Iranische Gastfreundschaft
Es ist Freitag, muslimischer Sonntag in Esfahan. Morgens brechen wir zu einem Spaziergang am Fluss auf. Bereits viele Iraner sind auf den Beinen, schlendern dem Wasser entlang oder trinken in der Wiese genüsslich eine Tasse Tee aus der mitgebrachten Thermoskanne. Wir passieren einige der historischen Brücken. Die schönste sei die Pol-e Khadjou, deren überwölbte Galerien mit farbigen Kacheln verziert sind – eine Augenweide. Wir setzen uns ans Flussufer, bestaunen das wundervolle Bauwerk und das Treiben der Einheimischen. Immer wieder finden wir es spannend zu beobachten, wie die Leute sich kleiden. Die islamische Kleiderordnung des Staates interpretiert jede Frau, wie es für sie stimmt. Ein Kopftuch setzen zwar alle brav auf, aber ob und wieviel Haar herauslugt, ist ganz unterschiedlich. Nach einer Weile machen wir uns auf, um unser geplantes Tagesprogramm fortzusetzen – aber alles kommt anders!
Ein Herr spricht uns freundlich an, ruft seine junge Tochter zum Übersetzen herbei. Bald sind wir nicht mehr nur von Leila und ihrem Vater, sondern von der ganzen Familie mitsamt Cousinen und Onkeln umgeben, die offensichtlich eine wahre Freude an uns haben. Ihre Einladung zum Tee nehmen wir dankbar an. Durch die grüne Parklandschaft entlang des Flusses gelangen wir zu ihrem heutigen Picknickplatz, wo wir auf noch weitere Verwandte treffen. Herzlich nehmen sie uns auf und bewirten uns fürsorglich, nebst Tee werden noch Datteln und Nüsse serviert.
Mit der hübschen Leila und ihrer Cousine – beide sind Vierzehn – können wir uns etwas auf Englisch unterhalten. Leila ist sehr aufgeschlossen, ihre Cousine noch etwas schüchtern. Der Rest der Familie spricht nur Farsi. Aber auch sie beteiligen sich am Gespräch, stellen Fragen, die von den Mädchen übersetzt werden. Oft unterhalten wir uns über die Schule. Für alle Mädchen herrscht Uniformpflicht – dunkelblaue Kluft mit Kopftuch. Die Jungs hingegen können sich nach Lust und Laune modisch kleiden. “Findest du das in Ordnung?”, frage ich Leila vorsichtig. “Nein, das ist überhaupt nicht richtig”, meint sie entsetzt und verdreht ihre grossen dunklen Augen, “ich würde mich lieber in freundlicheren Farben kleiden, so wie heute”. Rosa Mantel, enge Hosen und ein weisses Kopftuch – ich verstehe sie.
Nach einem weiteren Bummel durch den Park lädt Leila uns zum Mittagessen ein. Dürfen wir zusagen? Meint sie und ihre Familie es ernst? Wir sind unsicher, erinnern uns an das hiesige Höflichkeitsgesetz “Taarof”, welches besagt, ein Angebot erst einige Male dankend abzulehnen. Sollte es wirklich ernst gemeint sein, werde es mehrmals wiederholt. Falls nicht, basiere es nur auf “iranischer Höflichkeit” – für uns ziemlich befremdend. Die Kunst besteht sozusagen darin, zu erkennen, wann sich ein höflich gemeintes Angebot zu einem tatsächlichen Angebot verwandelt, das angenommen werden sollte. Wir zögern also, bis Leila uns später wieder bittet, mit ihrer Familie zu schmausen.
Auf der grossen Picknickdecke wird ein langer Plastik ausgebreitet, als Tischtuch sozusagen. Auf zwei Gaskochern schmoren verschiedene traditionelle Gerichte. Es wird reichlich aufgetischt – Reis, Fleisch, Saucen mit Gemüse, Salat, Fladenbrot und Joghurt. Jeder darf sich nun selbst bedienen. Gerne greifen wir zu, denn es schmeckt köstlich. Etwas später werden zur Nachspeise noch Früchte aufgetragen und eine weitere Tasse Tee eingeschenkt. Wir fühlen uns geehrt, ein traditionelles Sonntagspicknick einer Familie hautnah miterleben zu dürfen. Im Gegenzug ist die iranische Sippe stolz, dass wir ihre Gäste sind.
