Nordwärts entlang der Pazifikküste…
Der Fahrtwind bläst durch das offene Autofenster und streift durch unsere Haare. Nach einem letzten Strandspaziergang an der menschenleeren Playa Platanares auf der Osa-Halbinsel, sind wir auf dem Weg zurück aufs Festland. Die Tropensonne brennt steil vom Aprilhimmel, der warme Luftzug kühlt kaum. Während wir auf der Costanera entlang einsamer Küstenabschnitte nordwärts brausen, breitet sich ein wohltuendes Freiheitsgefühl in mir aus. Den Alltag weit hinter uns gelassen, sind wir entspannt und seit knapp zwei Wochen in Costa Rica auf Achse. Es tut unheimlich gut, exotische Luft zu schnuppern…
Der zauberhafte Strand von Uvita
Die Region südlich von Uvita macht einen friedlichen Eindruck, keine grossen Hotelkomplexe verschandeln das Bild. Seitdem die Küstenstrasse allerdings vollständig geteert ist, habe sich Uvita verändert: Zahlreiche neue Gebäude mit allerhand Läden und Restaurants sind entstanden. Das Dorf erstreckt sich von der Hauptstrasse bis hinab zum Ortsteil Bahia am Meer, wo wir uns in einem kleinen Hotel einquartieren. Das Tropical Beach grenzt zwar nicht direkt ans Meer – eine Abkühlung gibt es im Schwimmbecken. Jetzt am Samstagnachmittag wirkt das Grundstück verwaist. „Abends wird das Haus voll sein und im Pool planschen Familien“, prophezeit uns Paolo, der Gästebetreuer. „Viele Ticos verbringen das Wochenende gerne an der sonnenverwöhnten Küste.“
Unmittelbar am Strand gibt es keinerlei Unterkünfte. Der langgezogene Küstenstreifen bei Uvita wurde mitsamt mehreren südlich gelegenen Buchten, Korallenriffen und vorgelagerten Inseln zu einem Meeresschutzgebiet erklärt. Auf den Eilanden brüten Pelikane und andere Vögel, an der Küste ziehen manchmal Buckelwale vorbei. Die gigantischen Meeressäuger aus den Polarmeeren wandern Tausende Kilometer, um sich in der Zeit von Juli bis Oktober sowie Januar bis März in den nährstoffreichen Gewässern Mittelamerikas zu paaren oder zu kalben.
Unser Gepäck im schlichten Zimmer abgestellt und unter dem Ventilator in die Badehose geschlüpft, schlendern wir zu Fuss Richtung Meer. Der Strand von Uvita ist mancherorts von undurchdringlichen Mangroven gesäumt, aber die Parkverwaltung schleust einen sowieso durch kostenpflichtige Eingänge. Die Flipflops in den Händen und die Zehen im Sand, umarmt uns eine salzige Gischt. Vor uns breitet sich ein flacher Sandstreifen aus, sein Ende verschmilzt in der Ferne mit dem Horizont. Wellen schlagen energisch an den dunklen Strand, der Pazifik rauscht. Das schäumende Wasser umspielt unsere Füsse, durch unsere Körper strömen Glücksgefühle. Wir flanieren und staunen, und je weiter wir uns vom Eingangsbereich entfernen, desto leerer der breite Strand. Jetzt am Wochenende haben wir mit einem Menschenauflauf gerechnet und wir fragen uns einmal mehr, wie es früher war – damals, als Corona lediglich ein Bier war.
Immer wieder halten wir inne und werfen einen Blick zurück. Die Sonne im Nacken, vor uns ein schier unberührtes Paradies. Dichtes Dschungelgrün säumt den Strand, Kokospalmen recken schräg in den blauen Himmel. Über den bewaldeten Hügelzügen ballen sich neckisch weisse Wolken, die wie flauschige Watte anmuten. Eine perfekte Strandidylle – und zwar gleich doppelt: Schwappt eine Welle über den feinen Sand, bleibt für einen Moment ein glatter Wasserfilm zurück, wo sich die himmlische Kulisse spiegelt.
