Blutkuppe – Perle der Namib
Die Namib-Wüste erstreckt sich über 2000 Kilometer entlang der afrikanischen Westküste von Angola bis Südafrika und bedeckt somit die gesamte namibische Küste. Die Sand- und Geröllwüste reicht bis weit ins Landesinnere. Der Namib Naukluft Park schützt den Teil der Namib, der zwischen den Küstenstädten Swakopmund und Lüderitz liegt. Es ist das grösste Naturschutzgebiet des Landes – seine Fläche von fast 50’000 Quadratkilometern übertrifft sogar jene der Schweiz.
Unser nächstes Reiseziel ist die sogenannte „Namib Section“, der nördliche Abschnitt des Namib Naukluft Parks. Für deren Besuch braucht es eine Bewilligung, die man nicht vor Ort bekommt, sondern vorgängig in Swakopmund einholen muss. Die mollige Dame hängt lächelnd in ihrem Bürosessel. Sie ist die Ruhe selbst, erläutert uns äusserst freundlich anhand einer Karte die Möglichkeiten und Preise. Camping ist an gewissen, dafür vorgesehenen, einsam gelegenen Plätzen möglich. „Möchtet ihr wirklich drei Nächte bleiben? In den Bushcamps gibt es weder Wasser noch sanitäre Anlagen, höchstens Plumsklos“, macht uns die liebenswürdige Schwarzafrikanerin klar. Mit dem gewünschten Permit stehen wir etwas später glücklich wieder auf der Strasse. Auf welchen Campingplätzen in der Namib wir die vorbezahlten Nächte verbringen, steht uns offen. Das können wir spontan vor Ort entscheiden – eine gute Sache.
Es ist soweit, wir müssen uns von Pia und Felix verabschieden – unsere Wege trennen sich hier in Swakopmund. Wir reisen weiter mit Ziel Nordosten, die achtwöchige Reise unserer Freunde führt sie runter nach Süden. Drei Wochen sind wir zusammen durch Namibia gezogen, haben zu viert unsere Erlebnisse geteilt. Es hat unglaublich gut gepasst – der Reiserhythmus, die Wanderlust, die Fotografie-Leidenschaft, einfach alles. Am letzten gemeinsamen Abend stossen wir mit einem Glas feinen Rotwein auf die vergangenen Wochen an. Wir möchten die tolle Zeit mit unseren Reisegefährten nicht missen…
Wie an der Küste üblich, hängen auch an diesem Morgen Nebelschwaden vom Himmel. Kaum aus der Stadt raus, sind wir von Sanddünen umgeben. Wir nehmen Kurs landeinwärts, rollen durch die Geröllwüste der trockenen Namib. Durch die Nebelfeuchtigkeit breiten sich am Boden Flechten aus. Die durchschnittliche Niederschlagsmenge beträgt hier in der Namib weniger als 20 Millimeter pro Jahr, häufig bleibt mehrere Jahre lang jeglicher Regen aus.
Erste Sonnenstrahlen blenden uns, wir sind dem Nebelgürtel entkommen. Nur wenige Kilometer von der kühlen Küste entfernt, spielt das Wetter meist freundlicher. Vor uns breitet sich eine spektakuläre Mondlandschaft aus. Wind und Wasser des Swakop Rivers haben seltsame Strukturen aus dem weichen, erosionsanfälligen Gestein geformt, tiefe Furchen sind entstanden. Auf einer Piste gelangen wir hinein in dieses zerklüftete Tal, fahren weiter, bis sich die Spur irgendwann im Sand verliert. Nun können wir diese mondähnliche Landschaft aus nächster Nähe bestaunen. Verschiedenste Steinformationen, verschiedensten Farbnuancen – von gelb über grau bis schwarz – einfach grossartig.
100 Kilometer landeinwärts, knapp zwei Stunden Fahrt. Mitten aus der ansonsten flachen Wüste erhebt sich die Blutkuppe, ein Inselberg aus Granit. Der rund abgeschliffene Berg verdankt seinen Namen der roten Äderung im Gestein. Zum Sonnenauf- und -untergang verfärbt sich die ockergelbe Blutkuppe manchmal blutrot. Ein Dutzend Stellplätze liegen in grosszügigen Abständen um den Berg verteilt, geben jedem Camper das Gefühl, er sei allein in dieser wundervollen Natur. Wir suchen die Nordwestseite der Blutkuppe auf – dort seien die schönsten Plätze zu finden. Die Piste wird immer sandiger, und schon ist es geschehen, schneller als man, resp. Mann, denkt. Wir haben uns im losen Sand festgefahren, spulen vorwärts sowie auch rückwärts. Luft ablassen und Sand wegschaufeln wirkt Wunder – erfolgreich befreien wir uns bald aus dem tiefen Sand. Belohnt werden wir mit einem idyllischen, schattigen Platz zwischen mächtigen Felsbrocken mit freiem Blick auf die bildschöne Blutkuppe.
