15.03. – 24.04.2015
Karibische Rhythmen – Kuba und
St. Eustatius
Das laute Krächzen der Hähne reisst uns aus dem Schlaf. Man könnte meinen, wir seien auf dem Land. Dabei erwachen wir mitten in einer Millionenstadt. Noch ist es dunkel, aber bald bricht in Havanna ein neuer Tag an – unser erster Tag auf Kuba.
Noch etwas müde schlendern wir durch die Gassen der historischen Altstadt, die wie ein lebendiges Museum wirken. Prächtige Bauten säumen die Strassen, die teilweise autofrei sind. Die Zeit nagt an den Fassaden und lässt viele der alten Kolonialhäuser bröckeln. Einige Gebäude wurden einer aufwändigen Renovation unterzogen, aber oft blättert die Farbe, Fensterläden hängen bedrohlich schief oder Mauern sind akut vom Einsturz bedroht. Auf einer schattigen Parkbank lassen wir uns für eine Weile nieder und beobachten, wie das Leben der Hauptstadt seinen Lauf nimmt.
Der Malécon, eine acht Kilometer lange Promenade, zieht sich dem Meer entlang und lädt zum Flanieren ein. Tagsüber ist es heiss und ausgestorben, abends geht es lebhaft zu und her. Kehrt man der Altstadt den Rücken und spaziert ins Viertel Centro, lässt man auch die ganzen Touristenscharen hinter sich. Das Leben der Einheimischen spielt sich hier auf der Strasse ab und aus jeder Ecke schallen musikalische Klänge.
Im Vergleich zu anderen grossen Städten ist das Verkehrsaufkommen gering. Viele der Autos sind über 50 Jahre alte Oldtimer – Chevrolet, Buick, Plymouth und wie sie alle heissen – aus der Zeit vor der Revolution. Einige leuchten frisch poliert, andere haben jeglichen Glanz verloren. Knallrot, himmelblau oder froschgrün – die Farbpalette ist komplett. Die antiken Fahrzeuge geben ein ausgezeichnetes Bild ab. Auch viele alte russische Ladas kurven durch die Strassen, neuere Automodelle sind entweder in der Unterzahl oder fallen weniger auf.
Oft werden wir angesprochen, aber leider meist nicht grundlos zum Quatschen, wie wir schnell feststellen müssen. Die meisten Kubaner möchten ein Geschäft irgendeiner Art mit uns machen, was ich soweit auch verstehen kann. Eine Schwierigkeit ist jedoch, unterscheiden zu können, wem man trauen kann und wem nicht. Wenn es sich um Restaurants und Unterkünfte handelt, ist das Vorgehen teilweise dreist. Schlepper, sogenannte Jineteros, führen einem nicht an den gefragten Ort, sondern dorthin, wo sie eine saftige Provision kassieren können. Diese Vermittlungsgebühr wird dem ahnungslosen Touristen auf den eigentlichen Preis draufgeschlagen. Bereits in den ersten Tagen machen wir die eine oder andere derartige Erfahrung.
Unterwegs gegen Westen
Raus aus der Stadt – gar kein leichtes Unterfangen. Zum Glück haben wir bei der Mietwagenübernahme eine schriftliche Anleitung erhalten, denn die Beschilderung fehlt fast gänzlich. So verfahren wir uns nur einmal… Wir steuern unser Auto – übrigens kein Oldtimer, sondern ein verbeulter Peugeot – in den westlichen Zipfel der Insel. Hier wächst aufgrund der günstigen Bodenverhältnisse der angeblich weltweit beste Tabak. Immer wieder stehen Leute an der Strasse, warten auf einen Bus oder machen Autostopp. Wir wissen, dass es in Kuba üblich ist, Anhalter mitzunehmen. Heute möchten wir erst abwarten und beobachten, wie alles so läuft. Aber ehe wir uns versehen, sitzt schon ein Passagier auf unserer Rückbank. Ich fühle mich nicht ganz wohl – die Situation war eigenartig. Eine Traube Menschen am Strassenrand, ein Uniformierter hält uns an. Er meint: „Es gab einen Unfall, könnt ihr eine Person mitnehmen?“ Als wir mit schlechten Gewissen verneinen, schaut er uns entgeistert an und streckt uns zwei Ausweise entgegen, was für Papiere auch immer. Na gut, wir geben nach. Der junge Mann spricht erstaunlich gut Englisch, bedankt sich mehrmals und plaudert ununterbrochen. Er arbeite in einer Zigarrenfabrik. „Ich lade euch zum Dank auf eine kostenlose Besichtigung der Tabakplantage ein“, bietet er grosszügig an. Nun ahnen wir, dass unsere Zweifel an dieser Story berechtigt sind. Wir zögern, überlegen kurz und lehnen dann dankend ab. Kaum ist unser „nein“ gefallen, sind wir unseren neuen „Amigo“ los. Im Reiseführer wird von den Schleppern der Zigarrenfabriken gewarnt. Sie versuchen einem zu einem Kauf der bekannten teuren Zigarren zu bewegen und sahnen dabei dicke Provisionen ab. Auch verkaufen sie häufig Ware minderer Qualität. Aber dass sie dabei so tief in die Trickkiste greifen, hätten wir nicht gedacht.
Der nächste Schlepper – oder tun wir ihm unrecht? – lässt nicht lange auf sich warten. An einer Abzweigung springt er auf unser Auto zu und stoppt uns. Wir lassen ihn stehen. Ein paar Kilometer weiter dasselbe Spiel. Der sympathisch wirkendende Typ zückt sofort seinen Ausweis, bestimmt um vertrauensvoller zu wirken. Wir lassen uns erweichen. Auch er spricht gut Englisch, ist aber viel zurückhaltender und gewiefter wie unser erster Passagier. Er gewinnt unser Vertrauen, was ein Fehler ist, wie sich später herausstellt. „Meine Familie besitzt ein Restaurant sowie ein paar Gästezimmer“, erzählt er uns im Verlaufe der Fahrt. Als Dankeschön spendiert er uns in seinem angeblichen Zuhause einen Saft. Wunderschön ist die Aussicht von der Terrasse – wir bleiben. Er möchte uns heute Nachmittag die Gegend zeigen, uns durch eine Tabakfabrik führen. Nicht schon wieder! Wir sind aber sowieso müde von der anstrengenden Fahrt und lehnen ab. Der so nette Mann ist nix wie weg und ward nie wieder gesehen.
