Durch den Krügerpark nach Mosambik
Wieder dort zurück, wo vor genau drei Jahren unsere grosse Reise ihren Anfang nahm. Erneut schnuppern wir südafrikanische Luft. Für die erste Nacht quartieren wir uns in Johannesburg im selben, uns altbekannten Flughafenhotel ein. Zeitgenau wie eine Schweizeruhr stehen wir am nächsten Morgen auf der Matte, jedoch abgeholt werden wir nicht. Afrikanische Pünktlichkeit? Nach einer geraumen Weile reisst unser Geduldsfaden. Ein Telefonanruf und eine Viertelstunde später ist es dann endlich soweit…
Bei der Vermietstation steht unser Camper hingegen schon bereit und glänzt in der kräftigen Morgensonne, fast so wie die weissen Zähne des jungen Schwarzafrikaners, der uns das Allradfahrzeug übergibt. Der sympathische Mann nimmt sich ausgiebig Zeit, und bis auch die gesamte Bürokratie erledigt ist, sind geschlagene zwei Stunden verstrichen. Im Supermarkt ums Eck tätigen wir die wichtigsten Einkäufe und verlassen danach fast fluchtartig die Grossstadt. Auf der vielspurigen Autobahn düsen wir frühnachmittags gegen Norden. Der Linksverkehr kommt uns noch immer vertraut vor, waren wir auf unserer zweieinhalbjährigen Reise fast ständig mit der „falschen“ Strassenseite konfrontiert.
Eine erste Campingnacht im Sondela Nature Reserve, einem Naturreservat unweit von Bela-Bela, rund 150 Kilometer von Johannesburg entfernt. Hinter der Rezeption lauern fünf Angestellte, doch was der Übernachtungsplatz kostet, kann uns zu unserem Entrüsten niemand sagen. Eine der Damen greift zum Telefon und streckt mir unerwartet den Hörer entgegen, ich solle selber mit der zuständigen Reservationsabteilung sprechen. Wir verstehen die Welt nicht mehr, wir verstehen Afrika nicht mehr…
Endlich einen Nachtplatz unter den Rädern, bricht schon bald die Dämmerung ein und um halb sieben ist es stockfinster. Ein Feuer entfacht und das Fleisch auf dem Grill brutzelnd, fallen unverhofft dicke Tropfen. Unser erster Braai wird leider prompt verregnet. Später rüttelt der Wind energisch an unserem Dachzelt, trotz Müdigkeit lässt der wohlverdiente Schlaf somit auf sich warten. Mit verschlafenen Augen erspähen wir am nächsten Morgen ein paar Zebras und Antilopen in der Ferne. Wow, wir haben uns Afrika nicht nur erträumt und sind also wahrhaftig auf dem schwarzen Kontinent gelandet.
Weiter nordwärts. Am Nachmittag Louis Trichardt erreicht, packen wir die Gelegenheit für einen Grosseinkauf, um für die kommenden ungewissen Wochen gewappnet zu sein. Die kleine Stadt liegt in den südlichen Ausläufern der Soutpansberge, einem Gebirgszug, der sich über 250 Kilometer in West-Ost-Richtung erstreckt. Ausserhalb auf einem anheimelnden Campingplatz an den Berghängen bringen wir etwas Ordnung ins Lebensmittelchaos, verstauen unsere Vorräte in die praktischen Schubladen unseres Vehikels. Als sich die Sonne senkt, sinkt auch rasch das Thermometer. Die höheren Gefilde auf rund 1300 Metern bescheren uns einen kalten Abend. Ein loderndes Feuer spendet wohlige Wärme, früh verkriechen wir uns in die flauschigen Daunen. Zwar in idyllischer Lage gebettet, doch der Strasse relativ nah, übertönt das Brummen der Lastwagen manchmal schier die trällernde Vogelwelt und das Zirpen der Insekten.
Noch weiter nordwärts. Mittlerweile knapp 500 Kilometer von Johannesburg entfernt – Botswana nicht mehr weit – biegen wir nach Osten ab. Die Gegend ist ausgedörrt, Baobabs zieren den kargen Landstrich. Affenbrotbäume, die für Trockensavannen Afrikas typische Baumart, sind am dicken, tonnenförmigen Stamm zu erkennen. Darin speichern die mächtigen Bäume Wasser und sind sozusagen für diese Trockenheit gemacht. Kleine Dörfer und verstreute Rundhütten prägen die afrikanische Landschaft – schade ruht widerlicher Müll am Strassenrand.
