Elsässische Schmuckstücke
Ein Schmunzeln huscht über mein Gesicht. Innerlich kribbelig, krame ich einen kleinen Aperitif aus meinem Rucksack, während der Intercity aus dem Bahnhof rollt. Mein Gegenüber ist ziemlich ahnungslos. Anlässlich seines kürzlich über die Bühne gegangenen runden Geburtstags, beschere ich Roland eine Überraschungsreise. Gemütlich in der ersten Klasse lehnend – Sparbillette sei Dank – proste ich dem Geburtstagskind augenzwinkernd zu. Auch jetzt verrate ich nichts und geniesse, dass Roland im Ungewissen badet. In Basel legen wir einen stärkenden Kaffeehalt ein. Noch immer scheint mein Liebster keinerlei Verdacht hinsichtlich des Reiseziels zu schöpfen. Erst als wir später in den elsässischen Zug steigen, ist es um mein wohlbehütetes Geheimnis geschehen…
Ehe wir uns versehen, brausen wir nordwärts über französischen Boden. Derweil blättert Roland im meinerseits zugesteckten Reiseführer, noch etwas verunsichert, wo genau die Fahrt für uns endet. Eine Dreiviertelstunde verstrichen, hüpfen wir in Colmar aus dem Wagon. Die Sonne lacht, aber ohnehin ist mir warm ums Gemüt. Anhand des Stadtplans lotse ich meine unkundige Begleitung zur gebuchten Oase inmitten des historischen Zentrums.
Bald finden wir uns in einer belebten Gasse wieder, vor der angepeilten Pforte des „Le Colombier Suites“ – eine Wohlfühladresse. Design meets Fachwerk. Im Renaissancehaus verbirgt sich modernes Interieur in wohltuenden Farben, ganz verschieden konzipierte Zimmer scharen sich um einen kühlen Innenhof. Glücklich werfen wir uns in unserem Zimmer auf das breite, weiche Bett und freuen uns auf die kommenden drei Nächte, wie auch die vogelfreien Tage.
Nach einer Verschnaufpause machen wir uns spätnachmittags neugierig auf, um einen ersten Einblick der Nachbarschaft zu erhaschen. Alsbald treibt uns Durst und Hunger in eines der zahlreichen Lokale mit Tischen im Freien, wo Touristen wie Einheimische geniesserisch den lauen Abend einläuten. Nebst einem Drink bestellen wir DIE Spezialität des Elsass: Flammkuchen. Heiss aus dem Steinofen wird uns der hauchdünne, reichlich mit Speck und Zwiebeln belegte Teigfladen auf einem Holzbrett serviert. Ein Gaumenschmaus und obendrein die preiswerteste Art, im Elsass satt zu werden.
Nach dem nächtlichen Schlummer und ausgiebigen Frühstück vom leckeren Buffet, verweilen wir noch einen Moment im friedlichen Innenhof bei einer dampfenden Tasse Cappuccino. Einen Fuss aus unserem anheimelnden Hotel gesetzt, umarmt uns im „Petite Venise“ das touristische Geschehen. Aber es gelingt uns, das Gewusel etwas auszublenden und uns stattdessen vom malerischen Stadtviertel blenden zu lassen.
Bunte Fachwerkhäuser schmiegen sich aneinander und die mit Blumen geschmückten Kanäle sorgen für unwiderstehlichen Charme. Flache kleine Boote gleiten geschmeidig durch das „Klein Venedig“, doch die Warteschlange für einen Ritt ist uns zu lang. Somit begnügen wir uns am Lauch-Ufer mit den klassischen Blicken von den Brücken. Fachwerkromantik und Flussidylle – hinreissend.
Noch liegt uns fast der ganze Tag zu Füssen. Die Altstadt – klein und fein – ist problemlos auf den Sohlen zu entdecken. Man vermutet kaum, dass es sich bei Colmar um die drittgrösste Stadt des Elsass mit 70‘000 Einwohnern handelt.
