18.10. – 26.11.2014
La Réunion und Seychellen – Perlen im Indischen Ozean
Unsere Augen strahlen, als wir den Whirlpool auf der Veranda unseres Bungalows erblicken. Wir lassen uns vom lauwarmen Wasser umsprudeln, genehmigen uns einen Drink. Mein Blick schweift über den dichten Dschungel, in der Ferne erblicke ich das blaue Meer. Wohlbehagen breitet sich in mir aus – hier lässt es sich bestens an die tropischen Verhältnisse gewöhnen. Die Hütten des Resorts sind im afrikanischen, rustikalen Stil erbaut und schmiegen sich verstreut an den Hang.
Sind wir nun in Afrika oder nach 13 Flugstunden immer noch in Europa gelandet? Unverkennbar die französische Sprache, die französischen Autokennzeichen, die Preise in Euro, aber auch die vielen afrikanischen, dunkelhäutigen Menschen. La Réunion, die kleine Insel neben Mauritius, gehört zwar geographisch gesehen zu Afrika, aber als Überseedepartement von Frankreich auch zu Europa.
Die Insel ist vor Millionen von Jahren durch Ausbrüche des heute schlafenden Vulkans Piton des Neiges entstanden. Dabei wurden drei riesige spektakuläre Talkessel gebildet – Cirque de Mafate, Cirque de Cilaos und Cirque de Salazie – die heute besiedelt sind. Wie ein Kleeblatt reihen sie sich um den erloschenen Vulkan. Diese Berglandschaft im Herzen der Insel ist wild, zerklüftet und von dichter Vegetation überzogen. Ein Paradies für Wanderer mit einem gut markierten Wegnetz. Die Rucksäcke sind gepackt – eine siebentägige Tour steht vor uns.
Ausserhalb von Sans Souci, auf rund 400 Meter Höhe, setzt uns das Taxi ab. „Hier lang“, sagt der Fahrer kurzangebunden. Und weg ist er. Der Weg führt stets bergan, nach kurzer Zeit bin ich nassgeschwitzt. Die westliche Begrenzung des Talkessels ist eine über 1000 Meter hohe, fast senkrechte Felswand. Wie eine schattenlose Kerbe zieht sich der Weg dem Hang entlang. Die Sonne brennt. Uns präsentiert sich erstmals die beeindruckende Bergwelt. Langsam wandern wir in den Cirque de Mafate hinein, der übrigens nur zu Fuss oder per Helikopter erreichbar ist. Dadurch blieben seine Ursprünglichkeit sowie authentische Dörfer erhalten. Es zieht sich, bis wir nach etwa sieben Stunden erschöpft den Weiler Roche Plate auf 1130 Metern erreichen. Übernachtet wird in Berghütten, sogenannten Gîtes d’étapes. Wir sind jeweils in Massenschlägen untergebracht. Ohropax sei Dank – diese schlucken den meisten Lärm sowie das lästige Schnarchen.
Das Frühstück fällt stets enttäuschend klein aus, sehr französisch – Baguette, Butter, Marmelade und Tee oder Kaffee. Viel Energie spendet es nicht, gut haben wir noch etwas Proviant dabei. Die heutige Etappe abwechselnd steil hoch und genauso steil auch wieder hinab, vorbei an tiefen Schluchten mit spitzen Felsen und rauschenden Wasserfällen. Die schwarzen Hänge sind durchsetzt mit leuchtend hellgrünen Agaven. Die Sonne strahlt auch heute vom Himmel, was nicht selbstverständlich ist, denn normalerweise ziehen früh Wolken auf. Nach einer erholsamen Pause am Fluss geht es weiter durch eine beeindruckende Erosionslandschaft, über Geröllhalden und schlussendlich über einen Einschnitt im Hang in das kleine Bergdorf Marla auf 1600 Metern.
Uff, der steile Aufstieg zum Col du Taïbit, einem Pass auf 2080 Meter, ist geschafft. Es ist erst neun Uhr, aber heute hängen bereits früh graue Wolken am Himmel. Theoretisch könnten wir von hier in den Talkessel von Mafate sowie in den nächsten Talkessel, den Cirque de Cilaos, blicken. Aber wir sitzen leider im Nebel. Der Abstieg ins Tal ist lang, die Knie rebellieren. Als Entschädigung wandern wir durch einen Märchenwald, mystisch und verspielt. Erst am späten Nachmittag erreichen wir müde und verschwitzt Cilaos, der Hauptort des Talkessels auf 1200 Meter. Hier wartet ein richtiges Hotelzimmer auf uns und wir entspannen in der Badewanne unsere schmerzenden Glieder.
