Osa Peninsula – im saftig grünen Dschungel
Costa Ricas Süden ist dünn besiedelt. Auf der Panamericana ist wenig los, Schwerverkehr aus dem nördlichen Zentralamerika brummt heutzutage auf der inzwischen durchgehend asphaltierten Küstenstrasse. Vorbei am südlichen Abschnitt der Talamanca-Bergkette, rollen wir von San Isidro durch eine ländliche Szenerie und schliesslich in zahllosen Kurven bergab, dem breiten Rio General entlang. Im Tal des schlammigen Flusses liegen die grössten Ananasplantagen des Landes. Feuchtheisse Luft schlägt uns entgegen, als wir den Verkehrsknotenpunkt Palmar Norte erlangen; auf Meereshöhe bestimmen Bananen die Wirtschaft. Unterdessen prasselt kräftiger Regen vom bewölkten Himmel und die fruchtbare Gegend badet in einer grauen Wolkensuppe. Auf der berühmten Fernstrasse nach Panama herrscht nun reger Verkehr. Es verbleiben hundert Kilometer bis zur Grenze, als wir Richtung Osa-Halbinsel abschwenken…
Die Osa Peninsula ragt im Südwesten des Landes in den Pazifik und wartet mit einem aussergewöhnlichen biologischen Reichtum auf. Noch sind grosse Teile von Regenwald überzogen, wo unglaublich viel Leben steckt. Doch Abholzung bedroht die tropischen Baumriesen der einst unberührten Wälder. Alles ist saftig grün, farblos aber der Golf, der mit dem Grau des Himmels verschmilzt. Noch ahnen wir nicht, dass uns vier Tage später malerische Ausblicke entschädigen und das tiefblaue Wasser wie Samt schimmert. Der Asphalt gehört uns, nur selten kreuzt uns ein Fahrzeug. La Palma, die zweitgrösste Ortschaft des entlegenen Zipfels, wirkt wie ein verschlafenes Nest. Das letzte Stück holpern wir über Schotter, dann sind wir am Ziel der bis anhin längsten Reiseetappe: 220 Kilometer und vier Fahrstunden liegen hinter.
Im Regenwald bei La Palma
„Bienvenidos“. In der Danta Corcovado Lodge kommt uns die Rezeptionistin schleunig entgegen und nimmt uns lächelnd in Empfang. Beherzt lotst sie uns mitten ins dichte Grün, wo sich einsam verstreut ein gutes Dutzend Bungalows verstecken. Auf der Veranda baumelt verführerisch eine Hängematte, voller Freude beziehen wir unser neues Daheim. Von aussen wirkt die auf Stelzen gebaute Hütte schlicht, doch im Inneren erwartet uns ein stilvolles Schlafgemach, zwar rustikal, aber mit einem Hauch Eleganz. Das originell gestaltete Häuschen hat keine festen Wände. Aus Ästen gefertigte Fenstersprossen schützen mit Netzen vor unerwünschtem Dschungelbesuch – zumindest vor den etwas grösseren Tieren. Im grossen halboffenen Bad ist hingegen nicht nur mit krabbelndem Kleinkram zu rechnen…
Überwältigt vom kreativen Design und der Nähe zur Wildnis, treten wir wieder auf die erhöhte Veranda. Wie auf Kommando öffnet der Himmel seine Schleusen und der Regenwald erweist seinem Namen alle Ehre. Wir machen es uns bequem, blicken versonnen auf die sattgrüne Kulisse und lauschen dem Regen, der schnurgerade auf die Erde herab prasselt. Das friedliche Plätzchen ist für Naturliebhaber geschaffen, mit viel Umschwung und Privatsphäre, genau wie wir es mögen.
Als der Regen allmählich verstummt, erfüllen sanfte Vogelrufe die Luft. Ein Ast knackt, was unsere volle Aufmerksamkeit erweckt. Vom Reiseführer zwischen den Fingern schweifen meine Augen in die Weite. Hoch oben im Geäst bewegt sich etwas, eilig krame ich im Zimmer den Feldstecher aus dem Gepäck. Inzwischen hat Roland in den Baumkronen den Tukan spielend von blossem Auge entdeckt. Dank Fernglas lässt sich der beeindruckende Vogel aus der Nähe betrachten: Sein wuchtiger Schnabel ist auffallend bunt und hebt sich in Regenbogenfarben markant vom schwarzen Federkleid ab. Allmählich entdecken wir noch weitere Artgenossen – unsere natürliche Leinwand beglückt uns mit grossem Kino.
