Petra – das antike Wunder
Etwas wehmütig verlassen wir die zauberhafte Wüstenlandschaft von Wadi Rum und schwenken nachmittags zurück auf den Desert Highway. Unser nächstes Ziel ist die antike Felsenstadt Petra, die weiter nordwärts liegt. Allmählich steigt die doppelspurige Hauptverkehrsachse an; Lastwagen kriechen, eine Kurve jagt die nächste. Auf der Passhöhe angekommen, ist das Thermometer von angenehmen 26 Grad auf kühle 18 Grad gesunken. Bald zweigen wir auf den Kings Highway ab, der sich durch karges Hügelland windet. Am frühen Abend erreichen wir Wadi Musa auf rund 1000 Höhenmetern. Die Stadt breitet sich zu beiden Seiten des tiefen Taleinschnittes aus, Häuser verteilen sich an den steilen Berghängen. Für die kommenden drei Nächte nisten wir uns im vorgebuchten Nomads Hotel ein, das über dem Ortszentrum thront. Vom Zimmerfenster blicken wir in Richtung Petra, wo sich die berühmte Ruinenstätte geheimnisvoll in einer bizarren Felslandschaft verbirgt…
Der Wecker schrillt. Frühmorgens um sechs ist es noch stockdunkel. Vom Frühstück gestärkt, machen wir uns beschwingt auf den Weg. Um Zeit zu sparen, haben wir die Eintrittskarte für Petra bereits gestern im Besucherzentrum erworben. Trotz früher Stunde sind schon erstaunlich viele Touristen auf den Beinen. Über ein Schottersträsschen gelangen wir zu Fuss zum sogenannten Siq, der engen Schlucht, die ein kilometerlanges Tor zu Petra bildet. Hohe Felswände ragen in den klaren Himmel und wir kommen uns wie Winzlinge vor. Durch die leicht geschwungene Schlucht führt ein gepflasterter Weg. Immer wieder halten wir inne und staunen. Dann ist es plötzlich soweit und ein schmaler Streifen des Schatzhauses kommt zum Vorschein. Mit jedem Schritt verändert sich der Bildausschnitt. Das Ende des Siq erlangt, steht es da in voller Pracht: das Schatzhaus – Khazne Faraun – das wohl bekannteste Bauwerk von Petra. Seine zweistöckige Fassade ist etwa vierzig Meter hoch und reich dekoriert. Das Eindrücklichste ist, dass der Grabtempel nicht etwa aufgebaut, sondern vollständig aus der rosafarbenen Felswand herausgemeisselt wurde.
Wann genau das antike Wunder Petra erschaffen wurde, weiss man nicht – irgendwann vor mehr als 2000 Jahren. Die einstige Hauptstadt des nabatäischen Königreichs hatte ihre Blütezeit in den Jahrhunderten vor und nach Christi Geburt. Der Handel mit Weihrauch und Gewürzen bescherte der Stadt Reichtum. Später wurde Petra von den Römern gewaltsam eingenommen und gedieh weiter, bis ein grosses Erdbeben wütete. Das war vielleicht der Grund, weshalb die Stadt aufgegeben wurde, auch mag die Verlegung der Handelsrouten dazu beigetragen haben. Spätestens Mitte des 7. Jahrhunderts war Petra endgültig verlassen und versank in Vergessenheit, bis der Schweizer Forscher Johannes Burckhardt im Jahre 1812 die «verlorene» Stadt suchte und schliesslich fand. Heute zieht die weltbekannte Ruinenstadt Abertausende in ihren Bann.
Auf dem Platz vor dem Schatzhaus ist schon einiges los, und trotzdem geht es noch verhältnismässig ruhig zu und her. Frühaufsteher lichten das imposante Schmuckstück ab, Kamele stehen für Fotoshootings bereit, und Verkäufer preisen unaufdringlich Postkarten oder Schmuck an. Noch ist es schattig und kühl, kein Sonnenstrahl vermag über die rundherum aufragenden Felswände blinzeln. Beeindruckt machen wir uns nach einer geraumen Weile auf, um das weitläufige Gelände von Petra zu entdecken. In der anschliessenden Schlucht wurden weitere Fassaden in den Sandsteinfels gemeisselt. Die Nabatäer begruben damals ihre Toten in diesen Felsengräbern. Aus der römischen Zeit stammen Säulentempel und ein Amphitheater. Auch dieses wurde vollständig aus den Felsen gehauen, was auf dieser Welt einzigartig ist. Die unbefestigte Strasse ist mit zahlreichen Souvenirständen und Restaurants gesäumt. Pferdekutschen preschen vorbei, Staubwolken steigen auf. «Taxi?», fragen Beduinen und hoffen, mit ihren Eseln und Kamelen so manchen Touristen in ein lukratives Geschäft verwickeln zu können. Dankend lehnen wir ab und spazieren zu Fuss weiter. Inzwischen scheint die arabische Sonne kräftig vom blauen Himmel, und die Morgenfrische geht rasch in einen heissen Oktobertag über.
