Schlotternde Pinguine auf der Kap-Halbinsel
Von der südlichsten Spitze Afrikas geht unsere Fahrt – ist ja klar – in Richtung Norden weiter. Durch gelbes, malerisches Ackerland führt eine kurvige Strecke landeinwärts nach Caledon, wo wir erneut südlich an die Küste abschweifen. Westlich von Hermanus, der Wal-Metropole von Südafrika, wählen wir die Route der R44, ein Umweg entlang der Whale Coast. Aber es lohnt sich, keine Frage…
Rechts ragt eine eindrucksvolle Bergkulisse empor, während sich links stets ein Blick aufs Meer bietet. Betty’s Bay ist ein Ferienort mit einer herrlichen Lage direkt an der Küste. Die ziemlich unattraktiv wuchernden Häusersiedlungen verschandeln zwar die Landschaft, aber die wunderbare Natur macht dies wieder wett. Wir schlendern dem feinen, weissen Sandstrand entlang, der in sanfte, kleine Dünenhügel übergeht – ein ideales Plätzchen für unser Mittagspicknick.
Am felsigen, windgepeitschten Stony Point lebt eine grosse Kolonie von Afrikanischen Pinguinen, auch Brillenpinguine genannt. Die Kolonie zählt rund 2000 Paare. Ein langer Holzsteg führt über die Klippen, so dass man die kleinen Pinguine, die nur etwa 50 bis 60 Zentimeter gross sind, bestens beobachten kann. Zu Hunderten drängen sie sich auf den Felsen, recken ihre Bäuche und Schnäbel gegen den Himmel. Sie scheinen die Sonne richtiggehend in sich aufzusaugen. „Schau mal, der Dicke da hinten sieht ganz zerzaust aus“, bemerke ich. „Der wird schon alt sein“, meint Roland schulterzuckend. Aber bald wird uns klar, dass eigentlich viele der Tiere, ja fast die Hälfte, ein halb oder ganz zerfleddertes Kleid tragen.
Den spannenden Schautafeln entnehmen wir, dass sich die Federbekleidung der Pinguine einmal jährlich, genau zu dieser Zeit, erneuert. Zuvor fressen sie sich das Doppelte an Gewicht an, da sie während der dreiwöchigen Erneuerungsphase hungern müssen. Zum Fischen im Meer ist eine vollständige, wasserdichte Befederung nötig, denn um nahrhafte Fischschwärme zu erreichen, müssen die Tiere oft grosse Strecken im kalten Wasser zurücklegen und weit in die Tiefe abtauchen. In der Regel sind sie mit drei Stundenkilometern unterwegs, bei Gefahr sind aber problemlos zehn möglich.
Der Alltag der putzigen Pinguine ist ein gelungenes Schauspiel für uns. Es gibt immer wieder Grund zum Lachen. Nicht selten fällt einer der tollpatschig süssen Kerle auf die Nase oder das pralle Bäuchlein, welches weiss unter dem schwarzen Frack hervorschaut. Mit ihren harten Schnäbeln hacken sie sich gegenseitig die Köpfe ein – bei so viel Nähe scheint es bei den ansonsten friedlich wirkenden Tieren manchmal zu Reibereien zu kommen. Aber der Schnabel dient auch für Liebkosungen – ein Unterschied ihrer Gemütszustände ist klar auszumachen.
Die Weiterfahrt auf der R44 ist wahrlich spektakulär. In zahlreichen Kurven windet sich die teils enge Strasse hoch über dem Meer den Berghängen entlang. Zauberhafte Ausblicke begleiten uns. Wir gelangen in die sogenannte False Bay, eine grosse Bucht, wo sich am anderen Ende die Kap-Halbinsel befindet. Die „falsche Bucht“ bekam ihren Namen wegen eines häufigen Navigationsfehlers in alter Seefahrerzeit. Auf der gegenüberliegenden Seite versteckt sich Kapstadt hinter wolkenverhangenen Bergen. Die Küstenlinie entlang der False Bay ist weitgehend verbaut. Ein Ort geht fast nahtlos in den nächsten über – von Gordon’s Bay nach Strand, und von Muizenberg bis weiter nach Simon’s Town auf der Kap-Halbinsel, unserem heutigen Ziel.