In Schleifen führt der Weg durch tropischen Mischwald. An den Ästen hängen Bartflechten, die die Feuchtigkeit hier lieben. So ist wohl keine Ausnahme, dass es auch heute aus dem Nebel nieselt. Nach vier Stunden steilem Aufstieg erreichen wir das Plateau, wo unser heutiges Etappenziel, die Berghütte Caverne Dufour, auf 2480 Meter liegt. Auf dieser Höhe wird es empfindlich kühl, aber auch an den vorangegangenen Abenden kamen die warmen Kleiderschichten zum Einsatz.
Die Nacht ist kurz, um drei Uhr bereits Tagwache. Die Gipfeltour auf den höchsten Berg starten wir im Dunkeln, um bei Sonnenaufgang oben zu sein. Das ist aber nicht der einzige Grund, wichtiger ist es, vor den Wolken oben zu sein. Der Piton des Neiges liegt auf 3070 Meter und ist der höchste Berg der Insel sowie des ganzen Indischen Ozeans. Seinem Namen wird er nicht gerecht – Schnee liegt auf dem Gipfel in der Regel nicht, aber es ist bitterkalt. Warm verpackt, mit Stirnlampe ausgerüstet, stapfen wir langsam voran. Der Anstieg ist unbequem. Wir folgen den weissen Markierungen über Geröll und lose Steinbrocken. Langsam bricht der Tag an. Die Morgenstimmung ist reizvoll, erste Sonnenstrahlen blenden uns. Glücklich erreichen wir den Gipfel und geniessen den fantastischen Rundumblick auf die Bergwelt und das Meer. Wow! Erst beim Abstieg können wir sehen, wie es hier eigentlich genau aussieht. Die Vegetation ist karg, flache Heidebüsche zieren die sandige, steinige Gegend, hin und wieder auch eine gelbe Blume. Mit dem tiefblauen Himmel wirkt die Landschaft alles andere als eintönig und bietet ein tolles Bild.
Erste Nebelschwaden schleichen um uns, hüllen uns bald vollständig ein. Der zweite Teil des heutigen Tages, der Abstieg ab der Hütte, gestaltet sich als sehr mühsam und langwierig. Ständig liegen grosse, glitschige Steine im Weg. Die Vegetation ändert sich, wir wandeln durch feuchten Regenwald. Der Pfad ist mittlerweile schlammig, Pfützen und Wurzeln verunstalten den Weg. Es ist sehr steil, stellenweise beängstigend rutschig. Nach fast zehn Stunden auf den Beiden – Pausen abgezogen – bin ich am Ende meiner Kräfte. Völlig verdreckt erreichen wir die Berghütte Bélouve auf 1500 Metern und freuen uns auf eine heisse Dusche.
Langsam spazieren wir durch den Regenwald, den Forêt de Bélouve. Ohne Rucksack und Wanderstöcke – ich fühle mich so leicht. Der Weg führt oft über Holzstege und Pritschen, da das Gebiet sehr feucht und die Passagen matschig sind. Wir staunen. Es wuchert, alles ist sattgrün und riesige Farnbäume fallen auf. Sanftes Vogelgezwitscher erklingt. Ich sauge diese Stimmung in mir auf – Roland zieht das Fotografieren in den Bann.
Mittags werden wir abgeholt. Die Strasse führt in vielen Kehren hinab durch den Regenwald. Haufenweise Picknicktische stehen verteilt in der Gegend. „Sonntags sind alle Tische besetzt. Picknicken ist unser Nationalsport“, klärt uns der sympathische Fahrer auf. Uns geht ein Licht auf. Aus unserer Wanderkarte sind einige „kiosques“ eingezeichnet. Aber nie haben wir einen Kiosk mit Snacks oder einem ersehnten kühlen Getränk vorgefunden, sondern nur ein Picknickareal. Was für ein Missverständnis – wir lachen über uns selbst.
Auf der anderen Seite des Tals führt die Strasse in eine völlig andere Welt. Eine karge Mondlandschaft, die uns zwar leider verborgen bleibt. Alles ist grau verhangen und es fängt heftig zu Schütten an. Wir erreichen die Gîte du Volcan auf über 2000 Metern. Eine triste Angelegenheit. Die Kraterlandschaft des aktiven Piton de la Fournaise auf 2530 Meter gehört zu den beeindruckendsten Naturphänomenen der Insel. Das schlafende Monster spuckt immer mal wieder Asche und Lava. Im Jahre 2007 kam es letztmals zu einem grossen Ausbruch.
