Le Morne Halbinsel – im vielfältigen Südwesten
Pünktlich wie eine Schweizeruhr treffen wir nachmittags um drei in La Gaulette ein, wo wir für die kommende Woche kurzfristig ein Studio gebucht haben. Als uns zum vereinbarten Zeitpunkt niemand empfängt, schleichen wir verunsichert ums Haus. Sind wir überhaupt am richtigen Ort? Weder eine Hausnummer noch ein Schild ist angebracht, ebenso keine Klingel. Im Wissen, das Mauritius etwas gemütlicher tickt, warten wir geduldig ab, anstatt voreilig zum Telefon zu greifen. Und siehe da: Zwanzig Minuten später trifft die Vermieterin entschuldigend ein. Artee freut sich, endlich wieder Gäste beherbergen zu dürfen. „Für den ausländischen Tourismus war unsere Insel wegen Corona eineinhalb Jahre lang geschlossen. Doch Anfangs Oktober war es endlich soweit und geimpfte Gäste dürfen seither quarantänefrei einreisen“, erzählt sie mit einem Leuchten in den Augen.
Vier Studios befinden sich im Haus, das Artee und ihrem Mann Ben gehört. Die junge Frau führt uns über eine Aussentreppe ins Obergeschoss – unser Herz hüpft vor Freude. Gemäss dem Ausschrieb im Buchungsportal gingen wir davon aus, im Erdgeschoss zu landen und freuen uns jetzt umso mehr über den aussichtsreichen Balkon. Auch mit der schnuckeligen Wohnung sind wir durchwegs zufrieden, ist sie geschmackvoll und farbenfroh eingerichtet und die Kochnische bietet alles, was man so braucht. Wir haben vor, mehrheitlich selber den Kochlöffel zu schwingen und machen uns sogleich ins Zentrum von La Gaulette auf, um den Kühlschrank zu füllen. Das Dorf ist klein, die Auswahl im Supermarkt hingegen erstaunlich gross.
Die Nachmittagssonne steht schon tief. Auf dem lauschigen Balkon nippen wir genüsslich an einem Sundowner. Versonnen schweifen unsere Augen durch den gepflegten tropischen Garten, wo Palmen in die Höhe ragen. Der wahre Blickfang ist allerdings der unverkennbare Le Morne Brabant, der sich majestätisch hinter den Hausdächern erhebt. Der markante Felsklotz liegt auf der gleichnamigen Halbinsel, die den westlichsten Punkt von Mauritius bildet. La Gaulette liegt nur wenige Kilometer nördlich davon, vom Dach des Hauses können wir das Meer erspähen. Der einzige Nachteil ist, dass unmittelbar hinter den Pingo Studios die Hauptstrasse verläuft. Abends übertönt manchmal Hundegebell oder das Quaken der Frösche den Verkehrslärm. Auf dem Balkon ist es behaglich und wir können kurzärmelig draussen sitzen, was an der windigen Südküste nie möglich war. Das Thermometer zeigt jetzt noch 25 Grad an, so warm also, wie es dort jeweils tagsüber war.
Auf dem Dach von Mauritius
Als ich frühmorgens erwartungsvoll aus dem Fenster schaue, ist es bewölkt, und später fängt es sogar zu regnen an. Das Wetter in Mauritius ist unberechenbar, auf die Prognose kein Verlass. Und wie das Wetter oben in den Bergen spielt, ist unten am Meer sowieso schwierig abzuschätzen. Als sich vormittags die Wolkendecke auflockert, beschliessen wir kurzerhand, doch noch ins Hochland zu fahren. Die Strasse, die bei La Gaulette ins Bergland nach Chamarel abzweigt, ist zur Zeit leider gesperrt, was uns einen verhältnismässig langen Umweg über die Südküste aufbrummt. Das schmale Teerband schraubt sich in unzähligen Kurven jäh bergan, bis wir das weitgehend ursprüngliche Dorf Chamarel auf knapp 300 Höhenmetern erreichen. Vom Chamarel Viewpoint gucken wir hinab zur Le Morne Halbinsel, über die lang gestreckte Insel Bénitiers bis zur südlichen Westküste. Ein reizvolles Panorama, allerdings etwas glanzlos, da Wolkenschlieren der Sonne die Kraft rauben.
