Kelimutu – faszinierende Kraterseen
Dunkle Wolken verschlingen die Vulkane Balis. Leider präsentiert sich die Insel aus der Vogelperspektive grau verhangen. Vor wenigen Tagen änderten wir unsere ursprünglichen Pläne, respektive die geplante Reiserichtung. Anstelle von Bali mit Schiff und Bus über die Inseln Lombok und Sumbawa nach Flores zu gelangen, fliegen wir ostwärts. Wir möchten jene Insel, die uns am wichtigsten ist, zuerst bereisen. Wieviel Zeit für die anderen Eilande noch übrig bleibt, wird sich weisen… Eineinhalb Stunden später landen wir in Maumere, einer Hafenstadt an der Nordküste im östlichen Teil von Flores. Der Flughafen ist winzig, das Warten auf das Gepäck kurz. Beim Ausgang lauern viele Taxifahrer, die sich lautstark um uns streiten. Schon im Flugzeug bemerkten wir, dass einige Menschen von sehr dunkler Hautfarbe und ihre Nasen breit und flach sind. Nun fallen uns die hier dominierenden melanesischen Gesichtszüge und krausen Haare noch mehr auf – wir fühlen uns fast ins schwarze Afrika zurückversetzt.
Anstelle in der grossen Stadt zu nächtigen, fahren wir rund fünfzehn Kilometer weiter nach Osten, nach Waiara. Der weit zersiedelte Küstenort wäre touristisch nicht von Interesse, wären da nicht die fast unberührten Tauchgründe. Die Unterkünfte lassen sich an einer Hand abzählen und liegen weit voneinander verstreut. Deshalb buchten wir für die kommenden Tage ein Zimmer in einem Tauchresort am langgezogenen Strand. Es scheint uns das Richtige, fernab von städtischer Hektik in Flores anzukommen und wir freuen uns auf die Unterwasserwelt… Der Taxifahrer, der uns am Flughafen erfolgreich eroberte, setzt uns eine halbe Stunde später in der kleinen Anlage ab. Der Empfang fällt wohlwollend aus, für einen Aufpreis von nur wenigen Franken wird uns anstelle des gebuchten Zimmers ein geräumiger Bungalow angeboten. Da lehnen wir nicht ab – Nebensaison sei Dank.
Kaum angekommen, öffnen die Wolken ihre Schleusen und verunmöglichen uns für heute, den weitläufigen Garten und den Strand in Augenschein zu nehmen. Dennoch bleibt es tropisch warm, die Kleider kleben an unseren Körpern. Die Luftfeuchtigkeit beträgt nahezu 90 Prozent. Den Mücken scheint die Feuchte zu behagen, zahlreich umschwirren sie uns, was uns wiederum weniger behagt. Der nächste Morgen verspricht wettermässig viel, doch nach unserem späten Frühstück und einer spannenden Unterhaltung mit weiteren Gästen hat sich die Sonne bereits hinter Wolkenschwaden verkrochen. Trotzdem vertreten wir uns die Beine am schwarzen Sandstrand, doch schneller als uns lieb ist, tropft es vom dunklen Himmel. Gerade noch rechtzeitig hechten wir ins Restaurant des nächsten Resorts und gönnen uns einen erfrischenden Mangosaft, während ein heftiger Wolkenbruch seinen Lauf nimmt.
