Mit Wüstenwind zur Kennedy Range
Eine abgeschiedene Weite liegt vor unseren Rädern. Rund 1000 unbefestigte Kilometer – eine letzte Rüttelpartie durch die faszinierende Menschenleere des roten Outbacks. Nur ein einziger Ort und zwei Nationalparks liegen an der Strecke. Das umliegende Land wird von riesigen Farmen bewirtschaftet, trotzdem wirkt die Gegend verlassen. Die sogenannten Stations sind meist seit Generationen in Familienbesitz und nehmen insgesamt einen Drittel Westaustraliens ein. Tiere spotten wir erstaunlich selten, manchmal streunen ein paar Rinder verloren am Strassenrand. Sowieso ist uns rätselhaft, wie das Vieh in dieser unwirtlichen Umgebung überhaupt satt werden kann. Die Weiden nicht etwa saftig grün, sondern ausgedörrt. Statt Kuhduft schnuppern wir trockene Wüstenluft…
Tom Price im Rückspiegel, nehmen wir Kurs Richtung Süden. Die Luftlinie zum Mount Augustus, unserem ersten Etappenziel, misst 200 Kilometer. Der Strassenverlauf jedoch birgt einen Umweg und in grosszügigen Schlaufen sind wir mehr als doppelt so weit unterwegs. Geschmeidig stauben wir über die breite Piste, deren Zustand wider Erwarten tadellos ist. Nach und nach weichen die Gebirgszüge der Pilbara einem tellerflachen Landstrich, vereinzelt lugen Hügel oder Tafelberge aus der mit Wüstengras überzogenen Ebene. Ein gelbes Verkehrsschild warnt vor hoppelnden Kängurus, doch leider liegen die Beuteltiere nur leblos am Boden.
Die Kilometer schmelzen dahin, und wir auch. Das dürre Buschland ist licht und Schatten für ein Mittagspicknick aufzutreiben, fast ein Ding der Unmöglichkeit. Sonnenstrahlen brennen, die Luft steht still. In der trockenen Erde klaffen durstige Risse auf, dennoch hinterlässt mancherorts eine Wildblume einen hübschen Farbtupfer in der regenarmen Einsamkeit. Wieder auf beschaulicher Fahrt, lassen sich die uns heute kreuzenden Vehikel an einer Hand abzählen.
Nach über 300 Kilometern halten wir spätnachmittags Ausschau nach einem geeigneten Fleck für die demnächst hereinbrechende Nacht. Ahnungslos folgen wir einer Spur und landen unweit der Strasse im ausgestorbenen Nichts. Nur wir und die stille Natur. Weder ein Laut ist zu hören, noch ein Auto lärmt vorbei. Lediglich ein Flugzeug zieht über uns eine Schneise. Stimmungsvoll ballen sich Wolken am Himmel, aus den höllisch heissen Sandwüsten im Osten lullt uns plötzlich ein warmer Föhn ein. Das Thermometer zeigt nachts um neun noch immer laue 27 Grad an…
Dunkle Regenwolken hängen bedrohlich am finsteren Morgenhimmel, kräftiger Wüstenwind im Rücken schiebt uns zügig weiter. Die Schotterpiste nun schmaler, schütteln uns hin und wieder bucklige Bodenwellen durch. Binnen zwei Stunden 100 Kilometer in die Wüste geschickt, erhebt sich vor unserer Windschutzscheibe der Mount Augustus, im gleichnamigen Nationalpark gelegen. Der grösstenteils mit saftlosen Grasbüscheln und Gestrüpp überwachsene Inselberg wirkt aus der Ferne eher flach, obwohl er 715 Meter aus dem buschigen Umland ragt. Es ist der grösste Felsen Australiens – über doppelt so gross wie der Uluru, doch längst nicht so imposant und magisch. Aber noch abgelegener und fern der üblichen Touristenrouten.
Einmal rundherum um den Berg aus Sand und Konglomerat, dessen Felsschichten vor Jahrmillionen durch Erdbewegungen zu einem Gewölbe aufgefaltet wurden. Eine 49 Kilometer lange Piste gewährt eine stets ändernde Perspektive auf den asymmetrischen Sattel sowie Zugang zu verschiedenen Wanderpfaden. Wind und Wolken in Luft aufgelöst, schnauben wir hinauf zum Edney’s Lookout. Ein Ausblick über die weite Ebene – der Horizont erstreckt sich schier endlos. Unsere Spazierfahrt beenden wir mit einem Abstecher zum Emu Hill, wo sich der Mount Augustus am späten Nachmittag in der untergehenden Sonne räkelt. Kurzerhand beschliessen wir dasselbe zu tun, und gönnen uns auf dem Campingplatz am Fusse des Bergs einen durstlöschenden Sundowner.
