Esperance – Kängurus am Strand
In herrlicher Abgeschiedenheit an einer Bucht liegt Esperance, der grösste Ort weit und breit. Über 700 Kilometer von Perth entfernt – zurückgelegt haben wir jedoch bereits das Doppelte… Die kleine Hafenstadt entstand während des Goldrausches Ende des 19. Jahrhunderts. Heute wird die Gegend landwirtschaftlich genutzt und es werden Getreide und Mineralien exportiert. Die dörfliche Atmosphäre ist entspannt, der wahre Reiz liegt jedoch nicht in der Kleinstadt selbst, sondern in ihrer bevorzugten Lage am Meer…
Der Great Ocean Drive bildet eine 40 Kilometer lange Schleife durch die berauschende Umgebung. Von Westen kommend, kommen wir erst im Landesinneren am Pink Lake vorbei. Die rosarote Farbe verdanke der See einer Algenart, aber die Farbintensität komme auf die Lichtverhältnisse an, meint unser Reisehandbuch. Durch den bedeckten Himmel dringen nur vage Sonnenstrahlen und der Pink Lake wirkt heute eher grau. „Da nützt alles Pinkeln nichts“, witzelt Roland, nachdem er im Gebüsch seine volle Blase entleert hat. Öffentliche Toiletten sind in Australien vielfach rar…
Die Strasse schlängelt sich weiter auf die Küste zu, wo eine Bucht an die nächste grenzt. Von der Panoramaroute bieten sich stimmungsvolle Aussichtspunkte auf den Ozean sowie die vorgelagerten Inseln und Inselchen. Die langen weissen Sandstrände und das türkisblaue Wasser leuchten nur noch gelegentlich in der Sonne, denn eine schwarze Wolkenwand drängt sich bedrohlich auf. Früher wie erwartet giesst es in Strömen und unsere Spazierfahrt nimmt ein jähes Ende. Deshalb suchen wir am Rande von Esperance frühzeitig einen Campingplatz auf. Der auffrischende Wind verübelt uns einmal mehr das Kochen auf dem fix an unserem Camper installierten, ausziehbaren Gasherd. Widerwillig nutzen wir für ein warmes Abendessen die allgemeine Campingküche – muffig wie meist, überhaupt nicht unser Ding.
Montagmorgen kurz nach neun. In der Toyota Garage schiebt sich ein Fachmann unter unser Gefährt, sieht sich das Getriebe aus nächster Nähe an. Seit der Fahrzeugübernahme ist der untersetzte Geländegang verkorkst. Als wir es nicht zustande brachten, den L4 einzulegen, zweifelten wir an uns selbst. Doch nun haben wir Gewissheit. Für die notwendige Reparatur erhalten wir „erst“ einen Termin für den nächsten Tag – mit der aufgesetzten Mitleidsmiene dann glücklicherweise für denselben Nachmittag… In der Zwischenzeit widmen wir uns einer nächsten, unverhofft schwierigen Mission. Neue Pfannen sind gefragt, die vom Vermieter mitgegebenen, zwar nagelneuen Töpfe versagen bereits nach kurzer Kocherei. Die Beschichtung löst sich, alles klebt fest, das Blech fängt sogar zu rosten an. Unfassbar, nach unserer Shopping-(Tor)tour stehen wir zwar immerhin mit einer neuen Bratpfanne, aber noch immer ohne Kochtöpfe da. In den Warenhäusern ist die Auswahl bedenklich klein, etwas Passendes leider nicht dabei. Im Fachgeschäft hingegen protzen nur Exemplare für 200 Dollar und mehr – zu edel für eine den Launen der Natur ausgesetzte Camperküche.
Fabelhafte Buchten und unendliches, von Granitfelsen aufgelockertes Buschland. Der Cape Le Grand Nationalpark, 60 Kilometer östlich von Esperance, hat Suchtpotential. Voller Tatendrang schnüren wir die Wanderschuhe und nehmen die 262 Höhenmeter des Frenchman Peak unter unsere Sohlen. Der Anstieg an der Ostflanke über den Granitrücken ist steil, doch das rostrot durchsetzte Gestein griffig. In einer Dreiviertelstunde erklimmen wir die interessanten, ausgesetzten Felsformationen des Gipfels. Der Wind da oben ist bissig, graue Wolken schweben über unsere Köpfe hinweg. Dennoch erfreuen wir uns an der wohlverdienten Rundumsicht, in die Weite der wunderbaren Natur.
Die Küstenlandschaft des Nationalparks wartet mit Traumbuchten auf. Oberhalb der Lucky Bay nisten wir uns für die kommenden zwei Nächte auf dem herrlich gelegenen Campingplatz ein. Wir richten unser Fahrzeug perfekt aus, um möglichst im Windschatten sitzen und kochen zu können, denn die Böen gehen durch Mark und Bein. Der Nationalpark ist erstaunlich gut besucht, der Campingplatz fast voll besetzt, was uns verwundert, da weder Sommerhochsaison, noch Wochenende oder ein Feiertag ist… Frühmorgens. Der Blick durchs Schlafzimmerfenster fällt auf den sich soeben orange verfärbenden Himmel. Ein prächtiger Tag steht uns bevor. Schnell hinunter zur Lucky Bay. Die sichelförmig geschwungene Bucht ist eine Augenweide. Gut gelaunt trampeln wir über den feinen, blendend weissen Sand. Sanfte Wellen schlagen an den Strand, das Ozeanwasser glänzt von türkis- bis tintenblau. Diese Farben sind wie nicht von dieser Welt – es ist das Paradies.