Der Tag steht nicht nur aus wettertechnischer Sicht unter einem schlechten Stern. Schon gestern wurde uns mitgeteilt, dass zur Zeit kein Tauchguide im Resort anwesend ist, aber abgeklärt werde, ob ein externer verfügbar sei. Endlich erhalten wir am Nachmittag die ersehnte Antwort, doch zu unserem Leid fällt diese negativ aus – im Tauchresort ist Tauchen nicht möglich. Der eigentlich sympathische Hotelmanager verrät, dass diese leidige Situation bereits seit einem halben Jahr bestehe und es schwierig sei, jemanden zu finden… Wenn wir nicht abtauchen können, erhoffen wir uns wenigstens erholsame Strandtage. Doch auch Ruhe ist uns vergönnt. Seit wir gestern angekommen sind, streifen im ganzen Hotelgelände einheimische Leute umher, bevölkern seit frühmorgens lebhaft den Pool – wir fühlen uns belästigt. “Am Wochenende steht unser Resort auch allen Einheimischen offen”, erläutert der dunkle Manager mit den Kulleraugen und versucht uns zu besänftigen. Auf die eine Seite ein gütiger Zug der lokalen Bevölkerung gegenüber, doch wir sind enttäuscht – wenn wenigstens auf der Website des Resorts ehrlich über all diese Umstände informiert würde…
Am nächsten Tag kreisen unsere Gedanken in einer Endlosschlaufe. Wir sind unschlüssig, wie weiter. Ohne Tauchen frühzeitig weiterreisen? Stattdessen den Vulkan Egon besteigen? Oder unser Glück in einem anderen Tauchresort versuchen? Unsere Freiheit entpuppt sich wieder einmal zur Qual der Wahl – ein Luxusproblem, wir sind uns dessen bewusst. Ein ausgedehnter Strandspaziergang bringt uns anstelle einer Antwort ein heftiges Gewitter. Auf ausgiebigen Regen ist in den letzten Tagen Verlass. Unverhofft lacht nachmittags erneut die Sonne und lockt uns zum kühlenden Schwimmbad, wo wir heute glücklicherweise unter uns sind. Doch zu meinem Verdruss sticht mich eine Wespe schmerzhaft exakt in die Achillessehne, später attackiert uns ein Mückenschwarm – irgendwie auch heute nicht unser Tag.
Der Tagesverlauf bringt immerhin Klarheit, die Entscheidung wird uns eigentlich abgenommen. Das in Erwägung gezogene Tauchresort ist zwar nicht ausgebucht, doch der Tauchguide für ein paar Tage verreist – beim Vulkan sei es zu nass und es wird uns von einer Besteigung abgeraten. So hält uns weder etwas im Resort noch in der Umgebung fest… Abends kommen neue Gäste an, zwei Männer. “Die wollen bestimmt tauchen”, bemerke ich zu Roland. Und so ist es. Die beiden Deutschen buchten ihren Urlaub bei einem deutschen Tauchveranstalter und sind zu Recht völlig entrüstet, dass die Tauchbasis ihre Pforten geschlossen hält. “Das geht gar nicht!”, regt sich der eine auf. Wir verstehen ihn nur zu gut und ich als Reisebürofrau kann es nicht fassen, was hier abgeht. Ich bin froh, sind es nicht meine Kunden…
Am nächsten Morgen in Maumere. Wild gestikulierende Männer schwatzen auf uns und unseren Taxifahrer ein. Jeder will uns für die Weiterfahrt nach Westen für sein Sammeltaxi erobern, einer versucht bereits frech unser Gepäck aus dem Kofferraum zu zerren. Wir geben jenem Fahrer den Vorrang, der am wenigsten stürmt. Bereits zwei weitere Passagiere sind an Bord, und los gehts. Rund 100 Kilometer liegen vor uns. Die Strasse windet sich in die Berge hoch, alles leuchtet grün, Bananenbäume und Kokospalmen gedeihen. Gelegentlich können wir wundervolle Ausblicke auf den blauen Ozean erhaschen. Die Strecke ist malerisch, doch wir können die Fahrt nur halbwegs geniessen. Der Lenker jagt sein Auto halsbrecherisch durch die engen Kehren, geradeaus geht es auf dieser Reiseetappe nur, wenn er die Kurven schneidet. Hoffentlich rast er nicht schneller, als unser Schutzengel fliegen kann! Ein Rosenkranz baumelt am Rückspiegel hin und her, was uns bestimmt auch beschützt. In Flores leben viele Christen. Über drei Viertel der Einwohner bekennen sich zur katholischen Kirche – den Rest bilden Anhänger des Islam. Doch beide Religionen konnten die alten Geisterglauben und die animistischen Rituale nicht vollständig verdrängen.
