Samarkand – Herzstück der Seidenstrasse
Wie immer haben wir aus unserem Reisehandbuch eine Unterkunft gewählt und nehmen vor Ort ein paar Zimmer in Augenschein. Meistens sind wir mit unserer Wahl durchwegs zufrieden, aber heute ist der Wurm drin. Das erste Hotel wirkt heruntergekommen und die mit altmodischen Möbel völlig verstellten Zimmer sind muffig. Wir klappern im selben Viertel noch ein paar weitere einfache Gasthäuser ab, aber vergeblich. Sind wir zu anspruchsvoll? Wir schnappen ein Taxi und lassen uns in einen anderen Winkel von Samarkand chauffieren…
Unser schweisstreibender Spiessrutenlauf wird belohnt – das etwas teurere Bed & Breakfast entpuppt sich als Oase. Wir finden hier nicht etwa ein luxuriöses Zimmer vor, es ist klein wie eine Schuhschachtel, aber einen grossen luftigen Garten. Mit dem Argument, mehrere Nächte zu bleiben, können wir den Preis etwas drücken. Auch die Lage zwischen dem historischen Zentrum mit den Sehenswürdigkeiten und dem neuen modernen Stadtteil mit mehr Restaurants, entpuppt sich als ideal.
Gleich um die Ecke liegt das palastartige Mausoleum Gur-E-Amir. Mit Amir Timur, auch Tamerlan genannt, herrschte Mitte des 14. Jahrhunderts einer der grössten und gewaltsamsten Eroberer der Geschichte. Bereits zu seinen Lebzeiten liess er für ihn seine Familienmitglieder diesen Grabpalast errichten. Durch ein mit typischen islamischen Mustern verziertes Tor gelangen wir in den früheren Innenhof der Anlage. Die sogenannte Melonenkuppel leuchtet in Türkis und ist mit bildschönen Mosaiken versehen. Zwar ist sie mittlerweile mit etwas Gras überwachsen, aber dennoch eine Augenweide. Die eigentliche Grabstätte im Innern ist reichlich mit filigranen Goldmustern verziert – wir sind sprachlos.
Die bekannteste Sehenswürdigkeit von Samarkand ist der Registan. Der riesige Komplex besteht aus Koranschulen mit Moscheen, welche zwischen den Jahren 1420 und 1660 fertiggestellt wurden, heute aber nicht mehr in Betrieb sind. Der gewaltige Platz, der früher eine zentrale Handelsstation für die durchreisenden Karawanen der Seidenstrasse darstellte, wird an drei Seiten begrenzt von grossen Medresen. Deren prächtige Fassaden zieren vielfältige Mosaike, die in verschiedenen Farbtönen schillern. Viele Mauern sind schief, so auch die aufragenden Minarette. Durch die kolossalen Eingangstore erreichen wir grossflächige Innenhöfe mit den ehemaligen Wohnzellen der Koranschüler. Uns stockt der Atem – Kunsthandwerk, wohin unser Blick auch fällt. Die Zellen sind heute vollständig von Handwerkateliers und Verkaufsständen eingenommen, die ihre Ware grosszügig ausbreiten und feilbieten. Auf den gegenüberliegenden Seiten der Eingangstore gelangt man in Moscheen. Die Hauptmoschee ist ein wahres Prunkstück und komplett restauriert – wir sind geblendet vom vielen Gold. Zwar leidet die göttliche Atmosphäre unter den vielen lebhaften Händlern, doch wir nehmen uns trotzdem Zeit und lassen diese eindrucksvollen Bauten auf uns wirken.
