Echidna im Mount Field Nationalpark
Regenwälder und Wasserfälle. Hochmoore und Gletscherseen. Die urwüchsige Landschaft des kleinen Mount Field Nationalparks liegt im Süden Tasmaniens, nur 80 Kilometer nordwestlich von Hobart. Die mit dichtem Urwald bedeckten niedrigen Regionen strotzen vor sattgrünen Farnen und warten mit gigantischen Eukalypten auf, während die höheren Gefilde von einer niedrigen alpinen Vegetation überzogen sind, wo auch Nadelhölzer gedeihen. Ein Netzwerk an Wanderwegen durchzieht den ältesten Nationalpark, dessen felsige Berghänge als Skigebiet dienen, sofern genügend Schnee vom Winterhimmel fällt. Nebst der Vielfältigkeit der Natur ist der geschützte Fleck für seine artenreiche Tierwelt bekannt…
In kühler Morgenfrühe lockt uns heiter Sonnenschein unter der kuscheligen Bettdecke hervor. Vom Campingplatz eingangs des Nationalparks dringen wir tiefer in die Wildnis des Mount Field Nationalparks vor. Eine schmale Schotterpiste windet sich in Haarnadelkurven rasch bergan. Noch immer von Bäumen umzingelt, taucht auf 840 Metern Höhe ein kleiner, verwaister Parkplatz auf. Offensichtlich sind wir heute die ersten Wandervögel, die den „Mount Field East Circuit“ unter die Sohlen nehmen. Beschwingt meistern wir den Anstieg durch subalpinen Wald, der Pfad zwingt uns über unzählige Steine. Mit höherem Herzschlag das Ufer eines bewaldeten Sees erlangt, bietet sich ein erster offener Blick auf umliegende Bergkämme. Das Emporsteigen immer steiler, die Gesteinsbrocken immer grösser, verliert sich nun der Wanderweg in einer groben Geröllhalde. Ständig suchen wir das unwegsame Gelände nach den nur spärlich vorhandenen Wegmarkierungen ab.
Erfolgreich dem Wald und somit dem Schutz der Bäume entschwunden, schlägt uns ein harscher Wind entgegen und zerrt unangenehm am verschwitzten T-Shirt. Mittlerweile über einen gänzlich mit Felsklötzen übersäten Abhang balancierend, kommen wir dem Gipfel des Mount Field East immer näher. Nach insgesamt zwei Stunden in einem anstrengenden Akt den Berg erklommen, sind wir den Naturgewalten gnadenlos ausgesetzt. Enorme Windstösse drohen uns wie federleichte Wattebäusche weg zu pusten. Auf 1270 Höhenmetern schweifen unsere Augen über eine gebirgige Kulisse – die Rundumsicht ist sagenhaft. In der Ferne leuchten weisse Schneefelder, welche uns zusätzlich erschaudern lassen. Eine mit Steinen errichtete Mulde gewährt uns etwas Windschutz. Das mitgebrachte Picknick verzerren wir in Gesellschaft von einem Dutzend kleiner schwarzen Echsen, die keinerlei Scheu kennen. Vielleicht haben sie ihre Betriebstemperatur noch nicht erreicht. Jedenfalls sonnen sie sich genüsslich auf den Steinen, genauso wie wir.
Erste Wolken sind im Anmarsch und rufen uns den langen Abstieg in Erinnerung. Der kalte heftige Wind hat noch an Stärke zugelegt und dringt unbarmherzig durch alle Kleiderschichten. Böenartig fällt er über uns her und Achtsamkeit ist gefragt, um auf den teilweise wackeligen Felsbrocken das Gleichgewicht nicht zu verlieren. Wieder unten im flachen Heideland angekommen, bläst es zwar etwas weniger stark, doch das „Windy Moor“ erweist seinem Namen noch immer alle Ehre. Das weitläufige Hochmoor mit seinen grellgrünen Moosflecken, bunten Blüten und gewundenen Wasserläufen ist eine Augenweide. Nicht nur der Landstrich ist sumpfig, sondern auch der Weg. Laut schmatzt es unter unseren Schuhen und wir hoffen, keinen nassen Schuh herauszuziehen.