In der langen weiten Bucht münden mehrere Flüsse ins Meer, nach einer Stunde erreichen wir Punta Uvita: Das Ende der Playa Uvita geht in eine nächste Bucht über. Ausserdem ist Punta Uvita bei Ebbe über eine Sandbank mit der Isla Ballena verbunden und formt den Umriss einer Walflosse, was allerdings nur von oben zu sehen ist. Jetzt bei aufkommender Flut ist die sandige Brücke schon überspült. Dennoch stehen wir weit draussen, umgeben von seichtem Wasser, das in der Nachmittagssonne glänzt und das 360-Grad-Panorama magisch spiegelt. Unser Herz hüpft vor Freude und Roland versucht, die unendliche Weite dieses surrealen Naturschauspiels fotografisch einzufangen.
Das Wasser steigt bedrohlich, ein Ranger winkt und drängt uns zum Aufbruch. Während der Sonnenball allmählich sinkt, steigt unser Stimmungsbarometer noch weiter. Das Licht der Dämmerung ist zauberhaft, freudestrahlend schweben wir über den nassen Sand. Die Farbnuancen ändern sich stetig, die Abendstimmung ist eine Wucht. Schliesslich geht die Sonne hinter den Palmen unter und nimmt das allerletzte Tageslicht mit.
Paolo hatte Recht. Als wir uns Salz und Schweiss von der Haut spülen, dringt glucksendes Kindergelächter in unser Zimmer hinauf. Dank Ohropax gleite ich später trotzdem in einen tiefen Schlaf, und am nächsten Tag sitzen wir munter beim Frühstück. Die morgendliche Wolkendecke reisst auf und wir klappern die nördlich gelegenen Buchten ab. Der Asphalt bahnt sich durch wild wucherndes Grün, an der Playa Hermosa halten wir ein erstes Mal. In Parkplatznähe veranstalten bereits zahlreiche Familienclans ein Sonntagspicknick, uns hingegen lockt ein Bummel am naturbelassenen Strand.
Im zwanzig Kilometer entfernten Dominical knurren dann auch unsere Bäuche und wir wählen ein Lokal mit Meerblick. Der kleine Ort ist fest in nordamerikanischer Hand und beliebt bei Rucksackreisenden und Aussteigern, Surfer lieben das raue Meer mit den konstanten Breaks. Wegen Monsterwellen und unberechenbaren Strömungen sind viele Strände an der Pazifikküste zu gefährlich zum Schwimmen, so mancher ist ertrunken. Auf dem Rückweg liebäugeln wir deshalb mit der Playa Dominicalito, die sich angeblich zum Baden eignet. Allerdings hat die Flut soeben ihren Höchststand erreicht. Wassermassen donnern uns aufgebracht entgegen und überspülen fast den ganzen Strand – weder Liegen noch Abkühlen ist möglich. Ernüchtert gedulden wir uns, bis sich das Meer wieder zurückzieht. Als es endlich soweit ist, spazieren wir ans Ende der Palmenbucht zu bizarren Felsen. Während ich im Schatten döse, knackt Roland mit Hilfe eines spitzen Steins und männlicher Muskelkraft zwei herumliegende Kokosnüsse.
Nächster Morgen, neues Gezeitenglück? Das Timing stimmt und es zieht uns nochmals zur „Walflosse“. Der Zugang zur Isla Ballena ist frei, balancierend erkunden wir die schroffe Felseninsel. Schon bald ist die Flut wieder im Anmarsch und überspült schneller als gedacht die Sandbank. Bevor uns das ansteigende Wasser den Rückweg abschneidet, bringen wir uns ins Trockene, um uns daraufhin ins salzige Nass zu schmeissen. Nach einem erfrischenden Wellenbad beobachten wir eine Echse auf Beutezug. Das Reptil verharrt, greift blitzschnell an und gleichzeitig zu, und verschlingt mit seiner Taktik mehrere rote Krebse. Unterdessen hat die Flut den Strand schon fast verschluckt. Wehmütig lassen wir diesen hinreissenden Fleck hinter uns. Es ist sowieso Zeit, im Hotel auszuchecken.