Auf den Riesenbuckel führt kein eigentlicher Weg, was uns aber nicht an einer Besteigung hindert. Beim Klettern ist etwas Vorsicht nötig, denn die Granitkuppe gibt mit seiner zwiebelschalenförmig abblätternden Oberfläche kein stabiler Untergrund ab. Auch hat die Erosion riesengrosse Löcher in den Fels gefressen, unglaublich. In einer Stunde meistern wir den Gipfel mit einer Höhe von 857 Metern und lassen unseren Blick über die Unendlichkeit der rot schimmernden Wüste schweifen. Am nächsten Morgen umrunden wir den Granitberg, der je nach Lichtverhältnissen seine Farbtöne wechselt. In der heissen Mittagsonne sind wir dankbar um den mächtigen Felsüberhang auf unserem Campingfleck, der uns reichlich Schatten spendet. Es ist einer jener Felsbrocken, der droht, jederzeit abzustürzen…
Ein Motorengeräusch reisst uns aus unserem Nickerchen. Soeben in unser Blickfeld getuckert, bleibt das Auto auch schon im fiesen Sand stecken. Nicht doch, warum gerade vor unseren Augen? Die Jungs geben alles, können ihr Fahrzeug jedoch nicht befreien, bitten uns um Hilfe. Die beiden sind schlecht ausgerüstet – ihr alter Golf hat kein Allradantrieb, auch haben sie weder Schaufel noch Kompressor. Roland rät den jungen deutschen Kerlen, Luft aus den Reifen zu lassen und hilft mit Muskelkraft, das Auto aus der misslichen Lage zu schieben.
Die schmale Piste führt über Stock und Stein, darf nur mit einem 4×4 befahren werden – grobe Felsen wechseln sich mit tiefen Sand ab. Für 15 Kilometer benötigen wir eine Dreiviertelstunde. Vor uns ragt der Rock Arch, ein natürlicher Felsbogen, in die Höhe. Auch hier ist ein Übernachten möglich, eine Handvoll Stellplätze wurden rund um die verwitterten Felsen geschaffen. Wir sind ganz allein, geniessen die Stille der Einsamkeit. Dunkle Gewitterwolken nähern sich, bieten uns einen stimmungsvollen Abend, ohne sich über uns auszuregnen. Leider hängen auch frühmorgens noch Wolkenfetzen in der Luft, was die Gegend mit dem vielversprechenden Namen „Rock Sculpture“ etwas farblos erscheinen lässt. Der markierte Weg bringt uns entlang fantasievoller, rötlich gefärbter Felsformationen – riesige Steinkugeln, entzwei gefallene Brocken, Granitklötze löchrig wie Emmentaler.
Unsere dritte und letzte Nacht möchten wir gerne noch an einem weiteren Ort der Namib verbringen. Aber weder die Plätze bei Tinkas unter Akazien, noch jene bei Ganab mit freiem Blick in die Ebene, gewinnen unser Herz. Die Wildtiere faszinieren uns stets aufs Neue – zahlreiche Zebras, Oryx und Springböcke kreuzen unseren Weg. Unsere grösste Freude gilt jedoch den lustigen Erdmännchen. Flink wieseln sie davon, machen alle paar Meter wieder Männchen, um den Überblick zu gewinnen. Unsere Wüstenrundfahrt endet nach rund 80 Kilometern bei der Blutkuppe. Die Perle der Namib gewinnt uns für eine weitere Nacht – diesmal verziehen wir uns in eine schmucke Bergnische auf der Südseite.
Die Landschaft verändert sich stets, je weiter wir ostwärts ins Landesinnere vordringen. Die staubtrockene Wüstenebene verwandelt sich in einen flaumigen Rasenteppich mit spriessenden Blumen, später geraten Bäume und Berge ins Bild. Nach knapp zwei Fahrstunden ohne jeglichen Gegenverkehr schwenken wir nach Norden ab – ansonsten würden wir irgendwann nach Windhoek geraten. Die Gegend ist einsam, keine Dörfer weit und breit, ab und zu eine weitläufige Farm, mehr nicht…
Kommentare
Blutkuppe – Perle der Namib — Keine Kommentare
HTML tags allowed in your comment: <a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <s> <strike> <strong>