Khiva – antike Lehmstadt
Die Altstadt von Khiva ist über 2500 Jahre alt und noch heute vollständig von einer Festungsmauer umgeben. Die historische Lehmstadt liegt an der berühmten Seidenstrasse und hat es geschafft, einen Teil ihres orientalischen Charmes zu bewahren. Innerhalb der zweieinhalb Kilometer langen Mauer finden sich alle architektonischen, aufwändig restaurierten Kostbarkeiten – ein grosses Museum unter freiem Himmel.
In aller Seelenruhe zeigt uns der zuvorkommende junge Mann mehrere Gästezimmer, bevor wir uns für eines entscheiden. Eigenmächtig handelt er den Preis sogar ein paar Dollar hinunter, da wir für mehrere Nächte bleiben. Murodbek, der Sohn dieser familiären Unterkunft, beeindruckt uns mit seinem hervorragenden Englisch. Stets huscht ein sympathisches Lachen über sein Gesicht – wir fühlen uns auf Anhieb wohl. Das einfache Hotel liegt innerhalb der imposanten Stadtmauer, nur einen Steinwurf von den antiken Sehenswürdigkeiten entfernt. Obwohl nah am Geschehen, geniessen wir hier Ruhe pur.
Heisse Wüstenluft schlägt uns entgegen. Die Sonne brennt noch kräftig, obwohl der Nachmittag bereits fortgeschritten ist. Wenigstens spenden die schmalen Gassen der eng bebauten Altstadt stets wieder Schatten. Es gibt nur vereinzelte Autos, was das Flanieren sehr angenehm macht. Wir wandeln zwischen Moscheen, Minaretten, Medresen, Palästen und Mausoleen – alles ist aus Lehm erbaut. Heute fungieren die meisten dieser alten Kulturgüter als Museen. Immer wieder lässt sich einen Blick durch die kunstvoll geschnitzten Holztüren werfen…
Ein Blickfang sind die, das Häusermeer weit überragenden, rund geziegelten Minarette. Wie Gürtel schlingen sich grüne und blaue Kachelverzierungen um das Minarett Islom Hoja. Mit seiner Höhe von 57 Metern sei es das höchste seiner Art in Usbekistan. Steil winden sich 118 hohe Treppenstufen in schwindelerregende Höhe, lassen uns unsere Beinmuskeln wieder einmal kräftig spüren. Aus den vergitterten Fenstern können wir einen Rundumblick auf die unzähligen Lehmbauten und die farbig glänzenden Kuppeln erhaschen.
Das Minarett Kalta-Minor gilt als Wahrzeichen von Khiva, ist aber offensichtlich zu kurz geraten. Warum nur? Im Reiseführer lese ich, dass der Bauherr 1855 in einer Schlacht gefallen sei und darauf die Bauarbeiten eingestellt wurden. Der wuchtige Stummel ist zwar unvollendet, aber wundervoll mit glasierten Kacheln in Pastelltönen geschmückt – ein sagenhafter Farbtupfer in der ansonsten lehmfarbenen Welt.
Nur wenige Schritte liegen zwischen den verschiedenen Schmuckstücken! Das Mausoleum Pahlavon-Mahmud mit seiner dunkelgrünen Kuppel ist eine Augenweide. Die Grabstätte des angesehenen Arztes und Dichters entwickelte sich zu einem wichtigen zentralasiatischen Pilgerort… Der hübsche Palast Toshxovli wartet mit filigranem blau-weissen Kachelschmuck auf, wirkt mit seinen zusätzlich bunt bemalten Holzdecken aber fast etwas überladen… Im grossen Gebetssaal der Juma Moschee irren wir durch einen Wald an fein geschnitzten Holzsäulen, die aus verschiedenen Epochen, teilweise aus dem 10. Jahrhundert stammen. Auf der engen, dunklen Wendeltreppe erklimmen wir auch die Spitze dieses hohen Minarettes…
Einer der reizvollsten Bauten ist in unseren Augen die Medrese mit dem langen Namen “Mohammed Rakhim Khan”. Die Abendsonne taucht die reich mit islamischen Mosaiken verzierte Fassade der ehemaligen Koranschule in ein warmes, sanftes Licht. Immer wieder versetzen uns die antiken Kunstwerke in Staunen und lassen uns fast die Zeit vergessen… Plötzlich schallt Musik durch die Gassen. Die Klänge muten wie eine orientalische Guggenmusik an – nur die “Trompeten” sind um einiges länger…
So ein Zufall – wir treffen erneut auf Sandra und Thomas, die beiden Schweizer, welche mit Motorrädern unterwegs sind und wir in Aktau/Kasachstan kennengelernt haben. Wir plaudern, trinken gemeinsam ein Bierchen und tauschen unsere Reiseerlebnisse aus. Unglaublich, nach einer Weile kreuzen auch noch Elisabeth und Remy, die radelnden Franzosen, auf. Und nicht nur wir kennen die zwei – auch für das Schweizerpaar sind sie keine unbekannten Gesichter. Wie sagt man so schön – die Welt ist klein!