Wenn die Nacht anbricht, verändert sich die Geräuschkulisse im Busch. Die Insektenwelt erwacht: Grillen und Zikaden zirpen, es brummt und summt. Darunter mischt sich der unverkennbare Ruf eines Geckos, der hoffentlich alle Stechmücken frisst. Ich zucke zusammen. Erst in letzter Sekunde fällt der Schein der Stirnlampe auf die riesige Kröte, die reglos auf dem stockdunklen Weg zum Restaurant hockt. Vom Verwandtenbesuch der Besitzerfamilie einmal abgesehen, sind wir die einzigen Gäste. Nach einem leckeren Nachtessen fallen wir glückselig ins Bett. Dank der offenen Bauweise unseres Schlafzimmers fühlen wir uns noch immer inmitten purer Natur, deren exotische Laute uns in den Schlaf wiegen.
Als frühmorgens die Dämmerung einbricht, wird es rasch hell. Genüsslich strecken und recken wir uns, bleiben aber liegen und geniessen die ersten Morgenstunden im Bett, wo Dschungelblick inklusive ist. Nach dem Frühstück schultern wir den Rucksack und machen uns auf die Sohlen, ausgerüstet mit Fotokamera und Trinkwasser. Markierte Fusswege durchziehen das private Reservat. Die Sonne lacht, der Wald dampft, wir schustern und schwitzen. Immerfeuchter Tieflandregenwald wächst nur dort, wo stets gleichbleibend hohe Temperaturen herrschen und es ganzjährig viel regnet, mindestens 2000 Millimeter pro Jahr. Mit anderen Worten ausgedrückt: Es muss stets mehr regnen, als Wasser verdunsten kann. Auf der Osa Peninsula schüttet es reichlich, in der Regel am ergiebigsten in den Monaten September und Oktober, jährlich insgesamt über 5000 Millimeter.
Wir begegnen keiner Menschenseele, dafür Tausenden von Blattschneiderameisen. Auf ihren Beutezügen buckeln die kleinen Kraftpakete eifrig grüne Blattstücke, die um ein Vielfaches grösser sind als sie selbst, und schleppen diese in ihren unterirdischen Bau. Fasziniert beobachten wir die wuselige Ameisenstrasse, die unseren Weg quert. Das satte Grün des Regenwalds besteht aus einem wilden Durcheinander an exotischen Pflanzen. Lianen hängen wie Schlangen von Bäumen herab, in der obersten Etage ragen mächtige Kapokbäume aus dem Kronendach. Von einem Aussichtsturm spähen wir in alle Himmelsrichtungen, Greifvögel kreisen. Stimmungsvoll ballen sich dunkle Wolken über den sich aneinander schmiegenden Baumwipfeln, die wie ein grünes Meer anmuten.
Wieder im Urwald untergetaucht, stiefeln wir in einem Auf und Ab über den weichen Waldboden. Schweiss perlt, das T-Shirt klebt am Leib. Eine Schlange zischt fluchtartig vom Pfad, scheinbar ziellos gaukelt ein grosser Schmetterling durch die Lüfte. Sein schimmerndes Blau ist eine Augenweide, die Flügelspannweite von über zehn Zentimetern beachtlich. Den hektisch umher schwirrenden Falter mit der Kamera einzufangen, ist allerdings unmöglich. Lässt er sich nieder, hält er zwar still, doch klappt seine Flügel sofort zusammen und wirkt unscheinbar wie ein welkes braunes Blatt. Ein weiterer Tarnkünstler ist ein grasgrünes Insekt mit langen Beinen und grossen Knopfaugen, das sich farblich keineswegs vom Blatt unterscheidet, wo es ruhig posiert.
Ausgelaugt kehren wir nach drei Stunden zurück, erholen uns nachmittags auf der Veranda und schaukeln dösend in der Hängematte. Ein Rascheln in den Blättern bringt mich schlagartig ins Hier und Jetzt. „Dort oben“, raune ich Roland zu, und deute mit ausgestrecktem Arm aufgeregt zu den wie von Geisterhand geschüttelten Ästen. Affen! Wahrscheinlich Klammeraffen. Drollig turnen die beweglichen Tiere von Ast zu Ast, viel zu schnell verschluckt sie das Dickicht wieder. In Costa Rica sind vier Affenarten heimisch. Alle sind auf der Osa-Halbinsel vertreten, mit etwas Glück kriegt man sogar das seltene Totenkopfäffchen zu Gesicht. Kapuzineraffen sind häufiger anzutreffen und Brüllaffen nicht zu überhören.