Frühmorgens ziehen wir los. Ein Abstieg von rund 100 Metern bringt uns auf den früheren Kraterboden, eine Lavaebene. Wir kraxeln über erstarrte grauschwarze Lava verschiedenster Formationen, dessen Zeichnungen an Kuhfladen, Wurzeln oder Vermicelles erinnern. In rund drei Stunden ist der Krater erreicht. Wolken und Nebel kommen schon bedrohlich nah, aber wir haben Glück und können einen freien Blick in den 400 Meter tiefen Kraterschlund erhaschen. Eine überwältigende Szenerie beschliesst unsere vielseitige Wandertour. Wohl das Highlight unser Reise…
Wir werfen einen Blick hinter die Kulissen der Hauptstadt Saint-Denis, im Norden der Insel am Meer gelegen. Prunkvolle Kolonialgebäude stehen oft etwas versteckt hinter hohen Hecken. Daneben wirken die halb zerfallenen Häuser oder hässlichen Betonbauten etwas trostlos. Kirchen, Pagoden, Moscheen und Hindutempel liegen nur einen Steinwurf voneinander entfernt. Ein buntes Völkergemisch. Einmal wähnt man sich in Europa, an der nächsten Ecke riecht man Afrika. Dicke Afrikanerinnen in farbenfrohen Gewändern wackeln neben weissen schicken Frauen im Minirock. Gegensätze pur!
Einmal im Gegenuhrzeigersinn rund um die Insel, so unser Plan. Ohne Stau ist das Eiland in etwa fünf Stunden umrundet. Für die nächste Woche sind wir Besitzer eines Mietwagens und lassen uns Treiben. Es zieht uns bereits wieder in die Berge. Uns lockt das Erklimmen des Grand Bénare, dem dritthöchsten Gipfel. Bei Anbruch des Tages, um halb sechs in der Früh, gelangen wir in steilen Haarnadelkurven zum Aussichtspunkt Le Maïdo auf 2180 Metern. Die Sonne blinzelt soeben hinter den Bergspitzen hervor. Uns offenbart sich ein schwindelerregender Ausblick in den zerklüfteten Talkessel von Mafate, über 1000 Meter unter uns.
Unser Ziel stets vor Augen steigen wir stetig bergan. Wir durchwandern Heidelandschaft mit niedrigen Sträuchern. Lässt man den Blick in Richtung Küste schweifen, scheint das Meer zum Greifen nah, traumhaft. Schon bald nähern sich erste Wolken, kleben sich an die Berge, schieben sich immer weiter hoch. Der Wettlauf gegen den Nebel beginnt – wir gewinnen! Auf dem Gipfel auf 2890 Meter herrscht noch strahlender Sonnenschein, aber wir blicken rund um uns in das entstandene Nebelmeer, was zwar auch seinen Reiz hat. Beim Picknicken beobachten wir, wie die Wolken bedrohlich näher klettern. Beim Abstieg tauchen wir schon bald ins feuchte Grau ein. Endlich unten angekommen, sehen wir kaum einen Meter weit. Ich bin erleichtert, unter diesen Umständen überhaupt unser Auto aufzuspüren. Unglaublich, wie schnell sich die Wetterverhältnisse jeweils ändern können.
Feucht vom Nebel, spüren wir eine Kälte in den Knochen. Die warme Dusche tut unheimlich gut. In Petite France, im Hochland der Westküste, wohnen wir in einem familiären Gästehaus. Der Herr des Hauses kümmert sich liebevoll um das Wohl seiner Gäste. An einem langen Tisch wird ein typisch kreolisches Nachtessen – Reis, Linsencurry und Wurstscheiben in Tomatensauce – aufgetischt. Selbstverständlich fehlt auch der traditionelle, lokale Rum nicht – ein Schlückchen vor und eines nach dem Essen. Von allen Seiten erklingt Französisch, wie so oft. Leider können wir uns mit den aufgeschlossenen Franzosen, die hier schätzungsweise 80 % der Touristen ausmachen, kaum unterhalten. Mehr als ein paar eingeübte Brocken kriege ich nicht über die Lippen. Es reicht gerade, um ein Dach über dem Kopf zu ergattern, uns vor dem Verhungern zu retten sowie nach dem Weg oder dem Preis zu fragen. Und Roland ist mir auch keine Hilfe…
Vom Westen gegen Süden – über kurvenreiche Strassen, vorbei an kleinen Dörfern. Die Autofahrten zerren an meinen Nerven. Der Fahrstil der lokalen Bevölkerung ist meist rasant, sie schiessen uns entgegen und benutzen dabei manchmal auch einen Teil unserer Fahrspur. Oft sind die Strassen eng, sehr eng, und die Kurven halsbrecherisch. Ich schicke Stossgebete in den Himmel – es nützt.