Vergel de Punta Mala – berauschender Wasserfall
Unser nächstes Ziel liegt nah, etwas südlich von Uvita. Für die nächsten beiden Tage verabschieden wir uns von der Küste und steuern über eine holprige Piste ins Landesinnere. Nach ein paar Kilometern erreichen wir das winzige Vergel de Punta Mala, eine andere Welt. Die Rio Tico Safari Lodge wird von einem holländischen Paar geführt und war am vergangenen Wochenende ausgebucht, jetzt sind wir die einzigen Gäste. Der hochgewachsene Besitzer mit dem Blondschopf serviert uns einen frischen Fruchtsaft und bringt uns in eines der komfortablen Safarizelte hoch über dem rauschenden Fluss. Das geräumige Schlafgemach ist liebevoll mit frischen Blüten dekoriert und versprüht nebst Safari-Charme auch Romantik. Mitten in einem Stück Regenwald steht das robuste Zelt auf einer hölzernen Plattform. Selig setzen wir uns auf die luftige Veranda, wo sogar in der Mittagshitze eine wohltuende Brise weht. Einmal mehr habe ich mit der Wahl der Unterkunft einen Glückstreffer gelandet.
Über eine steile Treppe hüpfen wir hinab zum Rio Tico. Klares Wasser umspült wild schäumend die grossen Steine im Flussbett, wo abgeschliffene Felsen natürliche Becken bilden. Das Wasser ist kalt und ich tauche nur die Füsse hinein, Roland ist mutig und gleitet bis zum Hals in die riesige Badewanne. Im Einklang mit der Natur geht der Nachmittag in den Abend über. Als die Nacht hereinbricht, erwacht der Dschungel. Grillen zirpen um die Wette und begleiten uns später ins Reich der Träume.
Halb sieben in der Früh. Am Morgentisch lacht uns schon ein Teller mit tropischen Früchten verlockend entgegen. Das selbstgebackene Brot kommt frisch aus dem Ofen und schmeckt fein. Beherzt greifen wir zu, und brechen danach gestärkt zu einer Wanderung auf. Trotz verblassten Schildern und einem Plan in der Hand, irren wir durch dichten Wald. Schweiss rinnt bald, den Aussichtspunkt finden wir nur über Umwege. Endlich erleichtert ans Ziel gekommen, schweift unser Blick über den grünen Dschungelteppich bis zu den Hügelzügen in der Ferne.
Auf der Veranda geniessen wir eine ausgedehnte Mittagspause und verwöhnen unsere Gaumen mit süssen Passionsfrüchten. Ein Rascheln verrät unerwarteten Besuch. Der Leguan kraxelt senkrecht an einem Baumstamm hoch und verschnauft auf unserer Höhe. Mit seinen grossen Kehllappen und dem hohen Rückenkamm wirkt das urzeitlich ausschauende Reptil furchteinflössend. Der bis zu zwei Meter lange Grüne Leguan ist für Menschen aber harmlos, begnügt er sich mit Pflanzen und Insekten. Die beeindruckende Echse leistet uns eine Weile Gesellschaft, bis sie schliesslich weiter oben in der Baumkrone verschwindet.
Ganz in der Nähe versteckt sich im Wald ein Wasserfall wie aus dem Bilderbuch. Der Fluss sprudelt über die moosige Felswand hinab in ein grosses rundes Becken. Diesmal wage auch ich mich ins kalte Nass, das sich nach ein paar hektischen Schwimmzügen als angenehm erfrischend entpuppt. Vorerst teilen wir das märchenhafte Plätzchen mit ein paar anderen Leuten, dann haben wir die Idylle plötzlich für uns allein und können den wunderbaren Naturfrieden noch intensiver wahrnehmen.