Nur noch einen Steinwurf vom Krüger Nationalpark entfernt, nisten wir uns auf einem ruhigen, schattigen Campingplatz ein. Nur wir und die Geräuschkulisse der Natur. Mit einem eiskalten Bier aus unserem Kühlschrank spülen wir uns die Nachmittagshitze vom Leib und geniessen die Freuden des friedlichen Camperlebens. Nach ein paar Tagen Unterwegssein fühlt es sich fast so an, als seien wir noch immer mitten in unserem langen Reiseabenteuer. Wir glauben uns schon fast wieder etwas im Langzeit-Reisemodus, aber schon bald werden sich unsere knapp sechs Wochen Afrika dann doch irgendwie anders anfühlen…
Halb neun morgens, 30 Grad. Am abgelegenen Pafuri Gate, dem nördlichsten Eingangstor des ungefähr 400 Kilometer langen Krügerparks, ist nichts los. Das Datum des Stempels auf dem Permit ist noch vom Vortag, aber das interessiert wohl sowieso keinen. Die flache Buschlandschaft ist knochentrockenen und wirkt trostlos. Dörres Gestrüpp und knorrige Bäume wechseln sich ab, hin und wieder mischt ein Granithügel die durstige Szenerie auf. Meilenweit sind keine Vierbeiner in Sicht. Tiere drängen sich dafür dort, wo es Wasser gibt und die Bäume ein grünes Blätterkleid tragen, das etwas Schatten verspricht. Kein Wunder, sind die Mittagstemperaturen auf 38 Grad angestiegen.
Der Krüger Nationalpark deckt eine beachtliche Fläche von 20‘000 Quadratkilometern ab und ist somit halb so gross wie die Schweiz. Vor drei Jahren besuchten wir den zentralen und südlichen Teil des bekannten Tierschutzreservates im äussersten Nordosten Südafrikas, nun sind wir im eher einsamen, im Vergleich wenig besuchten nördlichen Drittel auf Pirsch. Unser erster Safari-Tag geht langsam zu Ende. Noch ahnen wir nicht, dass der Höhepunkt des Tages erst noch folgen wird…
Frühabends im Camp von Punda Maria angekommen, eigentlich nach einen geeigneten Stellplatz Ausschau haltend, überrascht uns ein graues Spektakel. Am Wasserloch tummeln sich scharenweise Elefanten, darunter viele süsse, tollpatschig wirkende Jungtiere. Es ist ein Kommen und Gehen. Alle wollen nur dasselbe: Saufen. Oder eine Dusche. Mit voller Wucht bespritzen sich die tonnenschweren Dickhäuter mit dem kühlen Nass, planschen vergnügt und trompeten streitlustig. Auch ein Schlammbad ist beliebt, dient das Suhlen im matschigen Dreck oder das Bewerfen mit Staub dem Schutz vor Sonne oder Parasiten. „Ist das ein Elefantentheater“, schmunzelt Roland. Die untergehende Sonne taucht das imposante Geschehen in ein weiches, goldenes Licht. Abends um sieben längst stockdunkel, aber noch immer laue 30 Grad warm.
Die nächsten beiden Tage zeigt sich das Wetter plötzlich von einer feindseligen Seite. Es weht ein frischer Wind und über uns schwebt eine dichte Wolkendecke, die kaum ein Sonnenstrahl zu durchdringen vermag. Die savannenartige Landschaft wirkt farblos, die Temperaturen haben sich halbiert… Aber die aufgeschlossene Putzfrau im Camp ist zufrieden. „Good morning madam, very nice weather today, not so hot“, strahlt sie über das ganze Gesicht, ihre dunklen Augen funkeln.
Vom frühen Morgen bis am frühen Abend hocken wir mit Fernglas bewaffnet im Auto und sind auf Pirsch. Manchmal lassen sich kaum Tiere blicken und dann beglücken sie uns wieder zu Hauf, insbesondere Elefanten in grossen Herden. Meistens können wir das grösste Landsäugetier an Flussläufen oder Wasserlöchern beobachten. Mit ihren erstaunlich geschickten Rüsseln stillen sie ihren Durst, bechern täglich bis zu 200 Liter Wasser.