Die malerische Hochebene überquert, verwandelt sich der niedrige alpine Bewuchs allmählich in höheres Buschland. Knorrige weissstämmige Eukalyptusbäume begleiten uns – wie windschiefe Gespenster haften sie an den Berghängen. An Höhe eingebüsst, gerät nebst der bergigen Fernsicht ein weiterer Gletschersee in unser Blickfeld. Trotz schlaffen Beinmuskeln und zittrigen Knien folgen wir nachmittags einem ausgeschilderten Abstecher zu einem Aussichtspunkt.
Ein Rascheln. Vor meinen Füssen watschelt plötzlich ein Echidna. Wie angewurzelt bleibe ich stehen und versuche Roland, der ein Stück hinter mir hergeht, klarzumachen, sich möglichst leichtfüssig anzupirschen. Eigentlich gehe ich aber davon aus, dass der stachlige Kerl umgehend das Weite sucht. Genau so wie alle anderen australischen Ameisenigel auch, die wir an anderen Orten mit unserer Anwesenheit überraschten. Sofern sie sich bedroht fühlen, graben sie sich flink in die Erde ein, verkeilen sich mit ihren kräftigen Gliedmassen, so dass sich lediglich ihr stachliger Rücken aus dem Boden wölbt. Ihr Fell ist bräunlich und das Haar manchmal so lang, dass die bis zu sechs Zentimeter langen Stacheln darunter verborgen bleiben.
Doch der kleine Echidna – auch Schnabeligel genannt – tapst seelenruhig weiter voran. Wir im Schlepptau. Er scheint uns nicht zu beachten. Umso besser können wir ihn beobachten. Immer wieder dreht er sich um, schnüffelt am Wegesrand, biegt ins Gestrüpp ab, um letztendlich aber wieder aufzutauchen. Er scheint das gleiche Ziel zu haben wie wir. Warum haut er nicht ab? Riecht er uns nicht? Oder mag er uns einfach schmecken? Für gewöhnlich ist ihr Geruchssinn gut entwickelt und sie verfügen über ein spezielles Wahrnehmungssystem in der dünnen Schnauze. Wie mit einem Finger stochern sie damit in der Erde, um an Fressen zu kommen. Auf ihrer Speisekarte stehen Ameisen und Termiten. Eigentlich dämmerungsaktiv, ist der Fleischfresser jedoch je nach Temperatur auch in der Nacht oder am Tag auf Nahrungssuche.
Mit seiner schleppenden Gangart schafft sich der drollige Echidna langsam auf dem unebenen Pfad voran. Mitunter kraxelt er sogar über Steinbrocken, die grösser sind als er selbst – das eierlegende Säugetier misst in der Regel 30 bis 40 Zentimeter in der Länge. Die Zehen ihrer Hinterbeine erwecken einen eigenartigen Eindruck, sind sie nach aussen gedreht. Damit kommen sie auch in zerklüftetem, felsigem Gelände zurecht. Gelegentlich rutscht der Vierbeiner zwar ab und zaubert uns ein Schmunzeln ins Gesicht, vermag sich aber immer wieder geschickt aufzufangen. Und dann, nach einer gefühlten Viertelstunde, kommt er endgültig von unserer Route ab, bahnt sich seinen eigenen Weg und verschwindet auf Nimmerwiedersehen. Noch immer sind wir sprachlos. Was für eine aussergewöhnliche Begegnung – hautnah und überwältigend.
