Umringt von zackigen Bergkämmen
Heftiger Wind wirbelt über den See, zerzaust wild meine Haare. Der Lake Wanaka ist aufgebracht, Wellen schlagen geräuschvoll am Kiesufer auf. Nach einem kurzen Streifzug flüchten wir in unseren Campervan zurück, spachteln einen Bissen in Geborgenheit. Die Strasse leitet unmittelbar dem Gewässer entlang, das sich malerisch in die Gebirgszüge einbettet. Gelbes Gras überzieht die baumlosen Hänge, zackige Berggipfel ragen in den wolkigen Himmel.
Wanaka ist ein überschaubares Städtchen am Südufer des Sees. Unser Reisehandbuch liess uns im Glauben, einen ruhigen Ferienort vorzufinden, dessen Beschaulichkeit lediglich im Winter aus den Fugen gerät, wenn Pistenfreunde in Scharen einfallen. Doch auch jetzt im Sommer ist viel los, eine Parklücke zu finden ist keine Leichtigkeit. Im Supermarkt herrscht Hochbetrieb, es geht zu und her wie in einem Bienenhaus. Mit vollen Einkaufstüten und brummendem Schädel eilen wir aus dem Gewusel, lassen uns an der Glendhu Bay, einige Kilometer ausserhalb an einem weitläufigen Campingspot nieder. Von Bergzügen umringt, lassen wir den luftigen Abend ausklingen.
Schon als wir losmarschieren ist der Gipfel auszumachen. Unser Ziel scheint nah, doch der Schein trügt. „Roy’s Peak – 16 Kilometer hin und zurück, 6 Stunden, 1100 Meter Anstieg“, steht auf dem Schild, das den Beginn des Wanderwegs markiert. Die Angaben im Hinterkopf und uns bewusst, dass sich der Aufstieg in die Länge ziehen wird, steigen wir steil bergan, über grüne Wiesen mit grasenden Wollknäueln. Ein herrlicher Ausblick auf den blauen Lake Wanaka und die gezackte Bergwelt begleitet uns auf Schritt und Tritt. Mittlerweile säumen gelbe Grasbüschel den staubigen Pfad, Steine liegen im Weg, doch der Gipfel hält sich auf Distanz. Unter vielen Wanderern pusten wir den Berg hoch. Insbesondere junges Volk ist unterwegs – Wanaka ist bei Backpackern beliebt.
Wow, ein neuer Blick tut sich auf. Schneeberge schieben sich vor unsere Sonnenbrillen. Majestätisch ragt der mit Gletschern bedeckte Mount Aspiring mit einer Höhe von 3033 Metern aus seinen Alpenkollegen heraus – der pyramidenförmige Berg wird oft als das „Matterhorn des Südens“ betitelt. Beschwingt meistern wir noch die letzten Meter. Nach drei anstrengenden Stunden stehen wir endlich auf dem herbeigesehnten Gipfel. Der Roy’s Peak thront in 1578 Metern und strotzt mit Aussicht auf die rundherum lungernden Bergflanken und den verwinkelten See. Starken Böen ausgesetzt, erkaltet unser Schweiss in Windeseile, drängen uns fröstelnde Naturen bald abzusteigen. Etwas weiter unten nisten wir uns in eine windgeschützte Ecke und verputzen hungrig unser Sandwich, welches vor der sensationellen Kulisse doppelt so gut schmeckt…
Ausgepumpt zieht es uns abends zurück an denselben friedlichen Ort am See. Die Sonne grinst morgens wieder erfreulich vom Himmel, aber die fiese Biese fegt uns um ein Haar das Frühstück vom Tisch. Die kürzeste Verbindung von Wanaka nach Queenstown ist die südlich von hier verlaufende Crown Range Road, die in Schleifen durch das grasbewachsene Cardrona Valley zieht. Die Passhöhe von über 1000 Metern erlangt, offenbart sich ein wunderbarer Ausblick, bevor die Strasse sich in steilen Haarnadelkurven in Richtung Queenstown hinunter windet.
Ein Abstecher nach Arrowtown endet in einem Touristenrummel. Der kleine charmante Ort vermarktet sein Goldrauscherbe mit Erfolg. Im Jahre 1862 stiess ein Schafscherer hier unerwartet auf Gold. Die Neuigkeit sprach sich schnell herum und zog haufenweise chinesische Glücksritter an. Der Arrow River erlangte den Ruf, der im Verhältnis zu seiner Grösse weltweit goldreichste Fluss zu sein. Doch der Traum vom grossen Geld erfüllte sich nur für Wenige und die meisten kehrten nach Hause zurück – viele davon in einem Sarg, denn sie hatten sich unter jämmerlichen Lebensbedingungen regelrecht zu Tode geschuftet… Heute beherbergen die fein restaurierten Holzhäuser der Hauptgasse etliche schnuckelige Läden und lauschige Restaurants. Doch an Tagen wie diesen leidet der Charme des niedlichen Dorfes unter dem Besucheransturm.