Erleichtert atmen wir auf, als wir drei Stunden später am Mittag unbeschadet unser Ziel Moni auf rund 700 Höhenmetern erreichen. Das in unserer Reisebibel als verschlafen bezeichnete Dorf, breitet sich hauptsächlich entlang der Verkehrsachse aus. Momentan schläft Moni jedoch nicht, allgegenwärtiger Strassen- und Baulärm hält es leider hellwach. Die Lage inmitten grünen Hügeln ist fantastisch, doch am Wegesrand trübt viel Abfall die Idylle. Kein Wunder, Müll fliegt oft in hohem Bogen aus dem fahrbaren Untersatz oder wird achtlos auf den Boden geschmissen – vielen Indonesiern scheint ein Bewusstsein für die Umwelt fremd…
Viele kleine Unterkünfte preisen Zimmer mit Veranda an, welche meist einfach, aber verhältnismässig teuer sind. Das Preis-Leistungs-Verhältnis ist bei den meisten schlecht, für über zwanzig Franken steht nur ein Bett im schlichten Zimmer – keine Ablagefläche, keine Kleiderhaken, nicht einmal vollständige Bettwäsche ist vorhanden. Wir graben in den Tiefen unserer Rucksäcke nach den selten benötigten Seiden- und Daunenschlafsäcken. Früh verkriechen wir uns in den Federn – unser Wecker ist auf halb vier programmiert. Eine grauenvolle Nacht steht uns bevor. Bettwanzen treiben ein fieses Spiel. Blutflecken auf dem Leintuch und ein vollgesogenes Biest geben uns Gewissheit. Das Schlimmste ist, dass wir genau heute unsere Schlafsäcke ausbreiten mussten. Nun wissen wir dummerweise nicht, ob wir das Ungeziefer im Gepäck mitschleppen oder nicht…
Stockdunkle Nacht. Ein Fahrer erwartet uns bereits. In engen Kurven schlängelt sich die Strasse hinauf, endet 14 Kilometer später auf einem grossen Parkplatz. Sterne funkeln am klaren Himmel. Unsere Stirnlampe zündet uns den Fussweg durch lichten Wald. Ausser sanftem Vogelgezwitscher ist es mucksmäuschenstill. Die Dämmerung bricht an. Schwach zeichnet sich die Vulkanlandschaft des Kelimutu ab. Noch ist es empfindlich kühl auf dem Berg und wir freuen uns auf den bevorstehenden Sonnenaufgang. Über dem Krater hängen Wolkenfetzen, die sich langsam orange-rot verfärben. Von der Seite ziehen Nebelschwaden auf, die sich flink vor die Kulisse schieben und uns im Grauen stehen lassen. Betrübt warten wir mit weiteren Touristen hoffnungsvoll auf eine freie Sicht. Nach einer langen Weile erbarmen sich die Wolken unser und geben endlich den tiefen Krater mit seinem milchig hellblauen See frei. Die Sonne kann sich jedoch noch nicht gegen die sich immer höher auftürmenden Wolkenberge durchsetzen.
Der Gunung Kelimutu ist ein Vulkan mit einer Höhe von 1639 Metern. Seine Attraktion sind drei verschiedenfarbige Kraterseen, deren Wasser im Abstand von mehreren Jahren ihre Farben drastisch wechseln – von Türkis zu Schwarz oder von Rotbraun zu Grün. Das faszinierende Phänomen lässt sich erklären, indem das Wasser in immer tiefere Gesteinsschichten vordringt und dabei unterschiedliche Mineralien löst. Die Einheimischen des am Fusse des Vulkans liegenden Dorfes Moni glauben, dass die Seelen der Verstorbenen in diese Seen wandern, und ein Farbwechsel bedeutet, dass sie verärgert sind… Unsere Geduld zahlt sich aus, mittlerweile sendet die Sonne wenige Strahlen durch den bewölkten Himmel und bringt Glanz über die vulkanische Szenerie. Die nun intensiv in verschiedenen Blau- und Grüntönen leuchtenden Seen geben ein eindrucksvolles Bild ab.