Von Chamarel windet sich eine Strasse durch das fruchtbare Hochland und weiter durch den Black River Gorges Nationalpark, der mit einer Grösse von 40 Quadratkilometern einen beträchtlichen Teil des Südwestens einnimmt. Obwohl der Nationalpark nach der eindrucksvollen Schlucht Rivière Noire benannt ist, besteht er grösstenteils aus der etwa 700 Meter über Meer liegenden Hochfläche Plaine Champagne, die auch als das Dach von Mauritius bezeichnet wird. Für botanisch Interessierte ist der Nationalpark ein wahrer Schatz, denn was von der endemischen Flora übrig geblieben ist, wie beispielsweise Ebenholzbäume, kann man hier am ehesten entdecken. Staunend stehen wir beim Black River Gorge Viewpoint, wo sich ein weiter Blick über das dicht bewaldete Gebiet mit sprudelnden Wasserfällen und die tiefe, zerklüftete Schlucht eröffnet. In der Ferne sind die Küste und die Berggipfel im Inselnorden vage auszumachen. Allein sind wir nicht, die meisten Ausflügler sind jedoch im Rahmen einer geführten Tagestour hier.
Ein paar Meter neben dem Aussichtspunkt startet die Wanderung zum Black River Peak, dem höchsten Berg der Insel. Trotz dunklen Wolken wagen wir uns an den Aufstieg, was für Hin- und Rückweg sieben Kilometer bedeutet. In einem Auf und Ab führt der Weg über zahllose Wurzeln durch den Wald. An vielen Stellen ist der Boden matschig und schmatzt bei jedem Schritt. Konzentriert balancieren wir an Pfützen vorbei. Stets bedacht, nicht auszurutschen, kommen wir nur langsam voran. Es macht mir keinen Spass und ich wäre längst umgekehrt, wäre da nicht Roland, der hartnäckig an unserem Ziel festhält und mich zum Weitergehen ermuntert. Ein Glück wuchern am Wegesrand dünne Bäume, wo man sich festkrallen kann. Manchmal komme ich mir vor wie ein Affe, der sich von Ast zu Ast schwingt.
Mit der Zeit steigt die bewaldete Bergflanke steiler an. Der Pfad ist mancherorts trocken und erweckt Hoffnung auf Besserung, nur um kurz darauf wieder in Matsch überzugeben. Tapfer halte ich durch. Kurz vor dem Gipfel erleichtern Seile den finalen Anstieg. Geschafft. Nach knapp zwei Stunden stehen wir endlich oben, oben auf dem 828 Meter hohen Black River Peak. Der Rundumblick ist atemberaubend. Nur die Sonne lässt uns zeitweise im Stich und die Weitsicht ist nach wie vor dunstig. Trotzdem geniessen wir diese grandiose Aussicht, den Naturfrieden und das Picknick, das uns hoffentlich genügend Energie für den gefürchteten Abstieg liefert. Wir haben den höchsten Gipfel des Landes ganz für uns allein – erst kurz vor unserem Aufbruch trudeln weitere Wandervögel ein.
