Stimmungsvolles Palm Valley
Fette Regentropfen plumpsen auf unser Camperdach. Gähnend drehen wir uns noch einmal im Bett. Mit gutem Gewissen können wir unseren Schlummer noch etwas ausdehnen. Unter dem grauen Wolkendach setzen wir unsere Reise spätmorgens entlang dem Red Centre Way fort, der vom Kings Canyon auf einer Nebenstrecke nach Alice Springs führt. Eine Abkürzung sozusagen. Vorbei an zahlreichen Naturschönheiten und den Schluchten der MacDonnell Ranges. Der erste Abschnitt, der Mereenie Loop, bildet eine grosszügige, staubige Schleife nach Norden. Da diese Strecke durch Aboriginal Land führt, benötigen wir ein Permit, das wir jedoch an der Tankstelle im Handumdrehen für ein paar Dollar erstehen können.
Auf der landschaftlich reizvollen Strecke begleiten lieblich geschwungene Hügelzüge unsere holprige Fahrt. Der Broschüre, die wir mit dem Erwerb der Bewilligung erhalten haben, entnehme ich, dass mit dem bezahlten Betrag unter anderem in unsere Sicherheit investiert werde. Was damit auch immer gemeint ist, die Schotterpiste jedenfalls ist in einem schlechten Zustand. Unser Landcruiser vibriert und scheppert, manchmal verstehen wir das Wort des anderen nicht mehr. Immer wieder überraschen uns tiefe Furchen und grobe Steine. Zahllose Bodenwellen schütteln uns kräftig durch – je nach Zeitpunkt der letzten Begradigung tragen sie jeweils etwas dicker oder weniger dick auf.
Nach rund 200 Kilometern schwenken wir kurz vor Hermannsburg nach Süden in den Finke Gorge Nationalpark ab. Es sei eines der schönsten australischen Naturschutzgebiete, mit dem Palm Valley als absolutes Highlight, frohlockt unser Reisehandbuch. Noch sind es 18 Kilometer bis zum Campingplatz und weitere vier bis ins Palm Valley. Das Strassenschild macht uns stutzig: „Allow 3 hours“. Zwar wissen wir, dass die unbefestigte Strasse rau ist, doch mit drei Stunden haben wir bei weitem nicht gerechnet. Verunsichert erkundigen wir uns bei einem älteren Paar, das soeben aus dem Park kommt. Die sympathischen Australier empfehlen uns, wegen tiefsandigen Stellen etwas Luft aus den Reifen abzulassen. Die veranschlagte Zeit jedoch entpuppt sich als Mindestangabe für Hin- und Rückfahrt inklusive kurzer Erkundungstour. Wir sind beruhigt…
Die Zufahrt zum Park folgt Kiespisten und dem ausgetrockneten Bett des Finke River. Mehrere Male queren wir das Flussbett. Unser Vehikel schnaubt durch den losen Sand, lässt uns aber glücklicherweise nicht im Stich. Bizarre Felsschluchten und ausgedörrtes Wüstengras bestechen die bezaubernde Gegend. Nach einer Dreiviertelstunde erreichen wir den kleinen Campingplatz, den nur wenige Leute bevölkern. Der Fleck verströmt eine friedliche Atmosphäre und wir ergattern sogar einen Spot mit freiem Blick in die Weite, auf das wunderbare Panorama der uralten Finke Gorge.
Ein magisches Abendlicht taucht die von dunklen Gewitterwolken eingerahmten Felswände in glühendes Rot. Eine stimmungsgeladene Szenerie, wir sind hin und weg. Auch als sich der Sonnenball längst verabschiedet hat, kühlt die Luft kaum ab – über uns wärmt eine Wolkendecke. Ein lauer Abend lullt uns ein, keine Selbstverständlichkeit im wüstenhaften Outback. Die dunkle Nacht hereingebrochen, sind auch die lästigen Fliegen schlagartig verschwunden, nicht einmal Insekten umschwirren heute unsere Camping- oder Stirnlampe. Die Natur fühlt sich für einmal richtig behaglich an. Doch schon bald fallen uns erste Regentropfen gemein auf den Kopf…
Nach dem Frühstück lassen wir alles stehen und liegen. Wir schätzen es ungemein, vom Übernachtungsplatz aus zu Fuss etwas unternehmen zu können, ohne das ganze Nachtlager abbrechen zu müssen. Doch leider bietet sich diese Gelegenheit viel zu selten, umso mehr freuen wir uns heute. Gut gelaunt schnüren wir unsere Wanderschuhe und schustern munter über Stock und Stein. Der Mpaara Track schlängelt sich in einer fünf Kilometer langen Runde zwischen einem stark verwitterten Gesteinsmassiv durch. Riesige Brocken liegen im Gelände verstreut, die irgendwann irgendwo aus dem Felsgebilde gefallen sind. Stets entdecken wir neue Stellen, wo die Erosion schon weit fortgeschritten ist und wir uns fragen, wie lange der beinahe schon frei stehende Klotz dort oben noch standhält.
Die Wanderung durch die herbe Wüstenlandschaft ist eine Augenweide. Rotbraunes bis schwarzes Sandgestein dominiert, gesprenkelt mit gebleichten Grasbüscheln und grünem Gestrüpp. Noch immer präsentiert sich der Himmel vorwiegend bewölkt, doch immerhin finden die Sonnenstrahlen häufig ein Loch und bringen die Farben der dramatischen Felsformationen zur Geltung. Von einem Aussichtspunkt bestaunen wir die sagenhafte Rundumsicht auf dieses natürliche Amphitheater. Nur wir zwei. Keine Plappermäuler. Die Stille behagt uns. Nicht dass wir keine Menschen mögen, aber solch einsame Momente sind etwas ganz besonderes und lassen einem die Natur viel intensiver wahrnehmen.
