Urwaldriesen im Taman Negara
Der Nationalpark Taman Negara beheimatet eines der ältesten Waldgebiete der Erde. Der Primärdschungel trägt 130 Millionen Jahre auf seinem Buckel – ein für uns unvorstellbares Alter! Unter dem Einfluss von Eiszeiten, Klimaschwankungen oder Veränderungen des Meeresspiegels haben sich viele Teile der Welt verändert, auf der Malaiischen Halbinsel sind die Verhältnisse jedoch relativ stabil geblieben und die Tier- und Pflanzenwelt konnte sich ohne grössere Störungen entwickeln und fortbestehen. Der artenreiche Regenwald überwuchert eine Fläche von rund 4300 Quadratkilometern, ist somit etwa doppelt so gross wie der Kanton St. Gallen. Der malaiische Name Taman Negara heisst übersetzt nichts anderes wie Nationalpark…
Mit Rucksack auf dem Rücken schustern wir in der Mittagshitze durch das kleine Örtchen Kuala Tahan, das am Ufer des Sungai Tembeling klebt. Auf der gegenüberliegenden Flussseite breitet sich der tropische Dschungel des Taman Negaras aus. Kuala Tahan strotzt vor einfachen Gasthäusern, grössere Hotels gibt es nur vereinzelt. Viele Unterkünfte sind infolge der Schulferien und bevorstehenden Feiertage von Einheimischen belegt. Unsere Suche vor Ort gestaltet sich zwar nicht aussichtslos, doch etwas Nettes mit einer Veranda oder immerhin einer Sitzgelegenheit im Garten, findet sich auf die Schnelle nicht. Etwas enttäuscht lassen wir uns in einem schlichten Zimmer ohne Umschwung nieder, aus Angst, nach langer Sucherei schlussendlich überhaupt nichts mehr zu finden. Der Herr der familiären Bleibe ist jedoch höchst sympathisch und aufgeschlossen, was eine Unterkunft für uns stets aufwertet.
Nebst zahlreichen Gasthäusern bietet Kuala Tahan ausser Agenturen, Minimärkten und Garküchen weiter nichts. Die Menschen begegnen uns in diesem touristischen Ort mit einer unerwarteten Herzlichkeit. Unmittelbar am Fluss liegen beschaulich einige schwimmenden Restaurants mit Blick auf den reizenden Regenwald. Eine Brise streichelt angenehm unsere schwitzenden Körper, kühl rinnt der frische Fruchtsaft die Kehle hinunter. Mit Mieke und Ralf, dem belgischen Paar unserer geteilten Taxifahrt, nehmen wir die verschiedenen Optionen mehrtägiger Touren im Nationalpark unter die Lupe. Bald stellt sich heraus, dass alle Agenturen in etwa dasselbe 0815-Programm vermitteln, wofür wir uns nicht richtig erwärmen können. So kommt es, dass nur die Belgier eine geführte Tour buchen. Wir entscheiden, am nächsten Tag auf eigene Faust loszuziehen und mit den Wegen in unmittelbarer Umgebung Vorlieb zu nehmen.
Noch gemütlich ein sättigendes Frühstück, bevor wir auf die andere Seite des Flusses zu unserem Dschungelabenteuer übersetzen. Doch um die schwimmenden Lokale herrscht reges Treiben, zu unserem Erstaunen bereits kurz nach Acht. Umso verblüffender, dass fast alle Restaurants geschlossen sind oder eine geschlossene asiatische Gesellschaft bewirten. Ernüchtert warten wir im einzigen, der Öffentlichkeit zugängigem Lokal auf die bestellten Kalorien. Rund um uns stehen durcheinander plappernde Touristen, darunter grosse Gruppen, die auf eines der Boote warten. Wir dachten, am frühen Morgen zu den ersten Besuchern zu zählen, doch weit gefehlt. Endlich gestärkt, tickt die Uhr schon gegen Zehn…
Wendige kleine Boote pendeln ständig zwischen beiden Flussufern, in nur wenigen Minuten gelangen wir zum Eingang des Nationalparks. Für das Permit wird ein Ringgit pro Person veranschlagt, was läppischen 25 Rappen entspricht. Wir wundern uns über die tiefe Eintrittsgebühr, jedoch auch über die unverhältnismässige Bürokratie, welche über das Ausfüllen eines Formulars bis zu einer handschriftlichen Quittung reicht. Mehrere ausgeschilderte Wege führen im Umkreis von einigen Kilometern durch den Tropendschungel, weiterführende Pfade sind nicht markiert und dürfen nur mit einem Führer begangen werden. Doch der grösste Teil des Taman Negaras ist undurchdringliche, unberührte Wildnis.