Für einmal gestaltet sich die Suche nach einen Campingplatz nicht ganz einfach. Beim ersten werden wir abgewiesen. „Ihr braucht eine Zahlungsbestätigung, die ihr im Büro in Fish Hoek erhält, das nun aber geschlossen ist“, erklärt uns der Herr am Tor lächelnd, aber sehr bestimmt. Haben wir uns verhört? Fish Hoek liegt 15 km entfernt. Und wozu diese Bürokratie? „And we can not pay you“, frage ich vorsichtig. Aber der Schwarze lässt sich weder bezahlen, noch bestechen. Beim zweiten Campingplatz lassen wir uns wohl oder übel nieder, denn es ist bereits abends. Die Anlage scheint heruntergekommen und zu allem Übel hat vor einer Woche noch ein Feuer gewütet. Die sanitären Anlagen sind total verschmutzt, es gibt weder eine heisse Dusche, noch fliesst Strom. Dafür entschädigt der Blick auf die weite Bucht und der hell leuchtende Vollmond, dessen Licht sich im Wasser spiegelt.
Am nächsten Morgen erwartet uns die nächste böse Überraschung. Wir sind fast abfahrtsbereit, als sich ein heftiger Wolkenbruch über uns ergiesst. Stundenlang regnet es in Strömen und der geplante Besuch vom Kap der guten Hoffnung fällt – zumindest für heute – buchstäblich ins Wasser. Als es mittags endlich etwas aufhellt, nehmen wir ein Alternativprogramm in Angriff.
In der Nähe vom beschaulichen Simon’s Town lebt am Strand von Boulders zwischen riesigen Granitblöcken eine weitere Kolonie von Afrikanischen Pinguinen. Noch hat es viele Wolken und ein fieser Wind bläst. Somit bietet sich uns von den Plattformen ein anderes Bild wie beim Besuch der letzten Kolonie. Viele Pinguine stehen schlotternd am Strand oder liegen auf dem Bauch, bestimmt um sich vor der Kälte zu schützen. Denn auch hier besitzen viele nur ein „halbes“ Kleid und warten geduldig auf neue, wärmende Federn. Einige haben Mulden in den Sand gegraben und mit kleinen Ästen ausgepolstert. Einerseits sind es Nistplätze, aber gleichzeitig können sie sich so wohl besser warmhalten. In mühseliger Arbeit wird Ästlein um Ästlein im Schnabel angeschleppt. Manchmal finden die lustigen Pinguine kaum mehr ihr eigenes Nest und watscheln eine Extrarunde. Auch werden wir Zeugen des einen oder anderen Liebesspiels… Pinguine bleiben ihren Partnern in der Regel ein Leben lang treu.
Die Kap-Halbinsel ist etwa 60 Kilometer lang und landschaftlich wunderschön. Leider ist sie stark verbaut und der Verkehr immens. Trotzdem machen wir eine Spritzfahrt quer über die Insel. Der Chapman’s Peak Drive ist eine schmale, reizvolle Küstenstrasse durch massive Felslandschaften. 114 Kurven verteilen sich auf neun Kilometer und über die gesamte Strecke bieten sich Ausfahrtsmöglichkeiten an, um die sensationellen Ausblicke zu würdigen. Von allfällig herabstürzenden Felsbrocken wird eindrücklich gewarnt – enter at own risk. Wir schmunzeln, denn in Südafrika ist ziemlich alles auf eigene Gefahr und jegliche Haftung wird abgelehnt. Schilder solcher Art sind weit verbreitet und meist auch beim Start eines Wanderweges nicht zu übersehen.
