Down Under in Sydney
Kein Anstehen, keine Fragen. Ohne einem grimmigen oder einsilbigen Beamten gegenüber zu stehen, reisen wir blitzschnell in Australien ein. Das gesamte Einreiseprozedere wird in Sydney heutzutage von klugen Automaten übernommen, sofern man über einen biometrischen Pass und eine auserwählte Staatszugehörigkeit verfügt. Wir scannen unseren roten Ausweis und linsen erwartungsvoll in die Kamera. Ehe wir uns versehen spuckt das sogenannte Smart Gate einen Beleg aus. Das Türchen öffnet sich – welcome to Australia. Unsere Rucksäcke drehen auf dem Gepäckband bereits in einer Endlosschleife, auch an der Zollkontrolle geht alles flott. Eine nette Dame fühlt uns wegen allfällig verschmutzen Wanderschuhen und mitgebrachten Esswaren kurz und schmerzlos auf den Zahn. Das wars. Unfassbar, am längsten standen wir vor dem Klo in der Warteschlange…
Abends um acht begrüssen uns noch laue zwanzig Grad. Der Flughafenzug verkehrt heute ausnahmsweise nicht, stattdessen chauffiert uns ein Bus in die Innenstadt. Die Fahrt dauert zwar doppelt so lange, ist dafür kostenlos. Dagegen ist nichts einzuwenden, die Australischen Dollar schmelzen sowieso dahin. In Sydney kriegt man wenig für sein Geld. Ein Dach über dem Kopf kostet im Stadtzentrum zumeist über 100 Franken, sofern man ein Zimmer mit eigenem Bad wünscht – nach zwei Camping-Monaten für uns ein Muss. Klein wie eine Schuhschachtel, beklagen tun wir uns aber nicht. Vom engen Campervan in Neuseeland nun ans Stauen gewohnt, bringen wir unsere Habseligkeiten trotzdem spielend unter. Die hübsche Kammer trumpft mit einer verspiegelten Wand auf und vergrössert optisch den Raum. Vielleicht ist in den versprochenen Quadratmetern auch das Spiegelbild enthalten…
Von der Dachterrasse des Hotels bietet sich einen hervorragenden Blick auf die Skyline der Millionenstadt. Die zentrale Lage im ruhigen Quartier Pott’s Point ist ausgezeichnet. Gleich nebenan im Kings Cross pulsiert das Leben, insbesondere das Nachtleben. Über dem Viertel des Lasters schwebt ein anrüchiger Ruf – Vergnügen, Verlockung und Vergehen. Zwielichtige Bars reihen sich an Bordelle, Spielhöhlen und Nachtclubs. Doch die Zeiten haben sich etwas gewandelt. In den letzten Jahren kehrte eine Künstlerszene zurück und mit ihr kam eine aufstrebende junge Mittelschicht. Auch Unmengen an Hostels bieten Betten für partyfreudige Backpacker an.
Gleich ums Eck führt eine Treppe in die Tiefe. Sonntagvormittag. Im Untergrund düsen wir dem Vorort Newtown im Westen zu. Vom Bahnhof schlendern wir durch ruhige Quartierstrassen, gesäumt von lauschigen Häuserzeilen. Obwohl häufig Verputz von alten Mauern bröckelt, geben die aneinander gebauten, zweigeschossigen Häuschen mit Veranda und schmiedeeisernen Balkonen ein schmuckes Bild ab. In Newton besuchen wir eine Cousine von Roland, die hier ein kleines Café führt. Auch nach vielen vergangenen Jahren erkennen sich die beiden zweifellos, die Wiedersehensfreude beiderseits ist gross. Im Handumdrehen steht eine duftende Tasse Kaffee vor unserer Nase und das kreative Eierfrühstück schmeckt köstlich. Ursi hat alle Hände voll zu tun, ihr sympathisches Lokal läuft wie geschmiert. Wir verabreden uns für ein anderes Mal – ein nächstes Mahl.