In der Welt des Tabaks
Am nächsten Morgen stehen wir auf der Strasse. Unser Zimmer sei ab heute vergeben, offenbart uns die Mama. „Der Mann von gestern – nein, der wohnt nicht hier, er arbeitet auf einer Tabakplantage!“ Ich bin echt platt – dieser Kerl ist gerissen und hat uns eine Lüge nach der anderen aufgetischt. Wir sind masslos enttäuscht und wissen kaum mehr, wem zu glauben. Oder sind wir naiv? Na ja, später treffen wir auf Touristen, denen dasselbe Schicksal widerfahren ist.
Abgesehen davon ist Viñales ein kleiner, angenehmer Ort. Bunte pastellfarbene Häuser zieren die wenigen Strassen. Auf den rustikalen Veranden stehen gemütliche Schaukelstühle. Viele Touristen streifen durch die Gassen, eigentlich zu viele. Bestimmt jedes zweite Haus ist eine Privatunterkunft, eine sogenannte Casa particular. Durchschnittlich verfügt eine solche Privatpension über zwei Gästezimmer und bietet Frühstück sowie Abendessen an. Die Zimmer sind in der Regel einfach, aber mit eigenem Bad und oft auch mit Kühlschrank ausgestattet. Auch wird einem einen Einblick in das Leben der Kubaner gewährt.
Das Landschaftsbild besticht durch urtümliche Kalksteinfelsen, den sogenannten Mogotes. Die zahlreichen Tabakfelder leuchten grün, die Erde rot – eine reizvolle Landschaft. Paulo, unser heutiger Führer, verrät uns bei einer Wanderung einiges über Land, Leute und deren Kultur. Nun kommen wir doch noch in den Genuss einer Tabakplantage. Der aufgestellte Paulo ermöglicht uns einen Einblick in den ganzen Herstellungsprozess der Zigarren, die von Hand gedreht werden. In einer Hütte treffen wir den alten sympathischen Tabakbauer mit seinem verknitterten Gesicht. Er trägt einen dichten schwarzen Schnauz und entlockt uns mit seinem trockenen Humor mehrmals ein Lachen. Geschickt rollt er einige Tabakblätter in Kürze zu einer fetten Zigarre. Selbstverständlich dürfen wir den Glimmstängel auf der Stelle kosten – unser Geschmack trifft es nicht.
Unserer zweiten Adresse in Viñales ist es zu verdanken, dass wir uns in Kuba langsam wohlfühlen. Die Mama der Privatpension heisst uns freundlichst willkommen und kümmert sich liebevoll um uns. „Mi casa es tu casa – mein Haus ist dein Haus“, wiederholt sie sich stets. Beim Abschied drückt sie uns fest und verteilt schmatzende Küsse. Mir kommt es vor, als liesse sie uns nur ungern ziehen.
Quer über die Insel
Auf der Autopista, der Autobahn, ist der Verkehr gering. Unterwegs gegen Osten, einmal quer über die 1250 Kilometer lange Insel. Auf derselben Route geht es erst zurück nach Havanna. Je weiter wir ostwärts gelangen, desto weniger Autos gibt es. Oft sind wir für einen Moment allein auf der dreispurigen Autobahn. Trotzdem ist Wachsamkeit gefragt, denn auch Fahrräder, Pferdefuhrwerke und sogar Fussgänger sind allgegenwärtig. Leitplanken fehlen vollständig, es ist stets eine Rast am Strassenrand möglich. Der Belag ist meistens schlecht, wie auf vielen anderen Strassen Kubas auch. Immer muss mit einem argen Schlagloch gerechnet werden. Rund sieben Stunden später erreichen wir unser heutiges Ziel an der Südküste.
Cienfuegos – die Perle des Südens – schmiegt sich um eine Naturbucht und ist von Wasser umgeben. Die Stadt verströmt ein maritimes Flair und lockt mit französischer Eleganz. Es herrscht eine entspannte Atmosphäre – Schlepper gibt es hier zum Glück keine. In den Strassen der Altstadt reihen sich hübsche Kolonialbauten aneinander. Auf der zentralen Plaza sind die Gebäude sorgfältig saniert, manche wirken fast zu neu. Der Prado, eine Allee mit doppelspuriger Strasse, führt nach Punta Gorda. Villen prägen diesen Stadtteil. Wir möchten hier residieren. Die Casa particular liegt direkt am Meer und ist auf der anderen Seite nur durch eine kaum befahrene Strasse vom Wasser getrennt. Der Garten ist idyllisch, viele Grünpflanzen spenden Schatten. Liegestühle laden zum Relaxen ein, wir sind völlig zufrieden mit unserer Wahl. Auch die überaus leckeren Mahlzeiten werden uns hier draussen serviert. Wenn ich an die saftigen Knoblauch-Garnelen denke, läuft mir sogleich wieder das Wasser im Mund zusammen.
Die heutige Tagesetappe ist verhältnismässig kurz, die Fahrt ans Ziel müsste einfach sein, meinen wir. Na ja, die Beschilderung in Kuba ist oft knapp und wir sind uns nicht immer sicher, auf der richtigen Spur zu sein. Zu unserem Glück gibt es ab und zu einen Bauer am Wegesrand, den man fragen und dem man auch trauen kann. Denn den jungen Männern, die heftig gestikulierend an einer Kreuzung lauern, schenken wir keinen Glauben mehr. Gemäss Reisehandbuch gehört unser heutiges Reiseziel zu jenen Städten, wo Schlepper sehr penetrant auftreten.
Koloniale Perle
Trinidad ist eine der meistbesuchten Städte in Kuba und das zu Recht. Die attraktive Kolonialstadt liegt eingebettet zwischen Meer und Bergen. Von einem Turm können wir einen Ausblick auf die roten Ziegeldächer der Stadt und die Umgebung erhaschen. Die Altstadt ist entzückend und fotogen. Die Häuser sind bunt gemischt – die Farbtöne reichen von gelb über hellblau bis mintgrün. Meist stehen Türen oder Fenster weit offen und es lässt sich ein Blick auf die teils engen Wohnverhältnisse der lokalen Bevölkerung erhaschen. Viele der Häuser verfügen jedoch über einen Innenhof mit ein paar Schaukelstühlen und Topfpflanzen. Oft baumelt ein kleiner Vogelkäfig im Fenster oder an der Tür, damit das arme Federvieh immer frische Luft tanken kann. Es gibt Leute, die führen ihre Vögel mitsamt den Käfigen spazieren.
