Im Sandkasten der Dampier Peninsula
Von Derby in Richtung Westen, gleiten wir auf dem ebenmässigen Teerband des Highways fast ausnahmslos geradeaus. Gelegentlich recken dickgewachsene Boab-Bäume ihr kahles Geäst in den stahlblauen Himmel, zieren unsere ansonsten eintönige Reiseetappe. Rund 200 Kilometer am Fenster vorbeigerauscht, schwenken wir kurz vor Broome zur Dampier Peninsula ab, die sich nördlich der Stadt erstreckt. Die nahezu unberührte Halbinsel ragt weit in den Indischen Ozean hinein – wie ein gigantischer Sandkasten, der abrupt an verlassenen Stränden, scharlachroten Klippen oder geschützten Mangrovenbuchten endet. Wir gleiten ruhig wie über roten Samt, zumindest bis die unbefestigte Sandpiste mit heimtückischen Bodenwellen grüsst…
Von der Hauptstrasse zweigt links die Manari Road ab und lotst uns durch tiefsandige Stellen unmittelbar der westlichen Küste entlang. Hin und wieder führen Stichsträsschen über sanft geschwungene Sanddünen bis zum Meer. Vielerorts bieten sich herrliche Möglichkeiten zum Buschcamping – Einrichtungen gibt es keine, die Lage hingegen ist purer Luxus. Mit unserem Geländewagen 50 Kilometer durch den Sand geschaukelt, lassen wir uns am James Price Point nieder. Erhöht über dem tiefblauen Ozean schlagen wir unser Nachtlager auf. Der weisse Sandstrand bildet einen wunderbaren Kontrast, die untergehende Sonne taucht die verwitterte Klippenlandschaft in ein feuriges Rot. Besänftigendes Meeresrauschen musiziert uns in einen tiefen, langen Schlummer…
Frühmorgens, ein erster Blick aus unserem Schlafgemach. Gähnend würdigen wir bereits vom Bett aus die hinreissende Ozeankulisse. Das Morgenessen soeben in Seelenfrieden geschlemmt, fährt die Natur mit weniger angenehmen Seiten auf. Nebst frischen Windböen und anhänglichen Fliegen macht uns die intensive Sonne zu schaffen. Unser Platz wartet zwar mit grandioser Aussicht auf, aber leider mit keinerlei natürlichem Schatten. Ein Grund umzuziehen. Einen Katzensprung weiter nordwärts finden wir ein geeignetes Daheim und hausen erneut hoch über dem tosenden Meer. Keine Menschenseele weit und breit, die Einsamkeit berauschend. Auf einer erhöhten Sanddüne genehmigen wir uns spätnachmittags einen Sundowner, bevor die Sonnenkugel mit dem glitzernden Wasser verschmilzt und am Horizont einen orange glühenden Streifen hinterlässt.
„Und, bleiben wir?“, frage ich Roland, als wir auf unserer sandigen Aussichtsterrasse frühstücken. Eine Diskussion ist überflüssig, wir sind uns einig. Gemächlich schlendern wir dem hellen Strand entlang, dahinter ragen in verschiedenen Rotnuancen getönte Sandklippen empor. Das Salzwasser glänzt in einem satten Türkis, weiss schäumend schlagen Wellen auf. Ein weiterer Tag verstreicht – in unserem kleinen Paradies. Trotzdem ist unsere Stimmung etwas getrübt, insbesondere Roland ist frustiert. Seine Fotokamera lässt ihn grausam im Stich. Noch nicht einmal ihren ersten Geburtstag zelebriert, ist sie vermutlich an ständig in der Luft schwebenden Staub- und Sandpartikeln erstickt. Ernüchtert knipst der ansonsten leidenschaftliche Fotograf deshalb mit seinem Handy, und ich krame die Kompaktkamera aus den Tiefen unserer Habseligkeiten. Wessen Kamera das Rennen macht, ahnen wir heute noch nicht, stellen später jedoch fest, dass das Smartphone insgesamt mit besseren, schärferen Bildern aufwartet.