Auch das Panorama von den verwitterten Felsen des Lookouts hat seinen Reiz und die Sonne kann sich trotz aufgezogenen Wolkenfetzen noch immer behaupten… Die letzte Etappe der zwölf Kilometer langen, abwechslungsreichen Rundwanderung leitet uns über einen weichen, moosbewachsenen Waldweg. Die Menschen, denen wir über den Tag verteilt begegnet sind, lassen sich an einer Hand abzählen. Nach über sechs Stunden in den Wanderschuhen, sinke ich entkräftet auf den Autositz. In solchen Momenten bin ich dankbar, ist Roland meistens weniger ausgelaugt und mag sich noch hinter das Steuer setzen. Behutsam lenkt er unser rollendes Daheim in tiefere Lagen.
Für eine zweite Nacht kehren wir auf denselben Übernachtungsplatz zurück. Das Preis-Leistungs-Verhältnis ist exzellent, ebenso die Infrastruktur. Heisse Duschen, Trinkwasser, Strom und Abfallentsorgung auf den Campingplätzen australischer Nationalparks sind nicht selbstverständlich, oftmals gibt es nur Plumpsklos. Die umgerechnet 16 Franken sind bestens investiert – ein privater Caravanpark zieht einem vielfach doppelt so viel Geld aus der Tasche. Überglücklich stossen wir in der milden Abendsonne auf den tierischen Tag und die fabelhafte Wanderung an…
Der Morgen bewölkt, aber lau. Heute widmen wir uns dem urwüchsigen Wald des beliebten Mount Field Nationalparks, der sich zu Fuss unmittelbar ab dem Campingplatz erkunden lässt und somit weitaus besser besucht ist. Doch wir sind früh dran, das kommt uns zugute. Verträumt lauschen wir der Geräuschkulisse. Tiefes, heiseres Gekrächze hallt durch die Baumwipfel, feine Sopranstimmen ergänzen das Vogelkonzert. Noch verströmt der tasmanische Mischwald eine grosse Portion Frieden. Viele Stämme sind in ein samtiges Gewand gehüllt, vollständig mit Moos überwachsen. Umgestürzte Bäume – dick und dünn – liegen verstreut auf dem Waldboden und recken teilweise ihr mächtiges Wurzelwerk in die Lüfte. Der Anblick des Wirrwarrs mutet wie ein Riesenmikado an.
Wildes Grün wuchert überall, wunderschöne Farnbäume bilden ein Dach über unseren Köpfen. Manchmal ist das Blätterwerk jedoch nur schütter und vage dringt von oben Licht herein. Auf das Blinzeln eines Sonnenstrahls warten wir heute aber vergeblich. Wollen wir die höchsten Baumkronen erspähen, müssen wir den Kopf tief in den Nacken legen. Gewisse Eukalypten erreichen eine Höhe von bis zu hundert Metern – doch nur einer von hundert wächst überhaupt zu einem hölzernen Riesen heran. Manche der urtümlichen Exemplare sind über 400 Jahre alt und trotzen tapfer ihrer natürlichen Feinde wie Stürme und Altersschwäche. Seit der europäischen Besiedlung fielen weitläufige Gebiete hoher Wälder der Holzgewinnung zum Opfer oder wurden zugunsten Kulturland gerodet. Aufgeforstete Waldstücke werden schon nach knapp hundert Jahren wieder abgeholzt und uralte Baumriesen verschwinden traurigerweise je länger desto mehr.
Wie einem Märchen entsprungen. Der von grasgrünen, saftigen Farnen eingerahmte Wasservorhang plätschert über eine terrassenartige Treppe. Eine 45 Meter hohe, abgestufte Kaskade. Die bezaubernden Russell Falls stellen den Höhepunkt des sechs Kilometer langen Rundwanderwegs durch den üppigen Dschungel dar. Auch wenn derzeit nicht eine Unmenge von Wasser rinnt, und sich das Wasser nicht in Untiefen stürzt, ist der Wasserfall wahrhaftig entzückend…
Kommentare
Echidna im Mount Field Nationalpark — Keine Kommentare
HTML tags allowed in your comment: <a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <s> <strike> <strong>