Beim Bewundern und Fotografieren des Registans quatschen uns auf dem Platz zwei angehende Studenten an. “We would like to practise some English!”, überraschen sie uns. Beide heissen Murad, sind ansonsten aber ganz verschieden. Der eine spricht bestes Englisch und bestreitet anfangs das ganze Gespräch, steht kurz vor seinem Studium in Südkorea (rechts auf dem Foto). Später taut auch der zweite Murad auf und stellt uns die eine oder andere Frage – sein Interesse gilt vorwiegend der Politik. Die zwei jungen Männer wissen unglaublich viel über die Welt, sind sehr interessiert und stellen uns unzählige Fragen. Beide sind auch sehr stolz auf ihr Land und meinen: “Seit der Unabhängigkeit von der Sowjetunion 1991 hat Usbekistan innert 25 Jahren bereits viel erreicht”. Eine überaus sympathische Begegnung – wir plaudern bestimmt eine knappe Stunde mit den beiden.
Der Schatten wird immer kleiner und es ist Zeit, in unser Zimmer zurückzukehren und einer Siesta zu frönen. Das Thermometer klettert auf fast 40 Grad, obwohl die Stadt auf 700 Metern und somit höher liegt, wie die bereits besuchten Orte in Zentralasien. Eigentlich ist es zu heiss für Sightseeing, aber wenigstens sind wir uns die hohen Temperaturen mittlerweile etwas gewohnt. Dennoch blicken wir bereits freudig den Bergen von Kirgistan mit hoffentlich gemässigtem Klima entgegen… Im lauschigen Garten des Guesthouses ist es inmitten vieler Bäume immerhin etwas erträglicher und abends sogar richtig angenehm. Morgens wird dort jeweils das üppige Frühstück mit diversen Köstlichkeiten aufgetragen, alles meist ganz frisch zubereitet. Die reifen Früchte – Kirschen, Aprikosen, Pflaumen, Äpfel – kommen alle aus dem eigenen Garten.
Nicht nur der Garten ist grün, sondern erstaunlicherweise die ganze Stadt. Nebst breiten Boulevards, Alleen und Fussgängerpromenaden blieb auch ausreichend Platz für gepflegte Parkanlagen mit kühlenden Springbrunnen. Das legendäre Samarkand, einst einer der wichtigsten Handelsplätze der Seidenstrasse, präsentiert sich heute ziemlich modern. Wegen mehrfacher Zerstörung findet sich hier keine Altstadt im klassischen Sinne.
Vom Registan führt eine neue, fast zu steril wirkende Fussgängerzone, gesäumt mit klimatisierten Souvenirläden, bis hin zum grossen Basar. Auf dem Weg fällt uns schon von weitem die klotzige Moschee Bibi Khanum ins Auge, dessen türkisblaue Kuppel über 40 Meter hoch ist. Den Namen verdankt das Gotteshaus einer der Frauen von Amir Timur – seine Pläne überschritten angeblich die damaligen Kenntnisse von Architektur und Statik und so stürzten bereits im 15. Jahrhundert grosse Teile des wuchtigen Baus wieder ein. Die Moschee – einst eine der weltweit grössten – wurde wieder aufgebaut, aber bröckelt heute vor sich hin, erweckt den Anschein, jeden Moment in sich zusammenzufallen.
Auf dem Basar herrscht reges Treiben – Frauen mit farbenfroher Kleidung tragen zum bunten Marktbild bei. Das vielfältige Angebot reicht über Berge von frischen Früchten und Gemüse, bis hin zu undefinierbaren Milchprodukten und orientalischen Gewürzen, und weit darüber hinaus. Ein Blickfang sind die für hier typischen runden Brote, oft glänzend und dekorativ verziert, die auf alten Kinderwagen zum Kauf angeboten werden. Um unseren Vitaminhaushalt in Schwung zu halten, decken wir uns mit Karotten und Gurken ein, was sogar für uns Touristen für nur wenig Geld zu ergattern ist. Anders sieht es beim Schuhmacher aus… Roland vertraut seine Sandalen mit dem kürzlich entdeckten Riss in der Sohle dem Handwerker an. Englisch spricht der Mann zwar nicht, aber der Auftrag sollte eigentlich klar sein – oder etwa nicht? Grosszügig schnitzt er das Profil weg, klebt eine vollständig neue Sohle auf. Wir denken nicht im Geringsten daran, vorgängig um den Preis zu feilschen. Seine Arbeit wird kaum mehr als zwei drei Franken kosten, nehmen wir an – aber weit gefehlt! Nach getaner Arbeit knüpft uns der dreiste Schuhflicker sage und schreibe zehn Franken ab – ein Vermögen für hiesige Verhältnisse. Nun muss die neue Sohle nur noch halten…
Auf einer Anhöhe sitzt die kleine Moschee Hazrat Xizr aus dem 19. Jahrhundert, welche mit einer Holzdecke mit handbemalten farbigen Mustern und Verzierungen aufwartet. Getragen wird die Decke von mehreren hölzernen Säulen mit kunstvollen Schnitzereien. Der Aufstieg entschädigt uns mit einer grossartigen Sicht über die Stadt mit ihren nicht zu übersehenden Kuppeln und Minaretten.
