Steilklippen der Tasman Peninsula
Halb neun. Hobarts Morgenverkehr stockt, wir mittendrin. Nach vier Tagen in Tasmaniens Hauptstadt, lehnen wir in einem Taxi und lassen uns zum ausserhalb gelegenen Fahrzeugvermieter chauffieren. Zu unserem Erstaunen gilt es den Bürokram und die Hinterlegung der Mietkaution eigenhändig abzuwickeln, dazu wird uns ein Tablet in die Hände gedrückt. Rund um den Campervan führt uns ein schlaksiger Herr danach persönlich, erklärt jedoch nur dürftig. Für uns stellt das grundsätzlich kein Problem dar, ist es mittlerweile unser fünftes rollendes Daheim auf dieser Reise. Während wir das Vehikel eigenständig unter die Lupe nehmen, wird es uns wieder weggenommen – eine Wartung sei notwendig. Das intelligente Computersystem gab das Fahrzeug nicht frei, es weiss offensichtlich mehr wie die Angestellten…
Am späten Vormittag mit dem zweiten Camper endlich auf Achse, peilen wir für das Anlegen eines Lebensmittelvorrats das nächste Einkaufszentrum an, bevor wir die ersten 100 Kilometer unter die Räder nehmen. Zahlreiche Kurven gemeistert, erreichen wir den Campingplatz von Port Arthur. Unweit einer Bucht gelegen, inmitten vieler Bäume, bleibt uns der rauschende Ozean verborgen. Das Verstauen unserer Habseligkeiten frisst Stunden, ist der zur Verfügung stehende Platz limitiert und jeder Camper wieder etwas anders konzipiert. Nach dem Füllen der Schränke, füllen wir unsere knurrenden Bäuche. Genüsslich futtern wir in den letzten Sonnenstrahlen, bei munterem Vogelgezwitscher. Furchtlose bunte Papageie setzen sich frech auf unsere Stuhllehnen. Würden wir uns nicht vehement wehren, sässen sie uns demnächst auf der Schulter oder sogar auf dem Tellerrand. Auch die Pademelons sind zutraulich, aber nicht aufsässig wie das Gefieder. Die kleinen Beuteltiere ähneln einem Känguru – die Beine und der Kopf jedoch verhältnismässig klein, wirken sie ziemlich pummelig.
Port Arthur liegt im Südosten auf der stark zergliederten Tasman Peninsula, welche die höchsten Klippen Australiens beherbergt. Bis über 300 Meter überragen Felswände einsame Strände, gewisse Küstenstreifen sind abgeschieden und von dichtem Urwald überzogen. Nicht hauptsächlich der spektakulären Natur, sondern der Sträflingsvergangenheit wegen bekannt. Die schmale Landenge, welche die Halbinsel mit dem tasmanischen Festland verbindet, eignete sich aufgrund ihrer Lage hervorragend als „natürliches Gefängnis“. Eaglehawk Neck, kaum 100 Meter breit, war durch eine Reihe von angeketteten, bissigen Hunden abgesperrt und von Wachleuten kontrolliert, was ein Entkommen verhindern sollte. Um die Häftlinge davon abzuschrecken, schwimmend zu flüchten, wurde das Gerücht verbreitet, dass es in den umliegenden Gewässern von Haien wimmle. Doch trotz diesen Massnahmen nahmen einige Gefangene erfolgreich Reissaus…
Der heutige Morgen lässt nicht auf jene düsteren Zeiten schliessen – keine Wolke trübt den stahlblauen Himmel. Der Küste entlang führt uns ein Spazierweg in einer halben Stunde zur historischen Stätte der ehemaligen Sträflingskolonie Port Arthur. Nebst Ruinen aus blassgelbem Sandstein sind dutzende Gebäude erhalten, die heute als anschauliche Museen dienen. Die Relikte verteilen sich in einem grossen, herrlichen Küstengelände, das mit seinem gepflegten Grasgrün an eine englische Parklandschaft erinnert. Eine kurze Bootsfahrt im marineblauen Naturhafen veranschaulicht, wie idyllisch dieser einst so verhasste Ort eigentlich gelegen ist – eingebettet in dicht bewaldete Hügel, am Ufer eines weit ins Land hineinreichenden Meeresarms. Das Schiff treibt an der „Isle of the Dead“ vorbei, der kleinen Friedhofinsel, wo damals ein Gefangener die Gräber ausgrub.