Da der Campingplatz der letzten Nacht sich als völligen Reinfall entpuppte, ziehen wir um und lassen uns an der Westküste der Halbinsel, in Kommetjie, nieder. Es ist unsere allerletzte Nacht im Campervan, etwas Wehmut schwingt mit. Denn wir haben uns in unserem neuen Daheim ganz gut eingelebt. Wir packen unsere Siebensachen zusammen, geniessen aber nach getaner Arbeit noch die letzten Sonnenstrahlen bei einem Glas Wein und lassen die letzten acht Wochen Revue passieren. Auf die eine Seite ist die Zeit schnell vergangen, und doch haben wir zwischenzeitlich so vieles erlebt und der Start unserer Reise scheint weit weg.
Das Wetter ist uns heute gut gesinnt, wir sind erleichtert. So steht dem Besuch vom Kap der guten Hoffnung nichts mehr im Weg. Morgens um neun herrscht am Parkplatz von
Cape Point noch kein Hochbetrieb. Es wird ausdrücklich vor den Pavianen gewarnt. Man soll die Autotüren verriegelt und die Fenster geschlossen halten, denn die Affen scheuen keineswegs davor, ins Fahrzeug einzudringen. Die gewieften Lebensmitteldiebe können angeblich sogar geschlossene Autotüren öffnen. Es sind offizielle Pavianvertreiber im Einsatz, deshalb werden wir wohl von diesen frechen Plagegeistern verschont.
Der Cape Point ist ein gefährlicher, windgepeitschter Felsvorsprung. Über die steile Treppe gelangen wir zu verschiedenen Aussichtspunkten und zum alten Leuchtturm – für weniger Energiegeladene gibt es auch eine Bergbahn. Das Old Lighthouse wurde 1860 auf 250 Metern über dem Meer erbaut. Es lag zu häufig im Nebel, um Schiffe erfolgreich von den Felsen fernzuhalten. So wurde 1914 ein neuer Leuchtturm weiter unten errichtet, der etwa 24’000 Schiffen jährlich den Weg ums fast immer stürmische Felsenkap am Ende Afrikas weist.
Noch ganz ungestört können wir die sagenhaften Ausblicke von hier oben auf uns wirken lassen. Die gewaltigen Felsklippen werden von tosenden Wellen umspült. Rechterhand erblicken wir das Cape of Good Hope – es ist der südwestlichste Punkt des afrikanischen Kontinents. Wegweiser zeigen in verschiedene Himmelsrichtungen – Bern liegt rund 9000 Kilometer entfernt. Noch weiter weg liegt Tokyo mit 14’000 Kilometern, New York mit 12’000 und Sydney mit 11’000. Etwas näher befindet sich Rio mit 6000 Kilometern und staunen lässt uns, dass der Südpol ebenso weit entfernt ist.
Vom Cape Point wandern wir zum Kap der guten Hoffnung, begleitet von einem extremen Wind. Der Ausdruck, „es bläst uns fast weg“, ist sicherlich etwas abgegriffen und oft übertrieben, aber hier ist es wirklich so. Es fühlt sich an, wie wenn der stürmische Wind uns demnächst die Kleider vom Leib reisst oder die Sonnenbrille von der Nase fegt. Das Gehen ist tückisch, die Böen unberechenbar. Breitbeinig und auf alles gefasst schaffen wir uns Meter um Meter vorwärts bis zum berühmt berüchtigten Kap. Auf dieselbe Art und Weise, wie sturzbetrunken, geht es auf demselben Weg, durch die mit blühenden Blumen geschmückte, grüne Fynbos-Vegetation wieder zurück zum Parkplatz. Inzwischen ist hier die Hölle los – und wir müssen los. Wir rechnen mit einer zweistündigen Fahrt zum Flughafen, in dessen Nähe wir nachmittags unseren Campervan abgeben müssen…
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