Tagsüber schieben sich massenhaft Touristen, oft in grossen Gruppen, durch die kopfsteingepflasterten Gassen. Abends wird es aber einerseits ruhiger und auch die Hitze nimmt ab. Die langsam sinkende Sonne taucht die Strassenzüge in ein weiches, sanftes Licht. Um acht Uhr bricht die Nacht herein. Bei Dunkelheit erwacht die Stadt erneut und viele Leute tummeln sich an der grossen Treppe bei der Plaza. Wir setzen uns auf die Stufen, beobachten das Treiben, genehmigen uns einen Schlummertrunk und lauschen den Klängen der kubanischen Rhythmen.
Heute lassen wir die Berge hinter uns. Es breitet sich eine Ebene mit grün leuchtenden Zuckerrohrfeldern vor uns aus. Wir fahren gegen Norden. Die Strecke führt durch kleine Dörfer, wo wir oft höllisch auf das Geschehen rund um die Strasse achtgeben müssen. Es tummeln sich Fussgänger und Velotaxis am Strassenrand, Pferdekutschen bremsen den Verkehr, Hunde bewegen sich kaum vom Fleck, Autos überholen und Busse brettern uns auf der Gegenfahrbahn entgegen.
An den Strassen gibt es kaum Werbeplakate und wenn, dann ist es „Werbung“ für die Revolution und den Sozialismus. „Viva la Revolucion“ oder „El socialismo es el mas justo“, was soviel heisst wie, der Sozialismus ist das Richtige. Seit der Revolution im Jahre 1959 weht in Kuba ein sozialistischer Wind. Als Raúl Castro im 2006 aus dem Schatten seines Bruders Fidel herausgetreten ist, wurde das streng kontrollierte Wirtschaftssystem etwas gelockert. Der neu gewählte Präsident gestattete seinen Landsleuten fortan Touristenhotels zu betreten sowie Mobiltelefone und andere elektronische Geräte zu erwerben. Etwas später durften auch gewisse Berufe selbstständig ausgeübt werden, es darf legal mit Autos gehandelt werden und es ist erlaubt, Häuser zu kaufen und verkaufen. Einige Unternehmer betreiben jetzt legal, was sie schon seit Jahren unter der Hand erledigt haben. Mit einem verschmitzten Lächeln zitierte einer unserer Führer: „In Cuba everything is illegal, but everything is possible – alles ist illegal, aber alles ist möglich“. Kubaner sind Überlebenskünstler und haben aus der wirtschaftlichen Not heraus eine Fähigkeit entwickelt, Regeln und Gesetze zu beugen und Probleme zu lösen. Ende 2012 wurde den Kubanern gestattet, ungehindert ins Ausland zu reisen – erstmals seit 1961. Alles Dinge, die in den meisten demokratischen Ländern als Selbstverständlichkeit gelten, für normale Kubaner aber bisher vollkommen unzugänglich waren. Vom Kapitalismus im westlichen Stil ist das Land aber noch himmelweit entfernt.
Kubanischer Alltag
Nach drei Stunden Fahrt erreichen wir Remedios. Der Ort liegt an der Nordküste und ist eine der ältesten Kolonialstädte Kubas. Man sieht es – viele Häuser sind vom Zerfall bedroht und einer Ruine nah. Am zentralen Platz staubt es und Baulärm ist allgegenwärtig. Die ehrwürdigen Kolonialbauten werden offensichtlich restauriert. Der Stadt fehlt der Glanz, dafür verströmt sie mehr Authentizität. Touristen sind rar. Wir flanieren durch die Strassen und richten unsere Blicke auch in das Innere der Häuser. Uns fallen eine Handvoll Läden mit Theken wie vom Beginn des letzten Jahrhunderts ins Auge. Das Angebot ist minimal, die Gestelle fast leer. Es bildet sich eine lange Schlange vor einem dieser Ladenlokale. Frisches Brot liegt auf dem Ladentisch, jeder will sich wohl seine Ration sichern. Tüten gibt es keine, entweder wird das Gebäck in eine Stofftasche gesteckt oder unter den Arm geklemmt. Eine Frau kreuzt unseren Weg, balanciert einen Teller mit Frischfleisch auf ihrer Hand. Es fehlt auch in der Metzgerei an Verpackungsmaterial – eigentlich umweltfreundlich.
Wir besuchen den einzigen Supermarkt am Platz. Auch hier sind die Regale halbleer, wie bislang schon oft angetroffen. Heute gibt es viele Kekse, morgen noch ein paar dieser Packungen und übermorgen keine mehr. Wann gibt es wohl Nachschub? An einem mangelt es aber nie, das Regal mit den alkoholischen Getränken ist immer gut gefüllt. Ein gekühltes Erfrischungsgetränk ist oft nicht erhältlich, nur Bierdosen finden sich im Kühlregal. Somit genehmigen wir uns in der ältesten Bar Kubas, die seit fast 150 Jahren existiert, eine kubanische Cola und beobachten die Leute. Was verkauft der alte Mann in seinen weissen schmalen Papiertütchen? „Mani, mani rico!“, ruft er lauthals. Er wendet sich uns zu und fragt, woher wir kommen. „Ah, Schweiz. Erdnuss rico, rico Erdnuss!“ Aha, er bietet also köstliche Erdnüsse feil. Mehrmals werden wir mit ein paar deutschen Floskeln überrascht.
Unsere Privatpension ist eine Oase. Richard, der freundliche Besitzer, spricht etwas Englisch, was nicht selbstverständlich ist. Meistens wird nur Spanisch gesprochen und das zu meinem Leid auch oft schnell und undeutlich. Ein grosser Innenhof mit einem Avocadobaum und vielen Pflanzen lädt zum Verweilen ein, abends ist die Beleuchtung romantisch. Hier werden uns die Mahlzeiten aufgetischt. Wir bestellen die Spezialität des Hauses – frische Krebse. Riesige Dinger liegen auf dem Teller, bis alles geknackt und zerlegt ist dauert es seine Zeit. Das zwar mittlerweile kalte Essen schmeckt aber ausgezeichnet.
Paradiesische Inseln
Heute steht ein Tagesausflug nach Cayo Santa Maria auf unserem Programm. Die vorgelagerte Insel ist mit einem 48 Kilometer langen Damm mit dem Festland verbunden. Das Eiland wurde erst vor rund 15 Jahren erschlossen. Es wurden viele Hotels im gehobenen Segment mit Hunderten von Zimmern für die Pauschaltouristen aus dem Boden gestampft. Es gibt wenig öffentliche Strände, die Playa Gaviota ist eine davon. Der Strand ist strahlend weiss, das Meer funkelt in der Sonne türkisblau. Ein traumhafter Anblick, der uns jedoch nur kurz beglückt. Am Himmel türmen sich dunkle Wolken auf und der Wind bläst immer stärker. Es fängt leicht zu regnen an, das Baden fällt also regelrecht ins Wasser.