Sydney liegt an der südlichen Ostküste von Down Under, dem gigantischen Land auf der südlichen Hemisphäre, unterhalb einem Grossteil der restlichen Welt. Mit rund 4.5 Millionen Einwohnern ist Sydney die grösste Stadt Australiens. Ein Meer von Eigenheimen bedeckt auf einer riesigen Fläche die schicke, multikulturelle Metropole. An einem Naturhafen errichtet, der sich vom Ozean über 20 Kilometer landeinwärts ausdehnt, ist die lebendige Stadt von allen Seiten von Wasser oder Nationalparks umgeben – herrliche Natur liegt unmittelbar vor der Haustüre. Auch gilt Sydney als älteste Stadt Australiens – hier wurde die erste britische Siedlung gegründet…
Das heutige Stadtgebiet war einst die angestammte Heimat von verschiedenen Aborigines-Völkern, die seit mindestens 50’000 Jahren in Frieden hier lebten. Im Jahre 1770 tauchte Kapitän Cook auf und versetzte die Ureinwohner kurzzeitig in Unruhe. Die Briten kamen 1788 wieder – und blieben. An Bord eine zusammengewürfelte Schar aus Sträflingen, Soldaten und Nutzvieh – die britischen Gefängnisse waren seinerzeit masslos überfüllt. Für die spirituellen Aborigines war ihr Leben im Einklang mit der Natur somit endgültig vorbei. Die gewaltsame Landeinnahme hatte für die dunkelhäutigen Halbnomaden katastrophale Folgen – ein Grossteil fiel Pocken, Alkohol oder Verzweiflung zum Opfer. Die Sträflingssiedlung entwickelte sich im Laufe der Zeit vom Verbannungsort zu einer angesehenen britischen Kolonie und erlebte im 20. Jahrhundert mit Strömen aus Europa, Asien und dem Nahen Osten ein rasantes Bevölkerungswachstum. Noch heute sind rund ein Drittel der Einwohner ausserhalb des Landes geboren und die Aborigines machen ein Prozent der Gesamtbevölkerung Sydneys aus. Weiterhin besteht eine Ungleichheit zwischen den urzeitlichen und den neuzeitlichen Australiern, aber die bunt gemischte Grossstadt bemüht sich, ihr kulturelles Erbe zu ehren…
Durch die von Bäumen gesäumten Strassen von Pott’s Point gelangen wir ins angrenzende Woolloomooloo. Das kleine alte Hafenviertel hat sich in den letzten Jahrzehnten stark herausgeputzt. Einst ein Slum voller Betrunkener und Seeleute – auch betrunkener Seeleute – und Verladeplatz für Wolle und andere Schiffsfracht, geht es hier heute gesittet und entspannt zu und her. Die Wharf ist eine der exklusivsten Adressen für Jachtliegeplätze, Bars und Nobelrestaurants. Entlang dem Wasser spazieren wir weiter. Und dann tut sich der bekannte Anblick auf die beiden berühmten Wahrzeichen Sydneys vor uns auf…
Das Opera House und die Harbour Bridge dominieren das wolkige Bild. Am Aussichtspunkt wimmelt es von schnatternden Touristen mit Fotokameras, asiatische Gesichtszüge machen beinahe die gesamte Meute aus. Das Opernhaus mit seinem unverkennbaren Dach sitzt auf einem Landvorsprung – weisse geblähte Segel einer in die See stechenden Jacht. Ein Megaprojekt. Die Ingenieure standen damals bald vor unüberwindbaren Hürden, die Arbeiten wurden mehrmals eingestellt und der dänische Architekt Utzon geriet unter den steigenden Kosten immer mehr unter Druck. Gekündigt und heimgekehrt, er soll den fertigen Bau nie gesehen haben. 16 Jahre nach Baubeginn im Jahre 1973 endlich eingeweiht, wurde das architektonisch gewagte Opera House über Nacht zur Weltsensation.
