Kilometerlange Sandstrände breiten sich vor unseren Augen aus. Aber die reizenden Friendly Beaches sind heute unfreundlich gestimmt. Himmel, Wasser und Sand verschmelzen zu einem grauen Farbtopf. Zur Krönung öffnet der Himmel punktgenau nochmals seine Schleusen und ertränkt unser letzter Hoffnungsfunken auf heutige Wetterbesserung.
Niedergeschlagen lassen wir uns nachmittags auf dem Campingplatz in Coles Bay nieder. Der Urlaubsort sitzt auf einem Sandstreifen mit Blick über die Bucht zu den verhangenen Granitgipfeln. In der Hochsaison platzt der Ort trotz zahlreicher Unterkunftsmöglichkeiten aus allen Nähten. Die Zeltplätze im Nationalpark sind so begehrt, dass für die Sommerschulferien ein halbes Jahr zuvor das Los entscheidet. Auch jetzt in der Vorsaison im Frühsommer sind wir längst nicht allein, doch es geht noch ruhig zu und her. Nach einem warmen Mahl aus der Camperküche legen wir uns mit zufriedenen Bäuchen aufs Sofa und ergeben uns dem Wetterschicksal.
Der nächste Morgen launisch, und wir unschlüssig. Regenschauer und Sonnenschein wechseln sich ab, hartnäckig kleben Wolken am Himmelsdach. Da wir nicht ewig Zeit vertrödeln wollen, brechen wir schliesslich zur seit Tagen geplanten Rundwanderung auf. Zusammen mit einer Horde Wanderwütiger erklimmen wir über steile Stufen DEN Aussichtspunkt im Nationalpark. Unter uns DIE Sehenswürdigkeit der Halbinsel, die Wineglass Bay. Die Bilderbuch-Bucht mit ihrem kelchförmigen Bogen ist ein inoffizielles Wahrzeichen Tasmaniens. Eingerahmt von schroffen Felsbrocken, umrahmt von grünen Bergkämmen. Ein exzellentes Panorama, auch wenn sich schon wieder Wolkenfetzen fies vor die Sonne schieben. Den Zauber des gleissenden Lichts geraubt, schimmert das Wasser nicht mehr in grellem Türkisblau, sondern in fahlem Grüngrau.
Das Gelände fällt steil ab, bevor wir auf dem gut ausgebauten Wanderpfad den schneeweissen Sandstreifen der Weinglas-Bucht erlangen. Bald drängen pechschwarze Gewitterwolken zum Weitergehen. Über eine bewaldete Landenge schustern wir zum Hazards Beach auf die gegenüberliegende Seite. Der langgezogene Strand ist von handtellergrossen Muscheln übersät. Zeit für ein Picknick im Sand. Der empfindlich kühle Wind weht aus dem Süden, wie ein antarktisches Gebläse. Immerhin weichen die hartnäckigen Wolken endlich dem Sonnenball. Hoch über den Klippen schlängelt sich der Weg durch eine Buschvegetation, mancherorts lassen sich Blicke auf die tiefblaue Tasman Sea erhaschen. Fünf Stunden verstrichen, elf Kilometer getilgt, stehen wir ausgelaugt wieder am Ausgangspunkt.
Eine schmale kurvenreiche Strasse endet beim weissen Leuchtturm vom Cape Tourville. Senkrecht fallen hoch aufragende Felswände in Untiefen. Uns offenbaren sich fantastische Panoramablicke auf die östliche Küstenlinie der Granithalbinsel und über den weiten marineblauen Ozeanteppich. Wieder knapp auf Meereshöhe angelangt, bringt uns ein kurzer Abstieg zur Sleepy Bay. Die kleine verschlafene Bucht ist farblich eine Wucht – die mit roten Flechten überzogenen Felsen harmonieren mit dem leuchtenden Türkiswasser. Den sonnigen Nachmittag nun vollends ausgenutzt, wollen wir uns auf einem Stellplatz im Nationalpark niederlassen. „Ausgebucht“, enttäuscht uns die Dame im Besucherzentrum, und verweist auf einen kostenlosen Übernachtungsspot in der Nähe. In Ufernähe unter Bäumen im Sand, ohne jegliche Einrichtungen, wenn wir vom ätzenden Plumpsklo einmal absehen. Ein Prost auf die berauschende Wineglass Bay – am friedlichen Flussufer genehmigen wir uns ein Gläschen Wein.
Ein grauer Novembermorgen wie in der weit entfernten Heimat – ein grauenhaftes Bild. Damit haben wir nicht gerechnet. Eigentlich wollten wir uns nochmals unserer Wanderlust hingeben, doch es gibt schöneres, als im Nebel zu wandeln. Was nun? Roland würde fitnesshalber trotzdem aufbrechen und meint optimistisch: „Vielleicht lacht die Sonne bald!“ Kann sein, das Wetter ändert oftmals blitzschnell. Ich jedoch, verspüre momentan nicht die geringste Lust. Kompromiss – wir harren der Dinge und schieben die Entscheidung hinaus. Frühnachmittags zwar noch immer bewölkt, füge ich mich unentschlossen.
Wegmarkierungen lotsen uns über riesige Granitfelsen steil bergan. Die Gesteinsrücken sind griffig und bieten meistens genügend Halt, doch Schlüsselstellen sind nur auf allen Vieren zu überwinden. Mein Herz hämmert wie wild. Gelegentlich wird eine Verschnaufpause nötig, um neuen Atem zu schöpfen. Mittlerweile entzückt uns Himmelblau – Petrus sei Dank. Werfen wir den Kopf zurück, erblicken wir das in der Sonne funkelnde Meer. Nach knapp eineinhalb Stunden liegt der Gipfel des Mount Amos zum Greifen nah.
Wow! Die Strapazen haben sich mehr als gelohnt, die Rundumsicht auf 454 Metern Höhe ist umwerfend. Von hier oben lässt sich nebst der perfekt geschwungenen Wineglass Bay auch der in ihrem Rücken liegende Hazards Beach erspähen. Was für ein Bildausschnitt – um einiges imposanter als vom „normalen“, überlaufenen Aussichtspunkt. In aller Seelenruhe können wir in der späten Nachmittagssonne die zauberhafte Kulisse geniessen. Ich bin froh, hat Roland mich da hochgelockt. Doch auch mein Zögern war nicht umsonst, ansonsten hätte das überwältigende Unterfangen im Wolkengrau geendet. Unsere Gemütsverfassungen ergänzten sich für die heutige Tagesplanung offensichtlich bestens…
Rundum glücklich machen wir uns an den Abstieg, den es mit Bedacht und oftmals im Allradgang zu meistern gilt. Das raue Gestein presst sich in die zarten Handflächen, unsere Knies leisten Schwerarbeit. Wieder den Asphalt des Parkplatzes unter den Sohlen, peilen wir ein zweites Mal den Campingplatz von Coles Bay an. Wie gut die Dusche tut, und ebenso die kräftige Abendsonne, die ich als Haartrockner nutze. Noch nie konnten wir in Tasmanien so lange draussen sitzen – es bleibt sogar noch genügend warm, um das verdiente Nachtessen im Freien zu mampfen…
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