Die Landschaft ist saftig grün, Palmen und Bananenbäume soweit das Auge reicht. Wir fahren der Nordküste entlang durch eine fruchtbare Gegend. Es ist fast wie im Dschungel. In der Kleinstadt Morón suchen wir nach der richtigen Adresse. Die Strassen sind oft schlecht oder gar nicht bezeichnet. Richard hat bei seinen Verwandten eine Reservation für uns getätigt. Belkis, die Mama unserer nächsten Casa, erwartet uns deshalb bereits. Sie ist eine herzliche Frau und verwöhnt uns mit leckerem Essen. Die Portionen sind, wie überall, viel zu gross. Nach jedem Nachtessen bin ich übervoll, auch wenn wir nicht leer essen. Was wir beim Frühstück nicht vertilgen können, packen wir ein. So ist uns am Mittag immerhin ein kleines Picknick gesichert, was unterwegs selten erhältlich ist.
Morón ist der Ausgangspunkt für weitere vorgelagerte Inseln – Cayo Coco und Cayo Guillermo. Vorbei an seichtem Wasser und Mangroven führt ein Damm hinaus ins Paradies. Wir sind enttäuscht, das Wetter spielt uns nun schon seit drei Tagen einen Streich, auch heute ist es wieder bewölkt. Nur manchmal kann sich die Sonne für kurze Zeit etwas durchsetzen und strahlt matt durch den milchigen Himmel. Wir verbringen trotzdem ein paar gemütliche Stunden an der Playa Pilar, ganz am westlichen Ende der Inseln. Man munkelt, es sei der schönste Strand von Kuba, wenn nicht sogar der ganzen Karibik. Der Sand ist puderzuckerfein, das Meer leuchtet manchmal leicht türkis. Wir können nur erahnen, welch Postkartenidylle wir verpassen.
Heute Morgen begrüsst uns strahlender Sonnenschein – fast etwas gemein, denn die Reise geht weiter. Die vorbeiziehende Gegend ist topfeben. Zuckerrohrfelder und Kuhweiden wechseln sich ab. Die Viecher müssen sich mit gelbem, trockenem Gras begnügen. Was wird hier an der Strasse angeboten? Weisse grosse Blöcke werden in die Fahrbahn gestreckt. „Queso“, ruft einer der Männer. Aha, das ist Käse. Wir halten an und ergattern ein kleines Stück, wohl überteuert, aber egal. Der nächste Verkäufer hält kein Käse mehr in der Hand, sondern will ein herziges Hündli loswerden. Auf dieses Angebot können wir leider nicht eingehen…
Verwirrendes Gassenlabyrinth
Die Stadt Camagüey liegt im Landesinnern. Hier gibt es angeblich eine überdurchschnittliche Anzahl dieser unbeliebten Schleppern. Also aufgepasst – nicht anhalten, niemanden fragen wo es langgeht, sondern die Adresse der ausgesuchten Casa particular selber ausfindig machen. Mit unserem Kartenmaterial kriegen wir das einmal mehr gut hin. Da steht ein junger Typ vor der verschlossenen Tür, will uns abfangen und uns bestimmt auf eine verlogene Art weglotsen. Nein nein, nicht mehr mit uns! Ich durchschaue ihn gleich, lasse ihn nicht zu Wort kommen und drücke sofort die Klingel – und weg ist er. Rafael, der Herr des Hauses, klagt: „Die Schlepper sind eine grosse Plage für uns Casas wie auch für euch. Sie führen Touristen zu einer illegalen Casa mit demselben Namen. Mir nimmt man so die Gäste weg und ich bekomme deshalb auch oft schlechte Bewertungen auf den Bewertungsportalen im Internet.“
Diese Kolonialstadt ist nicht im Schachbrettmuster angeordnet, sondern weist einen aussergewöhnlichen labyrinthartigen Grundriss auf, deshalb ist die Orientierung nicht ganz einfach. Viele Kirchen prägen die Stadt, ein paar alte koloniale Häuser werten die Altstadt auf. „Taxi, Taxi?“, ertönt es an fast jeder Strassenecke. Überall stehen ein paar Velotaxis, sogenannte Bici-Taxis, bereit und warten ungeduldig auf Kundschaft.
Eingehüllt in eine dicke, schwarze Abgaswolke tuckern wir hinter einem Lastwagen her – wie das stinkt. Was diese älteren Fahrzeuge in die Umwelt puffen ist unglaublich. Heute sind besonders viele Laster unterwegs. Teilweise fungieren sie auch als Busse, die wie Hühnerställe anmuten. Die Nationalstrasse quer über die Insel gleicht einem Flickenteppich, manchmal kaum erkennbar, ob es sich um reparierte Passagen oder um noch bestehende Löcher handelt. Ich bin erstaunt, bei diesen Strassenverhältnissen noch keinen Platten eingefangen zu haben…
Im Osten angelangt
Gibara ist ein Küstenort und liegt in wilder Natur in einer Bucht. Tosend schlagen die Wellen an der Küste auf. Wir sind im östlichen Teil der Insel angelangt. Der kleine Ort an der Nordküste wurde im Jahre 2008 arg von einem Hurrikan getroffen, die Schäden sind noch heute sichtbar. Das koloniale Zentrum wurde teilweise renoviert, die Farben der neu gestrichenen Häuserfassaden wirken noch etwas zu schrill. Die Atmosphäre ist entspannt. Wir begegnen keinen weiteren Touristen, gewiss werden wir deshalb oft freundlich gegrüsst.
Das darf doch nicht wahr sein – gibt es denn so was? Es fehlt uns ein Scheibenwischer. Da schwenkt nur noch ein Metallhaken, das Wischblatt ist weg. Über Nacht parkieren wir das Auto immer beaufsichtigt, entweder in einer Garage oder es wird für ein paar Pesos an der Strasse überwacht. Es muss bestimmt passiert sein, als wir gestern das Auto kurz an der Strasse abgestellt haben, um die Unterkunft in Augenschein zu nehmen. Diese Gauner – wo kriegen wir jetzt ein solches Teil her? Es regnet, ansonsten hätten wir es wahrscheinlich noch nicht bemerkt. Wenigstens handelt es sich jeweils nur um kurze Regenschauer.