Beflügelnde Ausblicke vom Le Morne Brabant
Anderntags schwingen wir uns um sechs aus dem Bett. Die Sonne lacht und der neue Tag startet vielversprechend. Voller Elan schnüren wir nach dem Frühstück die Wanderschuhe und machen uns auf zum Le Morne Brabant. Vom Parkplatz zieht sich ein breiter Waldweg stetig bergan, schon um halb acht wärmt die Tropensonne kräftig. Wir wechseln ein paar Worte mit Artee und Ben, die wir hier eben beim Frühsport antreffen. Bald ergattern wir erste Ausblicke hinab auf den glänzend blauen Ozean. Allmählich geht der Wald in offenes Gelände über und der mächtige Felsklotz über unseren Köpfen hebt sich markant von einem stahlblauen Morgenhimmel ab. Mit beschleunigtem Pulsschlag erreichen wir eine Anhöhe, wo ein Schild eindringlich warnt: Ab hier nur geübte Kletterer erlaubt. Ein zweites Schild verbietet gar das Weitergehen. Ben meinte allerdings, es sei nicht offiziell, sondern von einem Touristenführer angebracht, um Gäste für sich zu gewinnen. Deshalb schustern wir beruhigt weiter…
Der steinige Pfad wird schmaler und schleust uns durch Buschwerk, bevor sich eine steile Felswand erhaben vor uns auftürmt. Auf allen Vieren kraxeln wir bergwärts, griffige Steine und hohe Stufen erleichtern die Kletterei. Es sind vorwiegend geführte Gruppen am schroffen Berg – sie kommen nur langsam voran. Wo immer sich eine Gelegenheit bietet, überholen wir die ungeübten Bergsteiger. Zwar baden wir rasch im eigenen Saft, aber mit dem Weg kommen wir gut klar, sogar mit den leicht ausgesetzten Stellen. Schnaubend halten wir gelegentlich inne und bewundern die sagenhaften Ausblicke zu beiden Seiten der landschaftlich einzigartigen Le Morne Halbinsel. Tief unter uns schimmert der Indische Ozean verführerisch in verschiedenen Blautönen.
Nach einer letzten knackigen Kletterpartie und dreieinhalb Kilometern in den Knochen, stehen wir um neun unvermittelt am Ziel. Das Gipfelkreuz thront zwar nicht am höchsten Punkt auf 556 Metern, aber von hier führt kein Weg weiter. Das grosse Metallkreuz erinnert an eine tragische Geschichte, die sich in der Zeit der französischen Herrschaft abspielte. Damals diente der Berg als Zufluchtsstätte für geflohene Sklaven, die sich hier – fernab der damaligen Zivilisation – recht sicher fühlen konnten. Als die Engländer die Sklaverei im Jahre 1835 abschafften, entsandten sie Polizisten, um den Flüchtlingen die frohe Botschaft zu überbringen. Tragischerweise glaubten sich die Sklaven jedoch entdeckt und einige stürzten sich verzweifelt vom Berg in den Tod.Auf dem Felsvorsprung ist der beschränkte Platz bereits knapp, und jeder möchte sich an die Front stellen, um das beflügelnde Panorama fotografisch festzuhalten. Ehe wir uns versehen, verbleicht das Bild, hat sich die Sonne hinter die inzwischen aufgezogenen Wolken verabschiedet. Es wird uns einmal mehr bewusst, dass sich das Wetter im gebirgigen Inselreich rasch ändern kann, und wir bereuen es, nicht schon im Morgengrauen aufgebrochen zu sein. Doch wir haben Zeit. Und Hoffnung. Geduldig warten wir ab. Nach einer geraumen Weile sind alle Gruppen abgezogen, und wir haben den schwindelerregenden Fleck sogar einen Moment für uns alleine. Obendrein blinzeln ein paar Sonnenstrahlen zaghaft zwischen Wolkenlücken hervor – ein Glücksgefühl breitet sich in uns aus.