Gleich um die Ecke liegt der riesige Friedhof mit der Nekropolis Shohi Zinda, einer grossen Begräbnisstätte der Antike mit einer Mausoleen-Strasse. Zahlreiche aufwändig geschmückte Grabbauten aus dem 14. Jahrhundert reihen sich aneinander. Die unübertroffene Vielfalt von Mosaiken, Malereien, Koranversen und feinen Reliefs ist überwältigend – Türkis und weitere Blautöne dominieren die sagenhafte Farbpalette. Die wunderschöne Gräberstrasse mit ihren schmucken alten Mausoleen ist unser persönliches Highlight von Samarkand…
Diese Grabstätte stellt nicht nur eine Sehenswürdigkeit, sondern auch ein wichtiger Pilgerort dar. Touristen wie wir sind kaum anzutreffen, doch es herrscht ein Kommen und Gehen an usbekischen Gläubigen. Wird mal wieder ein Foto mit uns gewünscht, posieren wir natürlich gerne. Oft werden wir auch nur angesprochen und gefragt, woher wir kommen. Switzerland wird meist nicht verstanden, trumpfen wir hingegen mit Russisch auf, versteht es jeder. “Ah, Schweizaria!” Nur leider ist es bei uns dann mit dem Russischen schon fast zu Ende. Wir sind erstaunt, viele wissen ganz genau, wie sie die Schweiz umschreiben können: “Banken, Uhren und Schokolade.”
Unser vierter und letzter Tag in Samarkand. Beim Bummel durch das alte jüdische Viertel weicht die Moderne staubigen Strassen, wo das Alltagsgeschehen wie irgendwo auf dem Land seinen Lauf nimmt. Wir vergessen, in einer Grossstadt unterwegs zu sein. Die unspektakulären Gassen führen uns an einen schattigen Park, in dessen Mitte ein süsses Bauwerk liegt. Das kleine Mausoleum Iman-al-Matrudiy erreicht zwar kein historisches Alter, ist aber hinreissend. Die türkisfarbene Melonenkuppel glänzt über dem niedlichen Ziegelbau mit feinen Kachelverzierungen.
Abends schlendern wir ein letztes Mal auf dem Registan und bewundern das hübsche Esemble der drei beleuchteten Medresen. Viele Leute sitzen auf der Treppe vor dem gigantischen Platz, wir tun es ihnen gleich. Plötzlich tippt uns jemand an die Schulter – mit Elisabeth und Remy, den beiden französischen Velofahrern, haben wir kaum mehr gerechnet. Es ist nun der vierte Ort in Zentralasien, wo wir uns zufälligerweise über den Weg laufen, nachdem wir uns im Iran kennengelernt haben. Sie sind mit Radeln zwar langsamer unterwegs wie wir, verbringen aber im Vergleich zu uns weniger Zeit in den Städten, und so passt eine Begegnung stets wieder in unsere doch verschiedenen Reiserhythmen. Doch nun ändern sich unsere Routen, die beiden werden nach Tadschikistan pedalen. Wir verabschieden uns endgültig voneinander, aber wer weiss, vielleicht bis irgendwann irgendwo…
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