Endlose Strände – von Vilankulo bis ans Südende
Der erste laue Abend in Mosambik. Der Vollmond funkelt an einem klaren Nachthimmel. Müde vom heutigen Tauchen im vorgelagerten Bazaruto-Archipel kraxeln wir dennoch frühzeitig in unser Schlafgemach. Auf das selige Schlummern folgt ein schier wolkenloser Tag bei 30 Grad – so haben wir uns die afrikanischen Breitengrade vorgestellt. Nach ein paar Besorgungen sind wir trotzdem schon um halb zehn unterwegs, auf dem Rückweg in den Süden. Die Fahrzeugvermietung verbietet es, von Vilankulo weiter nordwärts zu fahren, respektive der Versicherungsschutz erlischt. Der touristisch gut erschlossene Teil endet bald, im Norden ist Mosambik kaum auf Besucher eingestellt.
Es lockt ein Abstecher nach Pomene, einem Naturschutzgebiet auf halber Strecke zwischen Vilankulo und Inhambane. Eine unbefestigte, 50 Kilometer lange Strasse zweigt von der EN1 ab. Nach einer geraumen Weile weicht der harte Untergrund weichem Tiefsand. Wie so oft auf unserer Reise durch Südmosambik reduzieren wir den Pneudruck, um die Allradzufahrt gut zu meistern. An der Schranke zum Pomene National Reserve heisst uns ein junger Afrikaner mit einem süssen Lächeln willkommen und knöpft uns ein Eintrittsgeld ab. Danach bittet er herzerweichend, den platten Reifen seines Motorrades aufzupumpen. Aber sicher, gerne – ein Klacks für unseren Kompressor.
Die wildromantische Strecke durch das Naturschutzgebiet führt durch dicht bewachsene Sanddünen, vorbei an niedrigem Buschwerk. Niemand weit und breit, auch begegnet uns nur ein einziges Fahrzeug. Zum Glück, denn die Piste verläuft einspurig und zum Kreuzen bleibt häufig kaum Platz. Ans Meer gelangt, leuchtet das Wasser marineblau in der nachmittäglichen Tropensonne. Ein hinreissender Küstenstreifen, nur einen Campingplatz gibt es zu unserer Enttäuschung anscheinend nicht. Keine Lust auf eine modrige Kammer, ändern wir letztendlich unsere Strategie und fragen nach einem geeigneten Plätzchen zum Zelten. „Fragt Satane, den Chief, den Dicken dort hinten“, rät ein Passant und zeigt mit dem Finger auf einen Mann mit Bauchansatz in der Dorfkneipe. Höflich stellen wir uns dem Dorfchef vor. Hilfsbereit pfeift Satane einen jungen Kerl herbei, der uns an einen naheliegenden Strandplatz eskortiert, wo ein paar verlassene Bungalows allmählich verrotten.
Perfekt. Unsere Hartnäckigkeit zahlte sich aus. Das erste Mal übernachten wir unmittelbar am Strand. Zufrieden schweift unser Blick über den weissen Sand aufs Meer. Gelegentlich kommt jemand vorbei, ob wir noch dies oder jenes brauchen. Einer charmanten Strahlefrau kaufen wir einen Bund Bananen und ein paar Kartoffeln ab, rein aus Gefälligkeit. Danach werden wir in Ruhe gelassen, die Mosambikaner zeigen sich generell eher zurückhaltend. Die Dämmerung bricht ein, Roland entfacht ein Feuer. Das Knistern des Holzes mischt sich mit dem Rauschen des Ozeans. Später erklimmt der Vollmond die Himmelsleiter und wirft sein helles Licht in unser Freiluftwohnzimmer.
Ein warmer Morgen läutet einen unvergesslichen Tag ein. Erstmals kosten wir unseren idyllischen Fleck bei einem gemütlichen Frühstück aus. Im Verlaufe des Vormittags krebst das Meer weit zurück. Der Strand ist sehr flach und bei Ebbe werden riesige Sandbänke offengelegt, dazwischen bleibt Wasser zurück, das im Sonnenlicht magisch schimmert. Glücklich wandeln wir über den nassen, mit Wellenmustern verzierten Sand und peilen die schroffen Klippen weit aussen an. Schwungvoll klettern wir bergan, um das Postkartenidyll von oben zu würdigen. „Was ist dort im Wasser?“, frage ich mich laut. Was ausschaut wie ein kenterndes Boot, entpuppt sich schliesslich als Wal. Unser Puls beschleunigt sich, mir entweicht ein vergnügter Jauchzer. Immer wieder erhebt sich der schwerfällig wirkende Meeressäuger aus dem tosenden Nass, schlägt mit seiner markanten Flosse um sich. Der tonnenschwere Brocken schiesst sogar rücklings wie eine Rakete aus den Fluten und sonnt in Sekundenschnelle seinen weissen dicken Bauch, um danach mit voller Wucht aufs Wasser zu klatschen. Wow, ein Buckelwal in voller Pracht. Noch mehrere Walspektakel folgen. Wir können uns kaum sattsehen, sind schlichtweg überwältigt.
