Südwärts nach Malaysia
Aufgebracht streckt mir Roland sein Smartphone unter die Nase und erschreckt mich mit folgender Schlagzeile: Erneuter Anschlag in Thailand – ein Toter und 30 Verletzte nach Bombenexplosion bei Hotel in Pattani. Ich bin platt. In unseren Köpfen kreisen die Gedanken in einer Endlosschlaufe. Sollen wir die Weiterreise wie gebucht antreten oder nicht? Erst gestern statteten wir einem der vielen Reisebüros auf Koh Samui einen Besuch ab. Rasch und kompetent reservierte uns die gut gelaunte Frau mit dem ansteckenden Lachen die gewünschten Fahrkarten. Die Fähre soll uns auf das Festland nach Surat Thani und der Zug weiter bis an die Grenze zu Malaysia transportieren…
Die Zugstrecke führt durch die mehrheitlich muslimischen Provinzen im Süden, die seit Jahren Schauplatz eines erbitterten Kampfes zwischen islamischen Rebellen und der Regierung des buddhistisch dominierten Thailands darstellen – dabei fliesst fast täglich Blut. Wie gestern in Pattani, das mitten auf der besagten Eisenbahnroute liegt… Diese Südregion gehörte jahrhundertelang zum unabhängigen muslimischen Sultanat Pattani und zählt erst seit 1902 zu Thailand. Viele dort lebende Muslime fühlen sich als Bürger zweiter Klasse behandelt. Die Aufständischen kämpfen von mehr Mitbestimmung bis Unabhängigkeit und überfallen Polizeistationen, zünden Autobomben und feuern mit Maschinengewehren auf Geschäfte oder öffentliche Einrichtungen. Gewalt ist in den Südprovinzen altbekannt – der Konflikt ist im Jahre 2004 neu aufgeflammt und kostete Schätzungen zufolge bis heute etwa 6000 Menschenleben. Unbemerkt von der Welt tobt in Thailand einer der tödlichsten Konflikte Südostasiens, den die Regierung bis heute nicht in den Griff bekommt.
Viel Bedenkzeit bleibt uns nicht, die Weiterreise ist für übermorgen angesagt. Wir fühlen uns hin und her gerissen, ziehen in Erwägung nach Malaysia zu fliegen, was aber nur um sieben Ecken möglich wäre. Diese Idee begeistert uns wenig, eigentlich möchten wir auch nicht schon wieder in ein Flugzeug steigen. Mit dem Wissen, dass sich im Strassenverkehr ein Vielfaches an Unfällen sowie Todesfällen ereignet und das Risiko, von einer Kokosnuss erschlagen zu werden, vielleicht auch grösser ist, fassen wir den Entschluss, wie geplant zu reisen.
Das Fährticket beinhaltet einen Abholservice von unserem Resort. Endlich auch die restlichen Passagiere eingesammelt, umrunden wir die halbe Insel und können vom weniger touristischen Süden noch ein paar Blicke erhaschen. Pünktlich legt die Autofähre nachmittags vom Hafen in Nathon, dem Inselhauptort, ab. Der grosse Kahn liegt seelenruhig im Wasser und tuckert ohne Schwanken in den weiten Ozean hinaus. Diesmal habe ich die “Kotztablette”, wie ich die Pillen gegen Reisekrankheit nenne, vergebens eingeworfen… Eineinhalb Stunden später spüren wir nach knapp drei Inselwochen wieder Festland unter den Füssen. Alles ist bequem durchorganisiert – am Anleger in Donsak warten bereits verschiedene Zubringerbusse. Wir werden in das klapprige Modell “Bahnhof” dirigiert, das mit letzter Kraft nach Surat Thani keucht und uns beim Restaurant vom Reiseveranstalter gegenüber des Bahnhofes wieder ausspuckt. Ein letztes thailändisches Mahl, doch die Gaumenfreude ist getrübt, denn das Kokosnussmilch-Curry schmeckt leider nicht sehr authentisch. In der wässrigen Brühe schwimmen keine exotischen Thai-Auberginen und süsser Basilikum, sondern nur Karotten, Blumenkohl und Broccoli …
Nun gilt es, sechs Stunden zu vertreiben – unser Zug fährt erst nach Mitternacht. Rund um uns warten viele weitere Rucksackreisende auf den Zug, irgendeinen Zug. Je fortgeschrittener der Abend, desto verwaister das Lokal, bis um elf Uhr nur wir zwei übrig bleiben. Alle anderen sind somit in einen Zug nach Bangkok gestiegen, nur wir zwei Verrückte wagen die Fahrt in den bösen Süden. “Ist die Reise zu gewagt?”, frage ich mich im Stillen. Endlich ist es soweit und müde schleppen wir uns zum Bahnsteig. Doch der Zug hat Verspätung, aus einer prophezeiten Stunde werden deren zwei. Rührend kümmert sich ein Bahnangestellter um uns, gibt Acht, dass wir in den richtigen Zug einsteigen und weist uns gutherzig zum entsprechenden Wagon. Alles schläft, und schnarcht, die meisten Betten sind bereits belegt. Auch wir versuchen, etwas Energie zu tanken, doch als uns das monotone Rattern endlich einlullt, blendet uns schon bald das Morgengrauen.