Abendessen bietet unsere Unterkunft nicht an, sondern das Restaurant ein paar Schritte bergab. Auf der grossen Terrasse hat es reichlich Platz, heute sind wir die einzigen Gäste. Eine Speisekarte gibt es nicht, die Servierdame offeriert uns dasselbe Mahl wie gestern: Fangfrischer Tilapia mit Maniok, Kochbananen und Salat. Uns störts nicht – es ist lecker. Ein grauer Wolkenvorhang rückt uns auf die Pelle und ehe wir uns versehen, giesst es wie aus Kübeln. Sämtliche Geräusche des Dschungels verschluckt, lässt der starke Regen allmählich etwas nach. Flink spannen wir den Schirm auf, krempeln die Hosen hoch und eilen nach Hause.
Der nächste Morgen trägt ein graunasses Kleid, auch unsere Klamotten sind nach wie vor feucht. Wir gehen es langsam an. Während ich die letzten Stunden auf der liebgewonnen Veranda verstreichen lasse, geht Roland seiner Leidenschaft nach und fotografiert unten am reizenden Flusslauf. Am späten Vormittag reissen wir uns los – unsere Reise geht ein Stück weiter.
Pura Vida in Quepos
„Woher habt ihr die frische Papaya?“, fragt uns ein Touristenpaar an der langgezogenen Playa Linda bei Matapalo, wo wir die saftige Frucht schmausen. Bislang wurde an einem Strand selten etwas feilgeboten, schon gar nicht unter der Woche. Mit Zwischenverpflegung decken wir uns meistens in einem der Supermärkte ein, die es in fast jeder Ortschaft gibt. Die Beine vertreten und den Gaumen gekitzelt, geht es weiter. Bis zum Horizont erstrecken sich Ölpalmenplantagen beidseits der Strasse. Palmöl ist hier ein grosses Geschäft. Über die Costanera brettern riesige Brummer, die die reifen Schoten mit den rötlichen Früchten zu den Produktionsanlagen transportieren.
Eingebettet zwischen Hügeln und Meer liegt Quepos. Hier verdienen die Einwohner nicht nur mit Palmöl und Fisch ihr Geld, sondern auch mit dem Tourismus. Das geschäftige Städtchen zählt wegen seiner Nähe zum viel gerühmten Manuel Antonio Nationalpark zu den Hauptreisezielen des Landes. Ausserhalb in einer beschaulichen Wohngegend, beziehen wir ein Zimmer im Pura Vida Guesthouse. Pamela und Jorge haben ihr Heim und ihr Herz für Reisende aus aller Welt geöffnet. „Fühlt euch wie zuhause“, meint Jorge wohlwollend, als er mir die offene Küche im oberen Stock zeigt, wo auch unser bunt gestrichenes Zimmer sowie ein weiterer Gemeinschaftsbereich liegen. Klein und gemütlich, mit Hängematten und vielen Pflanzen, auf dem Sofa schlummert eine Katze. Das costaricanische Paar spricht stets spanisch mit mir – erst wenn es mir nur noch „spanisch vorkommt“, greifen sie gütig zu englischen Vokabeln.
„Pura Vida“, erwidert Pamela lächelnd, als ich mich später für unsere gewaschene Wäsche bedanke. Der Name des Guesthouses bedeutet nicht nur „gerne geschehen“, sondern passt für verschiedene Situationen. Wenn sich zwei Ticos begegnen, kann sich ihr Gespräch in etwa so anhören: „Wie gehts?“ – „Gut, danke, Pura Vida.“ – „Wie war dein Tag?“ – „Einfach Pura Vida.“ – „Adios, bis bald, Pura Vida.“ Pura Vida bedeutet übersetzt: reines Leben, und ist nicht nur ein Ausdruck, sondern auch ein Lebensstil. Ticos sind meistens entspannter als viele von uns im Westen. Man nimmt die Dinge so an, wie sie kommen, konzentriert sich auf das Positive. Pura Vida, auch wenn nicht alles so läuft, wie geplant. Glücklich sein und das Leben geniessen, so das Motto. Entspannt lege ich mich in eine Hängematte und blicke gedankenverloren ins Grüne. Wie gut es uns in Costa Rica geht – vielleicht ist eine Welle Pura Vida auf uns übergeschwappt.
