Outback Way – die längste Abkürzung
Genüsslich schlürfen wir einen Cappuccino, während wir im Café der Touristeninformation in Laverton auf unsere Permits warten. Noch bevor die Tassen leergetrunken sind, steckt uns die ausgesprochen freundliche Angestellte die zwei nötigen, kostenlosen Bewilligungen für den Outback Way entgegen. Das Durchqueren der Stammesgebiete der Aborigines erfordert diesen Papierkram. „Eine gute Reise“, flötet die Australierin und ein warmherziges Lächeln huscht über ihr Gesicht. Nach ein paar Nächten in wilder Natur, lassen wir uns nachmittags auf dem Campingplatz des unattraktiven Wüstennests nieder. Derweil unsere dreckigen Kleider durch die Waschmaschine schleudern, schrubben wir die sand- und salzverkrusteten Wanderschuhe. Letztendlich befreien wir uns unter einer herrlich rieselnden Dusche vom eigenen Schmutz, bevor es morgen ins einsame Outback geht…
Über die Mitte Australiens erstreckt sich das sogenannte Outback. „Out there behind our back“, so die Sicht der Küstenbewohner auf die unermessliche Weite hinter ihrem Rücken. Ungeachtet davon, ob es sich um Sandwüste, Grassteppe oder Buschsavanne handelt. Das riesige Landesinnere ist nahezu menschenleer und durchschnittlich nur von weniger als einer Person pro Quadratkilometer besiedelt. 90 Prozent der Bevölkerung lebt in den grossen Städten an der Küste, vorwiegend an der Südostküste. Die ungleiche Besiedlung hat historische Gründe, ist aber auch auf Lage, Klima und Bodenbeschaffenheit zurückzuführen. Doch selbst im trockensten Outback spriessen Pflanzen sowie die Existenz von Rinderherden und Schaffarmen ist möglich, da die Grosse Australische Senke ein grosses Wasserreservoir birgt.
Laverton, einst eine boomende Goldstadt, liegt weit von der Küste entfernt – 950 Kilometer von Perth und 750 Kilometer von Esperance. Der abgelegene Ort am Rande der Great Victoria Desert markiert den Beginn – oder das Ende – des Outback Way. „Australia’s longest Shortcut“ verbindet Laverton mit Winton im Landesinneren von Queensland und führt mitten durch das Rote Zentrum des Northern Territory. Knapp 2800 Kilometer, von Südwesten bis Nordosten, quer durch Australien – eine Entfernung wie zwischen Berlin und Rom. Auf unserem Plan steht jedoch nicht die gesamte Strecke des Outback Way, in der Outback-Hauptstadt Alice Springs, etwa auf halbem Weg, ist Schluss. Auch lockt uns nicht etwa die längste Abkürzung, sondern das gemächliche Unterwegsein in dieser schier endlosen Weite und Leere voller Faszination. Ganz nach dem Motto: Der Weg ist das Ziel…
Bevor wir im Verlaufe des Vormittags aufbrechen, füllen wir unsere Wasser- und Dieseltanks randvoll. Nun hoffentlich gut gerüstet, liegt der isolierte Outback Way unmittelbar vor unseren vier Rädern. Ein eigenartiges Gefühl breitet sich in uns aus, mischt sich mit Vorfreude, und ehe wir uns versehen, rollen wir von Teer auf Schotter. „Great Central Road“ begrüsst uns ein Schild am staubigen Strassenrand – von Alice Springs trennen uns fast 1600 Kilometer. Die Route verläuft meist Richtung Nordosten, doch der Zustand der unbefestigten, meist breiten Strasse ändert sich stets. Einmal scheppern wir über grobes Wellblech oder rumpeln über groben Kies, dann ist das Rütteln urplötzlich vorbei und wir gleiten ruhig und geschmeidig, fast wie auf Samt. Meistens geradeaus, mitten durch die sandige Buschlandschaft der Great Victoria Desert. Die grösste Wüste Australiens ist in etwa so gross wie Deutschland.
Nach 50 Kilometern ergibt sich ein erster Halt bei Giles Breakaway. Der imposante Landstrich mit verwittertem, sandfarben bis rotem Gestein, mischt den ansonsten eher eintönigen Wüstenstrich gewaltig auf. Von einem Plateau schweift unser Blick über den riesigen Felsabbruch, der durch Jahrtausende lange Erosion entstanden ist. Eigentlich wollten wir hier den Nachmittag verbringen und übernachten, aber der Himmel ist wolkenverhangen, der Wind ziemlich bissig. Beim Verzehren unserer Sandwichs friert es uns im antarktischen Gebläse sogar an die Finger. Enttäuscht beschliessen wir, hier wegen launischer Witterung nicht länger zu verweilen und stattdessen lieber weiterzureisen.