Kurz vor dem Mittagessen sind auch Mohammad und Narges mit ihrer Tochter zur Gesellschaft gestossen. Alle drei begrüssten uns warmherzig, wie wenn wir uns schon lange kennen. Sofort setzten sie sich zu uns und stellten viele Fragen. Der offene Mohammad spricht gut Englisch, auch nach dem Essen unterhalten wir uns wieder prächtig. “Lasst uns noch etwas gemeinsam unternehmen”, schlägt er nun vor. Erneut sind wir verunsichert, ob der Vorschlag ernst gemeint oder nur “Taarof” ist. Aber schon bald bietet der aufgestellte Mann erneut an, uns die Umgebung zu zeigen. So verabschieden wir uns vom Rest der wunderbaren Familie, bedanken uns vielmals für ihre überaus grosszügige Gastfreundschaft. Die süsse Leila fällt mir um den Hals, drückt mich fest an sich: “I like you very much”. Ich bin gerührt, hatte sie auch sofort in mein Herz geschlossen.
Strahlemann Mohammad und seine liebevolle Frau bringen uns zuerst in ihr Heim. Wir sind erstaunt, wie gross und edel ihr Haus ist. Bestimmt haben wir es mit einer besser gestellten Familie zu tun, erzählen sie uns auch von vergangenen Auslandreisen. Im Haus wird der Kopfschleier sofort abgelegt, auch ich werde dazu aufgefordert. Es ist interessant, Mutter und Tochter nun unverschleiert zu sehen. Die Familie scheint sehr weltoffen und modern zu sein, weder vom obligatorischen Kopftuch, noch von der Regierung ihres Landes angetan. Schon wieder wird aufgetischt – Süssigkeiten und frischer Melonensaft. Es ist gut gemeint, aber wir drohen bald zu platzen…
Mittlerweile ist es später Nachmittag. Wir brechen wieder auf, Mohammad und Narges fahren uns raus aus der Stadt zum Soffeh Mountain. Eine Seilbahn – Made in Switzerland – führt auf den Berg, von wo sich eine fantastische Aussicht über ganz Esfahan bietet. Es wimmelt von Menschen, scheint ein beliebtes Ausflugsziel zu sein. Oben angekommen schlürfen wir einen Tee, bevor wir den Abstieg zu Fuss in Angriff nehmen. Es ist bereits dunkel, als wir müde, aber glücklich unten angelangen.
Mohammad chauffiert uns durch den dichten Sonntagabendverkehr bis vor unsere Hoteltüre – was für ein Service. Er und seine Frau sind herzensgute Leute. Alles wurde uns offeriert, ein Zahlungsversuch unsererseits für das Ticket der Seilbahn scheiterte. Sogar ein Bett in ihren vier Wänden bieten sie uns an – ist es wohl ernst gemeint? “Ihr braucht nicht zu zögern”, meint Mohammad wohlgesinnt, “und meldet euch, falls ihr irgendwelche Hilfe braucht”. Unglaublich gutmütig, doch wir lehnen dankend ab, denn unser Hotel ist noch bis zu unserer Abreise übermorgen reserviert. Ein unvergesslicher Tag geht zu Ende – wir sind schlichtweg überwältigt von der iranischen Gastfreundschaft.
Hallo ihr zwei
Da kann ich nur sagen „sehr eindrücklich und berührend“!
Wünsche euch weiterhin tolle Erlebnisse im Iran & en liebe Gruess
Yvonne
Liebe Yvonne
Vielen Dank für deinen Kommentar. Ja, die Menschen im Iran sind wirklich sehr aufgeschlossen und herzlich hier – wir sind immer wieder von neuem überrascht über deren Hilfsbereitschaft.
Wir wünschen dir eine gute Zeit und schicken liebe Grüsse aus dem Iran…
Christine & Roland