Am späteren Nachmittag wandeln wir durch die Strassenzüge von Boca Vieja, einem Quartier am Wasser. Farbe blättert von den Häusern, an der Strasse gestikulieren Männer in abgewetzten Hosen. Auf unserem Streifzug mustern wir das pralle Treiben und das Alltagsgeschehen der Latinos. Pura Vida! Doch wo sind die im Reiseführer erwähnten sorgfältig restaurierten Holzhäuser? Plötzlich landen wir in einer ruhigeren Ecke des Viertels. Erst fällt uns eine frisch gestrichene Fassade ins Auge, dann die Stacheldrähte, die sich um weitere farbenfrohe Wohnhäuser mit schmucken Fensterrahmen ziehen. In Boca Vieja residieren offenbar verschiedene Gesellschaftsschichten.
Hungrig klettern wir ins Auto und folgen dem Restaurant-Tipp von Pamela. Im „El Avion“ ist die Aussicht besser wie das amerikanische Essen. Die grosse Terrasse hoch über dem Meer lädt zum Sonnenuntergang und einem Drink ein. An der kurvenreichen Strasse zum Nationalpark liegt eine Fülle an weiteren Kneipen, schicken Bars, Clubs und Hotels höherer Preisklasse. Fast alles gehört ausländischen Besitzern – schon in den 1960er-Jahren zog es Auswanderer hierhin. Das Preisniveau in Manuel Antonio ist überhöht, in Quepos lässt sich günstiger übernachten und essen. Der Ausblick von den bewaldeten Hängen hinab auf das blaue Meer ist hingegen unbezahlbar.
Verregneter Manuel Antonio Nationalpark
Es ist erst zwei Uhr nachts, als uns ein Hahn aus dem Schlaf krächzt. Zwar wollen wir beizeiten aus den Federn, doch nach Tagesanbruch um halb sechs reicht bei weitem; der Rucksack ist gepackt und das Frühstück eingekauft. Wir streben an, bei Türöffnung um sieben beim Manuel Antonio Nationalpark zu sein, um einem allfälligen Besucheransturm zu entkommen. Morgens ist es bewölkt, wie so oft, und wir machen uns keinerlei Gedanken. Als wir auf dem beinahe leeren Parkplatz ankommen, öffnet der Nationalpark gerade sein Tor, aber auch der Himmel seine Schleusen. Regen strömt, rasch hüllt das Unwetter die ganze Umgebung in ein trauriges Grau. Aussteigen bringt nichts, ausser durchtränkte Kleider. Eine Stunde verstreicht, Besserung ist nicht in Sicht. Pura Vida! Wir fahren ins Guesthouse zurück, um abzuwarten.