L’Entre-Deux verströmt eine angenehme Atmosphäre. Auf knapp 400 Metern ist es angenehm warm, weder zu heiss, noch zu kalt. Es sei das schönste kreolische Dorf, beurteilt unser Reisehandbuch. Typisch für die kreolischen farbigen Holzhäuser sind die Vordächer, mit den kunstvollen Schutzblenden, eine Veranda und ein liebevoll gepflegter Garten. Hinter dem Dorfzentrum ragen die spitzen Gipfel der Kraterwand des Cirque de Cilaos auf – etwas wolkenverhangen, wie üblich an einem Nachmittag.
Noch einmal wollen wir hoch hinaus. Morgens um fünf klingelt der Wecker – raus aus den Federn. Am klaren Himmel ist keine einzige Wolke zu sichten. Wir bewältigen als erste den Aufstieg. Die Stimmung am frühen Morgen ist friedlich. Der freie Blick auf die Berge sowie das Meer geben mir Energie, den steilen Aufstieg spielend zu meistern. Die Aussicht vom Dimitile auf 1800 Metern in den Talkessel von Cilaos und alle umliegenden Berge ist atemberaubend. Noch sind wir allein, welch Genuss. Langsam wird es bewölkt. Von beiden Seiten zieht der Wolkenvorhang allmählich zu und wir blicken bald ins Graue. Das Spektakel ist vorbei – heute bereits um elf Uhr morgens.
Ab in den wilden Süden! Die Strasse windet sich der Küste entlang. Es bieten sich herrliche Ausblicke auf das stahlblaue Meer und die Buchten. Die Vegetation ist viel üppiger wie an der trockenen Westküste – grün soweit das Auge reicht. Zuckerrohrplantagen dehnen sich aus. Wir machen Halt an ein paar Stränden, deren Sand unterschiedlich gefärbt ist – weiss, schwarz oder olivegrün. Der Vulkan hat die Landschaft ganz offensichtlich geschaffen, schroffe Basaltfelsen und Lavaklippen prägen die Gegend. Wir nächtigen in Saint-Philippe, einem kleinen Ort im Südosten, wo wir in einem familiären Gasthaus mit nur drei Zimmern freundlichst beherbergt werden.
Bei jedem Vulkanausbruch vom Piton de la Fournaise ist die Insel in dieser Gegend um einige Quadratmeter gewachsen. Wir streifen über die kantigen schwarz glänzenden Lavaströme, die hier einst ins Meer geflossen und erstarrt sind. Flechten und Moose drängen sich bereits ungeduldig durch die Lava, die reich an Nährstoffen ist. Wir sind beeindruckt, von der Mächtigkeit dieses Vulkans und dessen Auswirkungen. Es sei einer der aktivsten der Welt. Nicht selten macht ein Lavafluss ganze Dörfer dem Erdboden gleich. So geschehen im Dorf Sainte-Rose, wo lediglich die Kirche verschont blieb. Wie durch ein Wunder teilten sich die Lavamassen vor dem Gotteshaus, um dahinter wieder zusammenzufliessen. Die tiefgläubige Bevölkerung überlebte und taufte die Kirche in Notre-Dame-Des-Laves um.
Entlang der Ostküste nordwärts – ein letzter Abstecher in die Berge. Entlang hoher, erhabener Berge dringen wir langsam in den Cirque de Salazie ein. Er ist der grösste der drei Talkessel und misst 12 x 9 km. Mittendrin, auf rund 900 Metern, liegt Hell-Bourg, ein kleiner Ort mit schmucken Häusern. Mittlerweile haben böse Wolken überhand genommen und verstecken das gesamte Bergpanorama. Dazu nieselt es kräftig. Es ist sehr touristisch hier, etliche Souvenirläden drängen sich auf. Gibt es denn kein Café, wo man sich aufwärmen und gemütlich einen heissen Tee schlürfen kann? Nein, gibt es nicht, wir können es kaum glauben. Die Zeit vergeht schleichend, bis endlich abends eine Handvoll Restaurants ihre Türen für das Abendessen öffnen. Immerhin hängen bei einigen die Öffnungszeiten aus – 18.30 bis 19.45 Uhr steht am Lokal unserer Wahl. Ja, die Zeiten sind begrenzt und früh alles dicht. So verabschieden wir uns meistens schon vor neun ins Bett.