Es ist schon Nachmittag, als wir fast etwas wehmütig weiterziehen. Nach der tiefsandigen Piste wieder Teer unter den Rädern, stocken wir in der nächsten Stadt mit dem wohlklingende Namen Massinga unsere Vorräte auf. Weiter ins nahegelegene Morrungulo, zum zweiten. Und doch zeigt sich der Strandort wie neu – was sonnige Witterungsverhältnisse auszumachen vermögen. Wir lassen uns an der Küste nieder. Wir allein auf einem grossen Campingplatz, der wie eine gepflegte schattige Gartenanlage anmutet. Nach einer Tasse dampfenden Kaffee aus der Campingküche legen wir uns in den Halbschatten am Strand und lauschen dem Rascheln der Palmen, derweil die letzten Sonnenstrahlen durch dessen Wedel blinzeln.
Auch hier ist der Strand flachabfallend und morgens bei Ebbe verschwindet das Meer fast ausser Sichtweite. Zurück bleibt ein weisser Sandstreifen, breiter wie ein Fussballfeld, übersät mit glitzernden Wasserlachen. Neckisch spiegeln sich Wolkengebilde im nassen Sand, wo die Brandung dekorative Muster im Sand geschaffen hat. Begeistert schweifen wir über den fast menschenleeren Strand. Trotz Sonntag sind nur ein paar Fischer hier. Harmonische Momente, der wahre Frieden.
Weiter südwärts. Auf der Fahrt offenbaren sich wie immer die kräftigen Farben des afrikanischen Alltags. Fotomotive gäbe es zu Hauf: Stolzierende Frauen, die geübt allerhand Ware auf ihrem Haupt balancieren – von Feuerholz bis Wassereimer. Verschmitzte Kindergesichter. Oder mit Menschen und Allerhand überladene Pick-Ups. Die Einheimischen reagieren auf uns Weisse ganz verschieden. Häufig verfolgen uns skeptische, eher düstere Gesichtszüge, manchmal neugierige Augen und gelegentlich schenkt uns jemand ein Lächeln oder winkt übermütig. Auf ein Hallo oder ein Handzeichen unsererseits ist keine Reaktion garantiert, nicht selten ernten wir nur starre Blicke.
Erneut peilen wir die Halbinsel von Inhambane an. Zuletzt gelangen wir über Sandpfade an einen der Strände südlich von Tofo, an der oft windgeplagten Meeresküste, die vor allem Hochseefischer und Taucher anlockt. In Praia de Jangama lassen wir uns auf einem ausgestorbenen Zeltplatz nieder – es macht beinahe den Anschein, als hätten wir den Besitzer aus dem Winterschlaf geholt. Der Panoramablick über die leicht geschwungene Bucht mit den in den blauen Himmel aufragenden Sanddünen ist fantastisch und lädt zu einem ausgedehnten Strandbummel ein. Das Wasser punktet mit satten Blautönen, Wellen donnern schäumend an den Strand. Die Zehen im feinen Sand – wir könnten endlos weitergehen.