Der Parque Nacional Manuel Antonio wurde im Jahre 1972 geboren, genau wie ich. Das Stück Urwald wurde damals vor einem umstrittenen Bauprojekt gerettet; statt einer All-Inclusive-Ferienanlage ist ein Schutzgebiet entstanden. Die Hauptattraktion sind die weissen Sandbuchten mit dem kristallklaren Wasser, das insbesondere bei Ebbe zahm ist. In der Hochsaison und am Wochenende völlig überlaufen, ist der Schutz von Natur und Wildlife in Frage gestellt. Da Tiere von Parkbesuchern angefüttert werden, ist ihr Verhalten ungewöhnlich, von zutraulich bis aggressiv. Daher ist es inzwischen verboten, Lebensmittel oder Pet-Flaschen mitzubringen. „An der Kasse bilden sich manchmal lange Schlangen und man wartet bis zu zwei Stunden“, verblüffte uns Jorge gestern und hat uns geraten, das Ticket vorab im Internet zu kaufen. Eigentlich gute Gründe, den Nationalpark zu meiden, doch heute ist Donnerstag und jetzt Ende April die Hochsaison vorbei, zudem beschert uns Corona weniger Touristen. Vamos a ver…
Mittags weint der Himmel noch immer. Die nur heute gültige Eintrittskarte im Sack, machen wir uns trotzdem wieder auf. Die Regenjacke übergezogen, schustern wir hoffnungsvoll durch den Wald. Allmählich tropft es nur noch von den Bäumen und später schmuggeln sich sogar vereinzelte Sonnenstrahlen durch das Wolkendach. Die hohe Luftfeuchtigkeit drückt uns fast zu Boden. Gewisse Wege sind breit oder gar betoniert, ausser Puste schleppen wir uns über steil ansteigende Stufen. Von Aussichtspunkten gucken wir auf felsige Landzungen, vorgelagerte Inselchen und das bewaldete Hinterland.
Anderen Besuchern begegnen wir zuhauf, doch wo sind die vermeintlichen Tiere? Vom Regen vertrieben? Hin und wieder krabbelt ein Krebs am Wegesrand oder winzige Eidechsen huschen in den Busch. Ich bin enttäuscht, habe ich Affenhorden und Waschbären erwartet. Es ist schon halb vier und bald schliesst der Park, als wir in der oberen Etage des Regenwaldes eine Handvoll Kapuzineraffen spotten und die lauten Rufe von Brüllaffen durch das Dickicht hallen. Der Tag ist gerettet, die Launen der Natur eben unberechenbar. Nur noch wenige Meter vom Ausgang entfernt, starren ein paar Besucher angestrengt ins Geäst. Hoch oben in einer Astgabel verbirgt sich ein Faultier. Sogar mit Fernglas und viel Fantasie ist das graue Knäuel kaum als solches auszumachen.
Faultiere kommen ausschliesslich auf dem amerikanischen Kontinent vor. Die trägen Säugetiere leben in den Baumkronen, die sie nur alle ein bis zwei Wochen verlassen, um ihr Geschäft zu verrichten. Sie ernähren sich lediglich von Blättern, die nicht viel Energie liefern, und hängen deshalb die meiste Zeit faul in den Bäumen – schlafen, fressen und verdauen. Die Nahrung wächst ihnen sozusagen entgegen, und die langsamen Bewegungen bieten guten Schutz vor Feinden, da sie meist gar nicht wahrgenommen werden. Auch wir werden nicht wahrgenommen – den pelzigen Star kümmern seine Paparazzi leider nicht. Bis sich hoch oben im Baum etwas tut, wären wir wohl verhungert.
Carara Nationalpark – bekannt für Rote Aras
Am nächsten Morgen lacht die Sonne wieder. Wegen dem anstehenden Wochenende haben wir bereits ein Dach über dem Kopf reserviert, etwas reumütig ziehen wir weiter. Je nördlicher wir kommen, desto dichter der Verkehr. Wegen der Nähe zu San José sind die Strände der zentralen Karibikküste bei den Städtern beliebt. Die Touristenhochburg Jaco lassen wir links liegen und biegen bei Tarcoles ins Hinterland ab. Einmal mehr war die Reiseetappe keine hundert Kilometer lang, schon sitzen wir am Mittagstisch des Villa Lapas Jungle Village. Die Hotelanlage liegt beschaulich an einem plätschernden Fluss, am Rande des Carara Nationalparks. Tropischer Trockenwald trifft hier im niederschlagsreicheren Süden auf tropischen Dschungel. Wasserläufe schlängeln sich durch Primär- und Sekundärwald, der Süden des Parks wartet mit verschiedenen Rundwegen auf.