Am Lake Hayes gönnen wir uns eine einsame Mittagspause, bevor wir uns durch den Trubel von Queenstown manövrieren. Doch die sommerliche Hektik sei verglichen mit der Wintersaison noch gar nichts. Verschandelt mit wuchtigen Hotels, mutet die von Bergen umzingelte Stadt am See etwas wie Davos an. Ein Abenteuerspielplatz sondergleichen – ob mit dickem Gummiseil an den Fesseln in die Tiefe stürzen, in einem Jetboot über einen Fluss preschen oder ein nervenkitzelnder Fallschirmsprung – das buchstäblich schwindelerregendende Angebot ist schier unerschöpflich. Doch wir sind nicht auf der Suche nach Adrenalinschüben…
Wenige Kilometer von Queenstown entfernt, ist der Kommerz schnell vergessen. Die prächtigen Gebirgszüge säumen den langgezogenen Lake Wakatipu, sind überzogen mit goldgelbem Gras und gekrönt mit zackigen Bergkämmen. Der See liegt auf rund 330 Metern Höhe. An einem Plätzchen über dem Blauwasser halten wir inne, hier setzt sich das grandiose Panorama besonders gut in Szene. Die schneeweissen Wolken am Himmel sind entzückend, verformen sich immer wieder zu neuen Gebilden. Ein Bad im klaren See ist nur etwas für Abgebrühte, die Temperatur erreiche auch im Sommer nur kühle elf Grad.
Wir zweigen ab ins Hinterland, auf Schotter ein paar Kilometer hoch bis zum Moke Lake. Der kleine See ist eine Augenweide. Eingerahmt – wie könnte es anders sein – von zerklüfteten Bergen, das gelbliche Grasland ist neckisch mit Büschen durchsetzt. Wie ein alpines Hochgebirgspanorama, obwohl wir uns nur 550 Meter über Meer befinden. Der einzige Luxus des DOC-Campingplatzes ist ein stinkendes Plumpsklo und fliessendes Kaltwasser – der wahre Wert liegt in der friedvollen Natur. Jeder darf sich niederlassen wo es ihm gefällt, die Plätze sind mit Buschwerk natürlich voneinander abgetrennt. Genussvoll saugen wir die Sonnenstrahlen des späten Nachmittags in uns auf. Eine wohltuende Wärme und ein Glücksgefühl bereitet sich behaglich in uns aus.
Der Himmel sternenklar, die Nacht kalt. Mit Thermowäsche und Mütze in den Schlafsack gekuschelt, stellt der Schlummer zwar kein Problem dar, doch das Aufstehen ist ein Graus. Neun Uhr ist schon längst vorbei, als die Sonne über einen Taleinschnitt in den Bergen guckt und in unser frostiges Schlafgemach dringt. Eine dampfende Tasse Tee im Bett hilft von innen aufzuheizen – Roland sei Dank. Für heute haben wir keine konkreten Pläne, wir leben in den Tag hinein und geniessen die ungestörte Idylle. Schafe blöken um die Wette, verteilen sich wagemutig an den steilen Hängen. Eine Entenfamilie verweilt, watschelt weiter zum See. Es fällt uns schwer, uns von diesem Fleck loszureissen, der Lichtjahre vom regen Queenstown entfernt zu sein scheint…
Kurzentschlossen schustern wir mittags zum Lake Dispute – die Region strotzt nur so von Seen. Bergauf durch Wald, über Wiesen mit farbenfrohen Blumen. Erholsam, keine Menschenseele weit und breit. Nur leises Vogelzwitschern, sanftes Zirpen der Insekten und das Summen der Bienen bestimmen die Geräuschkulisse. Der dunkelgrün schimmernde See liegt in einem tiefen Tal, von hohen bewaldeten Bergen bewacht. In höhere Gefilde gelangt, gerät plötzlich der Lake Wakatipu in unser Blickfeld, die Bergzacken im Hintergrund von schwarzen Wolken bedroht…
Der Tag neigt sich dem Ende entgegen. In einer stockenden Verkehrslawine durchqueren wir erneut das pulsierende Queenstown und finden im zweiten Anlauf ein Nachtquartier im angrenzenden Frankton. Zwar unmittelbar am Ufer des Lake Wakatipu gelegen, aber eingepfercht zwischen Wohnmobilen. Wir haben die stimmungsvolle Natur gegen eine heisse Dusche eingetauscht…
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