Schweinischer Besuch am Waterberg
Unterwegs in Richtung Nordosten. Nach dreistündiger Fahrt über die vom Regen teilweise arg ausgewaschene Piste, vorbei an frisch ergrünter Landschaft, gerät der Waterberg immer näher in unser Blickfeld. Der langgezogene Tafelberg mit dem vegetationsreichen, flachen Bergrücken erstreckt sich über eine Länge von rund 40 Kilometern. Das Restcamp des Waterberg Nationalparkes liegt auf knapp 1600 Metern – die Sandsteinformationen des Berges erreichen eine maximale Höhe von 1900 Metern. Am Fusse des eindrucksvollen Waterbergs schlagen wir unser Dachzelt mit Blick auf die spektakulär vor uns aufragenden Felswände auf.
Um der Hitze des Tages zu entkommen, stiefeln wir um acht Uhr in der Früh los. Ein Wanderweg führt in Schleifen bergan zur Felswand, wo sich ein Kletterpfad entlang eines schmalen Einschnittes steil über grosse Gesteinsbrocken hochzieht. Ausser Atem und mit Schweissperlen auf der Stirn erreichen wir innert Kürze die Kante des Berges. Uns offenbart sich eine sensationelle Aussicht auf das topfebene Buschland sowie die senkrecht abfallenden Wände. Bevor wir uns dem Abstieg widmen, gönnen wir uns eine wohlverdiente Verschnaufpause. Noch weitere kurze Wanderpfade durchziehen den Nationalpark, aber leider nicht oben auf dem Plateau, sondern durch die Wälder am Fusse des Berges. Die aufragenden, rot-schwarzen Felswände bestechen stets unser Blickfeld.
Es raschelt im Gestrüpp, wir bleiben stehen. Ein Dikdik, wie süss. Die kleine Antilope hält sich gerne unter Büschen auf, oft nimmt man sie kaum wahr. Mit grossen Augen schaut sie uns prüfend an, wir tun es ihr gleich. Wie zierlich sie wirkt – zerbrechlich die Beine, geschmückt mit einem Haarbüschel auf der Stirn. Flink bewegt sich das Dikdik in Sprüngen davon – wie ein Gummiball. Der Weg wird immer schmaler, ist mittlerweile von Geäst und hohem Gras überwuchert. Hier war offensichtlich schon eine Weile niemand mehr auf Wanderschaft – Zeit umzukehren.
Hungrig schlemmen wir unsere Sandwichs, bevor wir ins erfrischende Nass des Swimming Pools eintauchen. Wie gut beides tut… Nachmittags erholen wir uns im Schatten von unserer Halbtageswanderung – Liegenstuhl und Hängematte sei Dank. Seit Tagen spielt das Wetter hervorragend, der Himmel leuchtet tiefblau. Die untergehende Sonne lässt die rötlichen Felswände des Waterbergs in einem sanft goldenen Licht schimmern. Wir geniessen den lauen Abend bei einem Glas Wein – zu später Stunde steigt der leuchtende Vollmond langsam am sternenklaren Himmel empor.
Den Frühstückstisch soeben gedeckt, begrüsst uns eine Warzenschweinfamilie – kennt keine Berührungsängste, grast ihr Morgenessen unmittelbar neben uns. Die Schweinemutter würdigt uns keines Blickes, ist vertieft ins Fressen. Warzenschweine ernähren sich vegetarisch – zum Grasen und Graben knien sie auf ihren Vorderläufen, wühlen nach Wurzeln und Knollen, die sie mit ihrer flachen, spatenähnlichen Schnauze ausgraben. Die Schweinchen hingegen gucken uns skeptisch an, schnüffeln herum, bevor sie sich nochmals ein paar Schritte näher heran wagen. Alle vier docken an den Zitzen ihrer Mama an, saugen gierig. Noch sind die Kleinen niedlich, die ausgewachsenen Tiere hingegen sind mit hässlichen Warzen im Gesicht verunstaltet. Auch die Borstenhaare, die struppige Mähne und der Hängebauchansatz tragen zum ulkigen Aussehen bei.