Zufrieden bummeln wir bei wunderbarem Wetter durch das Gassengewirr und lassen uns treiben. Das alte Zentrum ist ein wahres Freilichtmuseum. Liebevoll restaurierte Fachwerkhäuser mit kreativ geschmückten Fassaden und verzierten Erkern wechseln sich mit stattlichen mittelalterlichen Gebäuden ab.
Fotosujets gibt es zu Hauf. Besucher auch. Die bezaubernde Kulisse hat man kaum je für sich allein. In Scharen strömen Besucher verschiedenster Herkunft durch die verwinkelten Gassen. Nebst den Individualtouristen fallen chinesische Gruppen ins Bild, oder ins Gehör. Hübsche Boutiquen, edle Feinkostgeschäfte, kunterbunte Souvenirläden, traditionsreiche Winstubs und süsse Cafés verführen das durch die herausgeputzten Strassenzüge flanierende Volk.
Mittlerweile haben wir die Martinskirche erlangt. Die mächtige Kathedrale stammt aus dem 13. Jahrhundert und ist eine der bedeutendsten gotischen Kirchen der Region. Für einen Augenblick verziehen wir uns in den düsteren Bauch des Gotteshauses und tanken harmonische Ruhe.
Als sich am Nachmittag unsere Bäuche mit einem leichten Knurren zu Worte melden, schlemmen wir erneut einen knusprigen Flammkuchen. Denn hält man sich nicht an die traditionellen Essenszeiten, bleibt einem keine grosse Menüwahl. Viele Restaurants öffnen ihre Tore lediglich mittags von zwölf bis zwei und abends ab sieben Uhr. Eine Gegebenheit, die uns hinsichtlich der reichlich potentiellen Kundschaft mehr als verblüfft.
Kulinarisch befriedigt verziehen wir uns für eine Verdauungs-Siesta in unser behagliches Schlafgemach im zweiten Obergeschoss. Durch die offenen Fenster dringen eine sanfte Brise sowie das Stimmengewirr der lebhaften Gasse. Doch die Lage unseres Hotels inmitten „Petite Venise“, der reizvollsten Ecke Colmars, ist unschlagbar und ich bereue meine Wahl keineswegs.
Abends ergattern wir in einem idyllischen Restaurant einen Tisch unmittelbar am Wasser. Auf der Speisekarte lümmeln nebst internationalen Klassikern elsässische Spezialitäten. Ich probiere Bibeleskäs, ein pikanter Quark mit Zwiebeln und Knoblauch, der mit Käse, Kartoffeln und Salat gereicht wird. Das Mahl schmeckt köstlich und entspricht eigentlich unserem Schweizergericht „Gschwellti“. Ein Glas Wein aus der Gegend perfektioniert die Gaumenfreude wie den romantischen Sommerabend.
Samstag. Entsprechend voll ist der regionale Hochgeschwindigkeitszug. Auf den Schienen fegen wir ins vierzig Minuten entfernte Strasbourg. Die grösste Stadt des Elsass beherbergt knapp 300‘000 Menschenseelen. Die Altstadt wurde 1988 in die UNESCO-Welterbeliste aufgenommen und ist zu grossen Teilen autofrei. Die Innenstadt ist zwar grösser wie jene von Colmar, aber dennoch einigermassen überschaubar und bequem zu Fuss zu durchstreifen, was uns gefällt.
Zuerst steuern wir das alte Gerbeviertel „Petite France“ an, das in der Nähe des Bahnhofs liegt. Es ist der wohl entzückendste Winkel der Stadt, geprägt durch schmucke Fachwerkhäuser und Kopfsteinpflastergassen. Durchzogen von Kanälen und Brücken, verströmt das „Kleine Frankreich“ einen Hauch von Venedig.
