Über Ruteng nach Labuan Bajo
Auf der Rückbank krächzt ein Gockel. Sein Besitzer hält dem aufgebrachten Federvieh die Beine zusammen und versucht es zu besänftigen. Ausser den beiden sind weitere vier Passagiere an Bord – nebst uns zwei noch eine Nonne und der deutsche Jens, den wir im Homestay in Bajawa kennengelernt haben. Dort wurde uns dieses Sammeltaxi vermittelt, dass uns drei Touristen pünktlich abholte. Doch nun am zentralen Abfahrtsort ist Warten angesagt. Für unser Gepäck ist kein Platz im Minivan, der Fahrer hievt die Rucksäcke aufs Dach. Lediglich mit einer dünnen Schnur
bindet er alles fest, über einen Gepäckträger verfügt er nicht. Rolands Blick verrät Skepsis – ob das nur hält? Doch auch der Chauffeur traut seiner Dachladung nicht, lenkt sein Auto im Schneckentempo übervorsichtig um die zahlreichen engen Kurven. Nach einer Probezeit und erneutem Festzurren legt er an Tempo zu und wir kommen glücklicherweise zügiger voran. Vier Stunden später erreichen wir mittags Ruteng, wo uns der Fahrer direkt vor der gewählten Unterkunft absetzt. Ein Tür-zu-Tür-Service wie dieser erweist sich als äusserst praktisch und spart uns ein Taxi zum oder vom Busbahnhof…
Die Kleinstadt Ruteng liegt westlich von Bajawa, von Reisfeldern umgeben auf rund 1100 Metern am Fusse eines Vulkans. Wir nisten uns unter Nonnen ein. Das Schwesternheim verfügt über ein kleines Hotel. Die Hausregeln sind streng, doch die Zimmer sauber – es gilt Rauchverbot, ab neun abends herrscht Ausgangssperre, das Frühstück wird nur zwischen sechs und halb acht serviert und
bei Abreise muss das Zimmer spätestens morgens um neun geräumt sein… Hundemüde werfen wir uns trotz Hunger erst aufs Bett und gönnen uns eine Siesta, was sich als Fehler herausstellt. Es schüttet später wie aus Kübeln, was uns für eine Weile den Gang in ein Restaurant verwehrt. Aber wir sind erleichtert, nicht mehr im Sammeltaxi unterwegs zu sein – unser Gepäck auf dem Dach wäre in Windeseile völlig durchnässt…
Vor der Hoteltüre lauern Jungs, die uns sofort die Hand schütteln und sich vorstellen. Sie möchten ihr Englisch praktizieren und heften sich dicht an unsere Fersen. Das passiert nicht nur vor der Unterkunft, sondern überall im Stadtzentrum. Mädchen kramen ein Heft aus ihrer Tasche und bitten, uns mit Name und Herkunftsland einzutragen. “Von der Schule aus müssen wir von 300 Ausländern Unterschriften sammeln”, erklärt uns eine Schülerin eifrig. Die meisten wollen uns auf eine etwas unangenehm aufdringliche Art in ein Gespräch verwickeln. Es wird uns bald zuviel und wir schütteln die Kinder mit schlechtem Gewissen ab… Mittlerweile ist Dunkelheit über die unspektakuläre Stadt eingebrochen. Zwar säumen Strassenlaternen die breite Fahrbahn, leuchten jedoch nicht. Der Gehsteig ist von hohen Absätzen unterbrochen und mit Löchern übersät, ganze Betonplatten fehlen und darunter verläuft ein tiefer Schacht. Angespannt bewältigen wir unseren düsteren Heimweg, hochkonzentriert, dass uns keine der schwarzen Lücken versehentlich verschlucken. Vielleicht liegt ja darin die Begründung des nächtlichen Ausgehverbotes der Nonnen…
Das Bemo ist bereits voll, als wir am Busbahnhof zusteigen. Alle rücken etwas näher zusammen, damit sich unsere Hintern dazwischenpressen lassen. Ein paar ältere Männer mit tiefen Falten im Gesicht und muslimischer Kappe auf dem Kopf mustern uns neugierig. Einer der Herren spricht uns auf Indonesisch an. Bedauernd schütteln wir den Kopf, geben ihm zu verstehen, dass wir seine Sprache leider nicht sprechen. Die Schulmädchen im Minibus trauen sich offensichtlich nicht, zu übersetzen. Junge Männer zünden sich eine Zigarette an. Fast überall in Indonesien ist das Rauchen erlaubt – ausser bei den Nonnen. Der Abfall fliegt in hohem Bogen durchs Fenster, auch das ist hier leider an der Tagesordnung. Eine Viertelstunde später opfert sich endlich ein Junge: “Where do you come from?” Unsere Antwort löst im Bemo ein erneutes Tratschen aus, bestimmt über uns Schweizer. Auch wir amüsieren uns, obwohl wir nichts verstehen…
Zwanzig Kilometer westlich von Ruteng liegt Cancar, das Ziel unseres Ausfluges. Von einem Hügelzug am Rande des Dorfes gewinnen wir eine hervorragende Aussicht über eine weite Ebene mit grün strahlenden Reisfeldern. Der immensen Kraft der Sonne ausgesetzt, arbeiten Bauern in mühseliger Handarbeit auf den Feldern. Nach alter Tradition sind die Reisfelder hier in Form von riesigen
Spinnennetzen angelegt, was einzigartig ist. Warum wurden sie nur in dieser Struktur angelegt? Ganz genau weiss das niemand. Eine Entstehungstheorie besagt, dass das Zentrum des Spinnennetzes der bedeutendste Teil ist und die Einheimischen darum herum das Land je nach Familiengrösse gerecht verteilten. Die von lieblichen Hügeln umrahmte Reisfeldlandschaft bietet jedenfalls einen ungewohnten Anblick – ein wahres Kunstwerk.