Der schweinische Besuch verabschiedet sich grunzend – das Frühstück muss trotzdem noch warten. Ein Dutzend Zebramangusten huscht über den Campingplatz, lassen das Fotografenherz nochmals höher schlagen. Flink wieseln die geselligen Tiere mit den dunkelbraunen „Zebrastreifen“ und dem buschigen Schwanz davon – kein einfaches Unterfangen, sie bildlich festzuhalten. Die tierische Morgenshow nimmt seinen Lauf – Erdhörnchen kreuzen auf, machen brav Männchen, zeigen keine Scheu. Die zimtfarbenen Nagetiere ähneln unseren Eichhörnchen, nutzen ihren buschigen Schwanz oft geschickt als Sonnenschirm für Körper und Kopf.
Aufbruchstimmung – etwas später wie geplant. Vorbei an Buschwerk und Weideland, Rinder grasen am Strassenrand. Die Farmen tragen deutsche Namen, eine grenzt an die nächste. Drei Stunden Sandpiste. Wir geniessen die holprige, staubige Fahrt – es wird die letzte Reiseetappe dieser Art sein. Vor Grootfontein stossen wir auf die asphaltierte Hauptverkehrsachse in Richtung Nordosten. Kurz nach der Stadt suchen wir eine Gästefarm auf, die gemäss Reisehandbuch Wildfleisch verkauft. Im Supermarkt ist meist kein Wild erhältlich, so nutzen wir diese Gelegenheit.
„Was wollt ihr?“, schnauzt der Deutschstämmige und wirft einem vorwurfsvollen Blick auf die Uhr. Fünf vor zwei, wir holen ihn fünf Minuten zu früh aus seinem Mittagsschlaf – die Siesta ist den Farmern heilig. Der ältere Herr mit dem grauen, verwuschelten Haar wirkt etwas ungepflegt, seine direkte, schnodrige Umgangsart ist gewöhnungsbedürftig. In seiner Tiefkühltruhe ruhen diverse Fleischstücke – auf der Theke präsentiert er uns eine breite Auswahl. Wir entscheiden uns für je eine Portion Zebra und Springbock sowie einen Giraffen-Schinken. „Und, wohin geht’s noch?“, möchte der Farmer mit löchrigem Poloshirt wissen. „Rundu? Na gebt mal Acht dort oben, das ist ein gefährliches Pflaster, die Grenze zu Angola liegt gleich ums Eck“. Er gerät in einen Redefluss, erzählt uns von Land und Leuten. Seine grobe Ausdrucksweise schockiert: „Die Neger bringen ihren Lohn Ende Monat direkt in die Wirtschaft – und ich meine in die Wirtschaft – versaufen innert Kürze alles. Bumsen gehört selbstverständlich auch dazu, niemand interessiert später, von wem das Kind ist. Auf dem Heimweg wird dann noch etwas Brennholz geklaut, nehmen sich, was nicht niet- und nagelfest ist. Also aufgepasst, ihr Schweizer.“
Eine knappe Stunde später sind wir wieder auf Achse. „War das ein Unikum“, sind wir uns einig, lachen herzhaft. Was wir glauben können und was übertrieben ist, bleibt für uns schwierig abzuschätzen. Nach einer Stunde treffen wir im Roy’s Camp ein – das „gefährliche“ Rundu ist noch 200 Kilometer entfernt und erst das nächste Etappenziel. Der Restaurant- und Pool-Bereich versprüht eine gemütliche, rustikale Atmosphäre, ist dekorativ mit altem Kram bestückt. Auf dem Campingplatz mit Blick ins Grüne ist es friedlich, wir sind fast allein. Wir freuen uns aufs wilde Fleisch vom Grill – das Zebra ist leider zäh, der Springbock jedoch butterzart.
Wir sind startklar. Skeptisch beäugt Roland unseren Hinterreifen, der etwas mehr Luft vertragen könnte. Mit dem Kompressor pumpt er den Pneu auf, aber zu unserem Entsetzen entweicht die Luft sofort von neuem. „Muss das sein“, stöhnen wir gemeinsam. Ein weiterer Platten – bereits der Vierte in Namibia – hat uns gerade noch gefehlt. Statt nach Rundu weiterzureisen, bleiben wir somit nochmals eine Nacht im Roy’s Camp. Damit können wir gut leben, uns gefällt es hier. Das Tagesprogramm: 60 Kilometer nach Grootfontein zurück in eine Autogarage. Ein junger Arbeiter mit Wollmütze im Gesicht nimmt sich unser an. Nach einer Weile streckt er uns den Übeltäter, einen acht Zentimeter langen Nagel, unter die Augen. Wir können uns beim besten Willen nicht vorstellen, wo wir dieses Ungetüm eingefahren haben – unglaublich!
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