Die Autos auf dem Parkplatz sind an einer Hand abzuzählen, was uns erstaunt, heisst es, der Park sei oft überfüllt. Riesige Kapokbäume säumen den Weg, Kletterpflanzen und Epiphyten zieren das Geäst. Wie angewurzelt bleiben wir stehen und bewundern mächtige Brettwurzeln, die bis zu zwei Meter hoch aus dem weichen Waldboden ragen. Affen turnen durch die Baumkronen, im Unterholz entlarven wir einen Nasenbär und Agutis. Die scheuen Nagetiere mit dem braunen Fell sind so gross wie Kaninchen und werden auch Goldhasen genannt.
Vögel zwitschern, Wasser gurgelt. Wie ein Schwamm saugen wir die friedlich Stimmung in uns auf, bis die ungestörte Geräuschkulisse des Waldes unverhofft Motorenlärm weicht. Die Wegschleife führt nah an der lauten Hauptstrasse vorbei, was das Naturerlebnis schmälert. Der Carara Nationalpark ist bekannt für Rote Aras. Die Grössten aller Papageie kommen nur noch selten vor und sind vom Aussterben bedroht. Die Hoffnung schon fast aufgegeben, entdeckt Roland schliesslich ein Exemplar auf einem Ast in der Ferne, sein bunt durchsetztes Federkleid leuchtet.
Die „Krokodilbrücke“ ist nur noch einen Steinwurf entfernt. Von oben herab gucken wir auf den Rio Tarcoles, wo Krokodile reglos auf Beute lauern, häufig nur mit den Nasenlöchern über dem Wasser. Träge sonnen sich weitere der riesigen Kreaturen auf den Sandbänken am breiten Fluss. Die Brücke liegt an der Fernstrasse, wo wir morgen auf Durchreise sind, aber hier wie schon beim Carara Nationalpark wird eindringlich vor Aufbrüchen von Autos gewarnt, und Gepäck im Fahrzeug zurückzulassen ist deshalb fahrlässig. Das Risiko bestehe sogar überall, was auch Einheimische bestätigen. Somit deponieren wir unser Hab und Gut meistens zuerst in einer Unterkunft, was angesichts eher kurzen Reiseetappen möglich, aber nicht rundum befriedigend ist.
Den Abend lassen wir auf der lauschigen Terrasse am Fluss ausklingen. Die Villa Lapas ist eine etwas grössere Hotelanlage im All-inclusive-Stil, was weniger unserem Geschmack entspricht. Es ist die Nähe zum Carara Nationalpark, die bei uns trumpfte, und die Hängebrücken, die sich im privaten Regenwaldreservat verstecken. Am nächsten Morgen stiefeln wir steil bergan, bald perlt Schweiss aus den Poren. Wie immer auf einer wackeligen Brücke, durchströmt mich ein mulmiges Gefühl. Vorsichtig tapse ich voran und fühle mich dabei wie leicht beschwipst. Roland hinter mir bringt die Hängebrücke zusätzlich in Schwung, er mutet wie ein trampelnder Elefant an. Zum Glück sind keine weiteren Leute auf dem Baumkronenpfad.
Der Ausblick über das Dach des Dschungels und hinab ins Dickicht ist eindrucksvoll. Mitten im Blattwerk lassen wir uns vom Singsang der Vögel berieseln. Die Stämme der höchsten Bäume führen gar an uns vorbei, und um deren Baumkronen zu erspähen, müssen wir den Kopf weit in den Nacken legen. „Schau, ein Tukan!“, juchzt Roland, und zeigt mit dem Finger auf den Regenwaldbewohner mit dem kunterbunten Riesenschnabel. Inzwischen ans Schaukeln der Brücken gewöhnt, ist unsere Aufmerksamkeit voll und ganz auf das faszinierende Grün mit seinen Wundern gerichtet. Ein wahrer Hochgenuss!
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