Kulturell geprägte Inselmitte
In Sigiriya verteilen sich haufenweise Unterkünfte, die sich alle einen Anteil am grossen Geschäft mit dem gleichnamigen Felsen versprechen. Unüberschaubar die Anzahl an einfachen Bleiben, finden wir zwar mühelos freie Zimmer, doch alle durchwegs nüchtern gehalten. Vollgepfercht mit Betten, anstelle zusätzlich mit einem praktischen Kleiderständer oder Abstellflächen ausgestattet. Letztendlich nisten wir uns in einem winzigen Gästehaus mit gepflegtem Garten ein, etwas zurückversetzt von der lärmigen Strasse. Enthusiastisch geführt von einer aufgeschlossenen Frau, deren Englisch fliessend und beinahe akzentfrei über ihre Lippen kommt…
Madhu lebte über zwanzig Jahre in London und ist keine „richtige“ Sri Lankerin mehr. Die ansonsten oftmals zurückhaltende Art der Einheimischen hat sie abgelegt und sagt geradeheraus, was ihr durch den Kopf purzelt. Aber kein Wunder, schliesslich hat sich ihr halbes Leben in Europa abgespielt. Wir nutzen die Gunst der Stunde und sprechen sie auf den allgegenwärtigen Müll an, der auch in Sigiriya die Natur verschandelt. „Die Behörde fordert horrende Preise für die Abfallentsorgung, was sich kaum jemand leisten kann“, begründet sie das Übel. Als tierliebende Person und Katzenmutter bedrückt sie ein weiteres, von der Regierung ungelöstes Problem: die unzähligen streunenden Hunde. Fast überall präsent, erwecken die Vierbeiner häufig einen jämmerlichen Eindruck – hungrig oder krank, von allen nur getreten. Auch uns tun die vernachlässigten Köter manchmal leid, die lästig um unsere Beine trotten.
An der Strasse reiht sich eine Fressbude an die nächste, aber alle warten in etwa mit derselben Speisekarte auf. Der grösste Bestandteil des Essens ist oftmals das Warten, auch wenn die meisten Tische unbesetzt sind. Nicht selten knurrt der Bauch eine geschlagene Stunde, auch wenn wir uns beide für dasselbe Gericht entscheiden… Am nächsten Morgen machen wir uns beizeiten auf. Anstatt lange auf ein bestelltes Frühstück auszuharren, ziehen wir vor, im Gemischtwarenladen Bananen und Joghurt einzukaufen. Doch diese Rechnung geht leider nicht auf. Wiederum ist Geduld gefragt, öffnet das Ladenlokal erst mit einer knappen Stunde Verspätung seine Pforten. Immerhin haben wir nichts verpasst, hängen noch immer hartnäckige Wolkenschwaden am Himmel…
Der markante Sigiriya-Felsen, der sich gestern in voller Pracht zur Schau stellte, ist jetzt zu früher Morgenstunde benebelt und nur schemenhaft auszumachen. Der rund 200 Meter hohe Monolith erhebt sich mit schier senkrechten Wänden über die bewaldete Ebene hinaus. Auf dem Magmablock dieses erodierten Vulkans befinden sich die Ruinen einer historischen Felsenfestung. Der sagenumwobene „Löwenfelsen“ ist fast so etwas wie das Wahrzeichen Sri Lankas und lockt massenhaft Besucher an. Auch der unverschämt hohe Eintrittspreis von umgerechnet 30 Franken hält den Grossteil der Touristen nicht von der schweisstreibenden Besteigung ab. Am Kassenhäuschen herrscht Hochandrang, was uns die Lust verdirbt. Zumal ich vor zwölf Jahren beinahe mutterseelenallein oben verweilen konnte, ersparen wir uns den Aufstieg über die engen Treppen – Sehenswürdigkeit hin oder her.
Stattdessen schustern wir weiter und nähern uns zuversichtlich dem Pidurangala an. Zwar auch längst kein Geheimtipp mehr, erklimmen doch weitaus weniger Leute den Nachbarfelsen, der rund ein Kilometer nördlich des Sigiriya aufragt. Dieser verehrte Fels war schon vor über 2000 Jahren ein Rückzugsgebiet für buddhistische Mönche, wie Brahmi-Inschriften es beweisen. Heute schmiegt sich ein neueres Kloster an einen Felsvorsprung, von wo Stufen steil in die Höhe schnellen. Im Wald streichelt kaum ein Windhauch unsere Haut, Schweiss quillt im Nu aus jeder Pore. Einen liegenden Riesen-Buddha aus Ziegelstein erreicht, gönnen auch wir uns eine kurze Verschnaufpause, wenn auch stehend.
