Über Erongo zur Spitzkoppe
Nach vier Tagen verlassen wir Windhoek. Die Stadt wirkt ausgestorben, am Weihnachtstag fliesst nur wenig Verkehr. Wir schlagen den Weg Richtung Norden ein, freuen uns auf einen neuen Fleck draussen in der Natur. In Okahandja schwenken wir nach Westen ab und erreichen nach drei Stunden eintöniger Fahrt Usakos, ein kleiner Ort am Rande des Erongo-Gebirges.
Eine staubige Schotterstrasse führt rund um das Erongo-Massiv, welches einen beachtlichen Durchmesser von 40 Kilometern aufweist. Die gesamte Fahrt begleitet uns der Blick auf die Granitberge, die bis zu 1000 Meter über die Ebene hinausragen – die höchste Erhebung misst 2320 Meter. Die Berghänge sind mit Bäumen bewachsen und wirken aus der Ferne wie grün gepunktet. Der erste Camping, den wir ansteuern, ist wegen Renovation leider geschlossen. Dies bedeutet zwei weitere Stunden Schotterpistenfahrt, denn Campingplätze sind in diesem Gebiet erstaunlicherweise dünn gesät.
Am frühen Abend erreichen wir das kleine Erongo Plateau Camp, von wo sich ein wunderbarer Ausblick hinab in die weite Ebene offenbart. Die vier durch Büsche voneinander abgeschirmten Stellplätze sind grosszügig angelegt. Ein Dach schützt vor Sonne und Regen, was ungemein wertvoll ist. Das stille Örtchen ist liebevoll mit Kerzenlicht versehen, Strom gibt es keinen. Die Farmbesitzer haben hier ein wirklich schönes Plätzchen geschaffen. Unser Blick schweift immer wieder zum nahen, kleinen Wassertümpel, wo einmal eine Herde Zebras, dann ein paar Kudus ihren Durst löschen, bevor die Stille der Nacht einbricht.
Auf steinigen Wegen erkunden wir die hügeligen Ausläufer der Erongo-Berge. Begleitet von Vogelgezwitscher geniessen wir die Morgenstunden – wie friedlich es hier ist. Josef erwartet uns bereits, als wir gegen Mittag verschwitzt heimkehren. Soeben haben wir uns entschieden, noch eine Nacht anzuhängen und teilen dies dem sympathischen Schwarzafrikaner mit. Josefs nackte Füsse stecken in viel zu grossen Schuhen, sein Körper in einem dunkelgrünen Arbeitsanzug. Er spricht nur wenige Brocken Englisch und kann nicht schreiben, macht dies aber mit seiner Herzlichkeit wett. Wir kaufen ihm einen Bund Feuerholz ab. Ich helfe ihm, die Münzen nachzuzählen. „To much“, stellt er schlussendlich fest. Ich weiss – die übrigen Dollar sind für Josef gedacht. Ein Lächeln huscht über sein Gesicht. Er scheint sich mächtig zu freuen – singend zieht er leichtfüssig davon.
Auf dem Weg zu unserem nächsten Ziel beherrscht immer und überall das Erongo-Massiv den Blick. Omanduma, eine weitere Gästefarm am Fusse der Berge, liegt nicht weit. Pia und Felix, unsere Bekannten aus der Schweiz, erwarten uns bereits. Wir teilen uns den idyllischen, kaum als Campingplatz zu bezeichnenden Fleck unversehrte Natur – zu viert allein. Im Freiluftbadezimmer findet sich eine Dusche und ein Klo inmitten riesiger Felsblöcke. Wir brüten über der Landkarte, schmieden gemeinsame Reisepläne und stossen gebührend auf die kommende gemeinsame Zeit an. Die nächsten Wochen werden wir voraussichtlich zusammen unterwegs sein. Der Plan ist, weiter nordwärts zu ziehen und das abgelegene, raue Kaokoveld im Nordwesten des Landes zu besuchen, welches aus Sicherheitsgründen besser mit zwei Fahrzeugen bereist wird.
Hinter uns ragen skurrile Granitformationen auf. Die abgeschliffenen Felsbrocken jeglicher Form und Grösse leuchten im Sonnenlicht rötlich. Im erodierten Gestein blitzen eingeschlossene schwarze oder durchsichtige Kristalle. Markierte Wanderwege gibt es hier nicht, wir suchen uns selber eine geeignete Route für den Aufstieg. Manchmal lassen uns stachelige Büsche oder hohe, unbezwingbare Felsen in einer Sackgasse enden. Wir legen den Geländegang ein – alle Viere sind nötig. Nach zwei Stunden erreichen wir schlussendlich über meterlange, raue Felsrücken einen Aussichtspunkt, von wo sich ein wunderbarer Blick über die malerischen Erongo-Berge bietet. In der Ferne lässt sich die aus der Ebene herausragende Spitzkoppe erblicken – unser nächstes Ziel.
Dunkle Regenwolken ziehen am Himmel auf, versprechen bestimmt eine Abkühlung. Die Stimmung ist fantastisch. Bald schüttet es aber in Strömen und scheint sich so schnell nicht auszuregnen. Pia und Felix gewähren uns Asyl unter ihrem ausziehbaren Dach – eine Einrichtung, worüber wir mit unserem Schönwetterfahrzeug sehr dankbar sind. Seit einer Woche begrüsst uns fast täglich ein Regenguss. Die Regenzeit scheint im Anmarsch… Normalerweise dauert die feuchtere Zeit von Dezember bis April, wobei sich der Niederschlag in vielen Gebieten Namibias in Grenzen hält oder es sogar jahrelang nicht regnet.
