Kunstvoller Lake Ballard
Spätnachmittags, die Sonne steht schon tief und taucht den weiss schimmernden Lake Ballard in ein bezauberndes Licht. Der in der Regel ausgetrocknete Salzsee präsentiert sich feucht – offensichtlich hat es erst vor kurzem geregnet. Euphorisch stapfen wir über das aufgeweichte Salz, dass sich unter unseren Sohlen wie matschiger Schnee oder angetautes Eis anfühlt. Dünne nackte Gestalten verteilen sich auf dem glitzernden Salz – eine Kunstgalerie der besonderen Art. Wolkenfetzen ballen sich am Himmel, aus einer Richtung nähern sie sich bedrohlich schwarz. Wir sind hin und weg, die Stimmung kurz vor Sonnenuntergang ist eine Wucht…
Der salzverkrustete Lake Ballard liegt im Westen von Menzies und ist über eine 51 Kilometer lange rote Sandpiste zu erreichen. 51 männliche und weibliche Skulpturen, geschaffen vom britischen Künstler Antony Gormley, beleben den riesigen schneeweissen Salzsee. Diese Ausstellung – „Inside Australia“ – war ein Teil des Perth International Arts Festival im Jahre 2003. Die Skulpturen sind abgeleitet von dreidimensionalen Laserscans der Einwohner von Menzies. Deren Grösse wurde beibehalten, aber der Querschnitt um zwei Drittel geschrumpft – deshalb ihre hagere Figur.
Beim Salzsee die Zelte aufschlagen ist erlaubt, doch Campingplatz-Feeling kommt zu unserer Freude nicht auf. Die wunderbare weite Natur haben wir für uns, in Sichtweite ist zumindest keine Menschenseele auszumachen. Auch Sterne lassen sich keine blicken, nur das grelle Vollmondlicht dringt schwach durch die Wolkendecke über uns. Düster und totenstill, bis frühmorgens um sechs uns Rinder unverschämt aus dem Schlaf muhen. Wider Erwarten ist der Himmel nun klar, soeben rücken erste Sonnenstrahlen über den Horizont. Raus aus den warmen Federn. Ruckzuck schnüren wir die Schuhe und schlüpfen in unsere Jacken, um das milde Licht des soeben erwachten Tages fotografisch einzufangen. Die magersüchtig anmutenden Gestalten werfen lange schmale Schatten aufs Salz. Wie friedlich und ruhig es ist. Glückselig tanken wir frische Morgenluft und saugen die magischen Momente des kunstvollen Farbenspiels in uns auf.
Nach einem stärkenden Frühstück stiefeln wir erneut los, erst über gelungene Muster in trockener, rissiger Erde, dann über rotbraunen, glitschigen Sand. Immer auf der Hut nicht auszurutschen, erreichen wir schliesslich die mit Salzkristallen übersäte Fläche. Je weiter wir schweifen, desto nässer wird der See. Die Szenerie spiegelt sich in den glatten Wasserlachen, munter schustern wir durch die sagenhafte Freiluftgalerie. Der blendend weisse Salzsee ist eingerahmt von Sanddünen, die von ockerfarben bis glutrot leuchten und einen exzellenten Kontrast abgeben. Nebst den metallenen Gesellen treffen wir nach einer Weile auf ein lebendiges australisches Paar und halten einen kurzen Schwatz. „Seit anfangs Jahr hat es in ganz Australien aussergewöhnlich viel geregnet“, antwortet der aufgeschlossene Mann auf unsere Frage, ob es hier immer so nass ist. Dass es in den vergangenen zwei Monaten oft bewölkt und feucht war, haben wir zu unserem Leid hautnah mitbekommen.