Anstelle uns wie die meisten Besucher wieder zurück nach Moni kutschieren zu lassen, treten wir den Rückweg zu Fuss an. Schmale Pfade oder betonierte Strässchen führen steil bergab. Ein kleines Bergdorf mit armseligen Bambushütten und einfachen Betonhäusern mit Wellblechdächern kreuzt unseren Weg. Die Bewohner winken schon von weitem, grüssen uns fröhlich. Schüler stürzen aus dem Klassenzimmer. “Hello Mister”, rufen sie aufgeregt und stellen sich vor uns in Reih und Glied. Ein verschmitztes Lachen huscht über ihre Gesichter, schüchtern bitten sie um ein Foto. Die Mädchen tuscheln miteinander, während einer der Jungen vorwitzig Grimassen schneidet. Die erste Scheu verloren, stellen sie uns nun ständig wieder ein und dieselbe Frage: “What’s your name?”
Nach drei Stunden stecken knapp 1000 Höhenmeter in unseren Gliedern. Müde von der schlaflosen Nacht, ausgelaugt von der anstrengenden Wanderung. Meine Ferse ist geschwollen, der Wespenstich plagt und juckt. Rasch packen wir mittags im Homestay unsere Siebensachen zusammen, obwohl wir planten, zwei Nächte zu bleiben. Doch das Ungeziefer zwingt uns umzuziehen. John, der nette Hausherr mit den Rastalocken, kümmert die von uns geschilderte nächtliche Bettwanzengeschichte kaum – entweder weiss er Bescheid oder hat wirklich keinen blassen Schimmer, worum es geht. Er tut mir irgendwie Leid… Nach einem ausgiebigen Mittagsschlummer in unserem neuen Daheim lassen wir den Rest des Tages auf der Terrasse des einzig richtigen Cafés im Ort verstreichen, halten uns mit Koffein auf Trab.
Kaum unser Gepäck im Schatten abgestellt, schnaubt schon ein Bus daher. Vergeblich haben wir uns auf langes Warten an der Strasse eingestellt. Der Minibus ist halbleer – wir haben Glück auf der ganzen Linie. Während der gemächlichen Kurverei beschallt uns laute Musik. Eine Stunde später nimmt die Fahrt ein Ende, am Busbahnhof von Ende. Kein Witz – so heisst die Stadt, die zwar nicht am Ende, sondern in der Mitte der Insel auf einer Landzunge an der Südküste liegt. Kaum aus dem Bus geklettert, belagern uns Jungs von allen Seiten, quatschen pausenlos auf uns ein. Doch wir lassen uns nicht stressen, belustigen uns am Geschehen, bevor wir uns für eines der Bemos entscheiden. Wir quetschen uns und unser Gepäck in den winzigen Bus. Auf der Fahrt ins Stadtzentrum steigen Leute zu, mustern uns neugierig, unterhalten sich offensichtlich über die beiden Westler. Ich frage mich laut, was sie wohl über uns reden. “Vielleicht über deine lange Nase”, spekuliert Roland mit einem Augenzwinkern.
Ende stellt für uns lediglich ein Zwischenstopp dar. Bei einem privaten Busunternehmen möchten wir für den nächsten Morgen Fahrkarten erstehen. Im kahlen Büro sitzt ein Mann an einem kleinen Holztisch. Er spricht kaum Englisch, unsere Kommunikation basiert vorwiegend auf dem Notieren von Zahlen – Datum, Abfahrtszeit, Preis. Uns wird bewusst, wie gut wir uns bis anhin mit Englisch durch Indonesien schlagen konnten… Die Lage der Stadt ist spektakulär, die Stadt selbst jedoch in keiner Weise. Die rundum aufragenden Berge sind in regengeladene Wolken gehüllt, Blitze zucken am Himmel. Trotzdem streifen wir durch die Strassen mit dörflichem Charakter, bis hinunter zum Markt. Viel ist nicht los, die meisten Verkäufer haben sich für ein Schläfchen zwischen ihre Ware gelegt. Das Gewitter holt uns gnadenlos ein, wir stellen uns für eine Weile unter Dach. Der Strand gewinne keinen Schönheitswettbewerb, beurteilt unser Reisehandbuch und dementsprechend sind unsere Erwartungen klein. Doch was wir hier antreffen, verschlägt uns die Sprache. Der breite schwarze Sandstrand, mit grünen Bäumen gesäumt, wäre als solches fabelhaft, ist jedoch komplett vermüllt. Überall macht sich Abfall entsetzlich breit – ein trauriger Anblick.
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