Im Osten von Bali
Der von den Balinesen hochverehrte Gunung Agung erhebt sich im Osten der Insel majestätisch in die Lüfte – leider ebenso häufig in die Wolken. Der alles überragende Gipfel misst stolze 3142 Meter und ist somit der höchste Berg auf Bali. Aus der Entfernung erscheint der aktive Vulkan nahezu perfekt kegelförmig. Seit seinem letzten Ausbruch im Jahre 1963 schlummert er friedlich vor sich hin. Der Agung gilt als heiliger Berg und wird von den Hindus regelrecht vergöttert – an seiner Südwestflanke thront in knapp 1000 Metern Höhe der Pura Besakih, der wichtigste Tempel Balis. Saftig grüne Reisterrassen dominieren die südlichen Hänge des Vulkans, während sich die nördlichen Ausläufer trocken und von Kakteen übersät zeigen. Die umliegende Küste, teilweise mit schwarzen Stränden gesegnet, verspricht ein Eintauchen in eine vorgelagerte bunte Unterwasserwelt. Lassen wir uns nun von schwindelerregenden Höhen oder hinreissenden Tiefen verzaubern?
Vom unserem Balkon bietet sich ein grandioser Blick weit über das tiefblau leuchtende Meer. Die Aussicht ist unbezahlbar, das Zimmer jedoch nicht, auch wenn wir für die wundervolle Lage ein paar Rupiah mehr in die Hand nehmen. Doch wir bevorzugen es, in einem Hotel unmittelbar am Strand, anstelle im Hinterland oder an der Hauptverkehrsachse zu wohnen, wo Verkehr mit Tempo durch das ansonsten eher verschlafene Örtchen rattert. Tulamben liegt im Nordosten des Vulkans. Das Dorf selber ist nichts Besonderes, trotzdem haben sich hier zahlreiche Unterkünfte angesiedelt. Der Grund dafür ist ein vor der Küste gelegenes, gesunkenes Schiff, das mittlerweile von Korallen überwuchert und Meeresbewohnern in Beschlag genommen wurde. Unzählige Schnorchler und Taucher wollen sich dieses leicht zugängliche Unterwasser-Spektakel nicht entgehen lassen – wir auch nicht…
Beim Wrack handelt es sich um die USAT Liberty, ein amerikanisches Frachtschiff, dass 1942 in der Strasse von Lombok von einem japanischen U-Boot torpediert und schwer beschädigt wurde. Der Versuch, das Schiff in den Hafen von Singaraja in Nord-Bali zu schleppen, misslang. Folglich beschloss die Besatzung, die Liberty bei Tulamben an Land zu setzen. Dort lag das Schiff über 20 Jahre, bis es 1963 durch den heftigen Ausbruch des Vulkans Agung komplett ins Meer geschoben wurde. Seitdem ruht es dort nur wenige Meter vor der Küste, direkt unter der blauen Wasseroberfläche, die sich unseren Augen vom Balkon offenbart.
Das Betauchen der Liberty gilt als der leichteste Wracktauchgang der Welt, verenden abgesoffene Schiffe ansonsten oft in Untiefen der weiten Ozeane. Somit möchten wir das Wrack in Eigenregie erkunden. Doch der gewünschte Verzicht eines Tauchguides stellt sich als schwieriger heraus wie angenommen. Erwartungsvoll klappern wir einige Tauchbasen ab und erkundigen uns nach Vermietung von Tauchausrüstung. Meistens blitzen wir ab, entweder grundlos oder weil wir kein Tauchlehrer-Brevet vorlegen können. Nach einem erfolglosen Rundgang kehren wir ernüchtert zurück zum Tauchladen unseres Hotels, wo kaum Englisch gesprochen wird. Aber immerhin verleiht man uns gerne das gefragte Material – hier ist nicht einmal unser Tauchschein von Interesse. Wir satteln die Tauchflaschen und legen in Vollmontur die kurze Distanz zum Strand zurück. Die letzten paar Schritte tapsen wir leicht schwankend über grobe schwarze Steine – Sand sucht man hier vergebens – und lassen uns ins wohltemperierte Wasser plumpsen.