Schweissüberströmt, schon nach kurzer Zeit. Die Luftfeuchtigkeit ist hoch, was das Gehen bald anstrengend gestaltet. Es ist ruhig, nur die akustische Kulisse des uralten Waldes ist auszumachen. Den Rundwanderweg in umgekehrter Richtung in Angriff genommen, haben wir das ganze Volk hinter uns gelassen, wir Schlaumeier. Gigantische Bäume mit Brettwurzeln ragen weit über unsere Köpfe. Grün in grün. Roland ist im Fotografenelement und lichtet enthusiastisch die kleinen Waldwunder ab, die ich oft nicht einmal wahrnehme. Von uns beiden ist zweifelsohne er das Dschungelkind, konnte sich schon immer mehr für den Regenwald begeistern. Steil führt der schmale Pfad bergan, bringt uns ausser Atem. Kaum Wasser geschluckt, quillt es in Form von Schweiss aus unseren Poren. Vergeblich halten wir nach grossen Tieren Ausschau, müssen uns aber mit Schmetterlingen und Eichhörnchen zufrieden geben. Dann ein Rascheln. Ein braunes Etwas flüchtet durch den dichten Busch, vielleicht ein Wildschwein, vielleicht sogar ein Tapir. Tief im Urwald verstecken sich angeblich Elefanten, Leoparden und Tiger, die sich so gut wie nie blicken lassen. Verständlich, dass sie ihren Frieden fernab der Menschheit im weitläufigen Busch suchen.
Geschnatter durchdringt das Dickicht. Der Aussichtspunkt, der auch von der anderen Seite zugänglich ist, scheint nicht mehr fern. Geschafft, 270 Höhenmeter sind bewältigt. Am Bukit Teresek auf 344 Metern wimmelt es von einheimischen Chinesen. Ihr Lautes Gekicher übertönt die pfeifenden Vögel und zirpenden Insekten. Falls sich noch Tiere in unserer Nähe aufhalten, nehmen sie spätestens jetzt Reissaus – im Augenwinkel entdeckt Roland noch einen Affen, der sich flink davonschwingt. Weit überblicken wir die dicht bewachsenen Hügel, der feuchte Wald zieht sich endlos dahin…
Zweifellos die grösste Attraktion ist der sogenannte Canopy Walkway. Neun bis zu 70 Meter lange Hängebrücken schwanken in luftiger Höhe, von einer hölzernen Plattform zur nächsten. Das erste Brückenstück ist harmlos und nur zehn Meter über dem Waldboden errichtet. Im Laufe des Rundgangs erhöht sich der Abstand jedoch auf bis zu 45 Meter – glücklicherweise sind wir schwindelfrei. Dennoch breitet sich ein leicht mulmiges Gefühl in der Magengegend aus, wenn wir unseren Blick in die Tiefe schwenken. Doch gleichzeitig ist es ein sagenhaftes Erlebnis, durch die sonst unerreichbare Wipfelregion des Dschungels zu tappen. Vorsichtig setze ich einen Fuss vor den nächsten, trotzdem schaukelt die Hängebrücke beträchtlich. Bewegt sich Roland auf demselben Abschnitt, meine ich von einem Elefanten verfolgt zu werden. Zum Glück sind wir jetzt am Nachmittag mutterseelenallein, auf das Getrampel einer ganzen Elefantenherde kann ich gut verzichten…
Auf und ab, quer durch die wild wuchernde Natur. Leider führen die Wege oft über Holzplanken und Treppenstufen, welche den Reiz des Dschungeltreks schmälern. “Schau, ein Nashornvogel”, flüstert Roland entzückt, den Kopf in den Nacken gelegt. Hoch oben thront der erspähte Vogel auf einem der Urwaldriesen. In der Ferne grollt Donner. Bald erreichen wir eine Badestelle am Fluss, reissen uns die schweissgetränkten Klamotten vom Leib und gleiten ins kühle Nass – herrlich erfrischend. Düstere Wolken haben sich vor die Sonne geschoben. Eine weitere Abkühlung holt uns schnell, zu schnell ein. Auf den letzten Metern zurück zur Bootsanlegestelle bricht das Gewitter bedrohlich über uns ein, heftiger Regen peitscht uns quer entgegen. In Windeseile sind wir erneut klatschnass, Windböen bescheren uns Hühnerhaut.