Die grüne, hügelige Gegend macht die Fahrt abwechslungsreich. Wir fahren durch kleine Dörfer. Die Beschilderung ist schlecht, aber manchmal reicht ein Blick zurück, weil eine Abzweigung oder eine Ortschaft nur von der Gegenseite her gekennzeichnet ist. Später gelangen wir auf eine Autobahn. Die Fahrbahn ist breit, schätzungsweise dreispurig, aber es sind keine Spuren gepinselt. Die Strasse ist offensichtlich noch halbwegs im Bau, weist aber bereits Schlaglöcher auf. Schilder wie „Achtung spielende Kinder“ und „Achtung Kühe“ entlocken uns ein Kopfschütteln. Kaum zu fassen, da steht auch schon ein Rindvieh mitten auf der Autobahn – ziemlich gefährlich.
Wir unterbrechen diese längere Reiseetappe und verbringen eine Nacht in Guantánamo. Die Stadt ist vor allem wegen des Marinestützpunktes der USA und des Gefangenenlagers bekannt. Carlito, der süsse schwarze Sohn der Privatpension, mit seiner noch süsseren kleinen Tochter mit Kringellocken, hilft uns bei der Suche nach einem passenden neuen Scheibenwischer. Die Verkäuferin im Tankstellenshop versteht nichts von der Materie. Wir sind dankbar, Carlito dabei zu haben, der ihr hartnäckig immer wieder ein weiteres Exemplar entlockt, bis eines passt. Natürlich ist es kein Original und schaut anders aus, aber es funktioniert. Muchas gracias, Carlito.
Die älteste Kolonialstadt
Die Fahrt entlang der Küste ist malerisch, immer wieder können wir Ausblicke auf das tiefblaue Meer erhaschen. Die Gegend ist sehr trocken und von Kakteen geprägt. Langsam ändert sich die Vegetation, alles ist üppig grün. Eine kurvenreiche Passstrasse – es seien über 300 Kurven – bringt uns auf die andere Seite der wolkenverhangenen Bergketten. Die älteste Kolonialstadt Kubas liegt sehr abgelegen im äussersten Osten, nur 70 Kilometer von Haiti entfernt. Im Hintergrund ragt das Wahrzeichen, der Tafelberg „El Yunque“, aus dem Dschungel. Die Stadt liegt an einer Bucht, verfügt über Sandstrände und eine saftige tropische Umgebung. Was will man mehr? Uns gefällt es auf Anhieb, was uns hier ein paar Tage verweilen lässt. Und das Trotz des „Lärms“. Der Karneval ist in vollem Gange. Es ist zwar kein Karneval im eigentlichen Sinne, sondern gleicht eher einem Jahrmarkt oder einem Strassenfest. Es reihen sich Essensstände, Bars und Karusselle aneinander, die Leute drängen sich durch die Strasse, halten einen Schwatz und feiern. Aus verschiedenen Lautsprechern plärrt für drei Tage ohrenbetäubende Musik, und das am Tag sowie während der ganzen Nacht.
Grün soweit das Auge reicht
Mit unserem Führer Ricardo wandern wir durch den Dschungel des Humboldt Nationalparkes nördlich von Baracoa. Es ist die Heimat der Tausendfüssler, Schlangen, Vögel, Echsen, Skorpione und dem kleinsten Frosch, der nur ein Zentimeter misst. Manchmal regnet es kurz, was in dieser feuchten Region völlig normal ist. Von einem Aussichtspunkt schweift unser Blick über die unzähligen Kokos- und Königspalmen, die sich wie ein grüner Teppich vor uns ausbreiten. Ein paar Flüsse sind zu überqueren. „Das Taxi steht weiter vorne bereit“, bemerkt Ricardo lachend. Wir glauben, es sei ein Scherz, aber da steht doch tatsächlich ein Karren mit zwei eingespannten Ochsen, um die tiefen Stellen des Flusses trocken zu überqueren. Krampfhaft halte ich mich fest, um nicht vom schwankenden Gefährt zu kippen.
Heute ist es Octavio, der uns führt. Der Tafelberg „El Yunque“ ist das Ziel. Der Aufstieg sei anstrengend, heisst es. Alle paar Meter hält Octavio inne und erklärt uns Flora und Fauna. Er redet uns schlichtweg zuviel, wir möchten gerne nicht erst in der brütenden Mittagshitze auf dem Gipfel ankommen. Aber das Palaver nimmt kein Ende. Sind wir wohl auf der falschen Tour gelandet? Nach einer Pause und einer Stärkung mit ein paar tropischen Früchten geht es endlich nur noch um das Eigentliche, das Trekking. Der Weg ist glitschig, zieht steil bergan durch den Regenwald. Schneller als erwartet erreichen wir das Gipfelplateau auf 575 Meter. Es bietet sich eine tolle Sicht auf den blau glänzenden Ozean und die endlose, wundervolle Tropenlandschaft.
Schweissgebadet kehren wir von der Wanderung zurück. Der Fahrer wartet geduldig, bis er uns in seinem blauen sechzigjährigen Plymouth zurück in die Stadt chauffieren kann. Heute kommen wir endlich in den Genuss einer Oldtimer-Fahrt. Das Vehikel schaukelt gemütlich über die holprige Piste. Mich wundert es, dass diese Fahrzeuge so robust sind. In der Zeit zurückversetzt fühlt man sich auch beim Anblick der vielen Pferdekutschen, die in den Strassen der Stadt oft als Taxi eingesetzt werden.
Und nun lockt uns ein Schokoladeeis. Das gibt es im Supermarkt, die Frage ist nur, ob heute auch noch. Oh, der Laden ist geschlossen, und das mitten am Nachmittag. Ein paar Leute stehen vor der Tür und warten. Ich frage, was los sei. Die Angestellten zählen das Geld, so die Antwort einer ebenfalls geduldig wartenden Frau. An den Blicken und dem Kopfschütteln weiterer Passanten entnehme ich aber, dass auch die Kubaner diese Situation nicht als alltäglich hinnehmen. Kuba ist unberechenbar – auch wir haben Zeit.