Nach drei friedlichen Tagen gondeln wir entlang der Küste zurück auf die Hauptstrasse. Unser heutiges Ziel ist das Cape Leveque, die 200 Kilometer entfernte Nordspitze der Dampier Peninsula. Die erste Hälfte der Strecke zieht sich wie eine rotsandige Schneise durch den Busch, rein gar nichts liegt am Wegesrand. Abwechselnd poltern die Räder über steinhart gepressten oder schlittern geschmeidig durch losen Sand. Eine Prise Abenteuer begleitet unsere Fahrt, bis die Piste nach 100 Kilometern in eine öde Teerstrasse übergeht. Im abgelegenen Sandkasten blühen nun einige Aboriginal-Siedlungen – das Land gehört grösstenteils den dort ansässigen Ureinwohnern. Ein Besuch der Gemeinden ist meist nicht unangemeldet oder kostenlos möglich und erscheint uns etwas kompliziert. Deshalb brausen wir in einem Atemzug an die schmale Landspitze…
Das malerische Cape Leveque wird von einem teuren Touristenresort eingenommen. Gemäss Reisehandbuch müssen Hütten, Safarizelte und auch Campingspots mindestens für zwei Nächte im voraus gebucht werden. Weder wollten wir uns festlegen noch länger wie eine Nacht bleiben, und versuchen unser Glück nun spontan vor Ort. Zaghaft erkundigen wir uns nach einem Stellplatz, zu unserer Verblüffung werden wir nicht abgewiesen. „Yes, we have one site, but only for one night“, gibt die Dame an der Rezeption wohlwollend preis. Perfekt und genau das, was wir uns wünschen. Mit 55 Dollar – umgerechnet rund 40 Franken – ist dies bis anhin der teuerste Campingplatz in Australien. Die Platzverhältnisse hauteng und die sanitären Anlagen veraltet, berappen wir hier eindeutig die exklusive Lage.
Der Strand ist blendend weiss, feiner Sand rieselt kitzelnd durch unsere Zehen. Das Meer schillert türkisfarben, die Szenerie ist ein Traum. Bizarre Sandsteinklippen verleihen der wildromantischen Kulisse einen einmaligen Reiz. Im Laufe der Zeit haben Wind und Wetter imposante Skulpturen jeglicher Formen und Grössen geschaffen, die in verschiedenen Rot- und Erdtönen beeindrucken. Rötlicher Sand verschmilzt mit weissem und bildet mancherorts Muster, die wie Marmorkuchen anmuten. Je tiefer die Sonne am klaren Himmel lacht, desto kräftiger leuchtet die Farbpalette der schroffen Sandsteinfelsen, die kurz vor Sonnenuntergang richtiggehend ins Glühen geraten. Wir sind hin und weg, können uns kaum sattsehen. Nach einer lauschigen Tropennacht schweifen wir am nächsten Morgen nochmals aus, bevor wir dem überwältigenden Cape Leveque endgültig den Rücken kehren.
Über drei Stunden auf Achse, ist die 200 Kilometer lange Rückfahrt im Sand verlaufen. Noch einmal holpern wir die Westküste hoch, halten Ausschau nach einem Schlafplatz für die kommende Nacht. Am Quondong Point verteilen sich Dutzende Spots, die meisten sind bereits besetzt. „Da oben steht Redland“, jauchze ich aufgeregt, denn wir spüren unsere Freunde völlig unverhofft auf. Das rollende Daheim von Conny und Roger geniesst von einer Düne einen einmaligen Ozeanblick. Der Sand ist weich, unsere Räder spulen und versinken ständig im heissen Sand. Hilfsbereit schaufelt Roger mit Leibeskräften, bis Roland unseren Landcruiser schlussendlich auch auf diese hohe Bühne bringt. Mit Mühe geschafft, verpestet ein stinkender Duft die Luft. Irgendetwas stimmt mit dem Vehikel nicht…
Wegen Ölverlust an der Hinterachse und einem Geräusch des rechten Radlagers haben wir in Derby erst vor wenigen Tagen einen Automechaniker aufgesucht. Eine Reparatur sei nicht notwendig, alles
nur halb so schlimm. Mit einem etwas unguten Gefühl zogen wir weiter. Auf unserer Sanddüne, man staune, haben wir sogar Handy-Empfang. Besorgt rufen wir am nächsten Morgen unseren Vermieter an, der uns in einer Autogarage in Broome anmeldet. Da es sich nicht um einen fixen Termin handelt, entscheiden wir kurzerhand, heute zusammen mit unseren Freunden noch an diesem idyllischen Ort zu verweilen. Bei Flut wartet das Meer mit einem märchenhaften Türkisblau auf, fast wie in der Karibik – eine Augenweide.
