Esfahan – islamische Perle
“Nein, wir haben kein freies Zimmer verfügbar”, enttäuscht uns der Herr am Telefon, reicht den Hörer jedoch weiter an einen sogenannten Driverguide, ein Fahrer und Führer zugleich. “I can find a hotel for you”, bietet Hamid freundlich an, “call me in the afternoon”. Gerne nehmen wir sein Angebot an… In der Regel buchen wir Unterkünfte nicht gerne im voraus, bevorzugen bei Ankunft ein Zimmer erst in Augenschein zu nehmen. Aber die jetzige Hochsaison macht uns etwas Angst und wir befürchten, im beliebten Esfahan, unserem nächsten Ziel, keine Bleibe zu finden. Andere Touristen erzählen uns von ihren Erfahrungen, haben alle erwähnten Unterkünfte im Reisehandbuch kontaktiert und nur Absagen erhalten. Manchmal scheint es aber auch ein sprachliches Problem zu sein und der Telefonhörer wird kurzangebunden aufgelegt.
Ein Sessel wie in einem Wohnzimmer – der VIP-Bus bietet viel Platz und Beinfreiheit. Dafür bezahlen wir gerne ein paar Dollar mehr, denn die Busfahrt von Shiraz nach Esfahan soll sieben Stunden dauern. Die vorbeiziehende Gegend präsentiert sich karg und trocken, grüne Felder setzen hin und wieder einen Farbakzent. Stets begleiten uns die schroffen Gebirgsketten des Hochlandes. Etwas verspätet erreichen wir unser Ziel und Hamid erwartet uns bereits sehnlichst am Busterminal. Der sympathische Mann chauffiert uns in das von ihm reservierte Hotel und hilft beim Einchecken, denn der junge Iraner an der Rezeption spricht kaum Englisch. Alles klappt wie am Schnürchen und wir bereuen nicht, dem hilfsbereiten Hamid die Hotelsuche überlassen zu haben.
Isfahan liegt knapp 1600 Meter hoch und weist ein gemässigtes Klima auf. Mittlerweile klettert das Thermometer jedoch trotzdem auf 30 Grad und nachts kühlt es nur noch wenig ab. Die grüne Grossstadt liegt an einem Fluss, überall sorgen Bäume für willkommenen Schatten. Die Einwohner sind sehr stolz auf ihre Stadt, die berühmt ist für ihre Gärten, Paläste und türkisfarbenen Kuppeln – so auch Hamid. Er ruft uns an und fragt, ob alles in Ordnung sei – wirklich rührend. Nebenbei erwähnt er noch einmal seine geführten Stadttouren, ist aber in keiner Weise aufdringlich, was wir schätzen. Wir bevorzugen es trotzdem, alleine loszuziehen – die meisten Sehenswürdigkeiten liegen sowieso in Gehdistanz.
Zuerst zieht es uns zum berühmten Platz, dem Meydan-e Iman. Dessen Ausmass ist enorm und entspricht mit 500 Metern Länge und fast 200 Metern Breite rund 15 Fussballfeldern! Ringsherum ist der Platz von doppelstöckigen Arkaden gesäumt, welche unzählige Geschäfte und Arbeitsstätten von Handwerkern beherbergen. Der riesige Platz selbst ist bereits ein Highlight, darüber hinaus beherrschen alle vier Seiten weitere imposante Bauwerke – das prunkvolle Eingangstor zum Bazar, ein alter Palast und zwei zauberhafte Moscheen. Die Imam-Moschee ist ein mächtiges Gebetshaus, eingekleidet mit Kacheln, auf dessen blauem Grund Ornamente in Gelb- und Grüntönen schimmern. Die wuchtige Kuppel ragt über 50 Meter hoch auf. Restaurationsarbeiten mit Gerüsten, Lärm und Staub überschatten leider den Glanz des prunkvollen Baus. Die in Blautönen gehaltene Lotfollah-Moschee ums Eck ist ein kleines, aber feines Schmuckstück. Rolands Kamera läuft auf Hochtouren – wir können uns kaum sattsehen!