Lügenmärchen
Ein langer schwarzer Sandstrand liegt zu unseren Füssen, die Palmenblätter wiegen sanft in der Brise. Wir schlendern, geniessen die Zweisamkeit. Ein Tag ohne Führer, meinen wir. Wir sind auf dem Weg zur Playa Blanca, einem kleinen weissen Sandstrand. Bald spricht uns ein freundlicher Kubaner an, er plaudert mit uns. „Ich bin kein Führer“, winkt er ab. „Ich bin auf dem Heimweg, bin Bauer. Wollt ihr meine Farm sehen?“ Wir geben nicht sofort Antwort, lassen es auf uns zukommen. Mittlerweile möchte er uns auch noch Höhlen zeigen. Wir lassen es geschehen, sind offen. Vom archäologischen Pfad mit den Höhlen bieten sich wundervolle Ausblicke auf das Meer. Schlussendlich sind wir eine gute Stunde mit Archimedes unterwegs, fast wieder zurück bei der Farm. „Könnt ihr nun bitte die Exkursion bezahlen“, fordert er. Was wir im Verlaufe unseres Zusammenseins gewittert haben, ist nun endgültig klar – er ist ein Schlepper und Führer in einem. Er hat versprochen, wir können auf seinem Anwesen tropische Früchte kosten, aber nun eilt es ihm plötzlich, an unser Geld zu kommen. Der Deal ist gewiss, sein Verdienst mit der Farm zu teilen. Aber wir vertrösten ihn vorerst. Auf der Farm erhalten wir noch zwei Schnitze Papaya, Souvernirs stehen zum Verkauf bereit. Archimedes verlässt mit uns zusammen sein angebliches Heim, was uns nicht mehr wundert. Sofort bittet er wieder um Geld. Unseres Erachtens geben wir ihm ein gutes, faires Trinkgeld, welches er aber lautstark als unangemessen einstuft. Die Führung koste 20 Euro, was dem Vierfachen entspricht. Es entsteht ein langes Hin und Her, aber wir bleiben hart. Schade, dass diese eigentlich nette Begegnung so endet.
Diese Lügereien hinterlassen bei uns ein ungutes Gefühl. Wir verstehen, dass jeder Kubaner gerne mit den Touristen sein Geld machen möchte, diese Art und Weise mögen wir jedoch nicht. Was oftmals verlangt wird, ist völlig überrissen. Mit unseren fünf Euro Trinkgeld macht unser „Bauer“ eigentlich ein gefreutes Geschäft, denn ein Staatsangestellter arbeitet eine Woche dafür. Klar, der durchschnittliche staatliche Monatslohn von rund 20 Euro ist sehr tief. Die Könige sind die Besitzer der Casas particulares, denn sie verdienen in der Regel etwa dasselbe pro Tag. Somit ist es nicht erstaunlich, dass viele Ärzte nicht in ihrem angestammten, schlecht bezahlten Beruf arbeiten, sondern eine Privatpension führen. Zum schmalen Lohn hinzu kommen jedoch die enormen staatlichen Subventionen, die alle Facetten des Lebens betreffen. Es gibt kaum Hypotheken auf Immobilien, keine privaten Kosten für das Gesundheitswesen, keine Schulgebühren und wenig Steuern. Auch Kino, Theater, Konzerte oder Sportveranstaltungen gelten als Grundrecht der Bevölkerung und werden stark subventioniert – der Tourist bezahlt für ein Ticket das Fünfzig- oder Hundertfache. Viele Kubaner befinden sich bestimmt in einer finanziell schlechten Lage und sind auf Zusatzverdienste angewiesen. Schade nur, dass sich viele das Geld auf der Basis einer Lüge verdienen wollen. Wahrscheinlich gelingt es ihnen auch oft, und was haben sie zu verlieren? Trotz der nicht einfachen Lebenverhältnisse strahlen die meisten Kubaner Lebensfreude pur aus…
Etwas wehmütig verlassen wir die Casa der letzten vier Nächte. Wir fühlten uns hier rundum wohl. Die lustige, temperamentvolle Mama mit der rassigen, blond gefärbten Kurzhaarfrisur verabschiedet uns überschwänglich. Auch der eher zurückhaltende Papa küsst mich auf beide Wangen. Mein Spanisch ist zwar völlig ausreichend, um das Reiseleben zu bewältigen, aber leider zu schlecht, wenn es sich um ein weiterführendes Gespräch handelt. Gerne hätte ich mich mit diesen herzlichen Leuten etwas mehr unterhalten. „Nehmt euch in Santiago in Acht vor den Negros – den Schwarzen“, ermahnt uns Mama. Sie hat auch bereits für unser nächstes Dach über dem Kopf gesorgt und uns ein Zimmer mit Dachterrasse bei ihrer Freundin Maty reserviert.
Aufdringliche Verkäufer
Die Passstrasse windet sich den Bergen entlang, die Ausblicke sind spektakulär. Um die Szenerie eingehender geniessen zu können, machen wir bei einem Aussichtspunkt halt. Sofort ist unser Auto vollständig umringt von vielen Leuten. Was ist denn hier los? Alle wollen uns ihre Ware verkaufen. Bananen, Schokolade und weitere Süssigkeiten werden feilgeboten. Es herrscht Chaos pur, wir können kaum aussteigen. Sie geben uns keine Chance, ein Foto von der Gegend schiessen zu können, stehen nun dichtgedrängt um uns und rufen wild gestikulierend durcheinander. Die Situation ist so übertrieben und wir amüsieren uns köstlich. „Bitte etwas zurückschreiten, wir möchten erst Fotografieren, danach Einkaufen“, weist Roland die Meute an. Aber wem kaufen wir etwas ab? Zwei dicke schwarze Frauen lassen sich auf unsere Bitte weiter hinten träge auf einer Mauer nieder. Der Rest drängt sich nach wie vor um uns, lassen nicht von uns ab. Ich habe meine Entscheidung gefällt, weiss nun, wen wir unterstützen. Etwas später gehe ich auf die beiden Frauen zu und erstehe einen Bund Bananen und Cucuruchu, eine lokale Süssigkeit, eingewickelt in Bananenblätter. Ein riesiges Strahlen kehrt auf ihre Gesichter zurück. Die anderen Verkäufer verstehen die Welt nicht mehr. „Diese zwei Frauen waren die einzigen, die Warten konnten“, erkläre ich ihnen unseren Kauf. Das Strahlen der beiden Frauen wir noch grösser.
Mit einem Schmunzeln im Gesicht kehren wir in unser Auto zurück und nehmen die kurvige Fahrt wieder auf. Nicht das erste Mal während unserer Reise warnen grosse Schilder mit Unfallstatistiken vor der Gefährlichkeit der Strasse. Es ist aufgeführt, wieviele Personen auf dieser Strecke den Tod gefunden haben, invalid oder verletzt wurden. Nicht sehr ermutigend…
Kubanische Rhythmen
Santiago de Cuba ist eine laute und stickige Grossstadt, wird aber trotzdem die Perle des Orients genannt. Es herrscht verhältnismässig viel Verkehr, aber doch nicht so viel wie man meint– es ist nur lauter als sonst wo. Viele Motorräder düsen durch die engen Gassen mit den schmalen, fussgängerunfreundlichen Gehsteigen und hinterlassen ihre miesen Abgasdüfte. Es ist brütend heiss. Die Stadt zieht uns nicht in ihren Bann, aber es gibt eine nette Plaza, gesäumt mit mächtigen kolonialen Bauten.