Als nächstes peilen wir Ad Deir an, das Kloster. Die Sehenswürdigkeit liegt rund 200 Meter höher auf einem Plateau. Der Weg zieht sich in Schleifen und unzähligen Treppenstufen steil hinauf. Der Blickwinkel auf die malerische Schlucht verändert sich ständig. Etliche Verkaufsstände säumen den steinigen Pfad. Deren verstaubtes Sortiment ist meist identisch: Tücher, Kunsthandwerk und allerlei Krimskrams. Verschwitzt erreichen wir nach einer knappen Stunde das Kloster. Es ist eines der grössten Bauwerke in ganz Petra: knapp fünfzig Meter hoch und ebenso breit. Ehrfurchtsvoll bestaunen wir die mächtige Fassade, die mit der Bergkulisse verschmilzt. Es weht ein angenehmer Wind, der die Mittagshitze schmälert. Auf den umliegenden Berghöckern thronen kleine Aussichtskneipen – einige in Betrieb, andere verlassen. Jede wirbt mit dem besten Panoramablick. Wir suchen uns ein ruhiges Plätzchen abseits und kramen das Mittagspicknick aus dem Rucksack. Die Felslandschaft fällt mancherorts senkrecht in die Tiefe. Nach Westen schweifen unsere Blicke über das breite Wadi Araba, auf dessen gegenüberliegenden Seite sich Israel im Dunst verbirgt.
Beim Abstieg pausieren wir in einem Lokal am Wegesrand. Bunt gemusterte Teppiche zieren den Boden, ebenso die Sitzbänke; eine Katze schmiegt sich an meinen Oberschenkel. Durstig bechern wir einen frisch gepressten Granatapfelsaft, während wir die bergwärts schnaubenden Leute mustern. Wieder unten angelangt, tummelt sich inzwischen eine Meute. Auch auf der «Hauptstrasse» ist so einiges los – wie in einer Stadt eben. Ich versuche mir vorzustellen, wie es hier damals vor rund 2000 Jahren zu und her gegangen sein mag. Ein Abstecher bringt uns zu den Königsgräbern, die jetzt im goldenen Licht der Nachmittagssonne stehen. Zurück beim Schatzhaus lassen wir das Geschehen noch eine Weile auf uns wirken, bevor wir müde durch den Siq dem Ausgang entgegen streben. Hungrig und gedanklich schon beim Abendessen, freuen wir uns auf das Hotelbuffet. Mama Fatima kocht. Bestimmt tischt sie uns wieder einen Haufen raffinierte Speisen auf, würzig und lecker. Noch wissen wir nicht, dass Mama Fatimas Essen das beste der ganzen Reise sein wird.
Anderntags schwingen wir uns noch einmal früh aus den Federn und statten Petra erneut einen Besuch ab. Beim Schatzhaus verweilen wir diesmal nur kurz, schon bald halten wir nach dem Al-Khubtha Trail Ausschau. An den Königsgräbern vorbei, führt der ausgeschilderte Weg um den Gebirgsstock herum in eine Schlucht, wo wir über breite Treppenstufen rasch an Höhe gewinnen. Der gemusterte Sandstein fasziniert uns, seine natürlichen Farbtöne reichen von rötlich bis gräulich, mancherorts überrascht sogar Ocker, was wie Farbkleckse anmutet. Auch im Schatten drückt der Schweiss bald aus allen Poren. Oben auf einem Felsplateau angekommen, schlängelt sich ein schmaler Weg hinab durch Geröll, wo Ziegen bimmeln und laut meckern. Es ist friedlich und es scheint, als seien wir inzwischen weit weg vom belebten Petra, bis an einer Felskante Stimmengewirr zu uns hinauf hallt. Nach einer Wanderstunde hier auf der obersten Plattform angekommen, sind wir wieder in guter Gesellschaft, dafür offenbart sich ein fantastischer Ausblick auf das Schatzhaus. Alle warten auf DEN magischen Moment, wenn die Morgensonne um etwa zehn Uhr die Fassade des Wunderwerks beleuchtet.
Der Rückweg ist derselbe. Auf halber Strecke rasten wir in einem Teehaus, das sich auf einem Felsvorsprung gewagt an den senkrechten Abgrund bettet. Teppiche bedecken den staubigen Boden, eine zerschlissene Flagge weht. Am Feuer hockt eine verschleierte Frau und brüht Beduinentee auf, daneben ziehen Männer genüsslich an einer Wasserpfeife. Gäste sind keine da. Auf einem Tischchen stapeln sich Granatäpfel, auf der Theke steht eine Saftpresse. Da müssen wir nicht lange überlegen und bestellen wieder einen Granatapfelsaft. Ein Becher kostet drei Dinar, was etwas über vier Schweizerfranken ausmacht. Im stolzen Preis inklusive: eine beflügelnde Weitsicht auf Petra und die umliegende Bergwüste. Glücklich machen wir es uns auf einem weichen Polster am Klippenrand bequem. «Action», ruft der junge Beduine strahlend, als er sich mit zwei Bechern blutrotem Saft nähert. Schmunzelnd bedanken wir uns und schlürfen genüsslich den süsssauren Fruchtsaft. Auch Petra ist ganz nach unserem Geschmack: Das Highlight Jordaniens bietet einen reizvollen Mix aus Kultur und Natur, Bewegung und Entspannung. Auch findet sich trotz Besucherandrang stets ein ruhiger Fleck…
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