Cascades 500 Pieds – erneut im Nationalpark
Fünf Uhr vierzig. Auch ohne Wecker erwachen wir meistens um diese Zeit. Draussen ist es schon taghell, und der frühe Morgen verspricht wiederum einen sonnigen Tag. Kurz nach sieben sind wir auf Achse. Auf dem Programm steht ein erneuter Besuch im Nationalpark; heute steuern wir jedoch die Ostseite an. Der Parkplatz bei den Alexandra Falls ist um acht Uhr noch völlig verwaist. Am Himmel ballen sich bereits viele Wolken. Ein schmaler Weg schlängelt sich bergab zu den Wasserfällen namens Cascades 500 Pieds. Behutsam setzen wir einen Fuss vor den nächsten, um auf dem lehmigen Pfad den Halt nicht zu verlieren. Inzwischen nieselt es, und bald klebt Matsch an den Schuhsohlen, was das rutschige Unterfangen verschlimmert. Halten wir uns an einem Bäumchen am Wegesrand fest, schütteln wir uns das auf den Blättern angesammelte Regenwasser über den Kopf. Kurz vor dem Ziel steht als letzte Herausforderung die Überquerung des rauschenden Flusses an. Glitschige Steine ragen aus dem Wasser, aber mit Hilfe unserer Hände und etwas Geschick bleiben unsere Schuhe trocken.
Die Strapazen haben sich gelohnt. Tief beeindruckt stehen wir auf dem Felsplateau, wo sich der Fluss sprudelnd über die Kante in den bodenlosen Abgrund ergiesst. Wir versuchen, einen Blick auf die herabstürzende Wassermasse zu erhaschen, was weder einfach noch ungefährlich ist. Somit würdigen wir insbesondere den Weitblick, über den bewaldeten Landstrich bis hinab zur verregneten Südküste, wo am Horizont der graue Himmel mit dem grauen Meer verschmilzt. Hier oben mogeln sich inzwischen vereinzelte Sonnenstrahlen durch ein zerzaustes Wolkendach. Was für ein harmonisches Plätzchen! Überwältigt setzten wir uns auf einen flachen Felsen am gurgelnden Nass und schmausen vormittags um zehn bereits hungrig eines der mitgebrachten Sandwiches.
Später dringen plötzlich Stimmen in unsere Ohren. Daraufhin fällt eine grosse Gruppe Mauritier ein. Einige hocken wagemutig an die Abbruchkante und lassen die Beine ins Bodenlose baumeln. Nach einer Pause wollen sie weiter absteigen, bis an den Fuss des Wasserfalls. „Begleitet ihr uns?“, fragt einer der Truppe aufgeschlossen. Obschon wir die offene Art und Gastfreundschaft schätzen, lehnen wir dankend ab. Uns graut es vor einer weiteren Rutschpartie, und zudem ist es richtig schwül. Der Rückweg zum Parkplatz ist anstrengend genug, und ich spüre jeden Muskel, den ich gestern gebraucht habe: Arme, Beine, Rücken – alles tut weh.
Grand Bassin – der heilige See der Hindus
Es fehlen nur noch wenige Kilometer bis Le Pétrin, wo es vor ein paar Tagen in Strömen regnete und der Besuch der Hindustätte am Grand Bassin buchstäblich ins Wasser fiel. Diesen holen wir jetzt nach und schwenken bei Le Pétrin auf die mehrspurige Zufahrtsstrasse ab. Ihre Breite lässt erahnen, wie viele Menschen jeweils zum grössten Hindufest ausserhalb Indiens anreisen. Hunderttausende weiss gekleidete Gläubige mit Opfergaben pilgern dann hierhin, dementsprechend geht auch die Zahl der Parkplätze in die Tausende. Heute parken kaum Autos auf den riesigen Betonfeldern, die bis unmittelbar an die heiligen Stätten reichen. Zwei gigantische Statuen wachen über der Tempelanlage – die wuchtigen Gottheiten sind schon von weit her zu sehen. Wir schlendern an den Tempeln und Schreinen vorbei, die mehr heilig, wie hübsch sind.