Kaum den Kopf unter Wasser gestreckt und ein paarmal in die Flossen gekickt, zeichnen sich bereits erste Umrisse des Wracks ab. Der rund 100 Meter lange Kahn liegt in einer Tiefe zwischen 3 und fast 30 Metern. Bereits beim Abtauchen spottet Roland einen Schwarzspitzenriffhai, der anmutig knapp über den Grund schwebt. Noch immer auf den Hai fokussiert, segelt ein Rochen elegant in unser Blickfeld, währenddessen von der anderen Seite ein mächtiger Napoleon aufkreuzt. Wow, das nennen wir einen gelungenen Start in unseren Tauchgang… Die Liberty ist im Laufe der Zeit in Teile zerbrochen und heute nicht mehr klar als ein Schiff zu erkennen. Obwohl es spannend ist durch Gänge und Luken zu tauchen, stellt für uns nicht das Schiffswrack als solches den grössten Anreiz dar. Es sind die ansässigen Bewohner, die den Tauchplatz ausmachen, sowie die Korallen, die die Wrackteile farbenfroh einkleiden. Tausende von Flossen und mehrere gelb leuchtende Fischschwärme beleben die in der Tiefe ansonsten eher düstere Szenerie.
Je weiter wir wieder aufsteigen, desto mehr Sonnenstrahlen durchdringen das Wasser, welches einen zauberhaften Glitzer über das Unterwassergeschehen legt. Lange verharren wir möglichst reglos bei einem Tintenfisch, welcher sich farblich exakt dem Riff angepasst. Die scheuen Kreaturen verändern ihre Körperfarbe von weiss bis violett, über dunkelrot bis braun – unglaublich beeindruckend. Wir geniessen es für einmal, alleine zu zweit zu tauchen, selber zu entscheiden, mit welcher Geschwindigkeit wir unterwegs sind, wo genau wir abbiegen und welche Geschöpfe wir wie lange beäugen. Frieden und Ruhe pur – von weiteren Tauchern einmal abgesehen – beherrschen diese uns stets von neuem faszinierende, unter der Wasseroberfläche verborgene Welt. In unserem eigenen Rhythmus werden wir uns der Schwerelosigkeit wieder einmal so richtig bewusst – ein herrliches Gefühl. Bald sind über eineinhalb Stunden verstrichen, nun ist unsere Flasche leergesaugt. Über den Sandgrund paddeln wir strandwärts. Lange dicke Röhrenaale recken ihre Hälse neckisch aus dem Sand, versinken bei unserem Näherkommen wie vor Scham in Grund und Boden. Mit Glücksgefühlen hieven wir uns aus dem seichten Wasser.
Am nächsten Tag ergründen wir die Liberty noch ein weiteres Mal. Heute stürzen wir uns bereits frühmorgens in die Fluten, lange bevor die meisten Tagesbesucher anreisen. Und dennoch teilen wir das Wrack mit anderen Tauchern, weichen ihnen aber so gut es geht aus. Auch beim dritten Tauchgang begeistert uns die eigene Welt dort unten noch immer, jedes Mal erschliessen sich uns neue Perspektiven und andere Begegnungen… In letzter Minute eilen wir mit knurrendem Bauch zum Frühstück, bevor wir uns im grosszügig angelegten Resort in einen schattigen Liegestuhl am Schwimmbad werfen. Die Luft steht still und es ist drückend heiss, obwohl die Sonne nachmittags den quellenden Wolken weicht. Bald ist der hinter uns aufragende Vulkankegel des Gunung Agung in einen grauen Umgang verhüllt und der blaue Glanz des Ozeans spurlos verschwunden…
Die schmale Strasse windet sich den vulkanischen Berghängen entlang. Unser Fahrer scheint ortskundig, biegt in ein noch engeres Strässchen ein. Ist es eine Abkürzung oder weicht er lediglich dem stockenden Verkehr aus? Nach einer guten Stunde und einer halben Umrundung des Vulkans erreichen wir unser nächstes Ziel – Sidemen. Das Dorf liegt auf rund 400 Metern Höhe in einem malerischen Tal am südlichen Fusse des mächtigen Gunung Agung. Von allen Seiten von Reisterrassen umgeben, ist Sidemen entweder ein Ort zum Wandern oder Entspannen. Im Grünen eingebettet finden sich viele kleine Unterkünfte, die oft unmittelbar an Reisfelder grenzen und mit hervorragenden Ausblicken punkten. Mit einem Hoteltipp von Freunden in der Tasche, lassen wir uns vor der entsprechenden Haustüre absetzen. Und wir werden nicht enttäuscht…
Ausgeschlafen treten wir am nächsten Morgen auf unsere Veranda, wo uns bereits Sonnenstrahlen streicheln. Unser Blick fällt über grüne Felder bis hin zu einer lieblich geschwungenen Hügelkette. Der Tag startet wettermässig vielversprechend, doch schon nach dem Frühstück hat es sich Petrus anders überlegt und schickt erste Regenwolken über unsere Köpfe hinweg. Uns kaum in den Liegen am wunderschönen Überlaufpool breit gemacht, öffnet der Himmel seine Schleusen und zwingt uns zurück in unser reizendes Daheim. Die Bungalows der kleinen herzigen Anlage liegen etwas verstreut, ohne unmittelbaren Blick auf einen Nachbar. Unser Zimmer ist geschmacksvoll mit alten Holzmöbeln eingerichtet, das Badezimmer ziert ein Pflanzenbeet. Auf der Veranda finden wir Schutz vor dem launischen Wetter, das den ganzen Tag anhält. Gegen Abend sinken die Temperaturen merklich und lassen uns für einmal eine wärmende Schicht aus unseren Rucksäcken kramen. Mittlerweile umgibt uns dunkle Nacht und ein lautes Konzert quakender Frösche und zirpender Grillen nimmt seinen Lauf.