Port Arthur wurde im Jahre 1830 gegründet, um Verurteilte an einen möglichst weit entfernten, isolierten Ort zu verbannen. In Grossbritannien quollen seinerzeit die Gefängnisse über, auch wurden Wiederholungstäter von Sydney hierher verfrachtet. Während fast 50 Jahren durchlitten insgesamt 12‘000 Sträflinge eine von Brutalität geprägte Haftzeit – Tasmanien galt als Hölle auf Erden. Unter menschenunwürdigen Bedingungen galt es Strafen zu verbüssen. Längst nicht alles Schwerverbrecher, manche nur inhaftiert wegen einem gestohlenen Brot oder ein paar Kartoffeln. Die schönen Gefängnisgebäude dienten blühenden, auf harte Zwangsarbeit beruhenden Industrien, wie der Holzfällerei oder dem Schiffsbau. Nachdenklich schlendern wir durch ein Modellgefängnis, das die damaligen harschen Lebensbedingungen aufzuzeigen versucht. Der Zellentrakt ist eindrücklich, die Kammern von geringem Ausmass, die schmalen Pritschen wie Hängematten an den Wänden befestigt. Strenge Disziplin, Auspeitschung und Religion galten als die besten „Heilmittel“. Die schlimmsten Fälle wurden in isolierte Einzelzellen gesteckt, wo Insassen einander nie zu Gesicht bekamen. Manche zerbrachen innerlich, andere wurden verrückt.
Etwas benommen treten wir blinzelnd wieder in den gleissenden Sonnenschein. Zwar geistern nun Bilder dieser grausamen Zeitepoche in unserem Hirn herum, dennoch fällt es nicht leicht, uns den Gefängnisalltag tatsächlich vorzustellen… 1877 wurde Port Arthur geschlossen, das Land an freie Siedler verkauft. In den folgenden Jahrzehnten zerstörten Buschfeuer viele der Bauten – Erinnerungen an jene Zeit waren ohnehin nicht gefragt. Doch die nicht zu verleugnende Vergangenheit liess sich nicht einfach abstreifen. Vor knapp 40 Jahren erkannte man den traurigen Schauplatz als historische Stätte, stetige Restaurationsarbeiten halten die einstige Gefängnisanlage am Leben.
Entlang gewisser Küstenstriche der Halbinsel zieht sich der Tasman Nationalpark, der mit verschiedenen Naturwundern aufwartet. Am nächsten Morgen besuchen wir die Remarkable Cave, nur einen Steinwurf von Port Arthur entfernt. Auch heute beschert uns Petrus wieder einen sommerlich sonnigen Tag und der Anblick der zerklüfteten Südküste mit ihren hohen Felsenklippen ist eine strahlende Augenweide. Über einen Plankenweg und Treppen gelangen wir zu einer Aussichtsplattform und bestaunen die besagte Höhle, eine von der wilden See ausgewaschene Felsformation. Peitschende Wellen dringen durch den langen Tunnel und schlagen tosend an den dunklen Wänden auf.