Neun Uhr morgens. Das Dorf liegt noch im Tiefschlaf, himmeltraurig. Bleichgesichter irren durch die toten Strassen. Immerhin ein einziger Laden zeigt Mitleid mit den westlichen Touristen, die frühstücken möchten. Doch viel zu kaufen gibt es nicht, unser Mahl setzt sich aus süssem Bananenkuchen und Schokomilch zusammen. Obwohl wir das Essen in Zentralasien in keiner Weise rühmen konnten, bieten die Minimärkte immerhin Brot, Käse und Joghurt an, und es war somit möglich, ein nahrhaftes Mahl zusammenzustellen. Hier werden vorwiegend Getränke, Snacks und Dosenfutter verkauft… Wir können es kaum fassen, dass trotz grossem Besucherandrang und ausgebuchten Unterkünften kaum Restaurants ihre Pforten öffnen, schon gar nicht morgens. Wo speisen nur alle einheimischen Touristen? Natürlich spielt der heutige muslimische Feiertag eine wichtige Rolle, und an erster Stelle kommt wohl Allah und nicht das leibliche Wohl der Gäste. Wir sind zur falschen Zeit am falschen Ort, doch bei den vielen Feiertagen in Malaysia ist die Planung nicht so einfach.
Abends treffen wir per Zufall die Belgier, die soeben von der zweitägigen Tour zurückgekehrt sind. “Es war scheisse!”, schimpft Ralf aufgebracht, “der Führer sprach nicht einmal Englisch.” Gespannt lauschen wir der negativen Berichterstattung und sind froh, die richtige Entscheidung getroffen zu haben. Der Punkt ist, dass sämtliche Leute einer geführten Tour, egal wo gebucht, auf derselben Route mit identischem Programm landen. Mehrere Gruppen von je bis zu zwanzig Teilnehmern trampeln einander auf den Füssen herum, alle schlafen in derselben Höhle. Ständiges Warten, um danach wieder durch den Dschungel gehetzt zu werden – ein Alptraum. Es wird auch nicht alles gehalten, was bei der Buchung versprochen wird. Schade, wie das hier abläuft… Wehmütig denkt Roland an seinen ersten Besuch vor 23 Jahren zurück. Natürlich hat er damit gerechnet, seinen geliebten Regenwald nicht mehr in derselben harmonischen Pracht wie damals anzutreffen. Denn wo Tourismus wuchert, machen sich oft irgendwann Schattenseiten bemerkbar. Nichts desto trotz, wir haben unsere Dschungelzeit dank “Gegenuhrzeigersinn” und der Wahl weniger begangenen Pfade meist in friedvoller Zweisamkeit geniessen können…
Das lange schmale Holzboot knattert flussabwärts – wir verlassen Kuala Tahan auf dem Wasserweg. Die sattgrüne Tropenkulisse zieht zügig an uns vorbei, wir erfreuen uns der friedlichen Fahrt mit neuem Blickwinkel auf die Urwaldriesen. Obwohl der Fluss schnell fliesst, ist das Wasser meist glatt, manchmal spiegelt sich darin sogar die idyllische Szenerie. Die zweistündige Flussreise endet am Steg von Kuala Tembeling, wo uns ein Minibus der Reiseagentur abholt. Gute drei Stunden später setzt uns der Fahrer an der Westküste in einer völlig anderen Welt ab…
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