Von Broome in die Pilbara
„Nebst dem Radlager ist auch die hintere Achse futsch“, schockt uns Mitch. Die Diagnose ist niederschmetternd. Der sympathische Automechaniker mit Bartstoppeln und einem Schmunzeln im Gesicht, erklärt uns alles haargenau – flink in einem für uns schwierig verständlichem Aussie-Slang, aber mit einer Engelsgeduld. Es sei notwendig, die gesamte Hinterachse auszuwechseln, was einen vollständigen Arbeitstag beansprucht. Doch ein Ersatzteil ist leider nicht an Lager und muss erst vom über 2000 Kilometer entfernten Perth eingeflogen werden. Es bleibt uns nichts anderes übrig, wie auf die anstehende Reparatur zu harren…
Keinen Meter weit lässt man uns mehr fahren. Kurzerhand wird das angeschlagene Gefährt auf einen Laster verfrachtet und Mitch chauffiert uns drei auf den Campingplatz. Ein beklemmendes Gefühl, aber immerhin können wir unser Daheim während der Wartezeit bewohnen. Ärgerlich für uns und genauso für unseren Vermieter ist, dass uns die kürzlich besuchte Autogarage in Derby verantwortungslos weiterziehen liess und uns diesen üblen Folgeschaden bescherte. „Ihr hättet das Rad verlieren können“, mutmasst Mitch und seine Gesichtszüge verhärten sich. Offensichtlich gerade noch rechtzeitig in Broome eingetroffen, sind wir heilfroh, ist uns nichts passiert. Auch Trost spendet, dass wir hier und nicht an einem weitaus übleren Ort festhängen.
Broome, eine lebendige Stadt mit asiatischem Flair, liegt auf einer fünf Kilometer breiten Landzunge, am rotsandigen Fusse der Dampier Peninsula und am äusserten Westrand der Kimberley. Rund 15’000 Einwohner verteilen sich in der sehr zersiedelten Stadt – die Entfernungen können täuschen. Dennoch bewältigen wir unsere Erledigungstour heute zu Fuss und belohnen uns anschliessend in einem der vielen Cafés im historischen Zentrum der Chinatown. Hier muss man gefasst sein auf „Broome-Preise“ – exorbitant – und „Broome-Zeit“ – das Lokal sollte geöffnet sein, ist aber zu… Des weiteren säumen Boutiquen und Perlenjuweliere die geschäftigen Strassen. Im Jahre 1880 als Perlenfischer-Stadt entstanden, sind mehrere Friedhöfe ein trauriges Mahnmal der multikulturellen Vergangenheit. Zahlreiche Taucher – Aborigines, Japaner, Chinesen und Malaien – liessen damals im weltweiten Zentrum der gefährlichen Perlenfischerei ihr Leben. Heutzutage werden Perlen in die ganze Welt exportiert, allerdings stammen sie nun aus Zuchtfarmen.
Auf dem Campingplatz am Stadtstrand an der Roebuck Bay sind wir in guter Gesellschaft. Zum vielbeworbenen Vollmond-Schauspiel haben sich hier nebst uns auch Conny und Roger, Reni und Marcel sowie Dagmar und Thomas versammelt. Alle Deutsch sprechend und in den letzten Wochen auf derselben Route unterwegs, haben wir uns immer wieder per Zufall getroffen. Am munteren Abendmarkt lassen uns die exotischen Imbissstände das Wasser im Mund zusammenlaufen. Köstlich unsere Bäuche gefüllt, bummeln wir erwartungsvoll zum Strand… Bei Ebbe zieht sich der aquamarinblaue Indische Ozean zurück und enthüllt das Watt, den Lebensraum der Mangroven. In windstillen Vollmondnächten wird dann das Mondlicht in den kleinen Wasserrillen im Sand magisch reflektiert. Die Spiegelung des über dem Watt aufgehenden Mondballs schafft die optische Illusion einer goldenen Treppe zum Mond. Das natürliche Phänomen „Staircase of the Moon“ tritt nur im Nordwesten Australiens auf, lässt sich aber auch an anderen Orten beobachten, wo es nach Osten gerichtete Küsten mit Watt gibt.
Nach einem gemütlichen Pasta-Plausch abends darauf, rückt der Moment des Abschieds in Griffnähe. Nach fünf „gemeinsamen“ Wochen mit unseren Schweizerfreunden Conny und Roger, trennen sich unsere australischen Wege nun endgültig – etwas Wehmut schwingt mit. Und wir, einer Zwangspause verdonnert, bleiben noch hier – tagelang. Nicht nur unser Vehikel ist kaputt, auch die Fotokamera lädiert. Zuversichtlich halten wir Ausschau nach einem neuen Objektiv, aber das gewünschte Rohr ist leider nicht im Sortiment. Zerknirscht gibt sich Roland vorübergehend mit einem viel kleineren Zoom ab.