Der Gipfel thront zwar „nur“ auf 1105 Höhenmetern, doch wir kneifen. Der Wanderweg von insgesamt zwölf Kilometern zieht sich in der gnadenlosen Wüstenhitze bestimmt arg in die Länge. Stattdessen nehmen wir am nächsten Morgen nochmals einen kurzen Aufstieg unter die Sohlen. Über einen steinigen Pfad und glatte Felsrücken strolchen wir bis zum Goordgeela Lookout. Die vor uns liegende Felskulisse ist himmlisch und fesselt uns mehr, wie die Aussicht auf die flache Eintönigkeit. Weisse Quarzadern durchziehen das rötliche Gestein, wie funkelnde Perlenketten.
Westwärts auf Achse, liegt unser zweites Etappenziel noch knapp 300 Kilometer in der Ferne. Die Staubstrasse ist fast faltenfrei gebügelt, dennoch legen wir behutsames Fahren an den Tag, wegen gelegentlichen Auswaschungen wie Badewannen. Nachmittags gerät die langgezogene Kennedy Range in unseren Blickwinkel. Der Campingplatz im Nationalpark bettet sich herrlich am Fusse der uralten Gebirgskette. Nebst ein paar grauen australischen Nomaden, treffen wir erneut auf nur wenige Touristen. „Als wir vor ein paar Jahren hier waren, lebte die Wüste, und nun spriesst keine einzige Blume“, seufzen unseren Nachbarn enttäuscht. Die Gegend auf nur noch 200 Höhenmetern ist knochentrocken, hier hat sich bestimmt schon lange keine Wolke mehr ausgeregnet. Fast 200 Kilometer von der Westküste entfernt, ist die Luftfeuchtigkeit gering, im Landesinneren regiert ein Wüstenklima.
Der erodierte Gebirgszug der malerischen Kennedy Range erstreckt sich von Norden nach Süden, über mehr als 100 Kilometer. Zu unserer Freude gehen alle Wanderwege vom Campingplatz ab. Einer der Pfade lotst uns dem zerklüfteten Bergkamm entlang, zieht sich durch schwarze, wie von der Wüstensonne verbrannte Steine. Stets verändert sich der Anblick auf die emporragenden rötlichen Klippen, fast jeder Schritt schafft neue Skulpturen. Mancherorts riesige Klötze herausgebrochen, liegen nun zersplittert am Boden. Nach drei Kilometern erlangen wir die Honeycomb Gorge, eine Schlucht mit einer reizenden Steilwand am Ende – löchrig und durch jahrelange Erosion geformt wie eine Honigwabe. Der Wasserfall ist versiegt, das darunter liegende Becken trockengelegt.
Eine weitere Schlucht, die Temple Gorge. An einem markanten Felsen, geformt wie eine Pyramide, oder wie ein Tempel eben, gabelt sich der Pfad, schleust uns tiefer in die Kluft hinein. Über ein Flussbett in Altrosa, ausgewaschen und glattgeschliffen. Die Farbenvielfalt des Gesteins ist beträchtlich, nebst klassischem Rostrot beeindruckt Aprikosenfarbe, Dunkelviolett, Randenrot, Senfgelb, Silbergrau und sogar Kiwigrün. Die Farbkombinationen meistens Ton in Ton, doch hin und wieder etwas aus der Mode geraten. Gelegentlich knallig bunt, wie ein Bild eines modernen Künstlers. Doch nicht nur die Farben sind es, die verblüffen. Bizarre Gebilde und Strukturen jeglicher Form, muten ohne viel Fantasie wie Kohlköpfe, Schwämme, Kuhfladen oder Emmentalerkäse an. Oftmals verwittert wie ein riesiges Puzzle, vollständig oder Teile heraus gepurzelt. Staunend wähnen wir uns in einem Geologie-Museum…
In einem weiteren Einschnitt schlängelt sich der Escarpment Walk steil bergan, häufig über grosse Felsbrocken. Sonne und Wolken stehen im gegenseitigen Kampf, trotzdem ist es drückend heiss. Die Kehlen ausgetrocknet, geht unser Atem und Herzschlag schneller – rasch baden wir im eigenen Saft. Das Plateau rund 100 Meter höher erklommen, führt der Weg nur noch geradeaus. Ein Teppich aus Spinifex und Akazien überwuchert das topfebene Gelände. Von der senkrechten Abbruchkante in schwindelerregenden Sphären, blicken wir überwältigt auf die umliegenden Täler und Schluchten des vor unendlich langer Zeit geschaffenen Gebirges. Weit hinten am flirrenden Horizont, verschmilzt die prächtige Kennedy Range mit den wüstenhaften Breitengraden.