In einer nachfolgenden Kraxelei über grosse Gesteinsbrocken enden wir schnaubend auf dem massiven Felsrücken des Pidurangala. Vom flachen Plateau bietet sich ein fantastischer Ausblick auf die waldgrüne Weite sowie den berühmten Sigiriya. An dessen Felswand schiebt sich ein bunter Menschenstrom langsam im Zickzack empor, was uns ein müdes Schmunzeln entlockt. Noch immer verschleiert Dunst die Umgebung – alles Abwarten nützt leider nichts. Stattdessen rücken uns dunkle Wolken auf die Pelle und entleeren sich blitzschnell in einem Guss. Den Rückweg schliesslich fast geschafft, holt uns erneut eine rabenschwarze Wolkenwand ein. Und schon schüttet es heftig, wie aus Kübeln. Ein Glück winken uns Wächter barmherzig in ihr Häuschen und gewähren uns Asyl an der Trockenheit.
Neuer Tag, neues Wetter. Mit dem Bus pilgern wir ins knapp zwanzig Kilometer entfernte Dambulla – ein sonntäglicher Ausflug. Der Verkehrsknotenpunkt zeigt sich geschäftig, aber nicht sehr einladend. Die Attraktion der Stadt sind die heiligen Höhlentempel. Der Ticketschalter für Ausländer befindet sich in einem Zimmer, wo heillose Unordnung herrscht. Eine Handvoll Männer glotzt in eine Flimmerkiste, während einer im Tausch gegen Bares die Eintrittskarten über den Tisch schiebt. In einer Viertelstunde die zahlreichen Treppenstufen gemeistert, müssen wir uns der Schuhe entledigen, wie meistens vor dem Betreten eines buddhistischen Heiligtums.
Die Höhlentempel kleben auf einem felsigen Bergrücken und blicken auf eine über 2000-jährige Geschichte zurück. In den künstlichen Grotten lebten früher Einsiedlermönche. Im Laufe der Zeit liessen die Herrscher die Höhlen immer wieder renovieren und mit neuen Buddha-Figuren bestücken. Heute versammeln sich in den düsteren Grotten über hundert Exemplare – meditierend, stehend oder liegend, in allen Grössen. Obendrein zeugen im Dämmerlicht aufwändige Wandmalereien von buddhistischer Frömmigkeit. Aufgrund der spirituellen und historischen Bedeutung verlieh die Unesco den Höhlentempeln den Welterbestatus.
Auf dem Weg talwärts tummeln sich Affenhorden, hangeln sich durchs Geäst oder lauern auf den Stufen. Vorwitzig klauen sie den einheimischen Familienclans die Opferblumen aus den Händen und knabbern genüsslich an deren weissen Blüten…
Nach drei Tagen in Sigiriya, reisen wir erneut nach Dambulla, diesmal jedoch mitsamt Gepäck. An der lauten Hauptstrasse rausgeschmissen, warten wir auf einen vorbeikommenden Bus in Richtung Inselmitte. Die anrauschende Rostlaube ist schon ziemlich voll, wider Erwarten finden wir im hinteren Teil ein schmales Plätzchen. Die 70 Kilometer lange Fahrt nach Kandy zieht sich ungemein in die Länge, viel Verkehr ist auf Achse. Die umliegenden Berge grau verhangen, regnet es mittlerweile in Strömen. In Stadtnähe geht es nur noch stockend voran, die Strassen im Zentrum sind völlig verstopft.