Immer wieder werden wir aufs Neue vertröstet, was unsere Geduldsfäden arg strapaziert, denn unsere Zeit in Down Under läuft uns langsam davon. Fünf Tage verstreichen, bis das ersehnte Autoersatzteil in Broome landet. Die Reparatur wird für den nächsten Tag angesetzt – Erleichterung breitet sich in uns aus. Die neue Achse eingepflanzt, ist es nach einer Woche endlich soweit. Doch bis wir reisefertig sind, gibt es noch einiges zu erledigen, was ohne Fahrzeug eben nicht möglich war. Tapeziert mit rotem Sand, verpassen wir unserem Dreckspatz als erstes eine reinigende Dusche. Danach stopfen wir das wieder rollende Daheim mit Diesel, Gas, Wasser und Lebensmitteln voll und drehen letztendlich noch eine Ehrenrunde auf der bildhübschen Landzunge…
Am Gantheaume Point trampeln sich Touristen beinahe gegenseitig auf die Füsse. Kein Wunder, denn der an der südlichen Spitze gelegene Aussichtspunkt ist schlichtweg eine Wucht. Rötliche Klippen, von Wind und Wetter imposant geformt, stehen erhaben im Kontrast zum grellen Türkis des Wassers. An gewissen Stellen wirkt die natürlich gefärbte Felslandschaft wie ein gemaltes Kunstwerk. Naturgemälde beeindrucken von ockergelb bis blutrot und geben ein sagenhaftes Bild ab.
Weiss und fein zieht sich der Cable Beach meilenweit nach Norden. Der für Surfabenteuer, Kamelausritte und romantische Sonnenuntergänge bekannte Stadtstrand trumpft mit einer Länge von zwanzig Kilometern auf. Sein Name rührt vom ersten Übersee-Telegraphenkabel her, das 1889 von hier nach Java in Indonesien verlegt wurde… Die Uhr schlägt gerade zwei, als wir schlussendlich „erledigt“ aus der Stadt manövrieren. Unser nächstes Ziel liegt noch weit weg, nahezu 1000 Kilometer in der Ferne!
Fast schnurgerade verläuft der Highway No. 1 am Rande der Great Sandy Desert, ein Hitzeschleier flimmert über dem trockenen Land. Die „Big Empty“ erstreckt sich über 600 Kilometer in Richtung Südwesten, von Broome bis nach Port Hedland. Es sei eine der ödesten Strecken auf dem roten Kontinent, verurteilt unser Reiseführer. Der grauschwarze Asphalt schiebt sich durch eintöniges, topfebenes Buschland, die unberührte Küste ist nie weit entfernt. Eine ungeheure Leere, keine Ortschaften weit und breit. Nur zwei Roadhouses liegen einsam und wie an einem Sonnenstich leidend in der verlassenen Gegend. Die Übernachtungsmöglichkeiten können an einer Hand abgezählt werden. Gelegenheiten für wildes Camping sind rar, ständig begleiten Zäune der umliegenden Farmen unsere Fahrt.Der Nachmittag ist schon weit fortgeschritten, als wir nach 150 Kilometern auf eine Sandpiste nach Barn Hill Station einschwenken. Bald ist das Blau des Ozeans in Sicht. Die beachtliche Ranch erstreckt sich über 85 Kilometer der Küste entlang und beherbergt nicht nur 8000 Rindviecher, sondern auch einen auf Klippen thronenden Campingplatz. Gefrühstückt widmen wir uns einem ausgedehnten Strandspaziergang – trotz früher Morgenstunde knallt die Sonne rasch vom Himmel. Der bei Ebbe breite Sandstreifen gehört beinahe uns allein. Der wahre Reiz liegt jedoch nicht im feinen hellen Sand, sondern in der spektakulär verwitterten Felskulisse. Die Klippen spitzig, bizarre Überhänge drohen demnächst abzustürzen. Oftmals ist der Sandstein filigran geschichtet und erinnert an einen Stapel von Feuchtigkeit gewelltem Papier. Das Gestein entzückend marmoriert, die Farbpalette schier unerschöpflich – ein verblüffender Malkasten der Natur.
Nach zehn Kilometern zu Fuss, sind wir mittags wieder auf brandneuer Achse. Über drei Stunden und 200 Kilometer später, ist die Zeit reif für einen nächsten Zwischenhalt. Der Eighty Mile Beach, ein schier endloser Strand, wo der Sand der Great Sandy Desert auf das Meer stösst. Der Highway jenseits der Dünen im Inland verlaufend, gelangen wir auf einer Stichstrasse zum besagten Strand. Grob und grau, mit weissen Muscheln übersät, ist es der längste Sandstreifen in Westaustralien. Die 80 Meilen dürfen jedoch nicht auf die Goldwaage gelegt werden, die wahre Länge beträgt nämlich 136 Meilen oder knapp 220 Kilometer. Mit Geländewagen und Angel ausgerüstet, vergnügen sich Australier am breiten Eighty Mile Beach, derweil wir den stimmungsvollen Sonnenuntergang geniessen. Der glühende Ball schlussendlich vom Ozean verschluckt, verfärbt sich der Horizont von Himmelblau zu Orangerot.
