Krokodile im Mary River
Im Nordzipfel angelangt, trennen uns nur noch wenige Kilometer vom multikulturellen Darwin. Fernab von allen anderen australischen Grossstädten, näher an Bali als an Bondi. Ebenso wie Sydney ist auch unser Startloch Perth mittlerweile weite 4000 Kilometer entfernt – im Zickzack gefahren haben wir jedoch rund das Doppelte zurückgelegt. Gute zehn Wochen sind seither verstrichen, die halbe Zeit unseres Nomadenlebens in Down Under. In Stadtlaune fühlen wir uns in keiner Weise, deshalb schwenken wir ostwärts Richtung Kakadu Nationalpark ab. Auf halbem Weg stolpern wir richtiggehend über ein weiteres Naturschutzgebiet und entscheiden, auch dem Mary River Nationalpark auf den Zahn zu fühlen…
Abseits von Touristenmassen, 150 Kilometer östlich von Darwin, erstreckt sich das Feuchtgebiet des Mary River vom Highway weit nach Norden, bis hin zum Ozean – hier fühlen sich Wasservögel und Krokodile wohl. An Granitfelsen vorbei, manövriert Roland unseren Landcruiser achtsam über den ruppigen Hardies Track. Die einspurige Sandpiste ist mit Schlaglöchern und Bodenrillen übersät, oft holpern wir über grobes Gestein trockener Bachbetten. Grundsätzlich ist der Wald-
und Wiesenweg gut markiert, doch an einer Schlüsselstelle suchen wir vergeblich nach einem blauen Pfeil. Mehrere Fahrspuren leiten in die Irre, auch wir verfahren uns prompt. Wieder auf der richtigen Fährte, bereitet mir die bevorstehende Flussdurchquerung etwas Bauchweh. Im Auto sitzend können uns auflauernde Krokodile zwar eigentlich nichts antun, sofern wir nicht mitten im Wasser steckenbleiben. Doch meine Sorgen sind unbegründet, gibt es auf der rauen Strecke weitaus schlimmere Stellen zu bewältigen.
Immer wieder schiessen Kängurus unerwartet aus dem Gebüsch, überqueren den Fahrweg flink, knapp vor unseren Rädern. Unsere Emotionen sprudeln – noch nie haben wir so viele Beuteltiere auf einen Schlag gesichtet. Leider kriegen wir die scheuen Kängurus kaum vor die Linse, meist sind sie auf und davon, bevor wir die Kamera schussbereit haben… 25 Kilometer überstanden, ist der Nachmittag zwei Stunden älter und bereits weit fortgeschritten. Keine Menschenseele weit und breit. Kurzerhand nächtigen wir wild – das kleine Verbotsschild mit dem durchgestrichenen Zelt haben wir glatt „übersehen“. Glücklich stossen wir zum Sonnenuntergang mit einem Bierchen
an, doch der Frieden währt nicht lange. Kaum eingedunkelt, fallen wir einer Mückeninvasion zum Opfer – ist das wohl die Strafe? Es surrt, die winzigen Biester sind überall und stechen böswillig zu. Der Duft unseres scharfen Moskitosprays scheint ihnen nichts auszumachen, auch über unsere röchelnde Mückenspirale lachen sie lediglich. Hektisch verschlingen wir das Nachtessen und flüchten in den Camper, obwohl drinnen eine drückende Tropenhitze von 30 Grad herrscht. Noch nicht lange ist es her, haben wir uns im Outback jeweils wegen Kälte oder Wind ins Fahrzeug verkrochen. Und nun wäre es draussen angenehm mild, wenn nur diese unbarmherzigen Stechmücken nicht wären.
