Galle – eine koloniale Perle
Die Rucksäcke geschultert, trotten wir unter der heissen Mittagssonne dem Strassenrand entlang. Obwohl es vom Busbahnhof nur einen Katzensprung ist, trudeln wir schweissüberströmt bei unserer gebuchten Unterkunft ein. Mit einem Händedruck empfängt man uns im kleinen Gästehaus in der Altstadt von Galle warmherzig. Seit zehn Jahren geführt von der deutschen Maike und Naman, ihrem einheimischen Ehemann. Unser Zimmer noch nicht fertig hergerichtet, stellt man uns wohlwollend eine Kanne Schwarztee und eine Zuckerdose vor die Nase, um uns mit einem Tässchen die Wartezeit zu versüssen. Maike leistet uns nette Gesellschaft – rasch sind wir in unserer Muttersprache in einen angeregten Schwatz verwickelt…
Von Neugier erfüllt frage ich die liebenswürdige Frau über die touristische Entwicklung des Landes in den letzten Jahren aus. „Die Besucherzunahme kam schleichend“, antwortet sie nach einer kurzen Denkpause. „Doch jetzt ist meiner Meinung nach endgültig eine Marke erreicht, wo es nicht ständig immer noch mehr werden darf.“ Sie spricht uns aus dem Herzen, war uns der Touristenrummel mancherorts wirklich zu viel. Allerdings werden überall euphorisch Mauern in die Höhe gezogen und es scheint, dass viele mit einem Gästebetrieb das grosse Geld wittern.
Unser Schlafgemach inzwischen bezugsbereit, lotst man uns ins Dachgeschoss des dreistöckigen Altbaus. Ansprechend in warmen Farbtönen gehalten, fällt uns sofort die „richtige“ Dusche ins Auge. Ein Duschvorhang oder auch nur ein entsprechender Ausbau ist hierzulande eine Rarität – meist ist nach der Körperwäsche das halbe Badezimmer überschwemmt. Die Kammer grenzt an die in Weiss gehaltene Dachterrasse, wo jetzt frühnachmittags die kräftige Tropensonne ungeschützt auf unsere Köpfe knallt. Einen ersten Blick auf das tiefblaue Meer erhascht, fliehen wir unter die Klimaanlage, denn auch drinnen herrscht eine Affenhitze.
Galle markiert eine Schnittstelle zwischen der Süd- und Westküste – noch sind wir gute 100 Kilometer von Colombo entfernt. Fraglos ist Galle die reizvollste Stadt Sri Lankas, ihre gut erhaltene Altstadt eine koloniale Perle. Die Ursprünge dieses Schmuckstücks reichen bis ins 16. Jahrhundert zurück. Durch Monsunstürme vom Kurs auf die Malediven abgetrieben, landeten im Jahre 1505 erstmals Europäer hier. Über die portugiesische Epoche ist jedoch nur wenig überliefert, da die Holländer 1640 fast alle Hinterlassenschaften vernichteten. Sie machten Galle zum wichtigsten Stützpunkt und Hafen ihrer neuen Kolonie. Ende des 18. Jahrhunderts erfolgte die Übergabe an die Briten, doch im Verlaufe der Zeit orientierten sich die neuen Herren am besser gelegenen Colombo, von dem das Hochland mit seinen ertragreichen Teeplantagen wesentlich leichter zu erreichen war. Galle diente nur noch bedingt für den Warenumschlag und fiel in einen Dämmerschlaf…
Unser Entdeckergeist erfrischt, brechen wir zu einem ersten Streifzug auf und tauchen ein in die völlig andere Welt. Eine exotische Mischung aus asiatischer Gegenwart und europäischer Vergangenheit. Kein anderer Ort in Sri Lanka versprüht annähernd so viel Charme, zeigen sich Dörfer und Städte ansonsten grösstenteils mit einem hässlichem Gesicht – ein zusammengewürfelter Haufen an schmucklosen Bauten mit lautem Verkehr. Das Schlendern durch die alten Gassen von Galle dagegen ist beschaulich. Hingerissen nehmen wir die im Kolonialstil gehaltenen Gebäude in Augenschein, die einen niedlichen Eindruck erwecken. In den oftmals schmalen Häusern sind verlockende Restaurants, exklusive Boutiquen oder originelle Läden untergebracht. Neben etlichen Verwaltungsbauten gibt es auch zuhauf Hotels – nebst den sich unauffällig über die Stadt verteilenden kleinen Gästehäuser fallen grössere Nobelherbergen auf.