Auf rund 500 Metern über Meer gelegen, stellt Kandy wegen des angenehmen Klimas ein beliebter Wohnsitz für die Inselbewohner dar. Aufgrund der Bevölkerungszunahme wachsen die Wohngebiete immer weiter in die umliegenden Täler und Anhöhen hinauf. Der wahre Reiz der ehemaligen Königsresidenz liegt wahrhaftig im bergigen Umland, wo kulturelle Perlen und landschaftliche Schönheiten locken. Das Herzstück der Stadt ist der Kandy-Lake mit dem verehrten Zahntempel. Auf einer Anhöhe südlich des Sees haben sich viele Unterkünfte angesiedelt. Im dritten Anlauf klappt es mit einer verfügbaren Kammer, doch ein Wohlgefühl mag sich nicht richtig einstellen, wabert aus dem Bad ein modriger Abwassergeruch. Deshalb erwägen wir am nächsten Morgen einen Umzug. Im familiär geführten Gästehaus unserer ersten Wahl ist heute ein Zimmer frei geworden – wir packen. Die quirlige Tochter führt uns in das oberste Stockwerk, wo wir von der Dachterrasse einem sagenhaften Fernblick frönen, sofern das Wetter mitspielt.
Heute ist Vollmond – Poya. In Sri Lanka ein offizieller Feiertag, wie jeder Vollmondtag. Zwölf Mal im Jahr. Nicht schlecht. Öffentliche Einrichtungen wie Banken sowie einige Geschäfte bleiben geschlossen. Im buddhistisch geprägten Land verknüpft man diese Poya-Tage mit historisch wichtigen Ereignissen aus dem Leben des Erleuchteten. Die Sittenregeln werden dann besonders streng befolgt, vor allem die fünfte: keine berauschenden Mittel zu sich nehmen. Demzufolge wird an diesem Tag kein Alkohol ausgeschenkt, zumindest vielerorts. „Falls ihr morgen ein Bier trinken möchtet, müsst ihr es noch heute kaufen“, riet man uns gestern in der Unterkunft. Nett gemeint, doch auf einen warmen Gerstensaft verzichten wir lieber…
Nebst den Vollmondfeiertagen stechen im srilankischen Kalender noch viele weitere Daten in roter Farbe heraus. Die Tropeninsel ist ein Schmelztiegel der vier grossen Weltreligionen – auch den Hindus, Muslimen und Christen sind gewisse Tage überaus heilig. Im heutigen Alltag leben Menschen unterschiedlicher Glaubensrichtungen meist friedlich Tür an Tür. Der Buddhismus hat die Inselkultur am intensivsten durchdrungen und mit einem 70-prozentigen Bevölkerungsanteil weitaus die meisten Anhänger. Die Hindus machen lediglich 13 Prozent, die Muslime 10 Prozent und die Christen 7 Prozent aus.
Auf dem Spazierweg rund um den künstlich angelegten Stadtsee begleitet uns Geknatter und Hupen. Der motorisierte Strassenverkehr ist laut, hierzulande viel lauter wie in der Heimat, wo die Vehikel im Vergleich nur leise schnurren. Den Kandy Lake zur Hälfte umrundet, wimmelt es von Menschen. Fast alle weiss gekleidet, anlässlich des Poya-Festtages. Mit Blumengestecken in der Hand, strömen sie von allen Seiten in den verehrten Zahntempel. Der Palast des heiligen Zahns ist fraglos das Wahrzeichen von Kandy. Architektonisch nichts besonderes, liegt seine Berühmtheit in einem Eckzahn Buddhas.
Die Warteschlange vor dem Tempel scheint endlos. Das dichte Gedränge schiebt sich nur millimeterweise voran. Gebannt beobachten wir das Geschehen, bevor wir uns daruntermischen. Das Anstehen verläuft nicht immer friedlich, spüren wir ein festes Drücken im Rücken und ein Drängeln von der Seite. Wo bleibt nur die asiatische Gelassenheit? Niemand kann es wohl erwarten, dem Heiligtum näher zu kommen und seine Opfergaben loszuwerden. Den Zahn selber kann man nicht sehen, lediglich einen Blick auf den Behälter des wichtigen heiligen Reliktes werfen… Eine würdevolle Stimmung geht vom Tempel aus, wenn die zu den Gebetszeiten geschlagenen Trommeln von den umliegenden Höhen widerhallen, und bis in unser Schlafgemach dringen.