Einen Vorteil hat es, das Aufstehen bei Sonnenaufgang fällt einem leicht. Nur wer frühmorgens auf den Beinen ist, kann die Bergwelt ausgiebig geniessen. Heute erst sehen wir, wie es um uns überhaupt ausschaut. Rundherum ragen die hohen Gipfel in den fast wolkenlosen Himmel. Über zahllose Serpentinen gelangen wir zum Ausgangspunkt für die letzte kurze Wanderung auf den Piton Marmite. Vom Gipfel auf 1880 Meter können wir nun einerseits in den Talkessel von Salazie sowie auch in den Talkessel von Mafate bis hinab zum Meer blicken. Wir sind einmal mehr überwältigt von der Einzigartigkeit dieses vulkanischen Gebirges. Auf die Wolken ist Verlass, sie sind im Anzug und wir fliehen aus dem Kessel. Wir kehren nach Norden in die Hauptstadt zurück. Die knapp dreiwöchige „Tour de La Réunion“ geht zu Ende. Der zweite Teil unserer Inselabenteuer lauert nur drei Flugstunden weiter nördlich. Au revoir et à bientôt…
Warme, feuchte Luft schlägt uns entgegen, obwohl es bereits dunkle Nacht ist. Aus den Lautsprechern im Taxi plärrt laute Musik, herzzerreisende Melodien mit schnulzigen Texten – welcome to the Seychelles, welcome to the paradise! Sind wir also im Paradies gelandet? Dies finden wir bestimmt heraus, knapp drei Wochen werden reichen.
Am nächsten Morgen begrüsst uns ein kräftiger Tropenschauer, der dann aber schnell vorbei ist. Unser kleines einfaches Hotel liegt direkt am Strand von Beau Vallon, einem langen breiten Sandstreifen, im Norden der Hauptinsel Mahé. Wir lassen den feinen Sand durch unsere Zehen rieseln und strecken die Füsse ins Meer. Feriengefühle kommen auf… Ich freue mich, die verschiedenen Inseln der Seychellen, knapp südlich vom Äquator, zu entdecken.
Die Insel ist gesäumt von zahlreichen sanft geschwungenen Buchten mit Sandstränden. Faul liegen wir an der abgelegenen Anse Major, einem idyllischen kleinen Strand. Wir blinzeln in die Sonne, das Salzwasser trocknet schnell auf der Haut und wärmt unsere Körper im Nu auf. Schon bald ist erneut ein kühlendes Bad im ruhigen Wasser fällig. Ein paar Palmen spenden auch etwas Schatten und wir verbringen ein paar Stunden am plätschernden Meer. Nach einem sättigenden Picknick ist es Zeit, den Rückweg in Angriff zu nehmen. Die Wanderung führt durch üppigen Dschungel und entlang der für die Seychellen typischen Granitfelsen jeglicher Formen und Grössen. Immer wieder bieten sich wundervolle Ausblicke auf den tiefblauen Ozean.
In Victoria, der provinziellen Hauptstadt, geht es geschäftig zu und her, insbesondere samstags. Dann sei der Markt am lebhaftesten, das wollen wir uns nicht entgehen lassen. An der nahegelegenen Haltestelle warten wir auf den Bus. Was läuft hier verkehrt? Aha, wir stehen auf der falschen Strassenseite, der Linksverkehr ist uns noch fremd. Der Bus hat seine besten Jahre bereits hinter sich, die Bremsen quietschen grässlich. Für jede Fahrt, egal wohin sie führt und wie lange sie dauert, bezahlt man einheitlich fünf Rupien, umgerechnet 35 Rappen. Das ist günstig, die meisten restlichen Auslagen liegen in etwa auf Schweizerniveau.
Es ist brütend heiss. Wir flanieren über den Markt, der zum Glück überdacht ist. Für afrikanische Verhältnisse ist er eher klein, jedoch bunt und quirlig. Es herrscht reger Betrieb, fangfrische Fische, tropische Früchte und schon leicht lahmes Gemüse wechseln den Besitzer. Intensive Düfte verschiedener Gewürze kitzeln unsere Nasen.. . Ansonsten bietet die Stadt wenig. Kolossale Kirchen fallen auf. Diese bieten genügend Platz für die eifrigen Kirchgänger. Fast die gesamte Bevölkerung bekennt sich zum katholischen Glauben.