Zurück zur Fernstrasse EN1 wählen wir eine Abkürzung, zumindest bezüglich der Distanz. Zeitlich gesehen ist das schliesslich eine ganz andere Geschichte. Die Allradpiste wird immer schmaler, die Äste der Bäume hängen tief. Unser Vehikel kämpft sich durch kratzendes Gestrüpp und wir kommen nur langsam voran. Fahrspuren sind längst keine mehr auszumachen, nur vereinzelte Fussabdrücke im Sand. Doch unser praktisches Offline-Navi gibt uns wenigstens die Sicherheit, auf der richtigen Spur zu sein, bis der kärgliche Feldweg endgültig im Sande verendet. In der stetigen Hoffnung nicht im butterweichen Boden steckenzubleiben, tut sich plötzlich ein neues Weglein auf – gemäss GPS-Signal sind wir zwar mitten im Nirgendwo. Doch die Richtung stimmt und irgendwann sind auch die harzigen fünfzehn Kilometer gefressen und wir rollen wieder geschmeidig auf Asphalt. Am Dorfausgang von Jangamo pustet unser Kompressor unter neugierigen Blicken laut brummend unsere Reifen wieder auf…
Tiefer im Süden biegen wir zur Lagoa Quissico, einer küstennahen Lagune ab. Hungrig frönen wir einer Mittagsrast am türkisfarbenen, mit Kokoswäldern umstandenen See. Weiter des Weges landen wir auf einer erhabenen Sanddüne, von oben das tiefblaue Meer überblickend. Ein einsamer Fleck. Ausser einem Fischer ist weit und breit keine Menschenseele auszumachen. Wir bleiben. Kurz entschlossen, die Nacht hier in der Wildnis zu verbringen. Einen friedlichen Nachmittag genossen, bricht eine sternenklare Nacht über uns herein und mit ihr auch bald die Müdigkeit. Wir fallen meistens früh ins Bett, aber erwachen auch früh – am besten wirft man die gewohnten Schlafenszeiten über Bord und passt sich dem Tageslicht an.
Sechs Uhr. Bereits brennt die afrikanische Sonne von einem wolkenlosen Himmelsdach, der rauschende Ozean strahlt in glänzendem Blau um die Wette. Frühstück mit Meerblick. Ein heisser Tag nimmt seinen Lauf, das Thermometer krabbelt später bis 34 Grad… Zugegeben, das Gefühl, dass jemand auftauchen könnte und etwas gegen unser Nächtigen hier einzuwenden hat, verlässt uns nie ganz, doch letztendlich entpuppt sich unsere Sorge als vergebens.
Wieder auf Achse. Für den Mittagsschmaus bietet sich auch heute kein ideales Plätzchen an. Schliesslich parken wir unter einem schattenspendenden Baum an der Hauptstrasse, wo im Augenblick nichts los zu sein scheint. Beim Schnabulieren unseres Picknicks fallen uns plötzlich Menschen auf der anderen Strassenseite auf, die in der gleissenden Mittagssonne mühselig Wasser aus der Tiefe pumpen. Die schwere Kopfladung an unserem Rastplatz vorbei schleppend, beschleicht uns ein beklemmendes Gefühl…
Angeblich hat die Hälfte aller Mosambikaner noch immer keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser, was mitunter Schuld an der hohen Zahl der Infektionskrankheiten ist. Das Gesundheitswesen war schon zu Kolonialzeiten ein grosses Manko und mit Erlangen der Unabhängigkeit 1975 verliessen 80 Prozent der portugiesischen Ärzte das Land. Heute ist Mosambik erschreckend unterversorgt – statistisch gesehen kommt nur ein Arzt auf knapp 16‘000 Einwohner. Auch die Immunschwächekrankheit Aids breitet sich ständig weiter aus und die Sterblichkeitsrate infolge HIV ist hoch. Wie viele Drittweltländer hat Mosambik eine auffallend junge Bevölkerung. Das Durchschnittsalter liegt bei jungen 17 Jahren, während die durchschnittliche Lebenserwartung lediglich 53 Jahre beträgt. Eindrückliche Zahlen.
Bewölkt und regnerisch. Nach einem angenehm milden Abend an der Lagune von Bilene, gehören die sommerlichen Sonnentage leider vorübergehend der Vergangenheit an. Zwanzig Grad sind das Allerhöchste der Gefühle. Vor uns liegt ein reiner Fahrtag – für 300 Kilometer benötigen wir geschlagene sechs Stunden. Je weiter südlich und je näher wir uns an die Hauptstadt Maputo vorantasten, desto höher das Verkehrsaufkommen. Lastwagen sind im Schneckentempo unterwegs, das Überholen auf der zweispurigen Strasse ist mühsam. Und nicht ungefährlich, setzen ungehobelte Autofahrer zu einem blinden Überholmanöver an. Radarkontrollen an jeder Ecke, dreimal stoppt uns die Polizei. Peinlichst achten wir immer auf die zugelassene Höchstgeschwindigkeit und so bleibt es beim Zücken der Ausweise.