Zwei Stunden später, nachmittags um vier, schlagen wir beim Eurothurra Rockhole unser Nachtlager auf. Papageie und andere Vögel scharen sich um das Wasserloch, nippen durstig am trüben Nass. Das milde Licht der untergehenden Sonne verleiht der Szenerie liebliche Farbtöne – zartes Grün und helles Blau harmonieren bestens miteinander. Im Nu ist es fünf und das Sonnenlicht bereits wieder weg, dafür beginnt ein reizvolles Farbenspiel in der Ferne am Horizont.
Der zweite Tag ist soeben angebrochen. Ein klarer Himmel verspricht Sonnenschein pur, doch schon nach kurzer Zeit kommt wieder dieser fiese kühle Wind auf. Nach einem kurzen Vertreten der Beine beim White Cross, einem heiligen, die Gegend überwachenden Kreuz, legen wir im Verlaufe unserer Tagesetappe noch weitere Stops ein. Die buschige Savanne wähnt uns im wilden Afrika, ohne viel Fantasie erspähen wir in der Ferne im hohen Gras ein imaginäres Nashorn oder einen Giraffenhals. Niedrige Mulga-Bäume und blondes Spinifex-Gras bestechen die sich oft ähnelnde Landschaft – einmal hat es etwas mehr und einmal etwas weniger grüne Büsche.
Ab Laverton rund 300 erschreckend leere Kilometer zurückgelegt, fahren wir mittags beim Tjukaryirla Roadhouse vor. Immerhin etwas in der einsamen, unendlichen Weite. Auf der Great Central Road dient etwa alle 250 bis 300 Kilometer ein Roadhouse als Versorgungsstation, bietet Treibstoff, Verpflegung, Übernachtungsmöglicheiten und in begrenzten Umfang auch Reparaturen an. Wir gönnen uns einen Hamburger und danach einen Kaffee, und sind überrascht, wie lecker beides trotz Abgeschiedenheit schmeckt. Es herrscht kaum Betrieb, wir treffen lediglich ein älteres Ehepaar aus Sydney an. Der humorvolle Mann gibt in breitem Bernerdialekt preis, dass er ursprünglich aus Grindelwald stammt. Und so sprechen wir seit langem unverhofft wieder ein paar Worte Schweizerdeutsch, irgendwo im Nirgendwo.
Die nächsten Meter lenken wir über Asphalt. Der kurze geteerte Abschnitt dient den fliegenden Ärzten gleichzeitig als Flugpiste. Eine Basis des Royal Flying Doctor Service, der das entlegene Outback verarztet, liegt gleich ums Eck… Am Strassenrand liegen immer wieder Autowracks, gelegentlich überschlagen auf dem Dach. Vielmals sind es ältere Modelle, die bestimmt schon jahrelang ein rostiges Dasein fristen, manchmal ist nur noch die Karosserie vorhanden. Bei neueren Exemplaren meinen wir von weitem oft, sie legen nur eine kurze Fahrpause ein, aber beim Näherkommen wird klar, dass auch diese Fahrzeuge – ohne Räder – bestimmt ewig hier ruhen.
Viel Verkehr ist nicht auf Achse, dafür stürzt sich hin und wieder ein Vierbeiner auf die Fahrbahn. Die herumstreunenden Kamele sind wilde Nachfahren der zu früheren Zeiten von Arabern eingeführten Lasttiere. Erst nach rund 100 Kilometern kreuzen wir diesen Morgen ein entgegenkommendes Auto, es nebelt uns völlig ein. Überholt uns einst ein Vehikel in rasantem Tempo, fährt seine Staubwolke noch unglaublich lange vor uns her, bevor sie sich irgendwann im Nichts auflöst…
Mittagsrast bei Elder Creek. Der Bach fliesst durch ein idyllisches Wäldchen mit Eukalyptusbäumen, nur einen Katzensprung von Warburton entfernt. Der Aborigines-Clan mit rund 500 Einwohnern stellt den grössten Ort der Region dar und ist 550 Kilometer von unserem Ausgangspunkt entfernt. Besucher sind nur bedingt erwünscht und Fotografieren ist schon gar nicht erlaubt. Wenn man den Gemischtwarenladen im Dorf besuchen will, sei es notwendig, im Roadhouse vorgängig eine Genehmigung einzuholen… Wolken ballen sich über uns, in Fahrtrichtung hingegen glänzt das Himmelsdach stahlblau. Die Schwaden holen uns immer wieder ein, wir liefern uns ein Wettrennen, das wir schlussendlich erfolgreich gewinnen.