Die Unterwasserwelt lockt – wir verbringen ein paar Tage mit Tauchen. Der Ozean glänzt, das Wasser ist kristallklar und die Sicht unter Wasser grandios. Wir lassen uns von der Welt dort unten immer wieder gerne verzaubern. Meistens tauchen wir um bewachsene Felsen, wo sich Fische tummeln. Am meisten beeindrucken mich die vielen Rochen, die wir oft zahlreich antreffen. Auch die riesigen Schwärme der Gelben Schnapper sind eine Augenweide – der Farbtupfer im Riff. Glücklich tauchen wir wieder auf und sind umgeben vom türkisfarbenen Meer, leuchtend grüner Vegetation und den grauschwarzen Granitfelsen. Im knatternden Boot zieht diese einzigartige Landschaft an uns vorbei.
Um die Insel in der vollen Grösse zu erkunden, mieten wir ein Auto. Der schmächtige Junge mit dem dunklen krausen Haar spricht nur das Allernötigste, gibt uns aber dennoch ein paar wertvolle Ratschläge mit auf den Weg. „Immer schön links bleiben“. Und parkiert das Auto auf keinen Fall unter einer Kokospalme“, ermahnt er uns. Aha genau, es könnte ja eine der Nüsse herabplumpsen.
Eine Kette von Granitgipfeln zieht sich über die Insel, was heisst, die Strasse führt selten geradeaus. Der höchste Berg ist immerhin 905 Meter hoch. Wir kurven im wahrsten Sinne über das Eiland, einmal rundherum, einmal über die Berge. Das Wetter ist nicht in bester Laune. Da der Himmel oft bedeckt ist, erscheint alles etwas farblos, der Glanz fehlt. Wir halten immer wieder an, nehmen die vielen hübschen Buchten in Augenschein und lassen uns in den kräuselnden Wellen treiben.
Mittags gönnen wir uns in einem kleinen Lokal ein leckeres Mahl – frischer Fisch wie meistens. Die Terrasse thront direkt über dem weissen Strand der kleinen makellosen Bucht, der Anse Soleil. Wie so oft ist die Bedienung höchst unmotiviert und nicht besonders freundlich. Aber wir machen auch Bekanntschaften mit aufgeschlossenen, herzlichen Menschen. Die Bevölkerung ist stärker afrikanisch geprägt wie in La Réunion. Ich bin tief beeindruckt, dass die meisten Seychellois drei Sprachen sprechen – Kreolisch, ihre Muttersprache, sowie Französisch und Englisch.
Schlapp mache ich mich im bequemen Sessel auf unserem Balkon breit und lausche dem heftigen Regen. Es weht ein kräftiger Wind, das Wasser prasselt quer vom Himmel. Aus der Strasse wird ein Bach, aus der Wiese ein See. Heute spielt uns das Wetter einen Streich. Warm bleibt es aber dennoch, auch abends benötigen wir nie lange Ärmel. Heute haben wir ein kleines Selbstversorger-Appartement auf der Insel Praslin bezogen. Ein Katzensprung – nur 15 Flugminuten. Leider präsentiert sich der Blick aus dem 18-Plätzer nur grau in grau. Wir klettern aus der engen Maschine. Allen Passagieren wird für das Überqueren des Flugplatzes ein Regenschirm in die Hand gedrückt, damit wir das Flughafengebäude trocken erreichen. Eine nette Geste, nicht?
Das Tief ist vorbeigezogen, das Wetter zeigt sich wieder von der Sonnenseite. Wir brettern mit dem Tauchboot über das schäumende Wasser. Weitere Tauchabenteuer stehen auf dem Plan. Schon beim Abtauchen, kaum ein paar Meter unter der Wasseroberfläche, segelt elegant eine Schule Adlerrochen unter uns durch. Wow – ich bin begeistert und kann mich kaum sattsehen. Noch nie habe ich so viele dieser schwarzen, weiss gepunkteten Kerle auf einmal gesichtet. „Ein Dutzend“, meint Roland später – wir freuen uns gemeinsam. Wir tauchen weiter ab und nach einer Weile kreuzen die anmutigen Rochen erneut auf, führen uns noch einmal ihre Flugshow vor Augen. Kurz darauf befinden wir uns in einem riesigen Schwarm kleiner blauer Fische. Es wimmelt nur so, überall sind sie, und wir mittendrin. Fantastisch, welch Glücksmomente uns die Unterwasserwelt einmal mehr beschert.