Halb acht. Letzte Gelegenheit fürs Frühstück. Unsere Begeisterung hält sich zwar in Grenzen, denn am zweiten Morgen wissen wir schon, was uns erwartet. Abgesehen vom kalten Spiegelei erinnert uns das Stopfmaterial der Nonnen an Krankenkost – Reis, leider auch kalt, Bananen und bleiches schlaffes Toastbrot… Für unsere letzte Reiseetappe auf Flores bot es sich an, einen privaten Shuttle-Bus zu buchen, der uns bequem vor der Haustüre abholt, jedoch kaum mehr kostet wie ein öffentlicher klappriger Bus. Dies ist nicht etwa ein Touristenbus – die restlichen Plätze sind von einheimischen Fahrgästen belegt. Die 130 Kilometer lange Strecke windet sich erneut in zahllosen Kehren durch die stark zerklüftete Gebirgskette, die sich über die gesamte Länge der Insel erstreckt. Nach vier Stunden komfortabler Kurverei erreichen wir am frühen Nachmittag Labuan Bajo.
Das Hafenstädtchen liegt im äussersten Westen der Insel und erstreckt sich entlang einer geschützten, hügeligen Bucht, in der unzählige Fischer- und Ausflugsboote vor Anker liegen. Labuan Bajo hat sich dank den westlich gelegenen Inseln von Komodo mit ihren fantastischen Tauchgründen zu einem Touristenmagnet entwickelt. Auf den Besucherstrom eingestellt, wird fleissig gebaut. Doch schon heute säumen massenhaft Hotels, Restaurants, Läden, Ausflugsagenturen
und Tauchbasen die Hauptstrasse – das Angebot ist unüberschaubar. Wir schlendern etwas weiter – ein penetranter Fischgeruch steigt in unsere Nasen. Um die Ecke liegt der Markt, verkauft wird hier fast ausschliesslich was das Meer hergibt. Oft schneidet uns jedoch nicht ein fischiger Duft den Atem ab, sondern ein beissender Mief von Abwasser und Müll. Der Ort lebt vom Tourismus, ist leider aber verschandelt mit herumliegenden Unrat.
Abfall liegt überall verstreut oder türmt sich zu Bergen auf – in unseren Augen widerlich. Zwar gibt es vereinzelt Mülleimer, welche jedoch meist völlig überquellen. Werden die Kübel einst geleert, modert der grosszügig darum herum verteilte Kehricht weiter vor sich hin. Das Müllproblem ist hier, wie auch in anderen Teilen Indonesiens, leider nicht zu übersehen…
Unsere Unterkunft abseits des quirligen, verschmutzten Geschehens entpuppt sich als regelrechter Glücksgriff. Die Hotelanlage liegt erhöht am Hang, trotzdem sind wir innert wenigen Minuten unten im Zentrum. Von unserem Zimmer wie auch der Veranda bietet sich ein sensationeller Ausblick auf die Bucht mit den vorgelagerten Inseln mit weissen Sandstränden. Sogar vom Swimming Pool lässt sich dieselbe Aussicht geniessen.
Umrundet von tropischen Pflanzen und Blumen baden wir im idyllischen Nass – fühlen uns fast wie in einem botanischen Garten. Abends senkt sich die Sonne genau in unserem Blickwinkel. Der Himmel verfärbt sich von orange bis rot, das hinreissende Farbspektakel hält meist lange an. Wenn die dunkle Nacht einbricht, machen unsere beiden Haustiere laut auf sich aufmerksam. Zwei etwa fünfzehn Zentimeter lange, gepunktete Geckos verharren an den Deckenbalken unserer Veranda, warten erstarrt, bis ihnen ihr Mücken-Mahl zugeflogen kommt…
Uns fliegt das Essen zwar nicht zu, doch die Auswahl ist gross und abwechslungsreich. Da sich in Labuan Bajo viele Ausländer niederliessen und ein Business aufzogen, schlägt sich das auch in der Küche nieder. Fast jeden Tag verschlingen wir eine feine Pasta oder knusprige Pizza – wir wähnen uns im italienischen Schlaraffenland… Nach vorgängiger Recherche klappern wir heute eine Handvoll der zahlreichen Tauchbasen ab, um uns auf einen vertrauenswürdig scheinenden Anbieter mit einem grossen Boot und möglichst guter Ausrüstung festzulegen. Schlussendlich entscheiden
wir uns, lassen nebst vorgefundenen Tatsachen auch unser Bauchgefühl walten. Die Anprobe des Neopren-Anzuges verschafft uns im stickigen Laden Schweissausbrüche. Auch draussen ist es meist heiss und schwül. Keine Brise weht und verschafft uns Erleichterung, häufig fühlen wir uns völlig schlaff. Meistens regnet es am späten Nachmittag einmal kurz und heftig, das Unwetter verzieht sich jedoch oft genauso schnell wie es aufgezogen ist… Die steilen Treppenstufen hoch zu unserem Daheim bringen unsere Ausdünstung erneut in Fluss. Oben angelangt stürzen wir uns in die Fluten des kühlen Schwimmbads. Erschöpft blicken wir über den in der Sonne samtblau schimmernden Ozean. Rundum zufrieden freuen wir uns auf unsere bevorstehenden Unterwasserabenteuer…
Kommentare
Über Ruteng nach Labuan Bajo — Keine Kommentare
HTML tags allowed in your comment: <a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <s> <strike> <strong>