Somit verstreicht unser dritter Nachmittag wolkenfrei, an einem wunderschönen Übernachtungsplatz in der Nähe von Yarla Kutiarra. Inmitten von dürrem, stachligen Wüstengras, dunkelgrünen Büschen und rötlich schimmernden Felsen sind wir allein auf weiter Flur. Und wieder erinnert uns der Fleck an Afrika – die Szenerie ist Namibia wie aus dem Gesicht geschnitten. Kaum finster, bricht eine sternenklare, klirrend kalte Nacht über uns herein. Bevor wir uns in den Schlafsack verkriechen, entfacht Roland geschwind ein anheimelndes Feuer. Fröstelnd wärmen wir uns an den lodernden Flammen auf, das Knistern durchbricht die totale Stille. Das Holz brennt unsäglich gut und die langanhaltende Glut lässt mich im köstlichen Duft gegrillter St. Galler-Bratwürste schwelgen…
Weiter durch die Gibson Desert – Wüsteneichen und Akazien gedeihen in rotem Sand. Abseits ausgetretener Pfade erstreckt sich die karge Landschaft meilenweit bis zum Horizont, die ungeheuren Entfernungen vermitteln ein Gefühl der Ausgesetztheit. Die Great Central Road bietet keine touristischen Highlights im eigentlichen Sinn, doch uns berauscht das Erlebnis der kaum vorstellbaren Weite und die fast unberührte Natur… Die heutige Fahretappe gestaltet sich rau, die groben Bodenwellen nehmen kein Ende. Das ideale Tempo zu finden ist nicht einfach – sind wir zu langsam, schüttelt es umso mehr, beschleunigen wir hingegen zu stark, verhält sich unser Geländewagen allenfalls wie auf Eis. An gewissen Stellen sind Bauarbeiten im Gang, der unbefestigte Highway wird gelegentlich ausgebessert und geglättet. Nach ergiebigen Regenfällen wird die aufgeweichte Schotterpiste manchmal für einige Tage gesperrt. Aber es besteht kein Grund zur Sorge, endlich sind wir sonnenverwöhnt.
Heute rasten wir beim Warakurna Roadhouse, der dritten und letzten Versorgungsstation der Great Central Road, mittlerweile 770 Kilometer von Laverton entfernt. Der Treibstoff ist hier aufgrund des langen Anfahrtsweges sehr teuer und kostet 2.40 Dollar – beinahe doppelt so viel wie anderswo. Zum Glück brauchen noch keinen Nachschub, unsere zwei Tanks à je 90 Liter reichen weit. Doch gegen etwas Abwechslung im Speiseplan haben wir nichts einzuwenden. Während wir eine Portion Pommes vertilgen, plaudern wir mit dem sympathischen Mann hinter der Theke. Gesättigt geht es wieder ab auf die Piste… Jeden Tag erfahren wir gute 200 Kilometer, sind inklusive Verschnaufpausen und Erkundungen etwa fünf Stunden unterwegs, und entscheiden jeweils kurzfristig, wo genau wir nächtigen – uns gefällts.
Auf einmal erheben sich aus dem uralten, eher flachen Land sanft geschwungene Hügelzüge, die nicht von Wind und Wetter bis zur Unkenntlichkeit abgeschliffen wurden. Ein unscheinbares Weglein zweigt beim Rescue Creek ab, wir packen die Gelegenheit und bewegen uns langsam auf den wunderschönen Winkel zu. Spontan bleiben wir für den bevorstehenden Schlummer. Der Sonnenball heizt behaglich, einer Katzenwäsche steht somit nichts im Wege. Erfrischt und zufrieden zelebrieren wir in zweisamer Ruhe einen Sundowner…
Ein Rascheln im Gebüsch. Kurz darauf durchschneidet ein Heulen die stille Nacht. Was ist das nur? In der Dunkelheit gehen die Klagerufe durch Mark und Bein, Gänsehaut breitet sich auf meinem Körper aus. Später trottet ein Tier nah an unserem – oder vielleicht seinem – Plätzchen vorbei. Im Licht der Taschenlampe sind zwei leuchtende Augen auszumachen. Es wird ein Dingo sein, ein hier heimischer australischer Wildhund, dem unsere Duftnote in seine feine Nase gestiegen ist.