Die trübnasse Wettersituation verändert sich kaum. Oft verweilen wir auf der gemütlichen Veranda und widmen uns vorwiegend der Reiseplanung und unserem Blog, bis plötzlich ohne irgendwelche Voranzeige unser iPad stirbt. Nach dem Laden flimmert der Bildschirm in Pink und das verflixte Ding tut keinen Wank mehr. Mist, das hat uns gerade noch gefehlt – und die neue, aus der Schweiz zugestellte Tastatur ist noch keine zwei Monate im Einsatz. Das Todesurteil ist vielleicht die hohe Luftfeuchtigkeit von über 90 Prozent, aber dies bleibt lediglich unsere Vermutung. Nun können wir leider nicht mehr parallel „arbeiten“, aber immerhin funktioniert der Laptop momentan meist einwandfrei, was in der Vergangenheit längst nicht immer der Fall war. Unsere Stimmung ist betrübt wie das Wetter…
Der Wecker reisst uns aus dem wohligen Schlaf. Wir nutzen heute die Morgensonne und vertreten unsere Füsse, um einen Einblick in die ansehnliche Gegend zu gewinnen. Der Vulkan Agung versteckt sich aber bereits in der Früh hinter grauen Wolkenschwaden, aber vom Berg gewandt ist ein Ausblick in die Ferne bis hinunter zum Meer möglich. Gemächlich spazieren wir durch die verkehrsarmen Strassen des beschaulich in den Hügeln liegenden Dorfes und saugen die ländliche Atmosphäre in uns auf. Reisfeld grenzt an Reisfeld, eine üppige Pracht, die Ernte steht oft kurz bevor. Gelegentlich braust ein Motorroller an uns vorbei. Es fällt uns auf, dass wir und noch ein paar weitere Touristen die einzigen sind, die zu Fuss gehen. In der heutigen Zeit scheinen sich die Einheimischen mehrheitlich mit einem Motor unter ihrem Hinterteil zu bewegen… Bald hängen Wolkenfetzen bedrohlich über uns – Zeit heimzukehren. Die tropische Regenzeit hat uns mittlerweile zweifelsohne eingeholt!
Nach vier erholsamen Tagen chauffiert uns erneut ein Fahrer – mit öffentlichen Verkehrsmitteln ist es vielerorts schwierig Bali zu bereisen. Zwei Stunden später quartieren wir uns für unsere allerletzte Nacht in Kuta, in unmittelbarer Flughafennähe im Südzipfel der Insel ein, denn unser Flug auf die Molukken hebt am nächsten Tag bereits im Morgengrauen ab… Wir nutzen den Nachmittag und streunen durch verschiedene Shopping Malls. Die kitschigen Weihnachtsbäume und das fröhlich plärrende „Jingle Bells“ aus den Lautsprechern wirken befremdend – es ist das erste Mal, dass wir uns in Indonesien in weihnächtlicher Stimmung wiederfinden. Wir halten Ausschau nach einem neuen iPad. Doch finden wir ein entsprechendes Geschäft, ist kaum eine Auswahl an Lager, und sowieso sind die Geräte viel teurer wie in der Schweiz. Auch sehen wir ein, dass es überhaupt nicht gescheit ist, einen solchen Kauf zu tätigen, wenn wir morgen weiterreisen. Wir verschieben unseren „Weihnachtskauf“ und starten unsere Mission erneut ein paar Wochen später im nächsten Land, wo wir dann nochmals Zeit in Kuala Lumpur verbringen werden…
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