Zur Fortescue Bay an der Ostküste stauben wir über eine gut präparierte Schotterpiste. Es gilt nur wenigen Schlaglöchern auszuweichen und das Holpern hält sich in Grenzen. In der Bucht angelangt, nisten wir uns auf dem schlichten Campingplatz ein. Bevor wir uns auf die faule Haut legen, schnüren wir die Wanderschuhe. Der gut ausgebaute Pfad jagt uns über unzählige Stufen steil bergan, und schlängelt sich hoch oben an den Küstenhängen durch einen bewaldeten Landstrich. Der lichte Eukalyptuswald spendet kaum Schatten, die Mittagssonne knallt auf unsere Köpfe. Das Auf und Ab bringt uns aus der Puste, auch die jäh abfallendende Felslandschaft raubt uns den Atem. Die verwitterten Steilklippen der Küstenlinie muten vielerorts an wie Orgelpfeifen. Bei einem Picknick würdigen wir die imposante Szenerie. Frisch gestärkt die äusserste Spitze erlangt, offenbart sich vom Cape Hauy eine schwindelerregende Aussicht. Wie von einem hohen Sprungturm spähen wir in eine schier bodenlose Tiefe, auf die aus dem Meerblau emporragenden Felsnadeln und über die schroffen Klippen des Kaps.
Spätnachmittags trudeln wir wieder auf dem Campingplatz ein, mit angeblich über 4000 Treppenstufen in den Beinen. Mitgezählt haben wir nicht – unsere Batterien sind nach der fünfstündigen Wanderung jedenfalls leer. Im eigenen Saft badend, lechzen wir nach einer Dusche. Doch die Annehmlichkeiten sind in diesem abgelegenen Winkel auf ein Plumpsklo begrenzt und somit müssen wir mit einer Katzenwäsche Vorlieb nehmen. Es ist noch hell, als wir uns müde ins Bett legen, und von unserem Schlafzimmerfenster den Meerblick geniessen, bevor uns die Augen zufallen. Die Dunkelheit fängt uns im tasmanischen Frühsommer erst gegen neun Uhr ein – das ist wunderbar!
Frühstück mit Kängurus. Mehrere Beuteltiere hoppeln über den Campingplatz, grasen ständig, obwohl der Waldboden nicht viel hergibt. Die kleinen Kängurus zeigen nur wenig Scheu, beschnuppern Rolands Kamera neugierig. Eines hütet ein Jungtier in seiner Tasche. Das winzige Köpfchen lugt hin und wieder heraus, bevor es sich wieder vollständig im Fell verdrückt. Zuckersüss, wir sind entzückt.
Bevor wir die Tasman-Halbinsel über den schmalen historischen Eaglehawk Neck mit seiner berüchtigten „Dogline“ verlassen, bieten sich noch ein paar Fotostopps an. Auf einer kurzen Wanderung entlang der Ostküste warten verschiedene Blickwinkel auf die bizarre Steilküste auf. Das Meer schäumt wild und eine Biese weht uns um die Ohren. Das „Tessellated Pavement“ gewährt wundervolle Motive. Das Pflastersteinmuster wurde im Laufe der Jahrmillionen von Gischt und Wind geschaffen. Derweilen Roland die mosaikartigen Felsplatten beschwingt ablichtet, ruhe ich mich im Schatten aus und lausche der Melodie des wellenden Ozeans.
Eine mit Kurven gesegnete Strasse lotst uns in höhere Gefilde, welche uns zauberhafte Blicke auf die Pirates Bay gewähren. Der Sand blitzt schneeweiss, das Wasser schimmert grünblau. Dahinter beeindruckt die zerfurchte Küstenlinie, die sich in der Weite am milchigen Horizont verliert. Ein reizendes Plätzchen für eine Verschnaufpause. Die windgeschützte Essstube des Fahrzeugs optimal ausgerichtet, munden unsere Köstlichkeiten doppelt so lecker. Die ersten Bissen verschlungen, macht ein anbrausender Buslenker unser mittägliches Glück zunichte. „Ein zweiter Bus folgt in Kürze“, verscheucht er uns vom vermeintlichen Pannenstreifen. Ernüchtert tuckern wir auf den Parkplatz in der hinteren Reihe, wo kein Ausblick auf die halbmondförmig geschwungene Bucht inklusive ist. Der Bus mittlerweile abgerauscht, ein zweiter nie angekommen. Der Fahrer tickt offenbar nicht nach dem australischen Lebensmotto „no worries“, seine Gelassenheit ist – zumindest heute – irgendwo auf der Strecke geblieben…
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