Zwei Kängurus am Strand – wir sind aus dem Häuschen. Die Lucky Bay ist zwar für sonnenbadende Känguru bekannt, doch das Glück ist nicht jedem vergönnt. Die beiden – wahrscheinlich Mamma mit Nachwuchs – lassen sich kaum von uns beirren. Munter knabbern die niedlichen Beuteltiere am angespülten Seegras, kratzen sich mit ihren kleinen Pfötchen im Fell oder fläzen sich genüsslich im Sand. Die süssen Gesellen mit den grossen Ohren kennen keine Scheu und beschnuppern uns sogar. Rolands Kamera läuft heiss – wir können uns kaum losreissen.
Der Strand zieht sich unglaublich in die Länge, doch nach zweieinhalb Kilometern haben wir endlich das andere Ende erreicht. Über schmale Sandpfade und grobe Steine stiefeln wir zur nächsten Bucht im Osten, der Rossiter Bay. Der Wanderweg über eine buschig grüne Landzunge lotst uns erst auf eine Anhöhe, wo sich aus einer neuen Perspektive atemberaubende Blicke auf die Postkartenkulisse auftun. Immer wieder kreuzen Granitfelsen unseren Weg, deren fantasievolle Musterung in verschiedensten Naturfarbtönen beeindruckt.
Nach fünf schweisstreibenden Stunden sind wir nachmittags zurück an der Lucky Bay. Die beiden Kängurus sonnen sich noch immer am Strand, nehmen nun aber plötzlich Reissaus. Federleicht wie Gummibälle hüpfen sie auf ihren kräftigen Hinterbeinen flink über den Sand… Unsere Zungen kleben am Gaumen, wir lechzen nach einem erfrischenden Drink. Den Sundowner haben wir uns nun redlich verdient. Zurück auf dem Campingplatz leisten uns auch hier ein paar Kängurus Gesellschaft. Hungrig mähen sie durchs Gestrüpp, bewegen sich wie in Zeitlupentempo fort. Hierfür verwenden die Pflanzenfresser alle „fünf Gliedmassen“ – während sie sich auf die kurzen Vorderpfoten und den langen, muskulösen Schwanz abstützen, schwingen sie langsam ihre Hinterbeine nach vorne. Entzückt stossen wir auf den gelungenen Tag an. Ein glückliches Prosit – wir sind lucky an der Lucky Bay.
Ein bedeckter Morgen, wir sind enttäuscht. Um unsere fröstelnden Glieder aufzuwärmen, nehmen wir die geplante Wanderung trotzdem in Angriff. Und siehe da, die grauen Kerle verziehen sich schneller als gedacht. Die Küstenwanderung zur nächsten Bucht im Westen beglückt uns mit sagenhaften Blickwinkeln auf den azurblauen Ozean. Schon bald zeigt sich die Thistle Cove, eine kleine zauberhafte Bucht, von rötlichen Felsklippen eingerahmt. Der feine Sand ist schneeweiss – doch nicht nur die Farbe, ja sogar das Knirschen unter unseren Füssen erinnert uns an Schnee. Die Temperaturen hingegen nicht, mittlerweile brennt die Sonne richtig heiss. Seit wir in Westaustralien auf Achse sind, ist dies der erste richtig sommerliche Tag.
Ganz spontan entscheiden wir einstimmig, noch ein drittes Mal hier zu nächtigen. Der Le Grand Beach begrenzt den Nationalpark im Westen. Dort gibt es einen zweiten kleinen Campingplatz – jeder Stellplatz einzeln von Buschwerk umsäumt. Mit Ozeanrauschen gleiten wir in den Schlaf… Auf eine laue Nacht folgt ein milder Morgen – gegen diesen Ausnahmezustand haben wir rein gar nichts einzuwenden. Ein kurzer Aufstieg bringt uns zu einem Aussichtspunkt, und der Ausblick über den langgezogenen Strand auf neue Ideen. Den Le Grand Beach zu befahren ist erlaubt, es ist sozusagen eine Abkürzung nach Esperance. Unsicher macht uns lediglich die hereinkommende Flut, so holen wir uns Rat beim ortskundigen Ranger. „Das könnt ihr vergessen“, wirft er unsere Pläne kurzerhand, aber wie befürchtet über den Haufen. Anzuraten sei die mancherorts tiefsandige Fahrt nur bei Ebbe, aber der Wassertiefstand ist erst kurz vor Dunkelheit wieder erreicht.
Etwas enttäuscht rollen wir auf dem Teer zurück nach Esperance. Nach einer koffeinhaltigen Stärkung nehmen wir – dem Glanzwetter sei Dank – nochmals eine Etappe auf dem Great Ocean Drive unter die Räder. Der Gedanke an den Halt am Twilight Beach bringt uns gleich wieder ins Schwärmen. Kristallklares Wasser plätschert in sattem Türkis vor hinreissenden Granitfelsen auf einem Landvorsprung. Dieses paradiesische Bild erinnert uns zweifellos an die lieblichen Buchten der Seychellen. Schweift unser Blick über den weissen Sandstrand und die sich dahinter auftürmenden, leicht bewachsenen Sanddünen, denken wir eher an wilde Strände in Neuseeland. Eine durchwegs reizende Kombination – die Gegend um Esperance begeistert uns jeden Tag aufs Neue!
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