Diese Augenweide zieht haufenweise Schaulustige an, doch wir haben es nicht anders erwartet, zumal es Sommerferienzeit und obendrein Wochenende ist. Vormittags ist bereits einiges los und wir ahnen nicht im geringsten, dass es nachmittags zu- und hergeht wie auf einem Rummelplatz.
Früher das Viertel der Gerber, heute ein Besuchermagnet. Charakteristisch für die gut erhaltenen Gerbehäuser ist die Nähe zum Wasser, das zum Ausspülen der Häute in grosser Menge benötigt wurde. Bezeichnend sind auch die gestuften Giebel mit den offenen, langgestreckten Dachluken, die einst zum Trocknen der Häute bestimmt waren, welche erbärmlich stanken. Wegen des üblen Geruchs wurden die Gerber damals an den südwestlichen Rand der Innenstadt verbannt – heute das Bilderbuchviertel von Strasbourg.
Gemächlich spazieren wir weiter, erst dem Ill-Ufer entlang, dann vorbei an weiteren Sehenswürdigkeiten bis zur Cathédrale Notre-Dame. Ein Meisterwerk der Gotik. Das wuchtige Münster ist von einem riesigen Platz umgeben, wo das touristische Leben tobt. Das eindrucksvolle Gotteshaus, dessen Turm rund 160 Meter in den wolkigen Himmel ragt, hat über tausend Jahre auf dem Buckel. Zähneknirschend beissen wir in den sauren Apfel und reihen uns in die wartende Schlange für das Erklimmen von stolzen 66 Metern Höhe.
Hoch hinaus. 332 Stufen führen uns durch ein Labyrinth aus Strebebögen, Dächern und Statuen hinauf zur luftigen Plattform. Aus schwindelerregender Höhe blicken wir über ein weites Dächermeer. Die Häuser schmiegen sich dicht an dicht, ebenso kleben die Dächer aneinander. Etwas ausser Atem widmen wir uns der Rundumsicht und verweilen, bevor wir uns wieder ins Getümmel wagen.
Um das Innenleben der himmlischen Kathedrale unter die Lupe zu nehmen, stehen wir wieder eine Weile an. Dem ehrwürdigen Bau raubt Geschwafel und Kindergeschrei das göttliche Ambiente. Unverhofft ertönt eine eindringliche Stimme aus dem Lautsprecher: „Pssst, please be silent.“ Blitzschnell tritt Totenstille ein. Doch schon innert weniger Minuten ist alles wieder beim Alten…
In Strasbourg wimmelt es von Adressen für Geniesser. Frühabends runden wir unsere Stadttour in einer Kneipe am Flussufer mit einem Schluck Bier und – wie könnte es anders sein – einem traditionellen Flammkuchen ab.
Wieder zurück in Colmar, machen wir uns auf die Suche nach einem netten Lokal, um den letzten Abend im Elsass gebührend ausklingen zu lassen. Kein einfaches Unterfangen, zumindest nicht mit unseren Ansprüchen. Die grossen, eng bestuhlten Gaststätten sind weniger unser Ding, die charmanten Restaurants hingegen proppenvoll und die niedlichen Cafés abends geschlossen. Nach einer Ehrenrunde finden wir ein freies Plätzchen in einer ruhigen – na ja fast zu ruhigen – Seitengasse.
Ergiebiges Ausschlafen beschert uns ein spätes Morgenessen. Und leider keinerlei Platz im begehrten Innenhof – doch auch drinnen schnabuliert sich gut. Mittags checken wir aus unserer Wohlfühloase aus und bringen das letzte Stündchen auf einer schattigen Parkbank um, bevor der Zug in Richtung Schweiz loslegt.
Es war ein völlig entspanntes und genussvolles verlängertes Wochenende, trotz des manchmal lästigen Besucheransturms. Für einmal ein paar Tage Auszeit der etwas anderen Art, verbringen wir unsere freien Tage ansonsten eher in der heimischen Bergwelt und die Ferien in exotischer Ferne…
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