Aber auch stolzierende Giraffen mit peitschenden Schwänzen oder Zebras mit ihren charakteristischen Streifen kreuzen unseren Weg. Dazu kommen verschiedene Antilopen, Warzenschweine, Hyänen, Flusspferde und Krokodile. Nur die Raubkatzen lassen uns im Stich. Auch als wir eines Tages bereits kurz vor Sonnenaufgang um halb sechs den Motor starten, haben wir kein Katzenglück und spotten in der Morgenfrühe zu unserer Enttäuschung fast noch weniger Wild wie tagsüber. Nach je zwei Campingnächten in Shingwedzi und Tsendze neigt sich unsere Selbstfahrersafari dem Ende entgegen.
Sechster und letzter Tag. Letzte Pirschkilometer im Krügerpark. Fast schon haben wir uns damit abgefunden, keine Raubkatze gesichtet zu haben. „Da vorne, da hat sich etwas bewegt!“ flüstert Roland aufgeregt. Und schon zeigt sich das anmutige Tier in seiner voller Pracht. Ein Leopard. Unser Safari-Herz schlägt Purzelbäume, wir sind ausser uns vor Freude. Die muskulöse Katze mit dem gelbschwarz gefleckten Fell bewegt sich leider viel zu rasch von der Strasse weg, schleicht erst durch das lichte Gestrüpp und dringt dann tiefer ins Gebüsch vor. Viel zu schnell verlieren wir den nachtaktiven Einzelgänger gänzlich aus unseren Augen. Verborgen in einem Versteck wird der mit Rosetten gemusterte Leopard wahrscheinlich seinen Tag verschlafen, um erst wieder nachts zur Jagd aufzubrechen.
Giriyondo, ein kleiner beschaulicher Grenzposten im wilden Busch verbindet Südafrika mit Mosambik, dem Nachbarland im Osten. Abgesehen von ein paar Touristen ist die Grenze kaum frequentiert. Auf südafrikanischer Seite verzieht keiner eine Miene, die korpulente Dame schmettert uns die gestempelten Pässe über die Theke. Auf mosambikanischer Seite kommt den Beamten gelegentlich ein Lächeln über die Lippen. Kurzerhand händigt man uns das Visum aus, bevor unseren ausgefüllten Formularen überhaupt Beachtung geschenkt wurde. Sofern auch die Fahrzeugpapiere stimmen, geht alles reibungslos von statten. Ein paar Deutsche sitzen seit drei Stunden an der Grenze fest, da die Ausfuhrpapiere ihrer Fahrzeugvermietung unvollständig sind – ärgerlich.
Von Tierschutzgebiet zu Tierschutzgebiet. Im Büro neben der Einreisebehörde gilt es noch die happige Eintrittsgebühr zu entrichten. Unser Wechselgeld noch nicht eingesteckt, sitzen die freundlichen Afrikaner schon wieder beim Kartenspiel. Ehe wir uns versehen, finden wir uns auf einer steinigen, ruppigen Wellblechpiste im Limpopo Nationalpark wieder, der eine 200 Kilometer lange Grenze zum Krügerpark bildet. Seit 2001 stehen die Grenzen für die Tiere offen, die früheren Zäune wurden entfernt. So entstand eines der grössten Schutzgebiete Afrikas, der Great Limpopo Transfrontier Nationalpark.