Nachmittags kehren wir mit Glücksgefühlen und sieben Wanderstunden in den Knochen in unser Daheim zurück. Müde haben wir uns bereits ausgemalt, den verbleibenden Nachmittag im Stuhl zu ruhen. Doch von Gemütlichkeit kann keine Rede sein, urplötzlich peitscht der Wind roten Sand über den Campingplatz, wirbelt um unsere Köpfe herum. Der Wüstenluft ist kühl, kommt aus dem Süden, der Antarktis. Australien, nicht nur seiner gewaltigen Ausmasse wegen ein Land der Extreme – erst ohne Windhauch kläglich am Schwitzen, nur einen Augenblick später bei Böen überzogen mit Gänsehaut. Flink verschanzen wir uns im Windschatten, der Abend verstreicht im Bauch des Campers…
Ruhe nach dem Sturm. Petrus hat sich ausgetobt und wir karren südwärts bis nach Gascoyne Junction. Im entlegenen Wüstenkaff freut man sich wohl über Besuch, von den gutherzigen Damen des Informationsbüros erhalten wir unerwartet eine brauchbare Antwort. KeineSelbstverständlichkeit, wurden wir in touristischen Orten oftmals zügig abgefertigt und liessen die Auskünfte zu wünschen übrig… Weiter in den Süden, rumoren wir insgesamt 200 Kilometer durch eine verwaiste Gegend. Die breite Sandspur haben wir für uns allein, Gegenverkehr ist ein Fremdwort. Die unbefestigte Abkürzung führt an die Westküste, die meisten Reisenden bevorzugen offensichtlich die längere, aber bessere Zufahrtsroute. Für uns liegt der Reiz abseits der Teerstrassen, wo wir das echte rotsandige Australien erfahren.
Fluchtartig huschen Kängurus über die Strasse, hüpfen leichtfüssig geschwind in den Busch. Auch wir tauchen ins Abseits, verbringen eine letzte Nacht, irgendwo im Nirgendwo. Etwas versteckt, zwar nur unweit der Fahrbahn, doch Verkehr rollt ja sowieso keiner. Unbeobachtet schrubben wir uns unter der Solardusche den Staub vom Leib – die Natur ein offenes geräumiges Badezimmer. Mit Schaufel bewaffnet aufs „Klo“, ein Loch zu buddeln gestaltet sich im weichen Wüstensand für einmal mühelos. Anstelle Wind belästigen uns heute winzige Plagegeister. Trotz langen Klamotten und Insektenschutzmittel umschwirren uns Sandflies unbarmherzig in Massen. Deren gemeinen Bisse verteilen sich über den ganzen Körper und jucken immens, noch nach etlichen Tagen.
Ein neuer Morgen erwacht, mit ihm die anhänglichen Buschfliegen. Kaum taghell, sind sie schon wieder da. Noch sämtliche Freunde herbeigerufen, bevölkern sie nun scharenweise unseren Frühstückstisch. Innerhalb einer Stunde den Highway No. 1 erlangt, befinden wir uns auf mittlerer Höhe der Westküste, rund 800 Kilometer nördlich von Perth. Der Ozean nicht mehr fern, schlägt uns statt einer warmen Wüstenbrise, eine winterliche Küstenbiese entgegen. Während dem Aufpumpen unserer Reifen für den harten Asphalt, brausen auf der „vielbefahrenen“ Hauptstrasse in einer Viertelstunde fast zwanzig Fahrzeuge vorbei. Unsere tausend isolierten Outback-Kilometer nehmen bedauerlicherweise ein jähes Ende…
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