Vor dem Abendessen gönnen wir uns im charmanten Freiluftrestaurant einen Drink und plaudern mit dem Barkeeper. Der junge Latino ist aufgeschlossen, spricht zwar nicht allzu gut Englisch, aber besser wie ich Spanisch. Die einheimischen Besitzer legen grossen Wert auf Nachhaltigkeit und Förderung der lokalen Wirtschaft, weshalb nicht nur das gesamte Personal aus der Region stammt, sondern angeblich auch der Grossteil der Lebensmittel. Im Laufe des Gesprächs interessiert sich unser Gegenüber für unsere Jobs und den Reiseverlauf. Juan denkt kurz nach und stellt daraufhin stirnrunzelnd fest: „Für andere organisierst du Ferien, aber für euch planst du nicht.“ Ein Schmunzeln huscht über mein Gesicht. Wie Recht er hat. Denn wo genau es uns in den kommenden Wochen hin verschlägt, wissen wir noch nicht.
Für uns stimmt es, wenn eine Reise nicht von A bis Z durchgeplant ist und wir uns nach Lust und Laune treiben lassen können. Ironischerweise wird uns dieses Reiseverhalten gerade jetzt zum Verhängnis. Es gefällt uns ausgezeichnet hier, und wir möchten unseren Aufenthalt verlängern. Da für die nächsten Tage jedoch keine Buchung eingegangen ist, schliesst die Öko-Lodge ihre Pforten. „Die Planung ist in Zeiten von Corona ein Drahtseilakt, die Gäste buchen viel kurzfristiger als zuvor“, erklärt uns der sympathische Besitzer beim Auschecken entschuldigend. „Sind gar keine Gäste angemeldet, kommt es uns günstiger, wenn wir zumachen.“ Verständlich, aber jammerschade.
Lange waren wir unschlüssig, und nun klappt es leider nicht: ein Tagesausflug von hier in den Corcovado Nationalpark, was nur mit einem Führer erlaubt ist. Der Parkeingang Los Patos ist zwar lediglich acht Kilometer entfernt, doch die Strasse eine ruppige Piste und die Anreise verhältnismässig lang. Auch die restlichen Parkzugänge sind nur beschwerlich zu erreichen. Die Osa Peninsula steht seit 1975 unter Naturschutz – die hundertprozentige Wildnis ist mit 400 Quadratkilometern fast so gross wie der Bodensee. Das Reservat gilt als letztes Ökosystem seiner Art in Mittelamerika, wo Tapire, Ameisenbären, sogar Jaguare und noch unzählige andere Tiere hausen. Ihr Lebensraum besteht aus primärem und sekundärem tropischen Regenwald, Berg- und Nebelwald bis hin zu Mangrovensümpfen an der Küste.
Playa Platanares bei Puerto Jiménez
Wehmut schwingt mit, als wir uns mittags verabschieden. Es ist drückend heiss und der Fahrtwind willkommen. Eine halbe Stunde später erreichen wir Puerto Jiménez, der Hauptort der Halbinsel am Golfo Dulce, wo Fähren zum Festland rüber schippern. Die ehemalige Goldgräbersiedlung besteht hauptsächlich aus einer asphaltierten Geschäftsmeile, die restlichen Strassen stauben. Der Goldrausch der 1960er und 1970er trug mit dem Abholzen und Umgraben von Flussbetten erheblich zur Umweltzerstörung bei – mehr als Gold sind heute Touristen wert. Die angepeilte Unterkunft liegt weit ausserhalb an der Playa Platanares – fünf Kilometer holpern wir über eine steinige Piste. Die verfügbaren Übernachtungsmöglichkeiten am Strand waren gemäss Buchungsportal an einer Hand abzuzählen und weit voneinander entfernt, sicherheitshalber haben wir deshalb vorausgebucht.
Bevor wir das Meer sehen, dringt uns sein Rauschen ins Ohr. Die abgelegene Iguana Lodge bettet sich in ein weitläufiges Grundstück, inmitten viel Grün. Wir residieren in einem der Zimmer des farbenfrohen Hauses mit Gemeinschaftsbalkon – ganz nett, aber für 165 amerikanische Dollar pro Nacht unverhältnismässig teuer. Auch das Essen belastet den Geldbeutel ausserordentlich, bezahlen wir für eine Pizza 30 Dollar. Immerhin schmeckt sie lecker und von der Terrasse des Lokals gibts Meerblick. Das Preisniveau in Costa Rica ist generell höher als in anderen zentralamerikanischen Ländern, aber hier ist das Preis-Leistungsverhältnis schlecht. Trotzdem bereuen wir nichts, die Lage ist dafür top.