Eine eintönige Fahrt. Auf unserer gesamten Pirschstrecke von rund 70 Kilometer entdecken wir nur eine Handvoll Impalas. Dann taucht in der Ferne ein farbiger Punkt auf, der sich beim Näherkommen als bunt gekleidete Frau mit Kind auf dem Rücken entpuppt. Vor den Kopf gestossen wir uns klar, dass hier bestimmt kaum gefährliche Tiere leben. Schon bald spazieren Ziegen und Rinder umher, und aus dem Nichts taucht ein Dorf und haufenweise Abfall auf – unglaublich. „Nein, da gibt es kaum Wildtiere“, bestätigt die rundliche Afrikanerin später auf dem Campingplatz seufzend, ihre schwarzen Haare zu dichten Zöpfchen geflochten. „Erst müssen die Menschen umgesiedelt werden, sonst werden die ausgewilderten Tiere umgehend erschossen.“
Der folgenschwere Bürgerkrieg, der Mosambik von 1977 bis 1992 fest im Griff hatte, wirkte sich sehr tragisch auf den Wildbestand der Nationalparks aus und hatte auch die Entwicklung des Landes in allen Belangen nahezu zum Erliegen gebracht. Nach der Kehrtwende wurden Landminen mühevoll entfernt und Wildbestände aufgestockt. Doch das Kapitel Wilderei ist noch längst nicht abgeschlossen und viele Vorhaben blieben in der Planungsphase stecken. Bislang ist es leider nicht gelungen, die Menschen mit ihren Nutztieren zum Umziehen zu bewegen. Obwohl die Wildtiere zwischen den beiden Nationalparks frei hin und her wandern können, fühlen sich die meisten Herden offensichtlich im Krügerpark daheim und leben dort in relativer Sicherheit vor Wilderern. Enttäuscht, dass uns hier mehr Menschen und Rinder begegneten als afrikanische Wildtiere, finden wir den Tageseintritt von 35 Franken – für uns zwei und das Fahrzeug – ziemlich überrissen…
In der Nähe des Limpopo Nationalparks verbringen wir eine Nacht auf dem verwaisten Campingplatz einer gepflegten Lodge. Die Lage leicht erhöht über dem Massingir-Stausee ist eigentlich malerisch, die heutige Farbpalette beschränkt sich jedoch auf bescheidene Grautöne. Abends leckt das bewölkte Himmelsdach und wir verabschieden uns wieder einmal früh in den Schlafsack. Regengüsse trommeln, heftige Windböen zerren am Dach und wir befürchten ein zerfleddertes Zelt. Ein gewaltiges Gewitter hat sich zusammengebraut, der Donner ist ohrenbetäubend.
Kühle Morgenluft dringt in unser Schlafgemach. Erneut kein gemütliches Campingwetter. Nach einem unangenehmen Frühstück retten wir uns vor dem fiesen Wind und schmeissen uns auf den Autositz. Vorbei an Massingir, einem unbedeutenden Dorf, das jedoch im wertvollen Besitz von Tankstelle und Bank mit Geldautomat ist. Rote Sandstrassen bahnen sich durch den vermüllten Ort. Ärmliche Behausungen, teilweise lediglich traurige Bretterverschläge, lassen uns wie Bonzen vorkommen. Kein gutes Gefühl. Eine andere Welt, eine arme Welt – eine die uns ins Nachdenken versinken lässt.
Von Massingir im Landesinneren reisen wir südostwärts mit dem Tagesziel Küste. Der erste Streckenabschnitt ist sehr einsam, winzige Siedlungen mit armseligen Hütten und magerem Rindvieh mischen die öde Gestrüpplandschaft auf. Der Asphalt ist stellenweise stark beschädigt, knöcheltiefe Schlaglöcher erfordern Wachsamkeit. Am Strassenrand streunende Ziegen sind äusserst unberechenbar, vereinzelt wandeln Menschen mitten auf der Fahrbahn – Verkehr hingegen ist rar. Je weiter wir nach Süden vordringen, desto grüner und belebter präsentiert sich die Gegend. Nach knapp 300 Fahrkilometern liegt uns Südmosambiks Küste zu Rädern. Im Verlaufe des Fahrtages ist das triste Himmelgrau einem bewölkten Himmelblau gewichen und am windgeplagten Strand von Chizavane beglücken uns immerhin ein paar wärmende Sonnenstrahlen…
Servus Christine und Roland,
super Bericht und tolle Bilder, schön das ihr uns an euren Afrika Trip teilhaben lässt.
Wir hoffen es geht euch gut
Liebe Grüße Tomi und Daggi
Hallo ihr beiden – schön von euch zu lesen. Auch wir tauchen hin und wieder in eurem Afrika ab…
Es geht uns soweit gut, nur mit dem düsteren Schweizerwinter können wir uns nicht ganz anfreunden!
Euch allzeit eine sichere Fahrt & liebe Grüsse nach Marokko.
Christine & Roland