Am nächsten Morgen machen wir uns ins eigentliche Palm Valley auf. Die schmale Sandpiste wechselt sich mit grobsteinigen, oftmals steilen Abschnitten ab und lenkt uns mehrere Male ins trockene Bachbett des Palm Creek. Mit zwei wachsamen Augenpaaren manövrieren wir das Auto vorsichtig über diese felsigen Passagen mit tiefen Rillen und ausgewaschenen Löchern. Ein Geländewagen mit hoher Bodenfreiheit ist absolute Pflicht. Für uns Ungeübte stellt diese Allradstrecke eine echte Herausforderung dar, doch Roland meistert sie mit Bravour. Die Anfahrt von vier Kilometern beansprucht geschlagene dreissig Minuten. Zu Fuss hätten wir bestimmt nicht viel länger benötigt…
In der urzeitlichen Landschaft des Palm Valley findet sich die weltweit letzte Population der Marienpalme, rund 1000 Kilometer von nächsten Palmen entfernt. Wie eine Fata Morgana aus dem tropischen Norden. Der Eindruck ist nicht so falsch, denn die schlanken Palmen sind ein Überrest der tropischen Vegetation, die hier einst gedieh, als vor ungefähr einer Million Jahren im Zentrum Australiens noch ein feuchtheisses Klima herrschte. Heute stammt das zum Überleben wichtige Wasser von Bergkämmen aus porösem Sandstein, die sich durch stetige Erosion zu einem gewaltigen Wasserspeicher entwickelt haben.
Elegant ragen die Marienpalmen bis zu 25 Meter in den blauen Himmel und machen das enge Tal zu einer Bilderbuchoase. Bei hochsommerlichen Temperaturen stiefeln wir dem schattigen Palm Creek entlang und bewundern die Relikte aus prähistorischer Zeit. Über ein Sandsteinplateau führt die Wanderung in einer grossen Schleife weiter durch stachliges Spinifex-Gras mit fantastischen Weitblicken auf die felsige Umgebung. Das Palmental ist der eigentliche Höhepunkt der Finke-Schlucht und ist hinreissend, allerdings hat uns die gestrige Wanderkulisse etwas mehr in ihren Bann gezogen…
Den Nachmittag geniessen wir auf dem wunderschön in die Landschaft eingebetteten Campingplatz, der eine gute Mischung zwischen wilder Natur und Annehmlichkeiten wie fliessendem Wasser, Toiletten, ja sogar einer warmen Dusche bietet. Und das alles für umgerechnet lediglich zehn Franken pro Nacht für uns zwei – ein exzellentes Preis-Leistungs-Verhältnis, vor allem auch im Vergleich zu Plätzen in anderen Nationalparks. Da zahlt man doppelt so viel, kriegt aber nur halb so viel… Gegen Abend juckt es uns nochmals in den Füssen und zieht uns ein weiteres Mal zu einem nahegelegenen Aussichtspunkt. Der Lichterball steht schon tief, die Felswände des uns umkreisenden Amphitheaters schimmern in warmen Rottönen. Zerzauste Wölkchen beglücken uns mit einen stimmungsvollen Sonnenuntergang. Ein faszinierendes Schauspiel – wir lieben es, wenn neckische Wolken für eine wuchtige Stimmung sorgen.
Die dritte Nacht im Palm Valley haben wir ganz spontan angehängt, da es uns hier so gut gefällt. In Australien kalkulierten wir für unsere ungefähr abgesteckte Route absichtlich viel Zeit ein, damit wir ohne jeglichen Zeitdruck unterwegs sein und uns treiben lassen können… Heute reissen wir uns aber los, holpern behutsam dieselbe Piste zurück und pumpen mit dem Kompressor unsere Pneus wieder auf. Im nahegelegenen Hermannsburg gedenken wir noch ein paar Lebensmittel aufzustocken. Früher eine Missionsstation, heute ein kleines Dorf, wo es gleich zwei Supermärkte gibt. Von „super“ ist allerdings nicht viel zu sehen, das Sortiment ist ernüchternd. Gemüse und Früchte sind schrumpelig, in den halbleeren Regalen stehen vorwiegend Konservendosen. Ein aufgeschlossener Angestellter spricht sogar ein paar Brocken Deutsch. „Komm, ich dir zweigen was!“, lockt er uns zur Tiefkühltruhe. Skeptisch beäugen wir die langen Känguruhschwänze, begnügen uns aber lieber mit etwas Schinken und schlaffem weissen Toastbrot.
Auf Achse zurück nach Westen, weiter entlang dem Red Centre Way, wo sich bald die steilen Felswände des Gosse Bluff abrupt aus einer öden Ebene erheben. Der grosse Krater entstand vor schätzungsweise 140 Millionen Jahren durch den Einschlag eines Kometen. Ein kurzer Aufstieg bringt uns zu einem Aussichtspunkt, von wo wir die Dimensionen des verwitterten Kraters mit seinem Durchmesser von fünf Kilometern besser ausmachen können… Mittlerweile gleiten wir auf Asphalt, über den Tyler Pass nach Norden. Im mehrheitlich flachen Australien verdienen eine Handvoll schwach ansteigender Kurven offensichtlich bereits die Bezeichnung „Pass“, was uns ein Schmunzeln entlockt. Nun ist die erste Schlucht der verwitterten West MacDonnell Ranges nicht mehr fern…
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