Farbenspiel der Bay of Fires
Einmal mehr bringt frühes Aufstehen nichts. Bevor es draussen gemütlich wird, muss der Morgen erst die Wolken vertreiben. Wir lassen uns somit Zeit und frühstücken im behaglichen Bauch des Campers, bevor wir die Weiterreise anstreben. Von der Freycinet Peninsula lenken wir weiter nordwärts. Nur wenige Ortschaften liegen an der Strecke, verlassene Sandbuchten säumen die Küste. Gelegentlich zieht am Autofenster das satte Blau des Ozeans vorbei, oft verläuft die Strasse aber etwas von der maritimen Kulisse zurückversetzt. Dank warmer Meeresströmungen und dem Schutz der Berge ist hier das Klima auch im Winter ziemlich mild. Die Ostküste ist häufig sonnenverwöhnt, so wie heute, nachdem sich der Morgennebel endlich verabschiedet hat…
Nach rund 100 Kilometern fahren wir in St. Helens ein. Die einstige Walfängerstadt liegt hübsch an einer weit ins Land hineinreichenden Bucht. Der grösste Ort der Ostküste stellt heute ein bedeutender Fischereihafen sowie ein ruhiges Ferienzentrum dar. Benzintanken und Geldabheben, dann geht es noch ein Stück weiter. Bis nach Binalong Bay, wo es noch beschaulicher zu und her geht. Das kleine Dorf schmiegt sich an einen Hang, der sich am einen Ende der bezaubernden gleichnamigen Bucht erhebt.
Der feine Sand ist zuckerweiss und blendet enorm, wir meinen die Sonnenbrille im Fahrzeug vergessen zu haben. Beschwingt flanieren wir bis ans andere Ende des leicht gebogenen Strandes, der ein fabelhaftes Bild abgibt – jede Postkarte würde vor Neid erblassen. Eine frische Biese streift durch unser Haar, beschert mir trotz Sonnenschein in Windeseile eine Gänsehaut. Das klare Wasser mit dem eisblauen Farbton ist zwar wunderbar anzuschauen, doch hält man eine Zehe rein, verschlägt die Eiseskälte einem fast den Schnauf.
Von Binalong Bay weiter Richtung Norden erstreckt sich das Naturschutzreservat Bay of Fires. Ein entlegener und einsamer Küstenstrich. Sein Markenzeichen sind die malerischen Felsbrocken, welche mit orangeroten Flechten überzogen sind. Nach den früheren Entdeckern „Feuerbucht“ genannt, aber nicht etwa wegen der feurigen Farbtöne, sondern weil sie am Strand die Feuer von Aborigines gesichtet hatten. Heute fliesst nur noch selten Ureinwohnerblut durch die Adern der tasmanischen Bevölkerung. Denn neben der Sträflingsvergangenheit ist die europäische Geschichte Tasmaniens mit einem weiteren Schandfleck belastet – der fast gänzlichen Ausrottung der Aborigines. Infolge Verlust der traditionellen Jagdgründe setzten sich die Ureinwohner verständlicherweise zur Wehr. Die Europäer rächten sich aufs Brutalste und ermordeten die meisten Aborigines bereits in den ersten Jahren nach ihrer Besiedlung.
Eine Meeresbucht reiht sich an die nächste, abgetrennt von Granitfelsen, teilweise mit dem typischen rötlichen Flechtenbewuchs. Hinter den naturbelassenen Sandstränden überzieht struppiger Busch das Land. Immer wieder unterbrechen wir unsere Spazierfahrt, bummeln barfuss im Pudersand oder klettern über die grossen, von Wellen ausgewaschenen Felsbrocken. Rostrot die Felslandschaft, türkisblau der Ozean und blütenweiss der Sand – ein Farbenspiel sondergleichen. Rund zwanzig Kilometer nordwärts geschweift, nimmt die Küstenstrasse bei The Gardens, einer Handvoll verstreut liegender Häuser, ein Ende. Die Bay of Fires hingegen zieht sich noch bis zum Horizont, und noch viel weiter – ein reizvoller Küstenstrich.