Hat Yai. Lange steht der Zug im Bahnhof still, bis er Punkt Acht, genau mit der aus den Lautsprechern ertönenden Nationalhymne Thailands, wieder losfährt. Alle Menschen auf dem Perron stehen still, halten kurz inne, bis die Klänge verstummen. Bewaffnete Militärmänner patrouillieren regelmässig durch die Wagen. Ein mulmiges Gefühl überkommt mich, bete die Fahrt durch die muslimisch geprägten Provinzen möge sicher und bombenfrei verlaufen. Roland hingegen blickt dem Süden gelassener entgegen… Munter wie ein Gummiball hüpft der Zug in seinem Schienenbett auf und ab. Pattani. Ich versuche zu verdrängen, was hier Trauriges vor wenigen Tagen geschah. Die Gegend ist nicht sehr dicht besiedelt, oft zieht eine unberührte Dschungellandschaft an uns vorbei. Sungai Kolok. Wir atmen auf, die Endstation ist erreicht. Flink verlassen wir das Bahnhofareal, schnappen uns nach kurzem Zögern zwei Motorradtaxis – Autotaxis stehen zu meinem Unmut keine bereit. Wenige Atemzüge später klettern wir erleichtert am Grenzposten vom Sitz. Wir sind weit und breit die einzigen Touristen, zumindest westlicher Art. Früher war dies ein beliebter Grenzübergang für Backpacker, der heute aber offensichtlich eher gemieden wird, bestimmt nicht zu Unrecht.
Der lustige Grenzbeamte verabschiedet uns trotz langer Warteschlange im Rücken mit einem netten Wortwechsel, ist aufgelegt zu einem Spässchen. Ein paar Schritte durchs Niemandsland, am Einreiseschalter wartet niemand. Weder Anstehen, noch ein Formular muss ausgefüllt werden, unkompliziert und schnell sind wir durch. Etwas verloren stehen wir in Malaysia und fragen uns durch zur Bushaltestelle von Rantau Panjang, wo dann aber nur Taxis warten. Noch 40 Kilometer südwärts trennen uns von unserem Ziel, der nächsten Stadt Kota Bharu. Wir erwischen wieder einmal ein Fahrer der üblen Sorte, der sich als König der Strassen wähnt. Er rast was das Zeug hält, beansprucht trotz hohem Verkehrsaufkommen auch noch ständig die Gegenfahrbahn und überholt wie ein Bekloppter. Mit seinem wagemutigen Fahrstil stellt er bestimmt das grösste Risiko dieser Reiseetappe dar… Nach über 27 Stunden auf Achse fallen wir erschöpft ins Hotelbett und sind heilfroh, unbeschadet in Malaysia eingetroffen zu sein.
Unsanft reisst uns der göttliche Wecker am nächsten Morgen aus den Träumen. In aller Herrgottsfrühe schallen die Rufe der Muezzins durch die Dunkelheit, bis hinein in unser Schlafgemach. Unverkennbar, wieder in muslimische Gefilde gelangt zu sein… Auch in den Strassen ist der Islam allgegenwärtig. Fast alle Frauen zeigen sich trotz hohen Temperaturen bedeckt, hüllen sich in lange Kleidung und verstecken sich unter einem Kopfschleier – keine Haarsträhne lugt hervor. Die Suche nach einem neuen Bikini gestaltet sich aussichtslos, obwohl die Auswahl im Warenhaus nicht zu verachten ist. Doch anstelle knapper Ober- und Unterteile, ist der Stoff der meisten Modelle in unserem Sinne viel zu grosszügig bemessen. Der islamische Stil in Form von langen Hosen, Oberteilen und Röcken, manchmal sogar mit integriertem Kopftuch, behagen mir nicht. Bald geben wir auf und schieben den Kauf ein weiteres Mal hinaus…
Kota Bharu liegt an der Ostküste, ganz im Norden des Landes. Mehr als an der Westküste, wo viele Chinesen und Inder beheimatet sind, prägen die muslimischen Malaien diese Region. Das Zentrum der grossen Stadt ist gut überschaubar, jedoch nicht sehr fussgängerfreundlich. Kaum eine Ampel stoppt uns den vorbeibrausenden Verkehr, sind Gehsteige vorhanden, sind sie oft durch hohe Stufen unterbrochen oder geparkte Autos und Mopeds versperren den Weg. Wir schlendern durch den Pasar Besar, den grossen Markt, dessen Geschehen sich in einer mehrstöckigen Halle abspielt. Von der Galerie der ersten Etage beobachten wir, wie im Erdgeschoss Obst und Gemüse ihre Besitzer wechseln. Die Marktfrauen sitzen im Schneidersitz inmitten ihres reichhaltigen Angebots. Es ist feuchtheiss wie in einem Treibhaus, aus unseren Poren perlt der Schweiss. Gewürze mögen den ekligen Geruch von Fleisch und Fisch, der in der ganzen Verkaufshalle festhängt, nicht überdecken. Trotzdem verharren wir eine Weile, verfolgen gebannt das farbige Marktspektakel.
Die Stadt ist nicht aufregend, doch die Menschen auffallend freundlich. Für uns lediglich ein Zwischenstopp auf dem Weg zur nächsten Insel, schustern wir nach zwei Nächten mit Sack und Pack zur Busstation. Der nächste Bus fahre erst um elf Uhr, was noch weit über eine Stunde dauert. Kurzentschlossen steigen wir in ein Taxi, das sich durch die verstopften Strassen von Kota Bharu kämpft. Endlich aus der Stadt raus, kurvt uns der Fahrer südwärts durch beschauliche Dörfer in grün wuchernder Umgebung. Nach einer Stunde erreichen wir den Küstenort Kuala Besut und steuern zielstrebig den Hafen an. Im Handumdrehen sind wir Besitzer eines Tickets für den Wellenritt nach Pulau Perhentian…
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