Maputo liegt nur noch 100 Kilometer von Südafrika, und ebenso weit von Swaziland entfernt. Das städtische Gewusel der lebendigen Metropole, wo Armut und Not allgegenwärtig sind, umfahren wir grossräumig. Ein trister Anblick. Grau in Grau. Die Farbe der armseligen Häuser in den Vororten und jene des Himmels unterscheiden sich heute kaum. Die Hauptstadt im Rückspiegel, das Maputo Elephant Reserve im Visier. Die Gründung geht auf die 1960er Jahre zurück, als deutlich wurde, dass die einst so zahlreichen Elefanten vom Aussterben bedroht waren. Das Schutzgebiet erstreckt sich südlich der Maputo Bay rund 50 Kilometer entlang der Küste und misst 1000 Quadratkilometer, ist also etwa so gross wie der Kanton Thurgau.
Tiefsandige Fahrwege ziehen sich durch das liebliche Hügelland des Reservats. Sanfte Erhebungen verlaufen wellenförmig, dazwischen liegen Seen und Sümpfe, umrahmt von buckligen Grasflächen mit kurzen widerspenstigen Gräsern. Die Allradpisten schlängeln sich gelegentlich durch dichten Dschungel. Dort ist es für Rotducker, die scheuen kleinen Antilopen, ein Leichtes, sich blitzschnell zu verdrücken. Nach einer zweistündigen Pirsch erlangen wir kurz vor Einbruch der Dämmerung endlich den zugewiesenen Campingspot am wütenden Indischen Ozean. Die Bezeichnung Campingplatz ist hochgegriffen, handelt es sich momentan eher um eine Baustelle und ein Arbeiterlager, wie um einen ansehnlichen Übernachtungsplatz. Überall verteilt sich Gerümpel und Müll, wir sind entrüstet. Der entlegene Küstenstrich mit seinen Sanddünen zwar fabelhaft anmutend, kommen auch am nächsten Morgen keinerlei Farben zur Geltung. Vor dem Camp liegt frischer Elefantenkot – weit können die Dickhäuter also nicht sein. Auf einem Hügel in der Ferne schwingt ein einsamer Elefantenbulle seinen Rüssel. Doch auf unserer Safari sind insgesamt nur wenige Wildtiere anzutreffen. Verkriechen sie sich vor dem strömenden Regen? Oder ist Wilderei noch immer an der Tagesordnung? Menschen hausen jedenfalls im Reservat. Eine Situation, die verdutzt, genauso wie im Limpopo Nationalpark. Der Natur- und Wildschutzgedanke ist in Mosambik noch nicht sonderlich ausgeprägt…
Ponta do Ouro ist nicht mehr weit. Nur noch 40 Kilometer sind es bis zur „Goldspitze“, wie die portugiesischen Seefahrer die weite Dünenlandschaft am Südende Mosambiks tauften. Von Vilankulo, dem nördlichsten Punkt unserer Reise, trennen uns mittlerweile knapp 900 Kilometer… Wo man früher über eine Tiefsandstrecke ins touristische Nest holperte, gleiten wir heute über eine brandneue Teerstrasse – der frühere Hauch von Abenteuer geht verloren. Ponta do Ouro schmiegt sich an eine wohlgeformte Bucht und mutet zu Ferienzeiten wie eine südafrikanische Enklave an, auch jetzt am Wochenende herrscht etwas Betrieb. Trotz unaufhörlichen Regengüssen klappen wir unser Dachzelt auf, denn die Zimmer der Unterkunft schauen nicht sehr behaglich aus.
Neuer Tag, neues Wetterglück? Petrus lässt leider nicht mit sich verhandeln und der Morgen begrüsst uns wieder klatschnass. Von allen Seiten trägt uns der Wind böenartig Sprühregen entgegen, wir vermissen einmal mehr eine witterungsgeschützte Stube. Nach dem Frühstück retten wir uns nochmals ins Zelt hinauf und erst mittags quälen wir uns wieder aus dem Bett. Unter einer tief hängenden Wolkendecke flanieren wir ins Dorf und verwöhnen uns mit einer Pizza. Wider Erwarten subito auf den Tisch gezaubert, mundet das Mahl lecker wie beim Italiener. Obendrein lassen wir uns von der gegenüberliegenden Bäckerei kulinarisch verführen, hamstern sogleich vielerlei Süssigkeiten. Mangelt es an Sonnenschein, erhellen immerhin feine Kalorien unsere Mienen…
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