Im Vallée de Mai, einem urtümlichen Wald im Herzen der Insel, wächst nebst anderen endemischen Pflanzen die sehr seltene Seychellenpalme, die Coco de Mer. Diese gigantischen Palmen sind rund 30 Meter hoch und bilden ein dichtes Blätterdach aus Palmwedeln. Diese Blätter sind – ohne zu übertreiben – so gross wie Sonnenschirme und halten das meiste Tageslicht fern. Deshalb wachsen auf dem Waldboden kaum niedrige Pflanzen. Auch bleibt es angenehm, ist nicht zu heiss. Der erhoffte Regen bleibt aus. Zu gerne hätte ich gewusst, ob die riesigen Palmblätter auch als Regenschirme taugen. Stundenlang durchstreifen wir auf verschiedenen Wanderwegen diesen Garten Eden. Immer wieder lassen wir unsere Blicke in die Höhe schweifen, um die grossen sexy Kokosnüsse der Seychellenpalme zu begutachten. Ihre riesigen, schweren Nüsse sind erotisch geformt und erinnern an die Form eines Frauenpo. Oh la la…
Noch immer ist kein Bus in Sicht. Nun warten wir schon fast eine Stunde an der befahrenen Strasse. „Die Busse fahren jede Stunde“, meinte die charmante Managerin unserer Unterkunft. Eine Leidensgenossin zückt ein Papier, es macht den Anschein eines Fahrplans. Ich bin nicht davon ausgegangen, dass die Busse nach Plan fahren, geschweige es gedruckte Pläne gibt. In diesem Moment rauscht ein Bus an, rast aber zu meinem Entsetzen an uns vorbei. Der Fahrer winkt, will damit wohl sagen, dass das Fahrzeug schon proppenvoll ist. Das darf nicht wahr sein – kommen wir wohl vor dem Eindunkeln noch heim? Nach eineinhalb Stunden nimmt die Warterei endlich ein Ende. Es gibt noch ein paar Stehplätze, wir sind vollends zufrieden. Verkrampft halten wir uns fest, der Fahrstil ist wie immer rasant und ruppig.
Die Anse Lazio, die Bucht an der Nordwestspitze, sei ein Postkartenidyll, verspricht unser Reisehandbuch. Da müssen auch wir hin. Am angeblich schönsten Strand der Insel ragen an beiden Enden rötlich schimmernde Granitfelsen aus türkisblauem Wasser, der weisse Sand blendet. Nur die leuchtend gelbe Kette zum Eingrenzen des Schwimmbereiches trübt die Idylle. Wir gehen um die Ecke, an den Felsen vorbei und stossen auf weitere kleine Buchten. Hier verweilen wir, lauschen dem Rauschen der Wellen.
Ein Schild weißt den Weg zu einer Bar – Honesty Bar. „Bar des Vertrauens“, steht da sogar auf Deutsch. Wir bedienen uns eines erfrischenden Fruchtsaftes und legen das Geld in die bereitstehende Box. Eine gelungene Idee, diese Bar. „Hello“, ruft es uns von hinten zu. Der Inhaber ist zufälligerweise hier. Wir plaudern und finden heraus, dass er in der Hütte etwas weiter oben haust. „Alles ist illegal“, erzählt der gesprächige Einheimische, „immer mal wieder sind sie hinter mir her und wollen die Bar schliessen“. Bis es soweit ist, macht er weiter, vertraut auf Ehrlichkeit.
Wir fragen ihn nach dem Weg zur nächsten Bucht, wo keine Strasse mehr hinführt, die Ringstrasse um die Insel quasi unterbrochen ist. „Es ist kein leichtes Unterfangen, auf dem richtigen Pfad zu bleiben“, beurteilt er und erklärt uns den Weg ins kleinste Detail. Ich bezweifle, mir alles merken zu können. „Macht Fotos vom Plan vorne an der Bar“, ermuntert er uns. Ich bin platt, alle Abzweigungen und Merkmale sind fein säuberlich in einer Landkarte eingetragen. Da kann nichts mehr schief gehen.