In Santiago ist der Anteil der schwarzen Bevölkerung grösser als anderswo in Kuba. Es sei die ethnisch vielfältigste Stadt der Karibik sowie die Musikmetropole Kubas. Ruben spricht uns an, plaudert und erzählt aus seinem Leben. Er ist Strassenmusiker. Am Nachmittag treffen wir ihn auf der Plaza wieder. Er spielt auf seiner Gitarre ein paar Stücke, singt dazu bekannte kubanische Melodien. Selbstverständlich geben wir ihm ein Trinkgeld. Er belächelt es, schüttelt den Kopf und meint: „Vier Wochen seid ihr in Kuba – mehr ist da nicht übrig?“. Ruben scheint nicht zufrieden und zeigt uns dies deutlich. Wir verabschieden uns und flüchten auf die Dachterrasse einer Bar, wo sich ein guter Ausblick auf den grossen Platz bietet und wir das Geschehen mit Abstand von oben betrachten können. Wir genehmigen uns einen gekühlten, frisch nach Minze duftenden Mojito, den Nationaldrink der Insel. Unser Strassenmusikant spielt für die nächsten Touristen und wird sich vielleicht erneut über das Trinkgeld beklagen als sich zu bedanken. Das stimmt uns nachdenklich. Mehrmals sind wir nach solchen Zufallsbekanntschaften etwas verwirrt und aufgewühlt, diese Situationen hinterlassen in uns ein schlechtes Gefühl und eine Unsicherheit dem Land und den Leuten gegenüber. Andere Reisende berichten von ähnlichen Erfahrungen, bemerken auch Veränderungen zu allfälligen früheren Besuchen der Insel.
Adios Cuba
Frühmorgens, vergeblich suche ich unseren Flug auf der Anzeigetafel. Mich beschleicht ein ungutes Gefühl. Kurz angebunden erläutert die Dame am Informationsschalter am Flughafen in Santiago: „Der Flug hat Verspätung, der Abflug ist auf neun Uhr verschoben“. Was solls, eine halbe Stunde können wir verkraften, denke ich. Roland wartet draussen beim Auto. Das Büro des Vermieters ist immer noch geschlossen, also beschliessen wir, erst Einzuchecken. Zu unserem Entsetzen erfahren wir, dass der Flug nicht nur um eine halbe Stunde, sondern um zwölf Stunden verspätet ist. Die nette Dame hat mir verschwiegen, dass es sich um neun Uhr abends handelt. Wir treffen ein Schweizerpaar, das von dieser Misere auch betroffen ist und fragen uns, wie wir das Beste aus diesem Tag machen können. Zum Glück beraten wir genug lange, denn plötzlich taucht ein Herr von der Fluggesellschaft Cubana auf und bietet uns ein kostenloses Hotelzimmer für den Tag an. Jetzt bin ich überrascht, ich hätte nicht im Geringsten daran gedacht, die Airline könnte sich erkenntlich zeigen. Die Autovermietstation ist immer noch dicht, wir hätten im Normalfall unseren Flug längst verpasst oder das Auto einfach stehen lassen müssen. Na endlich, ein schwarzer Strahlemann taucht auf, würdigt das Vehikel mit wenigen Blicken und nimmt es uns ohne zu zögern ab – immerhin das.
Im besten Hotel der Stadt, einem 5-Sterne-Haus mit internationalem Standard, verbringen wir den Tag. Wir liegen unter Palmen am Pool und befinden uns in einer Welt, die kaum an Kuba erinnert. Mit einer Verspätung von rund 20 Stunden heben wir schlussendlich ab und düsen Havanna entgegen. Die Abflugzeit wurde erneut verschoben und am Flughafen zögerte sich Start nochmals um weitere Stunden hinaus. Übermüdet landen wir statt gestern Vormittag nun heute Morgen in der Früh. Erst verärgert über die grosse Verspätung, bin ich mittlerweile nur noch dankbar, unseren Weiterflug am selben Nachmittag noch zu erreichen. Adios Cuba!
Kuba hinterlässt bei uns gemischte Gefühle. Es ist ein spannendes Land, aber nicht einfach zu verstehen. Dennoch haben wir unsere vierwöchige Reise sehr genossen. In bester Erinnerung bleiben uns die warmherzigen Besitzer der Casas, wo wir immer freundlich aufgenommen und bewirtschaftet wurden. Hier lernten wir eine sonnige, dankbare und ehrliche Seite Kubas kennen. Die Bekanntschaften der Strasse hingegen enden meistens enttäuschend, die Gespräche basieren oft auf Lügengeschichten und schlussendlich läuft es meistens auf Geld hinaus. Bis zum Schluss haben wir die Hoffnung nicht aufgegeben, dass jemand nur etwas mit uns Plaudern will. Aber diese Zeiten sind leider fast vorbei… Wie wird es wohl weitergehen mit diesem Land?
Unbekanntes Juwel
Mit einer kleinen Propellermaschine setzen wir sanft auf der Landepiste des winzigen Flughafens auf. Nach zwei Reisetagen, drei Flügen und einer Übernachtung in Panama City erreichen wir endlich unser nächstes Ziel, eine weitere Insel der Karibik – St. Eustatius. Noch nie gehört, werden wohl die meisten von euch denken. Die Insel ist ziemlich unbekannt, allenfalls unter Tauchern ein Begriff. Auch wir sind wegen dem Tauchen hier… Die kleine Insel ist nur etwa acht Kilometer lang und liegt in der östlichen Karibik, rund 20 Flugminuten südlich von St. Martin. St. Eustatius, kurz Statia genannt, gehört zu Holland, bildet eine sogenannte „Besondere Gemeinde“ der Niederlande. Bezahlt wird jedoch in US-Dollar. Im 18. Jahrhundert war Statia das wohl bedeutendste Handelszentrum der Niederlande in der Karibik und zählte damals zum wirtschaftlichen Höhepunkt 20‘000 Einwohner. Heute ist es eine Insel der Ruhe und Gelassenheit und es leben nur noch ungefähr 4000 Menschen hier. Dazu kommen unzählige Ziegen, die oft seelenruhig über die Strasse spazieren.
