Durchnässt im Alay-Gebirge
Die Stadtgrenze von Osh hinter uns, gewinnen wir stets an Höhe. Sanft geschwungene grüne Hügelzüge begleiten uns auf der Fahrt in Richtung Süden. Die Gegend mutet ländlich an, vereinzelt leuchten weisse Jurten. Eine riesige Schafherde bremst uns aus, trottet gemächlich auf der Fahrbahn. Der ungeduldige Taxifahrer hupt ununterbrochen, bis wir die Wollknäuel endlich überholen können. Nach einer Stunde erreichen wir den Chyrchyck Pass auf knapp 2400 Meter Höhe. Von hier geht es nun zu Fuss weiter…
Die Sonne lacht, nur wenige Wolken hängen am Horizont. Noch verspricht das Wetter zwei wundervolle Trekkingtage. Unser Führer Asiret macht einen sympathischen, wenn auch etwas ruhigen Eindruck. Während seinen dreimonatigen Sommerferien arbeitet er als Wanderführer. In der Region aufgewachsen, kennt er diesen nördlichen Teil des Alay-Gebirges wie seine eigene Westentasche. Ausgerüstet ist der junge Führer mit nur leichten Turnschuhen ohne richtiges Profil – doch die Marke “Good Luck” mit den drei Streifen trägt bestimmt das ihre dazu bei…
Vorbei an Jurten, Kuhherden und Pferden führt uns der Weg durch eine grasgrüne Berglandschaft langsam bergan, bis ein steiler Aufstieg zum Kumbell Pass auf 3150 Meter folgt. Ab und zu kreuzen wir Männer oder Kinder mit ihren Pferden und Eseln. “Our mountain transport”, lacht Asiret. Die Bewölkung hat leider bereits zugenommen, Sonnenstrahlen können sich nur noch vereinzelt durchsetzen. Nach drei Stunden erreichen wir verschwitzt den Pass. Wow, in der Ferne erblicken wir hohe verschneite Berggipfel, kurz bevor ein grauer Vorhang sie verschleiert. Asiret bereitet ein Picknick zu, verwöhnt uns mit Brot, Käse, Wurst und Rohkost. Ein fieser Wind weht, Hühnerhaut überzieht meinen Körper – wir kramen eine wärmende Kleiderschicht aus dem Rucksack.
Leises Donnergrollen verspricht nichts Gutes, die Wolken zeigen sich mittlerweile bedrohlich dunkel. Frisch gestärkt brechen wir auf und schon nach wenigen Minuten spüren wir erste Regentropfen. Vorsichtshalber stülpen wir uns sowie dem Rucksack den Regenmantel über. Doch eigentlich sind wir überzeugt, dass das Gewitter weiterziehen wird. Aber Petrus meint es nicht gut mit uns und spielt stets einen weiteren Trumpf aus. Mittlerweile giesst es wie aus Kübeln, etwas später hageln kleine weisse Körner auf uns ein, die matschigen Wanderwege verwandeln sich in reissende Bäche, die Wiesen sind aufgeweicht.
“Das ist das schlechteste Wetter, das ich je auf einer Wanderung erlebte”, klagt Asiret frustriert – wir sind es auch. Tropfnass erreichen wir am späten Nachmittag nach einem Abstieg von zweieinhalb Stunden endlich unser heutiges Ziel. Das Saryoi Sommercamp liegt auf einer kleinen Ebene auf rund 2200 Metern Höhe, umgeben von hoch aufragenden Bergen. Hier verbringen mehrere Familien die Sommermonate von Juni bis August in einer Jurte, widmen sich vorwiegend dem Vieh und der Herstellung von Milchprodukten. Das abgeschiedene Bergleben in einer Jurte kann mit dem in einer Alphütte verglichen werden.
Unsere Familie erwartet uns bereits, der Empfang ist sehr herzlich. Auch die vier kleinen Mädchen – zwischen zwei und neun Jahren alt – sind äusserst liebenswürdig, scheinen sich den Umgang mit Touristen etwas gewohnt. Trotz Sprachbarriere ist das Eis schnell gebrochen. Die junge Familie überlässt uns Gästen ihre Jurte, wo wir essen und schlafen können, und zieht für diese Nacht ins Küchenzelt um. Schnell entledigen wir uns der triefend nassen Kleidung und wärmen uns am Ofen auf, der gleichzeitig als Kochherd dient. Während wir im Trockenen sitzen, regnet es draussen unaufhörlich weiter…
Die gütige Frau serviert uns heissen Tee und Brot, dazu selbstgemachte traditionelle Milchprodukte. Kaimak, eine dickflüssige, fetthaltige Creme, hergestellt aus Milch, wird aufs Brot geschmiert und schmeckt uns. Nicht so Kurut, die weissen Kugeln in der Grösse einer Murmel, welche aus getrocknetem Joghurt geformt werden und einen säuerlichen Geschmack aufweisen. Die steinharten Bällchen lassen sich bis in den Winter lagern, werden dann, in Wasser aufgeweicht, verzehrt. Die frisch gemolkene Pferdemilch lässt Roland erschaudern – ich Feigling verzichte ganz. Erst danach offenbart uns Asiret: “Die meisten Touristenmagen rebellieren nach dem Genuss der Stutenmilch!”