Beim Näherkommen verändert sich unser Blickwinkel stets und die mit Mosaiken verzierten Dächer präsentieren sich aus einer anderen Perspektive. Von allen Seiten bestaunen wir das imposante, von Wasser umspülte Bauwerk. Der Hafen bildet die schillernde Seele der Stadt. Der Circular Quai ist die Drehscheibe für den Fährverkehr, auch ein riesiges Kreuzfahrtschiff liegt heute vor Anker. Auf der anderen Seite entfaltet sich das historische Quartier The Rocks, das Ende des Hufeisens markiert die Harbour Bridge. An der Promenade tummelt sich nebst Strassenkünstlern ein buntes Völkergemisch – gebannt beobachten wir das Treiben.
The Rocks bildet das älteste Viertel der Stadt, hier haben sich die ersten europäischen Siedler vor 230 Jahren breit gemacht. Einst von Handel und Seefahrt geprägt, ist das Herzstück des historischen Sydney heute vorwiegend ein Ausgehviertel und eine nostalgische Touristenfalle. In einem netten Café entspannen wir für eine Weile, gönnen unseren Füssen eine Pause. Die Rechnung für den süssen Imbiss fällt gesalzen aus, auch andere Gäste räuspern sich bestürzt. Durch entzückende Gassen steuern wir besagter Brücke entgegen, die Sydneys Naturhafen an einer seiner schmalsten Stelle überspannt.
Die majestätische Stahlbrücke wurde 1932 eröffnet und wird von den Einwohnern liebevoll „Coat Hanger“ genannt. Der überdimensionale Kleiderbügel ist 134 Meter hoch und erreicht eine Spannweite von 500 Metern. Über einen Aufgang gelangen wir zum Fussgängerweg, von wo wir nochmals eine andere Perspektive des Hafengeländes auf uns wirken lassen können. Neben uns rauscht Verkehr auf mehreren Spuren, vorbeidonnernde Lastwagen lassen die faszinierende Konstruktion ungemütlich erzittern. Von einer rabenschwarzen Wolke verfolgt, hasten wir ans andere Ende. Das heftige Gewitter geduldet sich zum Glück, bis wir im Zug zurück über die Brücke rattern…
Auch am nächsten Tag verdrücken wir uns wieder in einen Zugwagen – die öffentlichen Verkehrsmittel in Sydney sind bestens ausgebaut. Mit der klugen Karte, der aufladbaren Smart Card, müssen wir uns nicht bei jeder Fahrt um ein Ticket bemühen, sondern der entsprechende Tarif wird mittels Antippen direkt von unserem Guthaben abgebucht… Von der Endstation gondeln wir im Bus zum nächstgelegenen Stadtstrand. Bondi Beach – der wohl bekannteste Strand ist sehr breit, der gelbliche Sand fein. Der Pazifik wogt in gewaltigen Schaummassen heran, in der Brandung reiten Surfer gekonnt die Wellen. Nach der Arbeit wird gerne Anzug und Schlips gegen Neoprenanzug und Surfbrett getauscht – der trendige Wassersport gehört für viele Sydneysider zur Lebensphilosophie.
Der Strand wirkt ziemlich leer, allerdings geht es auf dem Küstenweg zu den südlichen Buchten betriebsam zu und her. Der angeblich beliebteste Wanderweg in Sydney ist betoniert, dient aber offensichtlich trotzdem als Vita-Parcours – Jogger, Hundehalter und Touristen jonglieren aneinander vorbei. Der Pfad verläuft ausgewaschenen Sandsteinklippen entlang, Gischt umtost wild die spektakuläre Felskulisse. Am Bronte Beach vorbei führt der Weg anschliessend zu einem Friedhof, wo einige berühmte Australier oben am Rand einer Klippe ewig ruhen, und vom grandiosen Ausblick ganz bestimmt nichts mehr mitbekommen. Unser Spaziergang endet am Coogee Beach, wo wir wochentags auf eine bunte Mischung aus blassen Ausländern, braungebrannten Surfgurus, betagten Einheimischen und Müttern mit Kinderwagen treffen.