Oft werden wir angesprochen – manchmal bleibt es bei einem “Hallo, woher kommt ihr?” oder “Welcome to Esfahan!”, aber wenn es das Englisch unseres Gegenübers zulässt, werden wir schnell in ein richtiges Gespräch verwickelt. Ali ist, wie viele Iraner, neugierig und offen. Nach einem kurzen Wortwechsel bittet er um ein Foto mit mir, drückt mich fest an sich. Später treffen wir den gesprächigen Mann zufälligerweise wieder, setzen uns ans Wasserbecken in der Mitte des Platzes, wo riesige Fontänen aufschiessen, und plaudern gemütlich. “Magst du das Kopftuch?”, fragt er mich mit skeptischem Blick. Ich verneine und stelle ihm dieselbe Frage. Aber auch er mag Kopftücher nicht. “Women are more beautiful without scarf”, lächelt er. Im weiteren Gesprächsverlauf kommen wir auf Schwimmbäder zu sprechen, die hier im Iran nur nach Geschlechtern getrennt existieren. Ali erkundigt sich, ob das auch bei uns so ist. Auf unser Kopfschütteln kriegt er glänzende Augen und juchzt: “Oh, wenn ich in die Schweiz komme, dann gehe ich ins Schwimmbad. Tragen dort alle nur ganz knappe Kleider?” Uns werden die Konsequenzen des verschleierten Landes so richtig bewusst – was für uns ganz normal ist, bleibt für Ali eine verborgene Welt.
Mittlerweile ist der gigantische Platz bevölkert. Viele Einheimische lieben es, gegen den Abend herzukommen, ihre Decken auszubreiten, um ein Picknick zu zelebrieren oder genüsslich eine Tasse Tee zu schlürfen. Sämtliche Bauten am Platz sind hübsch beleuchtet. Vergeblich suchen wir ein sogenanntes Teehaus oder ein Café, wo wir gemütlich etwas trinken und das Treiben beobachten können. Aber das gibt es leider nicht, für uns fast unverständlich. Kein Wunder, bringen die Iraner ihre Picknickkörbe und Thermoskannen selber mit…
Der überdachte Bazar ist ein regelrechtes Labyrinth aus Gassen mit Hunderten von Läden, die von Kunsthandwerk über Klamotten bis Esswaren alles nur Erdenkliche verkaufen. Drinnen ist es angenehm kühl, was mir wegen vorgeschriebener langer Bekleidung und Kopfschleier sehr entgegen kommt. Eigentlich ist ein solcher Bazar nichts anderes wie eine klimatisierte Shopping Mall vergangener Zeiten…
Wir lassen uns treiben und finden uns plötzlich am Eingangstor der Jameh-Moschee. Die grösste Moscheeanlage des Irans liegt inmitten des Bazarviertels. Jameh steht in der persischen Sprache für Freitag. Eine Freitagsmoschee ist die Hauptmoschee einer Stadt, in der Muslime freitags gemeinschaftlich das “Sonntagsgebet” verrichten. Der Bau wurde bereits im 11. Jahrhundert erstmals errichtet und besticht mit wunderschönen Mosaiken in Dunkelblau und Türkis sowie einer gewaltigen Kuppel. In grossen Gebetshallen stehen dickstämmige Säulen aus naturfarbenen Ziegeln in Reih und Glied. Wir verweilen, staunen und geniessen die wundervolle Atmosphäre.