Die meisten Kolonialbauten sind mittlerweile aufwändig renoviert, hatte das feuchtheisse Tropenklima an der historischen Bausubstanz genagt. Seit die Unesco die Altstadt zum Weltkulturerbe erklärt hat, wurden auch die Gassen neu gepflastert, die streunenden Hunde verbannt und die Verschmutzung reduziert. Die Strassenzüge wirken herausgeputzt, wenn auch nicht blitzblank. Wie fast überall ist Sri Lankas Müllproblem auch hier nicht zu leugnen. „Wir werden als Spinner angesehen, wenn wir jemanden bitten, die soeben auf den Boden geschmissenen Plastikflaschen in den Mülleimer zu werfen“, erzählt uns Maike frustriert. „Der Bevölkerung ist ein Umweltbewusstsein weitgehend fremd, und die Regierung unternimmt herzlich wenig.“ Immer wieder fällt uns auf, dass die Menschen zwar stundenlang Laub zusammenwischen, den Abfall daneben aber links liegen lassen. „Der Anblick stört sie nicht“, seufzt unsere Gastgeberin kopfschüttelnd.
Die auf einer Landzunge liegende Altstadt ist von einer Befestigungsanlage umgeben. Das Fort der Portugiesen wurde in der holländischen Kolonialepoche in den bis heute erhaltenen Dimensionen ausgebaut. Zum Schutz der weit geschwungenen Bucht errichtet, dienen die dicken Mauern heute als Promenade. Am späten Nachmittag flanieren wir in guter Gesellschaft über die Wallanlagen, umschmeichelt von einer sanften Meeresbrise und dem salzigen Duft der unten schäumenden Flut. Landeinwärts gucken wir über die Häuserdächer aus rotgelben Tonziegeln, begrünte Innenhöfe und Veranden.
Es wimmelt nicht nur von ausländischen Besuchern, sondern auch von grossen Schulklassen. Meist nach Geschlecht getrennt, stecken die Kinder häufig in biederen Schuluniformen, manchmal sogar eine Krawatte um den Hals gebunden. Doch eine quietschvergnügte Mädchenklasse bietet einen entzückenden Anblick, alle weiss gekleidet, manche einen neckischen Sonnenhut aufgesetzt. Langsam pirsche ich mich heran und grüsse mit einem winkenden „Hello“. Die einen halten sich kichernd eine Hand vor den Mund, während mich andere unverhohlen mit grossen Augen anstarren. Alle etwas schüchtern, rücken sie nur zögernd näher, tuscheln und brechen immer wieder in ein glucksendes Lachen aus. Derweil Rolands Kamera heissläuft, trommelt ein Lehrer auch noch seine restlichen Schützlinge zusammen, bis ich letztendlich umringt bin und mitten in der Klasse sitze. „Bye, bye!“, schreien die aufgekratzten Schülerinnen aus Colombo nach einem Klassenfoto wild durcheinander – sind sie offenbar ganz aus dem Häuschen.
Die Qual der Wahl. Einladende Restaurants gibt es im Überfluss. Manche schnuckelig mit nur zwei oder drei Tischen bestückt, verströmen andere Nostalgie und lassen sich ihr Ambiente gern bezahlen. Nach einer späten Morgenstärkung ist es beinahe Mittag, aber was solls. Das überschaubare Galle ist schnell abgeklappert und deswegen haben wir heute Zeit zum Verschwenden, oder zum Verfressen.
Spätnachmittags erneut eine Hungerattacke, schnabulieren wir auf einer luftigen Dachterrasse mit grandioser Aussicht auf den weissen Leuchtturm – im Kontrast dazu leuchtet das aquamarinblaue Meer. Unweit davon ragt in derselben Farbe eine mächtige Moschee auf, der Muezzin ruft mit seinem Singsang soeben zum Pflichtgebet auf. Ungewöhnlich eckig, wurde das religiöse Bauwerk einst als Kathedrale errichtet, kennzeichnet jedoch heutzutage das wichtigste Muslim-Viertel.
Den kulinarischen Abschluss feiern wir in einem urigen Café. Das kleine Lokal mutet fast wie eine Antiquitätenstube an – ein Sammelsurium an die Wände geheftet, die roten Blumen auf dem Tisch verstaubt. Die umfangreiche Speisekarte liebevoll handgeschrieben, untermalen kindliche Zeichnungen die angebotenen Gerichte. Versteckt hocken wir hinter einem Gartenzaun auf der Veranda und frönen dem „people watching“…
Die zwei erholsamen Tage lassen wir in unserem Gästehaus ausklingen, wiederum hoch oben auf dem Dach. Haufenweise Wolkenschlieren dämpfen das Himmelblau, der glühende Sonnenball vermag sich farblich dennoch durchzusetzen. Langsam nähert er sich knallorange dem weiten Horizont, und versinkt schlussendlich hinter einem Palmwedel im schimmernden Wasser. Ein stimmungsvoller Sonnenuntergang – wider Erwarten.
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