Ein neuer Tag erwacht, orangefarben steigt der Sonnenball vor unserem Schlafzimmerfenster empor. Vor dem Moskitonetz tänzeln bereits nervöse Mücken, warten blutgierig auf ein Opfer… Den Rückweg gemeistert, packen wir noch den Wildman Track beim Schopf. Diese schmale 4×4-Piste führt mancherorts durch
sandige Stellen und schlängelt sich in engen Kehren durch lauschigen Wald mit Papierrindenbäumen. Aus dem Geäst heraus, leitet der Track an sumpfigen Ebenen vorbei, die in der Regenzeit vollständig überflutet sind. Die Gegend zeigt sich noch immer grün, aber Wasser gibt es jetzt in der Trockenzeit nur noch wenig. Viele der abgeschnittenen Flussarme, sogenannte Billabongs, sind
schon fast ausgetrocknet. Wir wähnen uns auf Safari, begegnen wir doch einigen Tieren in freier Wildbahn. Nebst verschiedenem Gefieder spurten zwei Wildschweine um ihr Leben, steht ein Wasserbüffel unverhofft vor unserer Kühlerhaube und huscht ein Krokodil sekundenschnell in den Fluss. Eine malerische Rundfahrt – die 30 Kilometer lange Pirsch hat sich wirklich gelohnt.
Heute finden wir Unterschlupf im Shady Camp, einem offiziellen Campingplatz des Nationalparks am Ufer des Mary River. Der Spot ist populär zum Fischen. Ein paar Angler stehen geduldig am Wasser und versuchen, einen der grossen Fische an den Haken zu kriegen. Ein Damm hält das Salzwasser ab, ins Süsswasser zu fliessen. Dies schafft ideale Lebensbedingungen für die silberfarbenen Barramundis. Doch wir erhoffen uns keinen Fischfang, sondern versprechen uns ein paar Krokodile. Von einer Aussichtsplattform nehmen wir den breiten Fluss unter die Lupe. Reizende Wasserlilien gibt es zuhauf, doch urzeitliche Riesenreptilien lassen sich kaum an der Wasseroberfläche blicken. Hier gebe es die höchste Konzentration von Krokodilen in Australien, aber vielleicht mögen sie den Lärm der nahen Baustelle auch nicht und fühlen sich genauso der Idylle beraubt wie wir…
Im Mary River leben aggressive „Salties“ und harmlose „Freshies“ Seite an Seite. Mit den bis zu sieben Meter langen Salzwasserkrokodilen mit breiter, stumpfer Schnauze ist nicht zu spassen. Sie sind in tropischem Küstenwasser, aber auch in Süssgewässern des australischen Nordens heimisch. Die gefürchteten Genossen wandern manchmal mit den Gezeiten flussaufwärts und verstecken sich in vom Meer weit entfernten Wasserlöchern. Man lasse sich von der scheinbaren Trägheit dieser Kolosse nicht täuschen. In blitzschnellen Attacken ergreifen sie ihre Beute, die nichtsahnend am Ufer weilt, zerren sie ins Wasser und ertränken sie, bevor sie sie verzehren. Menschen, Hunde, ja sogar Rinder gehören in ihr Beuteschema… Das kleinere Freshie mit langer, spitzer Schnauze lebt ausschliesslich in Süsswasser im Landesinneren und wächst „lediglich“ bis zu drei Meter heran. In der Regel ist das Süsswasserkrokodil scheu und nimmt Reissaus, es sei denn, es fühle sich in die Enge getrieben.
Nach einer weiteren mückengeplagten Nacht sind wir auf dem Weg zurück zum 50 Kilometer entfernten Highway. Ein gemächlicher Morgenspaziergang bringt uns innert Kürze von trockener Waldsavanne durch immergrünen Regenwald – abrupt geht die eine Vegetationszone in die andere über. Ein
dichtes, saftig grünes Blätterdach erlöst uns von der bereits am Vormittag intensiv strahlenden Sonne, im Schatten gönnen wir uns einen – vielleicht noch letzten – ruhigen Moment. Nach zwei ziemlich einsamen Tagen im Mary River Nationalpark düsen wir dem oft überlaufenen Kakadu entgegen. Müssen wir den begehrten Nationalpark mit ausgekippten Busladungen teilen?
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