Neuer Tag, neuer Strand. Mit der Fähre schippern wir nordwärts, an grün bewaldeten Hügeln und mit Häusern überzogenen Hängen vorbei. Eine halbe Stunde später springen wir von Deck. Der entspannte Vorort Manly liegt auf einer Landzunge. Der Fussgängerzone entlang landen wir ein paar Minuten später am von Norfolk-Tannen gesäumten Strand. Der goldene Sand breitet sich über fast zwei Kilometer aus. Vor dem Schwimmen wird gewarnt, die Strömung sei zu stark. Nur wagemutige Surfer stürzen sich in die reissenden Fluten. Gemächlich schlendern wir zum Shelly Beach, einer geschützten Meeresbucht, wo emporragende Felsklippen eine fantastische Aussicht auf den schäumenden Pazifik gewähren – wow. Entlang der Küste strolchen wir durch ein einsames Waldstück – keine Menschenseele weit und breit. Echsen erstarren, zeigen keine Scheu. Ganz unbeobachtet bleiben wir also doch nicht…
In die Strassenschluchten der Innenstadt dringt wenig Sonne, wuchtige Bauten verschlucken das Licht. Wir wandeln zwischen modernen Hochhäusern, die neben historischen Gebäude und neugotischen Kirchen glänzen. Der lange Martin Place ist für den Autoverkehr gesperrt und zu einer Fussgängerzone mit Springbrunnen angelegt. Mächtige Sandsteinfassaden und Marmorbauten schmücken den luftigen Platz. Auch die riesige Town Hall mit ihren Türmchen und verschnörkelten Verzierungen ist ein Blickfang. Durch die Strassen der nebenan liegenden Chinatown lotsen wir uns anhand Stadtplan zum Darling Harbour. Jeder Zentimeter des ehemaligen Dockgeländes ist mit Restaurants und Attraktionen zugepflastert, das moderne Vergnügungsviertel rings ums Wasser angelegt. Ein kleines gemütliches Café suchen wir jedoch vergeblich – enttäuscht sparen wir uns unsere Koffeingelüste für morgen auf.
Der siebte und letzte Tag. Noch einmal steuern wir Newtown an. Das Multi-Kulti-Viertel mit alternativem Flair ist ein Schmelztiegel voller Studenten, Künstlern und Immigranten. Die Hauptschlagader ist von zahlreichen Boutiquen, Second-Hand-Läden, exotischen Lokalen und Kneipen flankiert – an der geschäftigen Kings Street liegt auch Ursi’s Café. Kurz vor Ladenschluss verwöhnt sie uns lecker mit einem herzhaften Muffin, bevor wir gemeinsam für ein Feierabendbier aufbrechen. Im angrenzenden Erskinville, wo sie mit ihrer Lebenspartnerin seit vielen Jahren lebt, prosten wir uns im Garten eines typischen Aussie-Pubs zu. „Erst ab fünf Uhr darf man hier rauchen, im Gegenzug dann nicht mehr draussen essen“, verrät uns Rolands aufgestellte Cousine augenrollend, „so das Gesetz“. Deshalb bleibt uns nichts anderes übrig, wie den bestellten Schmaus im schummrigen Lokal zu vertilgen. Danach ist unser begehrter Tisch an der frischen Luft leider, aber verständlicherweise vergeben. „In Australien ist so vieles reglementiert“, seufzt Ursi. Dasselbe dachten wir, als wir an einem der Strände auf ein Schild mit zahlreichen Verboten stiessen, wo ein Kleber aufmüpfig offenbart: „Und jeder Tag kommt ein neues dazu!“
Zu viert verbringen wir einen angenehmen Abend, plaudern stundenlang – abwechslungsweise in Schweizerdeutsch und in Englisch. In der Heimat hätte bestimmt höchstens ein allfälliges Familientreffen einmal wieder zueinander geführt. Man muss wohl in die Ferne schweifen, um sich mit naher Verwandtschaft zu treffen…
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