Die Sonne brennt gnadenlos vom Himmel, mir rinnt der Schweiss aus allen Poren. Auch im Schatten des Waldes ist es drückend heiss. Der Weg führt auf und ab, es lassen sich prächtige Ausblicke auf das in vielen Farbnuancen schimmernde Meer erhaschen. Nach zwei Stunden erreichen wir unser Ziel, die hinreissende Anse Georgette. Wir kommen dem Paradies immer näher…
Der Nachmittag schreitet voran, wir nehmen die letzte Etappe unter die Füsse, um die Bushaltestelle rechtzeitig zu erreichen. Nun als stolze Besitzer des Fahrplanes wissen wir, wann ein Bus fährt. Zwanzig Minuten vor Abfahrtszeit sind wir da – der Bus erstaunlicherweise auch. Schweissnass lassen wir uns auf den vordersten Plätzen nieder. Kurz darauf fährt der Bus los. Fragend schaue ich Roland an, wir verstehen die Welt – oder den Fahrplan – nicht mehr. Wir fragen uns ernsthaft, ob es nun besser ist, mit oder ohne Fahrplan unterwegs zu sein…
Der Blick hinab auf das blaue, tosende Meer und die im Wind wiegenden Palmen ist grossartig. Und wenn dieser Blick von der Terrasse des eigenen Bungalow ist, noch grossartiger. Wir verbringen die letzten unserer Tage auf La Digue, der kleinsten der drei besuchten Insel. Mit der Fähre dauert die Überfahrt von Praslin nur eine Viertelstunde. Es gibt kaum Autos, keine Busse, hier regieren Fahrräder den Strassenverkehr. Bei einer Insellänge von fünf Kilometern kein Problem. Alles fährt Rad, die Touristen tun es den Einheimischen gleich. „Und stets linkes bleiben“, die Ermahnung vom flotten Lockenkopf im Hotel kommt uns bekannt vor. Nun können wir den Fahrplan selbst bestimmen…
Die Atmosphäre ist etwas lockerer als auf den anderen Inseln, mir gefällt das relaxte Eiland. Und was gibt es zu sehen? Aber natürlich – Strände, Strände und nochmals Strände. Wir pedalen von Bucht zu Bucht, glücklicherweise meistens geradeaus. Manche Strände sind aber nur zu Fuss erreichbar, das Fahrrad lässt man stehen. „Das klaut einem niemand“, beantwortet unser Vermieter schmunzelnd meine Frage nach einem Schloss. „Ansonsten ist die Insel überschaubar“. Na gut, vertrauen wir darauf.
Von der hochgelobten Anse Source d’Argent bin ich erst enttäuscht. Habe ich zuviel erwartet? Oder ist es, weil bei Ebbe das Wasser ganz seicht oder sogar verschwunden ist? Wir verbringen den Tag am Strand, warten auf das fehlende Wasser. Bei Flut sieht die Welt ganz anders aus. Das Meer umspült nun die mächtigen, von der Natur geformten Granitblöcke. Deren Farbschattierungen reichen von schwarz über grau bis ockerfarben. Viele dieser tief zerfurchten Felsen säumen die Bucht, teilen sie in kleine Abschnitte. Auch ein Bad ist nun möglich. Fast zu warm ist das Wasser, wie in der Badewanne.
Eine Riesenschildkröte! Wir schwingen uns vom Sitz unserer Drahtesel und bestaunen das gigantische Tier am Strassenrand. Friedlich hockt es im Gras. Neugierig streckt die uralt wirkende Schildkröte den Kopf hoch, der schrumpelige Hals wird immer länger. Sie riecht wohl das Fressen. Schwerfällig hebt sie ein Bein vor das nächste, kommt nur langsam voran. Eine Frau streckt ihr eine Banane entgegen, die sie mampfend mitsamt Schale verdrückt. Fasziniert beobachten wir das Geschehen. Diese Riesenschildkröten sind nur noch auf den Seychellen und den Galapagos in der freien Natur anzutreffen.
Neuer Tag, neuer Strand. Über verschiedene traumhafte Buchten schustern wir zu Anse Cocos. Nicht so viele Leute finden den Weg hierhin. Die sichelförmige Bucht ist malerisch, mit einem dichten Saum aus Kokospalmen. Wir legen uns in den Schatten einer dieser Palmen – ohne Nüsse! – und geniessen einfach den Moment. Die Wellen des Ozeans rollen an den Strand, der weisse Sand ist puderfein. Saftiges Grün leuchtet im Hintergrund der zusammengewürfelten Granitfelsen, die aus dem türkisfarbenen Meer ragen. Ein paar zerzauste Wolken hängen neckisch vom sonst strahlend blauen Himmel. Ein verstecktes Juwel – wir haben das Paradies gefunden!
Kommentare
La Réunion & Seychellen — Keine Kommentare
HTML tags allowed in your comment: <a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <s> <strike> <strong>