Das Geld geht uns aus, schneller als gedacht, und wir halten Ausschau nach einer Wechselstube. Der Iran ist in den letzten Jahren teurer geworden. Auf die angegebenen Preise im Reisehandbuch ist kein Verlass. Die Eintrittspreise der Sehenswürdigkeiten haben sich innert Kürze verdoppelt. Sei es eine Moschee oder ein Museum, meistens bezahlen wir für den Eintritt sechs Franken pro Person, was sich bei den vielen Kulturgütern summiert. Beim Kauf von zwei Tickets erhalten wir stets vier, damit der Totalbetrag wieder stimmt. Die Einheimischen zahlen nichts oder einen Bruchteil unseres Touristenpreises – die persischen Zahlen wissen wir inzwischen zu entziffern…
Wir tauschen also ein paar Hundert Dollar und im Nu bewegen wir uns wieder unter Multimillionären. Aber die Freude währt nur kurz, denn eine Million Rial ist lediglich 30 Franken wert. Im Iran geht für uns Touristen alles über Bargeld. Es gibt zwar Bankomaten, aber diese taugen nur für iranische Karten. Reisechecks werden nicht akzeptiert und vom internationalen Kreditkartensystem ist der Iran ausgeschlossen. Somit muss das Geld für den gesamten Aufenthalt in bar mitgebracht werden. Wir fühlen uns im Moment wie eine wandelnde Bank und hoffen, es wird kein “Banküberfall” auf uns verübt.
In gepflegten Gartenanlagen liegen historische Paläste – einer davon ist der Chehel Sotun, der Palast der 40 Säulen. Das reizende Gebäude wird zur Zeit saniert, wie so viele Bauten der Stadt, und ist auf einer Seite von einem Gerüst verunstaltet. Trotzdem ist der märchenhafte Palast eine Augenweide… Eine grosse Schulklasse taucht auf, die Mädchen tragen dunkle, biedere Schuluniformen. Sie stürmen mir entgegen, zerren mich an den Händen und drängen um ein Foto mit mir. Ein Fotograf drückt unzählige Male den Auslöser, bis jede der aufgeschlossenen Schülerinnen ein Bild mit mir an ihrer Seite hat. Der Kameramann druckt die Bilder noch vor Ort aus – das Grösste für die Zwölfjährigen. Noch einmal bestürmt mich die Mädchenmasse und bittet um Autogramme. Behandelt wie ein Star, fühle ich mich mit Kopftuch aber eher wie eine Vogelscheuche…
Müde vom Fotoshooting gönnen wir uns eine Pause in einem grossen Park. Ein alter Herr spricht Roland freundlich an, überrascht uns mit nahezu perfektem Deutsch. Das Kompliment weist er jedoch vehement von sich, seien seit seinem Deutschlandaufenthalt viele Jahre verstrichen und er habe viel vergessen. Roland unterhält sich bestens mit dem pensionierten Lehrer, es entsteht ein spannendes Gespräch – ich lausche. Männer sprechen in der Regel Männer an, und Frauen suchen mit Frauen das Gespräch. Viele Iraner begegnen uns mit einer Offenheit und Neugier, verwickeln uns ohne Hintergedanken in einen Schwatz. In vielen Ländern ist ein kurzes Gespräch oft der Einstieg in ein vermeintliches Geschäft, was im Iran aber selten der Fall ist und uns tief beeindruckt.
Mehrere rund 400 Jahre alte Brücken überspannen den Fluss – die “Si-o Se Pol” ist mit 300 Metern und 33 Bögen die längste. Über das historische Meisterwerk gelangen wir in das Armenierviertel Jolfa, im Süden der Stadt gelegen. In dieser Gegend leben ein paar Tausend Christen, mehrere Kirchen zeugen davon. Die Vank-Kathedrale unterscheidet sich jedoch kaum von einer Moschee, wäre da nicht ein freistehender Glockenturm und ein kleines Kreuz auf der Kuppel. Das Innenleben besticht durch eine Kombination aus islamischen Kachelmustern und christlicher Bemalung – ein spezielles Gotteshaus.
Abends sind die Brücken dezent beleuchtet, was den schmucken Bauwerken einen Zauber verleiht. Wir schlendern dem Wasser entlang, wie es viele Einheimische auch tun. Immer wieder setzen wir uns ans Ufer und geniessen die sagenhafte Abendstimmung. Wir lassen die vergangenen Tage in Esfahan gemütlich ausklingen. Fünf Tage, geprägt von verblüffenden Bauwerken und wunderbaren Menschen!
Kommentare
Esfahan – islamische Perle — Keine Kommentare
HTML tags allowed in your comment: <a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <s> <strike> <strong>