So reizvoll der Landstrich ist, so grässlich sind die kleinen Viecher, die uns belagern. Setzen wir uns zwecks Picknick auf den Grund, attackieren uns winzige Ameisen im Nu. Überdies sind Fliegen allgegenwärtig, schwirren uns mit Vorliebe um den Kopf und reiten auf unserem Rücken mit, wie ein schwarzer Schleier. Auch mit der Ruhe ist es vorbei, von der gestrigen Abendstille können wir heute nur noch träumen. Unfreiwillig befinden wir uns in einem durch die Nacht schallenden Open-Air. Gewisse Camper verhalten sich jeweils laut und rücksichtslos, doch es ist nicht immer Musik die nervt, sondern auch das Geplapper eines Fernsehers… Das funkelnde Sternenzelt hoch über uns entschädigt, sowie die Erinnerung an einen glanzvollen Tag.
Zurück nach Menzies und auf der Hauptverkehrsachse bis in den nächsten Ort. Leonora, rund 100 Kilometer nördlich, ist ein Handelszentrum für Bergbau und ländliche Industrie dieser gottverlassenen Region. Die bunten Fassaden der Kneipen und Läden sind alle nach Osten ausgerichtet, damit sie an heissen Nachmittagen im Schatten liegen. Sonntags ist bis auf den Tankstellenshop alles geschlossen, die Kleinstadt wirkt wie ausgestorben…
Gwalia, nur unweit entfernt, ist im wahrsten Sinne ausgestorben. In der vom Zerfall bewahrten Geisterstadt sind heute nur noch wenige Häuser bewohnt. Der Ort wurde 1896 im goldenen Höhenflug gegründet und zählte bald über 1000 Einwohner, darunter viele Migranten aus Italien und Jugoslawien. Als die grosse Goldmine 1963 stillgelegt wurde, reisten fast alle Menschen von einem Tag auf den anderen ab, liessen ihre Hütten oft möbliert und teilweise samt Hausrat zurück. Wir schlendern durch das zwar verlassene Dorf, kommen uns aber trotzdem wie Eindringlinge vor. Die verlotterten Wellblechverschläge stehen den Besuchern offen, doch den Fuss in die verstaubten ärmlichen Haushalte zu setzen, mutet etwas unheimlich an. Es kommt uns vor, wie wenn die Menschen nur mal kurz ausser Hütte sind. In einfachsten Verhältnissen haben sie damals gehaust, ihr grosses Glück im Gold gesucht.
Seit 1990 erlebt die Region einen erneuten Goldboom, wobei die alten Bergwerkstollen durch riesige Tagebau-Krater ersetzt worden sind. Von einem Aussichtspunkt blicken wir in die Tiefen der offenen Goldmine von Gwalia, ein riesengrosses Loch. Aber nicht nur Gold, sondern auch andere Bodenschätze wie Nickel tragen zum Reichtum der Gegend bei. In der Nähe der Minenstadt Leonora lassen wir uns am Ufer des Malcolm Dam nieder. Das Nächtigen ist umsonst, inklusive Insekten. Als die eklig im Gesicht krabbelnden Buschfliegen sich in der Abenddämmerung endlich verabschieden, werden sie schlagartig von anderen Plagegeistern abgelöst. Endlich ein gemütlich lauer Abend zum draussen sitzen, stechen Mücken schamlos zu. Und zur Krönung fängt es wie aus heiterem Himmel zu tropfen an.
Voller Zuversicht waren wir die letzte Woche mit unserem Camper unterwegs, doch nun drängt sich ein Problem mit dem Gasherd auf. Schon von Anfang an dauerte das Zünden der Flamme erstaunlich lange, doch nun klappt es überhaupt nicht mehr. Montag, wie könnte es anders sein, seufzend kehren wir nach Leonora zurück. Alle sind freundlich, wir werden stets weitergereicht, doch niemand kann – oder will – uns wirklich aus der Patsche helfen. Eine vermutete Diagnose lautet: Der Hitzesensor ist kaputt. Aber Ersatzteile gäbe es in diesem entlegenen Kaff leider nicht. Nach Rücksprache mit unserem Vermieter verschieben wir die Reparatur auf später und gehen das Übel behelfsmässig an. Nach einem erfolglosen Morgen schwenken wir nach Osten ab und steuern zwar verspätet, aber planmässig Laverton an – 120 Kilometer entfernt, und noch viel abgelegener…
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