In der Wüste Kyzylkum
Ein beliebter Tagesausflug ab Khiva ist die Besichtigung von Ruinenstädten aus vorislamischer Zeit. Wir sind bezüglich eines Besuches hin und her gerissen, denn diese Lehmruinen liegen zwei bis drei Fahrstunden nordöstlich der Stadt. Somit verbringt man die meiste Zeit im Auto und legt auch einen grossen Teil der Strecke doppelt zurück. Als wir von der Möglichkeit erfahren, am Fusse der Lehmfestung von Ayaz Kala in einem Jurtencamp zu übernachten, und am nächsten Tag von dort unsere Reise fortzusetzen, erscheint uns diese Variante sehr sympathisch…
Unser Taxi steht schon bereit. “Ich habe soeben nochmals im Jurtencamp angerufen und bestätigt, dass ihr kommt”, teilt uns der herzliche Murodbek beim Check-out im Hotel fürsorglich mit. Hilfsbereit hat er uns einen Fahrer vermittelt und die Reservation für die Übernachtung in der Wüste vorgenommen. Er ist sehr besorgt, dass nun alles reibungslos klappt, gibt auch dem Fahrer noch letzte Anweisungen – wohl vergeblich…
Auf dem Weg nach Ayaz Kala bringt uns der wortkarge Fahrer zu weiteren Lehmfestungen, welche über 2000 Jahre alt sind. Früher am Wasser gelegen, heute in wüstenhafter Landschaft verstreut, da sich der Flusslauf mit den Jahren verändert hat. Viel ist von den uralten Lehmstädten nicht mehr übrig, die Ruinen erinnern oft eher an skurrile Felsen. Kizil Kala wird in mühevoller Arbeit restauriert, bereits stehen wieder richtige Lehmwände. In Toprak Kala lassen sich die einstigen Ausmasse der Festung nur noch erahnen. Wir klettern über die Überbleibsel der ehemaligen Mauern. Die Gegend ist staubtrocken, die Risse in der Erde bilden dekorative Muster.
Unser Fahrer ist jung, scheint sich den Umgang mit Touristen noch nicht so gewohnt. Den Mittagshalt streicht er eigenhändig aus dem Programm, auch unsere Bitte für den Kauf von Trinkwasser ignoriert er und düst schnurstracks nach Ayaz Kala. Nur an der Sprachbarriere kann dies wohl nicht liegen… Im Jurtencamp werden wir dafür umso herzlicher empfangen. Rano, die Besitzerin, drückt uns fest und setzt uns überschwänglich einen Schmatz auf die Wange. “Hier, eure Jurte!”, weist sie uns in eines der weissen Rundzelte. Ein Tisch und ein paar Matten auf dem harten Teppichboden, mehr gibt es in der grossen Jurte nicht. Ganz so einfach hätten wir uns unser Schlafgemach nicht vorgestellt – zum Glück haben wir einen Schlafsack dabei.
Wir sind die einzigen Gäste im Camp und können uns breit machen. Teppiche und Kissen unter einem Schattendach laden ein, es in der grössten Nachmittagshitze ruhig anzugehen. Wir geniessen es, wieder einmal etwas Zeit abseits einer Stadt in der Natur zu verbringen. Unsere Blicke schweifen über die endlos scheinenden Ausläufer der malerischen Kyzylkum-Wüste. Die Stille wird nur ab und zu durch ein rülpsendes Kamel unterbrochen. Die Trampeltiere mit ihrem braunen zotteligen Fell bringen uns mit ihren lustigen Frisuren und Gebissen zum Schmunzeln…
Auf einem Hügel hinter dem Jurtencamp thronen die Lehmruinen von Ayaz Kala. Der Aufstieg ist zwar nur kurz, aber anstrengend. Auch gegen Abend ist es noch brütend heiss. Langsam schleppen wir uns über die weiche sandige Landschaft. Während ich im Schatten der Büsche den feinen goldbraunen Sand durch die Zehen rieseln lasse, jagt Roland den kleinen Wüstenstars nach – schwerarbeitende Mistkäfer und unerschrockene Echsen sind seine Ausbeute.
Rote Teppiche, niedrige Tische und Sitzkissen – in der Restaurant-Jurte wird uns ein reichhaltiges Nachtessen serviert. Als Hauptspeise wartet Rano stolz mit dem Nationalgericht Plov auf. Den leicht öligen Eintopf mit Reis und Karotten, garniert mit Hammelfleischbrocken, empfinden unsere Geschmacksnerven als ziemlich unaufregend und fad. Auch eine Flasche Wodka steht auf dem Tisch – ein Gläschen des lokalen Gebräus zum Desinfizieren ist bestimmt nie verkehrt.
Die Abendstimmung ist fabelhaft, so auch später der funkelnde Sternenhimmel. In der Jurte betten wir uns im Schlafsack auf die dünnen Matten am Boden. Wir kämpfen um Schlaf, denn draussen ist es plötzlich laut, Stimmengewirr umgibt uns. Nach einer Weile rüttelt es an unserer Tür – nichts weiteres passiert. Etwas später klopft es und Rano stottert: “Habt ihr genügend warm?” Lasst und jetzt einfach schlafen… Erst am nächsten Morgen verstehen wir die ganze Aufregung der letzten Nacht. Rano hat uns in die falsche Jurte gesteckt und entschuldigt sich nun aufrichtig für den Irrtum. Wir werfen einen Blick ins Rundzelt nebenan. Liebevoll sind zwei Betten für uns hergerichtet – richtige Matratzen mit bezogenen Decken und Kissen. Das darf doch nicht wahr sein!
Das Wetter ist bedeckt, die frische Morgenluft eine Wohltat. Zum verspäteten Frühstück serviert uns Rano ein Glas frische Kamelmilch. “Medication, viele Vitamine”, ermuntert sie uns. Unser Fahrer wartet bereits ungeduldig, bis auch wir reisefertig sind. Heute sitzt der Vater am Steuer, der im Gegensatz zu seinem Sohn sehr aufgeschlossen ist und etwas besser Englisch spricht. Der sympathische Mann quatscht während der langen schnurgeraden Fahrt stets mit uns oder knabbert Sonnenblumenkerne, um sich wach zu halten. Die Wüste Kyzylkum bietet wenig Abwechslung, doch uns gefällt der riesige, menschenleere Sandkasten mit den sanften geschwungenen Hügeln und den struppigen Büschen.
400 Kilometer in Richtung Südosten zurückgelegt, sechs Fahrstunden im mittlerweile sonnenerhitzten Auto ausgestanden – unser heutiges Etappenziel Buchara ist erreicht…
Kommentare
In der Wüste Kyzylkum — Keine Kommentare
HTML tags allowed in your comment: <a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <s> <strike> <strong>