Abends erbarmt sich der Wettergott unser, wischt die grauen Wolken kurzerhand zur Seite und gewährt uns für einen Moment warmes Licht. Doch schon bald versinkt die untergehende Sonne hinter der Bergkette und das Spektakel ist vorbei. Zum Nachtessen wartet die zierliche Frau mit Plov auf, dem beliebten zentralasiatischen Nationalgericht. Schon stundenlang brutzeln ein Stück durchzogenes Fleisch sowie feine Zwiebel- und Karottenstreifen im öligen Wasser auf dem Feuer, bevor grosszügig Reis dazugeschüttet wird. Der fade Eintopf bereitet unseren Gaumen auch diesmal kein kulinarisches Vergnügen – das darin enthaltene Gemüse ist mittlerweile komplett verkocht und nicht mehr als solches wahrzunehmen…
Wir verkriechen uns in unsere Schlafsäcke, betten uns, so bequem wie eben möglich, auf die dünnen Matten und die harten Kopfkissen auf den Jurtenboden, bedecken uns zusätzlich mit einer der bleischweren Decken, um nicht zu schlottern. Feiner Regen prasselt auf das Jurtendach, irgendwann fallen wir in einen unruhigen Schlaf. Auch am nächsten Morgen ist noch keine Wetterbesserung in Sicht. Doch wie in den Bergen oft der Fall, ändert die Witterung im Minutentakt. Plötzlich guckt die Sonne hinter einem der Viertausender hervor, um sich kurz darauf wieder hinter Wolkenfetzen zu verstecken.
Nach dem Frühstück verabschieden wir uns von der kirgisischen Jurtenfamilie und deren Kühen, bedanken uns für die Gastfreundschaft. Die Kinder schenken uns ein letztes süsses Lächeln… Unsere Kleider sind noch immer feucht, die Wanderschuhe durchnässt, als wir aufbrechen. Asiret weist uns den Weg, welcher nicht immer klar als solchen auszumachen ist und meist durch hohes Gewächs steil in die Höhe führt. Nach rund zwei Stunden gelangen wir zu einem Pass am Fusse einer der Alay-Bergketten auf 2700 Metern. Sonne und Wolken stehen nach wie vor im gegenseitigen Kampf, die uns umgebenden hohen Gebirgszüge bleiben leider grau verhüllt. Wir sind enttäuscht, haben nach dem vergangenen nassen Tag auf heutiges Wetterglück gehofft.
Der Abstieg zieht sich hin, schon bald nässen uns erneut erste Tropfen. Nach weiteren zwei Stunden erreichen wir eine Schotterpiste, die zur Hauptstrasse führt, wo uns ein Taxi abholen soll. Doch das entsprechende Auto mit Fahrer steht bereits hier zu unseren Diensten – wir sind überrumpelt. Asiret zeigt sich zwar erstaunt, doch wir nehmen ihm nicht ganz ab, das Taxi nicht eigenhändig hierhin bestellt zu haben. Sollen wir uns freuen oder nicht? Mittlerweile regnet es in Strömen und der Schlussmarsch unseres Trekkings hätte sich unheimlich hingezogen, bestimmt nochmals zwei Stunden in Anspruch genommen. Somit sind wir unserem Führer schlussendlich nicht böse…
Abends treffen wir müde und schmutzig, aber glücklich in unserem Hostel in Osh ein. Trotz des Wetterpechs erlebten wir auf unserem Trekking schöne Momente und möchten die Erlebnisse nicht missen. Nach einer erfrischenden Dusche und einem Teller dampfender Pasta von der Mafia – so der Name des dazugehörigen Restaurants – fallen wir schon bald in einen wohlverdienten Schlaf. Die nächsten zwei Tage kurieren wir Muskelkater und gönnen unseren müden Knochen Ruhe, geniessen unsere Oase. Auch das Franzosenpaar, Cécile und Benjamin, sind noch immer hier. Wir plaudern erneut mit den beiden, die ihre Hochzeitsreise radelnd verbringen – eine sympathische Begegnung.
Alay-Gebirge: Das hättet ihr aber in der Schweiz billiger haben können. Trotzdem, tolle Fotos und Berichte.
Mit besten Grüssen
Gottfried
Lieber Gottfried
Es freut uns, wenn dir unser Blog gefällt. Leider haben wir in Kirgistan zur Zeit wirklich etwas Schweizer-Wetter – unberechenbar und ab und zu mal Regen. Doch die wilde Natur mit den Bergen und Seen ist fantastisch…
Herzliche Grüsse
Christine & Roland