Nach nur wenigen Fahrkilometern geraten wir in einen Schilderwald. Nebst Warnungen und Verboten weist eine Tafel auf den neuen Bundesstaat hin. Die Great Central Road nimmt ein abruptes Ende, ein und dieselbe Strasse heisst im Northern Territory nun Tjukaruru Road. Noch 240 Kilometer weiter gegen Osten, dann ist der Uluru – besser bekannt unter dem Namen Ayers Rock – erreicht. Im Northern Territory schlägt eine andere Zeit – der neue Staat hüpft Western Australia eineinhalb Stunden voraus. Der Tag wird länger, doch die Freude währt nur kurz, der erste Schein trügt. Die im Herbst verhältnismässig kurzen Tage bleiben natürlich gleich lang, das Tageslicht von elf Stunden ist lediglich anders verteilt und der Morgen erwacht somit auch später. Aber die Uhrzeit ist uns eigentlich egal. Wir strecken unsere Fühler sowieso nach der wärmenden Sonne aus, falls sie überhaupt kommt, und es gilt das Tageslicht von nur elf Stunden jeweils möglichst voll auszukosten.
Die Piste ist wider Erwarten recht gut, flott schlittern wir über roten Sand. Wir haben uns auf widrige Verhältnisse eingestellt, wie von verschiedenen Seiten prophezeit. Doch wie mittlerweile schon mehrmals bemerkt, auf das informative Outback Way-App ist nicht immer Verlass. Hügeliges Panorama begleitet unseren heutigen Streckenverlauf, bei der Lasseter Cave machen wir eine kurze Pause. Die kleine Höhle erlangte im Jahre 1931 Berühmtheit. Damals residierte Herr Lasseter unter diesem Felsvorsprung und hungerte für 25 Tage, weil sich seine Kamele mitsamt Proviant aus dem Staub gemacht haben. Entkräftet zu Fuss auf dem Weg zum noch fernen Uluru, fiel er später kläglich der wüsten Hochsommerhitze zum Opfer.
Und dann ist es soweit. Nach tagelangem Kilometerfressen schieben sich am Nachmittag des fünften Tages rote Felstürme vor unsere Autoscheibe. Wir haben die mächtigen Olgas – die Ureinwohner nennen sie Kata Tjuta – erreicht. Ein hinreissender Anblick, wir bestaunen das Naturwunder des Roten Zentrums, geniessen den Moment ganz für uns allein. Durch den Hintereingang kutschieren wir geradewegs auf die Felsriesen zu und stellen uns nach tagelanger Einsamkeit moralisch auf viele Menschen ein, die grösstenteils auf der Hauptroute von Osten her anreisen. Nach einem kurzen ersten Augenschein aus nächster Nähe, düsen wir schweren Herzens auf dem glattem Teer weiter. Es würde uns reizen, in der Nähe der Olgas unterzutauchen, doch das wilde Camping im Aborigines-Reservat ist leider ausdrücklich untersagt…
Die nächste Schlafoption bietet sich erst 50 Kilometer später. Noch vorher taucht aus der Ebene der unverwechselbare Uluru am Horizont auf. Der majestätische Felsmonolith leuchtet in der tief stehenden Nachmittagssonne magisch in warmem Rot und gibt ein überwältigendes Bild ab. In Yulara hat uns nach 1100 Kilometern die Zivilisation wieder. Im Dienstleistungszentrum dieser Touristenhochburg bieten sich Schlafmöglichkeiten mit fünf Sternen – doch was ist das schon im Vergleich zum Himmelszelt mit tausenden Sternen? So lassen wir Yulara links liegen und biegen danach von der Hauptstrasse auf einen unscheinbaren, sandigen Weg ab. Der Campingspot ist zwar nicht ausgeschildert, doch offensichtlich längst kein Geheimtipp mehr. Aber nichts desto trotz, inmitten bewachsener Sanddünen logieren wir vorzüglich in freier Natur. Anlässlich Rolands heutigem Geburtstag lassen wir es uns kulinarisch gut gehen und schmausen mit Wonne ein zartes Filetstück unter glimmenden Sternen…
Happy belated Birthday Roland!
It looks like your travels are still going well. It’s so nice to have the blog to see where you guys are and to make sure you are still safe. :-)
The pictures are awesome. I tell people all the time about your adventures and they are always amazed at where all you two have been! Take care and enjoy the journey!
Thanks Chanti for your Birthday wishes.
We are still enjoying to travel. Australia is such a huge country and the landscape is awesome. We like to be on the road by 4×4 and camp in the bush. Unfortunately the nights get freezing cold in Outback now.
Best wishes from Down Under
Roland
Eure Fotos und Berichte sind einfach wunderschön.
Liebe Grüsse von Bali.
Danke, liebe Doris
Australien ist fantastisch. Von der Weite und dem Nichts im Outback sind wir beeindruckt und geniessen das wilde Campen in dieser wunderschönen Natur.
Liebe Grüsse
Roland und Christine