Um einen Teil des Sees führt ein breiter, betonierter Weg, wo sich Affen mit ihren spitzen Zähnen gierig über die dargelegten Opfergaben hermachen. Vor göttlichen Statuen beten Gläubige und ein paar Touristen schauen sich neugierig um, aber so viel wie letzten Sonntag ist jetzt unter der Woche leider nicht los. Im multikulturellen Mauritius sind alle Weltreligionen vertreten, die Hindus bilden mit einem Anteil von etwa 50 Prozent die grosse Mehrheit. Mantras in Endlosschlaufe ertönen aus Lautsprechern und verbreiten eine himmlische Stimmung. Auf einem Hügel thront ein kleiner Tempelpavillon, träge schleppen wir uns die Stufen hoch. Die Brise in der Höhe ist angenehm, der Regen für einmal die reinste Wohltat. Entkräftet blicke ich über das Hochland bis zum höchsten Berg sowie hinab zum Grand Bassin vor unserer Nase. Der heilige See ist ein erloschener, mit Wasser gefüllter Vulkanschlot.
Der berühmte Wasserfall von Chamarel
Den nächsten Tag gehen wir für einmal langsam an, was wir später fast bereuen. Denn als wir um zehn Uhr losziehen, ziehen auch schon erste Wolken auf. Unser heutiges Ziel ist der berühmte Wasserfall von Chamarel. Da die direkte Zufahrtsstrasse ins Hochland noch immer gesperrt ist, hat uns Ben wohlwollend auf den Fussweg aufmerksam gemacht, der unweit unseres Studios den Hang hinauf führt. An Gärten und Bananenplantagen vorbei, gewinnen wir rasch an Höhe. Bald schieben sich das türkisblaue Meer und der entzückende Le Morne Felsen in unser Blickfeld. Dann taucht der steile Pfad in den Wald. Schweiss perlt über mein Gesicht, das Herz hämmert. Nach einer Stunde stehen wir auf dem Bergrücken – rund 300 Höhenmeter sind geschafft. Nun geht es leicht bergab und nach insgesamt fünf Kilometern erreichen wir die Cascade Chamarel. Zwei Wasserstrahlen ergiessen sich über eine knapp hundert Meter hohe Felswand in ein weites Bassin, das von Bildern bekannte Bild ist umgeben von üppigem Grün.
Auf dem Rückweg steht noch das Naturphänomen Siebenfarbige Erde auf unserem Plan, aber daraus wird leider nichts. Zu unserer Überraschung werden am Eingang keine Tickets verkauft, sondern nur kontrolliert. Die Eintrittskarte gibt es scheinbar nur beim Dorf Chamarel, das von unserer Seite her kommend noch über vier Kilometer entfernt ist. Alles Bitten nützt nichts, die sture Frau nimmt kein Geld an und verweigert uns den Zutritt. Der Weg zum offiziellen Ticketbüro ist uns schlichtweg zu weit – unser Pech, sind wir zu Fuss hier. Die Touristenattraktion ist eingezäunt, aber durch einen Spalt ergattern wir immerhin einen Augenschein. Bei der Siebenfarbigen Erde handelt es sich um eine gewellte Bodenformation vulkanischen Ursprungs; das oxidierte Lavagestein besteht aus verschiedenen rostroten Farbtönen.
An den Stränden der Le Morne Halbinsel
Heute lassen wir die Wanderschuhe in der Ecke stehen. Stattdessen streifen wir die Badehose über und fahren zur nahegelegenen Le Morne Halbinsel. Um den klobigen Felsen haben sich eine Handvoll Luxushotels angesiedelt, die fast die ganzen Sandstrände für sich beanspruchen. Zwar gehören Strände nach mauritischem Recht nicht zum Privatbesitz, und somit ist Spazieren am Meer überall erlaubt, doch zum Ausbreiten des Handtuchs gibt es für Tagesgäste ausgeschilderte Public Beaches. Oftmals ist schon an der Vegetation zu erkennen, ob es sich um einen öffentlichen Strandabschnitt oder einen Hotelstrand handelt. Public Beaches sind meistens gesäumt von Kasuarinen, auch Filaos genannt. Die Bäume erinnern an Lärchen oder Kiefern, wobei sie statt Nadeln schachtelhalmartige Blätter haben. Früher eingeführte Kokospalmen konnten sich wegen Wirbelstürmen nicht behaupten und werden heute insbesondere bei Hotels angepflanzt. Da wir Palmen über alles lieben, machen wir uns zu einem ausgedehnten Strandspaziergang auf, vorbei an den weitläufigen Hotelanlagen.