Was ist denn jetzt los? Hinter uns in der Felsarena machen zwei Paviane Radau, sind sich wohl in die Haare geraten. Der eine macht sich aus dem Staub, der andere tigert hin und her, brüllt lautstark. Wir greifen zum Fernglas. Sein dunkles Fell ist blutverschmiert, am Maul klafft eine lange Wunde, legt seine spitzen, gefährlichen Zähne frei. Auch am Oberarm fehlt ein Stück Fleisch. Hoffentlich steigt der riesige Affe nicht vom Fels runter, denn verwundete Tiere sind oft unberechenbar. Dann endlich, der Kerl haut ab… Am nächsten Morgen meint Harald, der deutschstämmige Besitzer der Gästefarm: „Die Verletzung stammt kaum von einem anderen Pavian, sondern eher vom Leoparden, der dort oben in der Felswelt daheim ist.“ Ein kalter Schauer überzieht meinen Rücken…
Auf dem Weg zur Spitzkoppe legen wir im nahegelegenen „Lebenden Museum“ der San einen Stopp ein. Sie gelten als Ureinwohner Namibias und sind auch unter der Bezeichnung Buschmänner bekannt. Über Jahrhunderte haben sie bewiesen, wie man von der Natur leben kann, ohne sie zu zerstören. Mit zunehmender Besiedlung wurden die als Nomaden umherziehenden San in ihrem Lebensraum immer mehr eingeschränkt. Das am meisten verdrängte und bedrohte Volk im Land ist in seiner Existenz stark bedroht. Es leben nur noch ungefähr zehn Prozent als Jäger und Sammler, die meisten arbeiten heute auf Farmen.
Freundlich werden wir von einem kleinen, zierlichen Mann mit Lendenschurz begrüsst. Der feingliedrige Körperbau ist charakteristisch, die Haare wachsen in kleinen, krausen Büscheln. Ihre Sprache mit den verschiedenen Schnalz- und Klicklauten tönt in unseren Ohren speziell. Die Frauen – nackt bis auf einen kurzen Schurz aus Leder – fertigen in mühseliger Handarbeit Schmuck aus der harten, dicken Schale eines Strausseneis. Die Jagd ist den Männern vorbehalten. Tiere werden nicht nur mit Pfeil und Bogen erlegt, auch werden fiese Fallgruben mit Schlingen gestellt. Die erlegten Antilopen werden nicht nur als Nahrung genutzt, sondern auch für die Herstellung von Kleidern, Taschen und Decken. Um ein Feuer zu entfachen werden zwei dünne Äste so lange aneinander gerieben, bis ein Büschel trockenes Gras zu glühen beginnt. Es ist spannend, einen Einblick in das uns so fremde Leben dieses Buschvolkes zu erhalten. Als krönender Abschluss wird der Giraffentanz aufgeführt, dieser soll eine erfolgreiche Jagd heraufbeschwören.
Die Spitzkoppe ist ein Granit-Inselberg mit einer Höhe von 1728 Metern. Das Gebirge ragt etwa 800 Meter über das ansonsten topfebene Gebiet hinaus. Ihre Form hat der Spitzkoppe auch den Namen „Matterhorn Namibias“ beschert. Fahrspuren ziehen sich in einem verwirrenden Netz kreuz und quer um die Berge, hinter jeder Kurve verändert sich die Ansicht der Felsen. Die Stellplätze sind in grossen Abständen in den Nischen der Felswände verteilt und bieten viel Platz und Privatsphäre. Es mutet fast wie wildes Campieren an, wäre da nicht ein Plumsklo. Auf eine erfrischende Dusche müssen wir aber vorerst verzichten…
Die Männer lassen ihren Blick in die Höhe schweifen und versuchen, einen geeigneten Weg für den Aufstieg auszumachen. Über spitze Felsbrocken und loses Geröll schaffen wir uns langsam Meter für Meter in die Höhe. Trotz Bewölkung rinnt der Schweiss in Strömen. „Wir schmoren im eigenen Saft“, bringt es Pia auf den Punkt. Aber wir sind uns einig, dass sich die Strapazen lohnen. Ein Glück auch, dass wir alle liebend gern zu Fuss unterwegs sind, ähnliche Interessen und denselben Reiserhythmus haben. Das ist nicht selbstverständlich, denn im Vorfeld kannten wir uns nur flüchtig vom Geländefahrkurs vergangenen Sommers.
Die Rundumsicht von oben ist atemberaubend. Die sandbraunen Granitformationen sind äusserst fotogen und leuchten in der untergehenden Sonne glutrot. Mal ist der Boden mit kugelrunden Riesenbällen bedeckt, mal balancieren mächtige Granitblöcke über tiefen Kluften, als drohten sie, jeden Augenblick hinabzustürzen. Der Weitblick in die flache Ebene präsentiert sich von gelb bis rot in feinsten Farbabstufungen – eine Augenweide.
Ein heftiger Wolkenbruch beschert uns kühles Nass – das ausgetrocknete Land und die lokale Bevölkerung machen Freudentänze, wir weniger. Wieder einmal sitzen wir unter dem schützenden Camper-Vordach unserer Freunde und harren der Dinge. Es sammelt sich soviel Wasser auf dem Dach, dass wir beschliessen, es in unseren Kochtöpfen aufzufangen. Innert Kürze sammeln wir etwa 50 Liter, unsere Wasserkanister und Beutel sind randvoll. Das kostbare Gut nutzen wir später, um den klebrigen Schweiss zweier Tage endlich abzuduschen – wie gut das tut. Weniger erfreuen uns die stets wiederkehrenden Regengüsse, die bis am nächsten Morgen anhalten…
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