Wir sitzen auf unserem Balkon, blicken auf das tiefblaue Meer direkt vor uns. Die Wellen schlagen sanft an der Küste auf, die Brise ist angenehm. Die ersten fünf Nächte verbringen wir in einem historischen Hotel direkt am Wasser. Die Tauchbasis liegt nur einen Steinwurf entfernt, was ideal ist. Die Tauchgründe sind praktisch unberührt, wir sind immer das einzige Boot am Tauchplatz. Das kleine Schiff schwankt zünftig in den Wellen. Also ab ins Wasser, dann verschwindet die leichte Übelkeit meist schnell. Man taucht in verschiedenartigen Korallenformationen, welche sich zum Teil auf erkalteten Lavaströmen gebildet haben. Eine der Attraktionen sind die zahlreichen Schiffswracks, sowohl antike Wracks aus dem 17. und 18. Jahrhundert, wie auch moderne Schiffe, welche als künstliche Riffs absichtlich versenkt wurden. Das Leben unter Wasser ist artenreich. Zweimal haben wir das Glück ein Seepferdchen zu entdecken, welche meist in den Korallen versteckt und gut getarnt sind. Grosse Stachelrochen verweilen auf dem Grund, fühlen sich in keiner Weise durch uns gestört. Schildkröten mit ihren wohlgemusterten Panzern sind allgegenwärtig, silbrige Barrakudas zeigen uns ihre spitzen Zähne. Immer wieder treffen wir auf riesige Langusten. Sie verstecken sich nicht in Höhlen, wie sonst meistens, sondern sind auf Wanderschaft und in voller Pracht zu bestaunen. Ab und zu kommt es zu einer Begegnung mit einem Riffhai – einer ist richtig von uns angetan. Lange umkreist er uns und denkt bestimmt, was für merkwürdige Fische wir sind…
Nach langem Hin und Her lassen wir uns zu einem Nachttauchgang überreden. Der letzte liegt bei mir über zehn Jahre zurück, seither habe ich mich nie mehr an dieses Abenteuer gewagt. Somit ist es Rolands und mein erster gemeinsamer Tauchgang im Dunkeln. Ausgerechnet an diesem Nachmittag ist es bewölkt und es fängt zu regnen an, so dass ich eigentlich keine Lust mehr auf das kühle Nass verspüre. Aber wir müssen los, kneifen gilt nicht. Kurz bevor es ganz dunkel ist, steigen wir, ausgerüstet mit grellen Lampen, in die Unterwasserwelt ab. Es ist ein sonderbares Gefühl, in das bereits stockdunkle Wasser einzutauchen – für mich immer etwas furchterregend. Dementsprechend bin ich auch etwas nervös, Roland bewahrt Ruhe. Die Farben der Korallen kommen in der Nacht im Schein unserer Lampen besser zur Geltung als am Tag. Massenhaft gelb leuchtender Korallen haften am Schiffswrack. Die Langusten sind aktiv, die Schildkröten haben ihren Schlafplatz meist schon gefunden und liegen ruhig in einer Ecke. Es ist ein faszinierendes Schauspiel, aber dennoch bin ich ganz froh, als unsere Tauchzeit zu Ende ist und ich aus dem Dunkel aufsteigen darf. Mittlerweile regnet es in Strömen. Aber was solls, nass sind wir ja bereits!
Oranjestad ist die einzige kleine Stadt der Insel, welche mit ihren historischen Gebäuden und Festungen von längst vergangenen Zeiten träumen lässt. Das Zentrum wirkt sehr sauber und die kleinen farbigen Häuser sind richtig niedlich, es ist fast wie in einem Freilichtmuseum. Das Leben auf der Insel ist beschaulich, die Einheimischen sind freundlich, winken jedem, der ihren Weg kreuzt. Die zweiten fünf Nächte verbringen wir abgelegen in einer idyllischen Bungalowanlage an leicht erhöhter Lage über dem Meer. Scotty, der fröhliche Kerl mit Rastalocken, der hier zum Rechten schaut, begrüsst uns beschwingt: „Welcome – I hope you like it here“. Die Hütten liegen verstreut in einem riesigen Garten mit unzähligen Blumen und exotischen Pflanzen, im Hintergrund ragt ein grüner Vulkankegel in die Höhe. Auf der Veranda unseres Bungalows gibt es eine kleine Küche, so dass wir manchmal den Kochlöffel schwingen und uns selbst verköstigen. Nachmittags nach dem Tauchen legen wir uns liebend gerne in die Liegestühle im Schatten, geniessen die Ruhe und Abgeschiedenheit sowie den fantastischen Ausblick auf den Ozean und die weiter südlich gelegene Insel St. Kitts. Abends breitet sich in klaren Nächten ein riesiges Sternenmeer über uns aus und wir lassen den Abend auf unserer Veranda ausklingen.
Statia verdankt seine Entstehung zwei erloschenen Vulkanen an seinen beiden Enden. Die höchste Erhebung bildet der Qill, ein schlafender Schichtvulkan, dessen Krater auf 609 Metern über Meer liegt und man erwandern kann. Genau dies ist heute unser Plan. Frühmorgens machen wir uns auf den Weg, fahren mit unserem Mietwagen zum Ausgangspunkt des gut beschilderten Wanderweges und nehmen den Aufstieg durch den schattigen Wald unter die Füsse. Bereits eineinhalb Stunden später stehen wir nassgeschwitzt am Kraterrand und blicken in einen grünen, dicht bewachsenen Kraterschlund. Ein steiler Weg führt entlang des Kraterrandes zu einem Aussichtspunkt, wo wir einen Teil von Statia und die holländische Nachbarinsel Saba im Westen erblicken können. Die karibische See funkelt in sattem Blau – der Ausblick ist atemberaubend.
An unserem letzten Abend genehmigen wir uns ein feines Abendessen in einem lokalen Restaurant. Von der Veranda schwenkt unser Blick auf den Ozean, wo die rote Sonne soeben ins Wasser plumpst. Unsere Wahl fällt auf eine Köstlichkeit aus dem Meer – wer weiss, wann wir das nächste Mal die Gelegenheit haben, so frischen Fisch zu speisen. Nun sind auch die letzten zehn Tage unserer Reise in die Karibik um. Wir haben das gemütliche Statia, weit abseits vom grossen Tourismus, sehr genossen… Der liebenswerte Scotty verabschiedet uns warmherzig: „Thank you for coming. I hope you liked it here. Maybe you come back one day. And please tell all your friends about it.“ Diesen Gefallen haben wir ihm gern getan!
Kommentare
Kuba & St. Eustatius — Keine Kommentare
HTML tags allowed in your comment: <a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <s> <strike> <strong>