Verschnaufpause im entlegenen Perth
Rotbraun geflecktes Land, topfeben. Immer wieder spähe ich aus dem ovalen Fenster, doch der Anblick unter uns verändert sich kaum. Stunden verstreichen, bis riesige, weiss verkrustete Salzseen blenden und den nahezu menschenleeren Landstrich für einen Augenblick etwas aufmischen. Die Grosse Australische Senke birgt kaum Berge, die Landmasse wirkt unermesslich. Das sechstgrösste Land der Erde ist beinahe so gross wie ganz Europa… Unerwartet servieren uns die Damen der Billigfluglinie lächelnd eine warme Speise, die Trinkwasserversorgung ist besser gewährleistet wie bei mancher teurer Konkurrenz.
Über fünf Stunden durch die Lüfte gejettet, landen wir abends in Perth, am anderen Ende Australiens. Unglaublich, der Flug vom Osten in den Westen zog sich fast doppelt so lange hin, wie der vorausgegangene Flug von Neuseeland nach Sydney. Rund 4000 Kilometer trennen die beiden Küstenstädte, was der Strecke von Moskau nach Madrid entspricht. Drei Zeitzonen überflogen, richten wir unsere Uhren neu und ticken der Schweiz nur noch sechs Stunden voraus. An Bord grosszügig verwöhnt, kosten am Flughafen die Gepäckwagen hingegen einen Batzen. Neugierig auf unser neues Daheim schultern wir schwungvoll unsere Rucksäcke und steuern zielstrebig dem Ausgang entgegen…
Nahe der Innenstadt haben wir uns in West Perth für die kommenden zweieinhalb Wochen ein kleines Apartment gemietet. Erleichtert atmen wir auf, als wir den Fuss in eine saubere, ansehnliche Wohnung setzen, denn oft täuschen Fotos über die volle Wahrheit hinweg. Doch wir sind glücklich mit unserer Wahl in der virtuellen Welt und fühlen uns auf Anhieb daheim. Mit Freude blicken wir unserer Verschnaufpause entgegen, die wir vor dem Entdecken der australischen Weiten dringend benötigen. Denn es gibt einiges zu erledigen – Reiseführer beschaffen und studieren, ungefähre Route abstecken, Buchhaltung verrichten, Bankkonto eröffnen, SIM-Karte erwerben, Zahnkontrolle, Friseur, neue Brille kaufen, Kontakte mit der Heimat pflegen, Reiseblog aktualisieren… und einfach mal wieder ein Buch lesen.
Das Wetter ist traumhaft, der Himmel meistens stahlblau. Das Klima gemässigt, die Temperaturen angenehm bei rund 25 Grad. Bevor wir uns ins Stadtzentrum für weitere Besorgungen aufmachen, schustern wir durch sauber geschleckte Strassen von Backpacker zu Backpacker, in der Hoffnung, einen deutschen Australienführer zu ergattern. Unsere Ausdauer wird gleich doppelt belohnt – in
einem Hostel spüren wir im Bücherregal sogar zwei verschiedene Exemplare neusten Jahrgangs auf. Beflügelt hinterlassen wir im Tausch unser gebrauchtes neuseeländisches Handbuch. Moderne E-Books sind zwar in gewisser Weise sehr praktisch, aber unterwegs in Papier zu wühlen, fühlt sich für uns einfach handlicher an. Dazu liest sich eine Anleitung in vertrauter Muttersprache viel bequemer wie ein mit fragwürdigen Ausdrücken gespicktes Englisch…
Die im Schachbrettmuster angeordnete Innenstadt ist kompakt, der zentrale Geschäftsbezirk schick herausgeputzt. Neben kolonialen Bauten glitzern Hochhäuser – historisch und modern verträgt sich bestens. Gemütlich schlendern wir durch die mittags belebte Fussgängerzone und arbeiten langsam unsere To-Do-Liste ab. Die am schnellsten wachsende Stadt Australiens verströmt eine entspannte Atmosphäre. Dank des Geldregens, den der anhaltende Rohstoffboom dem Bundesstaat beschert, steigen die Einkommen und Perth expandiert kräftig. Auch in der Innenstadt
stolpern wir über mehrere gigantische Bauprojekte… In der gemütlichen Grossstadt leben mittlerweile knapp zwei Millionen Menschen, trotzdem ist das städtische Gebiet dünn besiedelt. Mit seinen Vororten erstreckt sich Perth über 90 Kilometer und breitet sich um den weiten Swan River in alle Richtungen aus. Die isolierte Metropole am Indischen Ozean kennt keine nennenswerten Nachbarn. Bis in die nächste grosse Stadt Adelaide sind es elend weite 2700 Kilometer – sogar Indonesien liegt näher wie die Städte der Ostküste.
Mit gefüllten Einkaufstüten kehren wir nachmittags mit dem Bus in unsere vier Wände zurück. Die Wohnlage in West Perth ist ideal, die Stadtbusse verkehren obendrein kostenlos. Übermütig füllen wir den grossen Kühlschrank, verköstigen uns in der gut ausgestatteten Küchenecke meist selbst. Hier zaubere ich einst wieder etwas Abwechslung auf den Teller – die Möglichkeiten in einer winzigen Camperküche mit kleinem Kühlschrank und geringer Auswahl an Pfannen sind beschränkt. Natürlich könnten wir uns auch in den naheliegenden Restaurants sättigen, doch nach 18 Monaten in der Ferne herumschweifen, hat das auswärtige Essen etwas an Reiz verloren. Ohnehin schont dies im kostspieligen Australien unseren Geldbeutel…
Im Zug flitzen wir nach Fremantle, zwanzig Kilometer und eine halbe Stunde entfernt. Die kleine Hafenstadt mit mediterranem Flair liegt südlich von Perth, an der Mündung des Swan River am Meer. Der historische Stadtkern ist intakt und punktet mit besterhaltenen Kolonialbauten. Zu Zeiten des Goldrausches Ende des 19. Jahrhunderts blühte Fremantle auf – aus dieser Epoche sind noch etliche hinreissende Gebäude erhalten. Staunend flanieren wir durch die reizenden Strassen
und sind beeindruckt von der viktorianischen Architektur. In Freo – wie es die Einheimischen nennen – gibt es Restaurants und Cafés in Hülle und Fülle. An der South Terrace, dem sogenannten Cappuccino Strip, drängt sich ein Lokal ans nächste. Wir frönen unserer Kaffeelust etwas abseits des kulinarischen Mittelpunkts und gönnen uns in einem herzigen Café in einer ruhigen Seitengasse eine Koffeinpause…
Die Tage verstreichen im Nu. Allerdings sind wir nicht ständig unterwegs, wir kosten die Zeit in unserem behaglichen Daheim liebend gerne aus. Doch heute vertreten wir uns die Beine im Kings Park, der sich am westlichen Stadtrand erstreckt. Nur einen Katzensprung von unserer Wohnung entfernt findet sich einer der grössten Stadtparks weltweit – der Kings Park ist sogar grösser als der Central Park in New York. Das Herzstück der grünen Lunge ist der Botanische Garten, durch
dessen artenreiche Pflanzenwelt sich ein Wirrwarr an Pfaden schlängelt. Mittelpunkt stellt eine 222 Meter lange Brücke aus Stahl und Glas dar, die in luftiger Höhe durch das Blätterdach eines Eukalyptushains leitet. Gemütlich spazieren wir zu verschiedenen Aussichtspunkten, wo sich sensationelle Blicke auf die Wolkenkratzer der Downtown offenbaren. Der breite Swan River glänzt in der Sonne, das Wetter verwöhnt uns einmal mehr herrlich…
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