Als wir am nächsten Morgen erneut zu einen Rundgang aufbrechen, steckt die Altstadt voller Leben. Es ist Wochenende, bestimmt deshalb. Denn nicht nur grosse Touristengruppen schieben sich langsam durch die Häuserschluchten, auch usbekische Familienclans lichten sich vor den Sehenswürdigkeiten ab. Die friedliche Atmosphäre von gestern Abend ist verflogen, eher herrscht jetzt eine Rummelplatzstimmung. Laute Musik plärrt aus Boxen, Gelächter und Geschnatter an allen Ecken. Vielerorts verunstalten Verkaufsstände mit Kunsthandwerk und Plastikschrott die eindrücklichen Bauten, sogar Wollsachen und Pelzmützen werden im Sommer feilgeboten. Ob sich bei diesen Temperaturen Abnehmer finden?
Wir sind definitiv auf der touristischen Spur Zentralasiens angekommen. Dafür wird – wir sind überrascht – vielerorts etwas Englisch verstanden und gesprochen, was uns natürlich sehr entgegen kommt. Es ist Zeit für eine Siesta – in der nachmittäglichen Gluthitze kehren wir stets in unsere vier Wände zurück und lassen uns von der Klimaanlage berieseln…
“Change money, Dollar, Euro!”, ruft uns ein Herr mit einer dicken Umhängetasche beim Bummel über den Basar entgegen. Für ein US-Dollar bietet er uns 6000 usbekische Som – das Doppelte, was wir in einer offiziellen Wechselstube oder auf einer Bank kriegen würden. In Usbekistan floriert ein Schwarzmarkt, der eigentlich illegal ist, aber erstaunlicherweise doch auf offener Strasse stattfindet. Der grösste Geldschein ist nur 5000 Som wert, oft sind aber auch nur Noten à 1000 Som zu ergattern, was nicht mal ganz 20 Rappen entspricht. Da mag es nicht verwundern, dass Usbeken ihr Geld oft in Plastiktüten transportieren. Und bis beim Wechsel von 100 Dollar alle 600 Scheine nachgezählt sind, dauert es doch seine Zeit, zumindest mit unseren ungeübten Fingern. Meist sind zwar praktische 100er-Bündel geschnürt, die wir oft genauso wieder ausgegeben…
Drei Tage Khiva – drei Tage strahlendes Wetter mit einem tiefblauen Himmel. Nun steht die Sonne bereits tief am Horizont. Wir klettern auf die mächtige, zehn Meter hohe Stadtmauer und spazieren ein Stück in luftiger Höhe. Die Aussicht über die Lehmdächer, die bunt gekachelten Kuppeln und die stolz aufragenden Minarette ist atemberaubend. Abends sind die Touristenmassen abgezogen, die friedliche Stimmung ist zurückgekehrt. Ein letztes Nachtessen in einem der netten Restaurants im Freien. Um neun Uhr bricht die Nacht herein, dann werden auch die Temperaturen erträglicher. Die Altstadt ist dezent beleuchtet und die unzähligen Händler haben ihre Ware verpackt und sind abgezogen…
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