Das wuselige Zentrum versprüht einen Hauch koloniales Flair und punktet vereinzelt mit historischen Bauten. Im Westen bieten Verkäufer händewedelnd ihr Angebot feil, an den farbenfrohen Markt grenzen Bahnhof und Busterminal – ein chaotischer Fleck sondergleichen. Fast jedes zweite Fahrzeug ist ein Autobus. Und ist es kein röhrender Bus, ist die Chance gross, dass es sich um ein quakendes Tuk Tuk handelt. Auf der Suche nach dem gewünschten Gefährt, wundern wir uns über die zahlreichen Busrouten – offenbar wird in jeder Himmelsrichtung das hinterletzte Dorf angesteuert. Es ist eine Wissenschaft für sich, den genauen Abfahrtsort herauszufinden. Fünf Leute gefragt und stets weitergereicht, stehen wir zwar mit fünf genannten Busnummern, aber noch immer ratlos da. Ein Spiessrutenlauf. Ernüchtert geben wir uns beinahe geschlagen…
Schlussendlich hocken wir eine Stunde später doch noch im richtigen Bus. Inmitten einer schwarzen Abgaswolke sehnen wir nun die Abfahrt herbei. Ein stinkender Rostknäuel, der sich kaum vorwärts schiebt – der Verkehr steht kurz vor dem Kollaps. Ohrenbetäubendes Hornen reisst nicht ab. Gehupt wird um die Wette, was uns aber auch keinen Schwung verleiht. Endlich voran stotternd, nimmt das Städtische so bald kein Ende, genauso das Verkehrsaufkommen. Raus aus dem blechernen Dickicht, fängt uns eine ländliche Szenerie mit sanft geschwungenen Bergzügen ein. Für nur dreizehn Kilometer eine weitere Stunde verstrichen, rückt unser Ziel in greifbare Nähe. Der klapprige Bus ist mittlerweile proppenvoll und wir quetschen uns frühzeitig zwischen den im Gang stehenden Passagieren durch, um unsere Haltestelle nicht zu verpassen.
Sonnenschein taucht die umliegenden Reisfelder in ein strahlendes Grün. Nach einem kurzen Bummel gerät der „Embekke Devale“ in unser Blickfeld. Der alte Hindu-Schrein ist in liebliche Hügel eingebettet und vor allem der fein geschnitzten Holzsäulen wegen ein Schmuckstück. Die vielseitigen Motive zeigen Tänzerinnen, Fabelwesen oder geometrische Muster. Auch ein Blick nach oben lohnt sich alleweil, sind die Dachbalken mit filigranen Lotosblumen verziert. Nur wenige Besucher nehmen den geschichtsträchtigen Tempel aus dem 14. Jahrhundert in Augenschein – uns kommt die friedvolle Ruhe gelegen.
Über eine Bergkuppe gelangen wir ins kleine Dorf Embekka. Auch dort geht es beschaulich zu und her. Fern von Verkehrskrach, sind es aufgeregte Kinderrufe, die auf sich aufmerksam machen. Bewohner lächeln uns wohlwollend zu, währenddessen sich Gewitterwolken hinterhältig auftürmen.
Nach einem stündigen Auf und Ab, thront über einem grünen Tal der zweite Tempel. Der weiss getünchte „Lankatilake Devale“ stammt aus derselben Zeitepoche, hat aber kaum Gemeinsamkeiten mit dem erstbesuchten Schrein. Der freundliche Wärter zückt den grossen Schlüssel und gewährt uns Einlass in das göttliche Innere – eine interessante religiöse Kombination. Buddha-Statuen und Hindu-Gottheiten harmonieren auf engstem Raum, umgeben von himmlischen Malereien.
Unsere zehn Kilometer lange Tempelwanderung entpuppt sich als gelungen, wenn auch die Anreise etwas harzte. Grundsätzlich lieben wir Tagesausflüge solcher Art, hautnah an den einheimischen Herzen. Ohne Schleppen des gesamten Gepäcks, wofür häufig sowieso kaum Stauplatz vorhanden ist, gestaltet sich eine Reise in den öffentlichen Bussen weitaus angenehmer… Spätnachmittags heisshungrig in Kandy zurück, zieht uns das bereits gestern besuchte Restaurant magisch an. Ein behagliches Touristenlokal, mit einer Speisekarte der etwas anderen Art. Gegen ein lecker zubereitetes „Rice & Curry“ ist rein gar nichts einzuwenden, doch anerbietet sich einmal eine verlockende Abwechslung im Speiseplan, schlagen wir beherzt zu…
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