Nach einem Strandspaziergang von Bucht zu Bucht, sind wir trotz einer erleichternden Brise verschwitzt, denn die Mittagssonne knallt in voller Wucht. Anstelle im eigenen Saft zu baden, würden wir liebend gerne ins Meerwasser huschen. Doch das Planschen sei nicht sicher, im hiesigen Ozean fühlen sich auch feindliche Wesen wohl – Haie, Quallen, Krokodile… Nachmittags lehnen wir weit zurück, plaudern zu viert und würdigen von unserer Veranda das sensationelle Panorama – gegen eine Wohnlage wie diese ist rein gar nichts einzuwenden. Nach einer befreienden Körperwäsche unter der Solardusche – mit demselben Ausblick -, gehen wir zum Feierabendbier über, stossen durstig zusammen an. In der Ferne ziehen Wale vorbei, ihre Wasserfontänen spritzen vergnügt in die Lüfte. Soeben noch über die Hitze gejammert, wird es nach Sonnenuntergang empfindlich kühl – das Thermometer fällt im Eiltempo auf 14 Grad.
Was ist nur über Nacht geschehen? Über uns eine graue Wolkendecke, umarmt uns feuchter Nebel. Unser Freiluftwohnzimmer ist patschnass, der Strand sowie das Meer verschwunden. Wir vermögen uns nicht zu erinnern, wann letztmals kein blauer Himmel den neuen Tag einläutete. Doch nicht nur das Wetter ist düster, die Prognose unseres Fahrzeugs ebenso. Derweil Roger mühelos vom sandigen Übernachtungsplatz kutschiert, kommt Roland ins Schwitzen, aber kaum vom Fleck. Auch mit weiter reduziertem Pneudruck graben sich die Vorderräder wie Wühlmäuse stets von neuem in den losen Sand. Das tatkräftige Schaufeln ist zwecklos, sogar Sandbleche versagen ihre Dienste. Irgendwann fällt es uns wie Schuppen von den Augen – den Hinterrädern fehlt der Saft. Es ist nur noch die vordere Achse, die überhaupt dreht und ohne zugeschalteten 4×4 tut das Auto keinen Wank. Die Bergegurte an Redland geschnallt, rettet Roger uns innert Kürze erfolgreich aus dem hinterlistigen Sandkasten – die beiden sind ein Segen. Mit Vorderradantrieb eine Stunde später die Autogarage in Broome heil erlangt, qualmt es beängstigend vom rechten Hinterrad…
Wow, fantastische Bilder Roland, auch mit Handy fotografiert! Die Farben sind unglaublich…
Eure tollen Fotos und Text animieren sehr für die Reiseplanung im Nordwesten Australiens.
Es schreit schon fast nach einer „längere“ Auszeit ;-)
Vielleicht nicht grad à la Christine und Roland, aber ein paar Monate wäre auch schon toll :-)
Ich wünsche euch weiterhin eine super Zeit und hoffentlich mit zuverlässigem Fahrzeug.
Liebe Grüsse, Monique
Liebe Monique
Herzlichen Dank für deine lieben Worte. Ja, der Nordwesten Australiens ist – insbesondere mit einem Geländewagen – wirklich eine Reise wert. Das Erfahren der roten Weite ist fantastisch…
Ganz liebe Grüsse aus Down Under
Christine & Roland