Es tut gut, Sand zwischen den Zehen zu spüren. Die kilometerlange Küste ist meist von himmlischen Palmen flankiert und fast menschenleer. Wellen donnern an den Strand und hinterlassen weisse Schaumspuren im dunklen Sand. Sonnenstrahlen tanzen über das aufgebrachte Wasser, salzige Meeresluft streichelt mein Haar. Über unsere Köpfe flattern laut krächzend Papageie, jeweils zu zweit ziehen sie zügig an uns vorbei. Das Federkleid der farbenprächtigen Roten Aras leuchtet in der Nachmittagssonne, ihr Bestand ist leider vom Aussterben bedroht. Kilometerweit schlendern wir der wildromantischen Küste entlang. Auf dem Rückweg beschatten uns Gewitterwolken. Blitze zucken am Himmel, Donner grollt. Der darauffolgende Regenguss ist anhaltend heftig, aber gehört schon fast zum Tagesprogramm.
Ab ans wilde Cabo Matapalo
Wir freuen uns jeweils, wenn am nächsten Morgen der Spuk wieder vorbei ist und die tropische Sonne das Landschaftsbild erneut zur Geltung bringt. Ein Tagesausflug zum Cabo Matapalo steht auf unserem Programm. Der bewaldete Südzipfel birgt naturbelassene Buchten und gilt als bestes Surfrevier der Halbinsel. In Puerto Jiménez decken wir uns in der Bäckerei und im Supermarkt mit reichlich Proviant ein, damit uns die Kalorien heute günstiger kommen. Das Städtchen hinter uns gelassen, geht das löchrige Teerband bald in eine raue Schotterpiste über. Die Strecke führt meist durch dichten Regenwald, wo sich mancherorts Unterkünfte verbergen. Viele nordamerikanische Expats haben sich in dieser Gegend niedergelassen.
Der südlichste Punkt ist weder mit dem Auto zugänglich noch ist ein Fussweg ausgeschildert. Hoch über der Küste lassen wir das Auto stehen. Vielerorts erweist sich unsere praktische Offline-App auch für Wanderungen als vertrauenswürdig, doch diesmal stimmt die auf der Karte eingetragene Wegführung offensichtlich nicht, das Navi reicht jedoch zur groben Orientierung. Unverhofft plumpsen uns harte Fruchtschalen vor die Füsse, hoch oben im Geäst futtert eine Affenbande. Akrobatisch schwingen sich die braunen Klammeraffen sichtlich vergnügt durch die Baumwipfel – wir können uns kaum sattsehen. Der Streifzug bergab zieht sich zäh in die Länge, bis wir schliesslich über schmale Waldwege erfolgreich die Kapspitze aufspüren.
Das malerische Cabo Matapalo ragt in das wilde Salzwasser des Pazifiks. Ein Schaumbad gefällig? Nein danke, die Gewalt des Ozeans ist immens. Wellen türmen sich meterhoch auf und klatschen mit voller Wucht an den grauen Kieselstrand, tosende Wassermassen wirbeln die rund geschliffenen Steine durcheinander. Hungrig suchen wir uns ein geeignetes Plätzchen für den Mittagsschmaus. Eine etwas erhöhte Holzbank im Schatten ist dafür wie gemacht. Genüsslich verputzen wir mit Kartoffeln gefüllte Empanadas und schlemmen süsse Passionsfrüchte, während uns der Ausblick berauscht.
Mit neuen Kräften schleppen wir den vollen Bauch zum Ausgangspunkt hinauf. Das Herz hämmert, trotz einer sanften Brise baden wir rasch im eigenen Saft. Nach eineinhalb Stunden sind wir wieder beim Auto zurück. Auf dem Heimweg halten wir an der Playa Pan Dulce an, und setzen uns eine Weile in den Sand. Was für ein wunderbarer Tag. Gebannt beobachten wir, wie sich erfahrene Surfer in die Fluten stürzen und gekonnt über die Wellenkämme der hohen Brecher gleiten. Auf der anderen Seite des Golfs zieht sich ein rabenschwarzes Wolkenband bedrohlich über das Festland, bei uns ist das Himmelsdach inzwischen grau. Schaffen wir es noch vor den ersten Regentropfen in unsere Lodge zurück? Wie auch immer – trotz Nass von oben bleibt es im grünen Paradies stets angenehm warm.
Kommentare
Osa Peninsula – im saftig grünen Dschungel — Keine Kommentare
HTML tags allowed in your comment: <a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <s> <strike> <strong>