Das Meer schimmert samtblau in der Morgensonne, Boote schaukeln im plätschernden Wasser. Kokospalmen säumen den breiten, schneeweissen Sandstreifen. Noch ist kaum eine Menschenseele unterwegs: Strandidylle pur. Bei jedem Schritt sinken unsere Füsse im groben Korallensand leicht ein, was das Bummeln anstrengend macht. Über die Südwestspitze der Halbinsel fegt häufig ein starker Wind, dann vergnügen sich Kite- sowie Windsurfer in der Lagune. Jetzt ist es aber beinahe windstill und es gibt keine Wassersportler zu beobachten. Mittags sind wir wieder zurück beim Public Beach, nehmen wir ein salziges Bad und legen uns danach in den Sand. Es ist Samstag. Einheimische Familien picknicken, Knirpse hüpfen kreischend herum, Touristen braten unter der afrikanischen Sonne. Ein kunterbuntes Treiben – zwischen Kopftuch und Bikini.
Spätnachmittags sitzen wir meistens auf unserem Balkon und gönnen uns einen feinen Drink. Heute spazieren wir ausnahmsweise durch die Häuser der Nachbarschaft, wo Hunde schwanzwedelnd um die Wette kläffen. Die unweit entfernte Küste ziert kein Sandstrand. Jetzt ist Ebbe und das Meer hat sich weit zurückgezogen. Über die nassen Steine tappen wir bis an die Wasserlinie, wo sich ein reizvoller Blick auftut: vom Le Morne Brabant über die vorgelagerte Badeinsel Île aux Benitièr bis zur nördlichen Küstenlinie mit ihren Bergen. Allmählich lockern sich die Wolken und die Stimmungsbilder ändern im Minutentakt. Kurz nach sechs lugt die Abendsonne schliesslich unter einem hartnäckigen Wolkenfetzen hervor. Schon kurz darauf plumpst der Feuerball in den Ozean und nimmt das letzte Licht des Tages mit.
La Porte Mountain – hoch hinaus
Ist uns Petrus gut gesinnt, wollen wir an unserem letzten Tag im Südwesten noch einmal hoch hinaus. Da ein sonniger Morgen nicht unbedingt einen sonnigen Tag verspricht, stellen wir den Wecker klugerweise auf halb sechs. Der Oktoberhimmel ist klar, noch schläfrig schlürfen wir auf dem Balkon eine Tasse Tee. Vögel pfeifen vergnügt, sanfter Wind streift durch die Palmwedel. Allmählich wirft die Morgensonne ihr zartes Licht über den Le Morne Brabant und um halb sieben sind wir auf den Beinen. Den Fussweg in Richtung Chamarel kennen wir inzwischen, begleitet von Vogelzwitschern und Hundegebell stiefeln wir bergan. Obschon schattig, erlangen wir den Bergrücken nach einer Dreiviertelstunde völlig verschwitzt. Unglaublich, bereits verfolgen uns wieder düstere Wolken, dennoch ist die Aussicht besser als letztes Mal. Das Meer leuchtet, und über die bewaldete, hügelige Hochebene können wir das andere Ende der Insel ausmachen.
Vom Aussichtspunkt möchten wir noch höher hinaus, wir liebäugeln mit dem Aufstieg des Piton La Porte, unserem Hausberg. Die Navi-App findet aber keinen Weg und gemäss vorgängiger Internetrecherche führt der Zugang über ein abgeriegeltes, privates Gelände. Wir fragen einen Einheimischen, der soeben aufkreuzt. „No way“, entgegnet der Mann kopfschüttelnd. Für mich ist das Thema erledigt, aber Roland gibt noch längst nicht auf. Er will unbedingt dem Strässchen entlang gehen und schauen, was kommt: ein verschlossenes Tor. Auf dem Rückweg begegnen uns junge, sportlich gekleidete Mauritier, und nach einer kurzen Plauderei stellt sich heraus, dass sie die gleichen Pläne hegen, und sie die Besitzer des Grundstücks bereits um Zutritt erbeten haben. „Kommt ihr mit?“, fragt der sportlichste Kerl augenzwinkernd. Aber sicher, wir packen die Chance.