Einige Übernachtungsspots verteilen sich im Naturschutzgebiet. Kostenlose Uferplätze, ohne grossartige Infrastruktur, schlicht ausgestattet mit Plumpsklos. Der Luxus hier ist unbestritten die fantastische Lage. Uns etwas umgeschaut und ein paar Ehrenrunden gedreht, entdecken wir zu unserem Entzücken ein Plätzchen an vorderster Front, etwas erhöht über dem Strand. Vor unserem Wohnzimmer tost das blaue Meer. Was für ein Ausblick – unser Herz macht Luftsprünge vor Freude. Die Abendsonne wärmt und unser Plätzchen ist einigermassen windgeschützt, wenn das kein Anlass für einen Sundowner ist. Leicht beschwipst gehen wir zum Nachtessen über. Den Durst gelöscht und den Hunger gestillt, können wir uns an der grandiosen Aussicht kaum sattsehen…
Das laute Meeresrauschen – oder der Rotwein – hat uns einen tiefen Schlummer beschert. Zu unserem Entsetzen läutet Morgennebel den neuen Tag ein. Das gibt es doch nicht – wo sind nur die Farben geblieben? Sogar Ausschlafen nützt heute nichts, das verblasste Bild hält hartnäckig an sich fest. Vormittags in St. Helens zurück, schwenken wir landeinwärts. Die schmale Fahrbahn schlängelt sich in zahllosen Kehren bergan, durch den hügeligen, ländlichen Nordosten. Dicht bewaldet die Berge, hellgrün die Wiesen, auf den Weiden steht Vieh. Der Strassenbelag ist oft schlecht und unser Gefährt gerät ständig ins Wanken und Hopsen. Ein Abstecher in ein Seitental bringt uns zu den St. Columba Falls. Mit knapp 100 Metern Höhe zählen sie zu den höchsten Wasserfällen Tasmaniens. Wagemutig stürzen sich sprudelnde Bächlein von den Klippen, doch von grossen Wassermassen kann man momentan nicht sprechen.
Weiter durch die herrliche Berglandschaft, schlängelt sich die schmale Strasse durch ein Stück Regenwald. Ein ausgeschilderter Spazierpfad lockt uns vom Autositz. Kaum in diese grüne Oase eingetaucht, umgibt uns tiefen Frieden. Die mächtigen Farne sind eine Augenweide, der Urwald wirkt wie einem Märchen entsprungen. Eine Rarität. Tasmanien ist heute nur noch zu zehn Prozent mit Regenwald bedeckt – in Australien wurde insgesamt mehr als Dreiviertel abgeholzt. Das Blätterdach über unseren Köpfen ist dicht und spendet viel Schatten, was wir ausnahmsweise willkommen heissen. Denn mittlerweile brutzelt die Sonne und das Thermometer zeigt hochsommerliche 30 Grad an – ungewohnt für die tasmanische Inselmasse.
Erst knapp 150 Kilometer gerollt, doch schon stundenlang auf Achse, zweigen wir nach Bridport, an die unweit entfernte Nordküste ab. Der kleine Fischerort verdreifacht seine Einwohnerzahl im Sommer, wenn sonnenhungrige Tasmanier die weissen Sanddünen stürmen und sich auf frische Meeresfrüchte stürzen. Am plätschernden Wasser liegt ein Campingplatz, spätnachmittags lassen wir uns nieder. Es bleibt angenehm warm und wir sitzen bis zur Abenddämmerung draussen. Erst kurz vor neun flüchten wir in unsere vier Wände, nicht einem Temperatursturz, sondern angriffslustiger Stechmücken wegen…
Herrlich, eure Berichte zu lesen. Da steigt die Vorfreute auf Tasmanien noch mehr an. Die schönen Bilder von der Bay of Fires machen so richtig Lust aufs Meer :-D
Liebe Grüsse vom „Festland“ und safe travels,
Reni
Hey Reni – schön von dir zu hören! Es werden noch ein paar weitere „gluschtige“ Berichte von Tassie folgen… Unsere Abreise aus Australien rückt nun in zügigen Schritten voran – vom Camperleben haben wir uns bereits vorgestern verabschiedet.
Hoffentlich fühlt ihr euch in „euren“ vier Wänden wohl und geniesst es, für einmal wieder etwas sesshaft zu sein.
Ganz liebe Grüsse aus Hobart
Christine & Roland