Durch ein steiles Waldstück strolchen wir bergan, der Weg ist mit Grünzeug überwuchert und nur vage auszumachen. Mancherorts erfordern Felsen gar etwas Kletterei. Mit dem bunt zusammengewürfelten Trupp haben wir es lustig. Es kommen nicht alle gleich zügig voran, und obwohl ich es bezweifle, schafft es schliesslich jeder binnen einer Stunde auf den 568 Meter hohen Berg. Der Gipfel ist völlig zugewachsen: Aussicht gibt es von dort oben leider nicht. Allerdings bieten sich auf dem Weg gute Ausblicke auf den Le Morne Felsen und die türkisblaue Lagune, ebenso auf das Hochland und die Berge in der Ferne. Ständig schiessen unsere neuen Bekannten zahlreiche Selfies. „Das ist bei uns normal“, gluckst die Freundin vom Sportlichsten. Ihre Namen klingen in unseren Ohren so ungewohnt, dass wir uns keinen einzigen merken können. Die Begegnung mit dieser abenteuerlustigen Truppe ist bereichernd. Wie wir sind sie gerne in den Bergen unterwegs und reisen in ihren Ferien ins Ausland. Untereinander sprechen sie kreolisch, verstehen aber alle Englisch. Als die bezaubernde Freundin vom Sportlichsten uns schmunzelnd ihre Reiseträume preisgibt, glänzen ihre grossen, dunklen Augen. Der Dickste erzählt stolz von seiner Arbeit als Fotograf, auch er kam vor der Corona-Pandemie in der Weltgeschichte herum. Jetzt treffen sich alle jeden Sonntag und entdecken gemeinsam neue Ecken von Mauritius.
Aussichtspunkt North Point – am Le Morne Felsen
Beherzt machen wir uns auf den Heimweg und lechzen nach einem Eiskaffee. Kulinarisch erfrischt, legen wir uns danach müde aufs Bett, aber da der Nachmittag noch jung ist, zieht es uns nochmals hinaus. Während ich an Strand denke, denkt Roland an den North Point, ein Aussichtspunkt, der auf der Aufstiegsroute des Le Morne Brabant liegt. Obwohl ich nicht mehr in die Wanderschuhe steigen mag, gebe ich nach und bin später froh darüber. Auf dem altbekannten Weg streben wir schleunig bergauf und stehen nach einer knappen Stunde am besagten North Point. Wow! Die Lagune im Norden schillert in einem zarten Hellblau in der Nachmittagssonne, ebenso die Bucht im Süden. Sogar die Bergwelt präsentiert sich wolkenlos. Was für ein magischer Moment. Bald verabschiedet sich die Sonne hinter den mächtigen Felsklotz. Wir bleiben trotzdem noch eine Weile, es ist friedlich, andere Leute hat es kaum.
Auf dem liebgewonnen Balkon geht dieser wunderbare Tag bei einem Gläschen Rum zu Ende. Schon ist wieder eine Woche um. Trotz Wetterkapriolen hat der gebirgige Südwesten unser Herz erobert. Ein Mietauto erleichtert das Entdecken dieser vielfältigen Region, und dank eigener Küche waren wir auch bezüglich Verköstigung ungebunden. Fixe oder späte Essenszeiten, wie es in kleinen Unterkünften häufig der Fall ist, sind in unseren Augen nicht ideal für ein aktives Programm sowie das Auskosten der verhältnismässig kurzen Tage. Etwas wehmütig reisen wir anderntags ab und steuern Richtung Norden, jedoch voller Vorfreude auf das restliche Inselreich…
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