Zurück auf dem Great Northern Highway begleitet uns beidseits der Fahrbahn roter Sand. Sanfte Hügel unterbrechen die monotone Szenerie, nach wie vor ist die Weite ansonsten erschreckend leer. Nach über 250 Kilometern Port Hedland erreicht, rasten wir an einem Picknickplatz an der mittlerweile vielbefahrenen Verkehrsachse. Während wir unser Sandwich verdrücken, beobachten wir gebannt Roadtrains. Ellenlange Sattelschlepper mit drei bis vier Anhängern fegen vorbei, transportieren alles nur Erdenkliche, von Containern bis Tanks, über Vieh und Heuballen, manchmal buckeln sie sogar halbe Häuser. Port Hedland in der Region Pilbara markiert den Anfang eines vom Bergbau geprägten Küstenabschnitts – Industrieanlagen, Rangierbahnhöfe und Salzberge dominieren das Bild.
Die Pilbara im Nordwesten des Landes ist rund anderthalb Mal so gross wie Deutschland. Die Region birgt die weltweit grössten Eisenerzvorkommen und jede Menge andere Rohstoffe, ist sozusagen die Mineralien-Schatzkammer Australiens. Seit in den 1970er-Jahren der Eisenboom ausgebrochen ist, wurden infolge reichhaltiger Funde von den abbauenden Firmen ganze Versorgungsstädte aus dem Boden gestampft. Die riesigen Mineralienlager bescheren Australien heute einen wahren Goldregen. Port Hedland ist der grösste Exporthafen für Eisenerz, über 100 Millionen Tonnen pro Jahr werden von hier verschifft. Etwa nach Japan, von wo die Ladung transformiert zu Toyota-Geländewagen später wieder nach Australien zurückkommt.
Der Great Northern Highway verlässt nun die Küstenregion, wir bleiben ihm treu, und rollen in brummender Gesellschaft von Roadtrains in Richtung Süden. Massenhaft dieser schwergewichtigen Monster kreuzen einschüchternd unseren Weg und gelegentlich
werden wir sogar wagemutig überholt. 370 Kilometer mehr auf dem Zähler, setzen wir dem Fahrtag ein Ende. Irgendwo steuern wir ins Nirgendwo, campen umgeben von stachligem Wüstengras inmitten rostig roter Felskugeln. Wir wähnen uns in friedlicher Einsamkeit und sind glücklich, bietet sich nach zehn Tagen einst wieder die wilde Natur zum Nächtigen an. Wenn das kein Grund für einen Sundowner ist. Beim Sippen eines kühlen Bierchens wird uns bewusst, dass wir mittlerweile seit über vier Monaten auf australischer Achse sind. Es verbleiben nur noch magere drei Wochen – wir befinden uns sozusagen auf dem „Heimweg“ nach Perth.
Fast ständig erinnert Verkehrslärm daran, dass unsere Wildnis nicht weit vom Highway entfernt ist. Schon längst umgibt uns das Rabenschwarz der Nacht, doch noch immer brettern lange Lastzüge vorbei, muten in der Dunkelheit wie gigantische Glühwürmer an. Währenddessen die Hauptstrasse rumort, funkelt die Milchstrasse über uns. Statt Meeresrauschen donnern uns heute Roadtrains in den Schlaf…
Der vierte Anreisetag. Nach einem ausgedehnten Morgenessen nehmen wir die letzte Reiseetappe unter die Räder. Weiter ins Landesinnere nach Süden, fehlen noch rund 200 Kilometer bis ans Ziel. Das Geradeaus weicht Kurven, stetig gewinnen wir an Höhe und die Strecke verläuft malerisch entlang rötlicher Gebirgszüge. Zwischen hellgrünen Grasbüscheln leuchtet es gelb und lila – Wildblumen stehen hinreissend in Blüte. Als Roland seinen Fuss vom Gaspedal rückt, liegen seit Port Hedland knapp 300 südliche Kilometer im Rückspiegel. Vom befahrenen Roadtrain-Highway biegen wir nach rechts ab, folgen dem Wegweiser zum entlegenen Karijini Nationalpark. Plötzlich sind wir allein auf Spur – unser Ziel nicht mehr fern.
Liebe Christine und lieber Roland
Wooooow! Prima, was ihr alles erlebt und teilt! Danke! Coole Berichte! Super Bilder! Ich bewundere euch, wie offen ihr schon so lange Zeit quer durch die Welt reist und um die vielen Begegnungen und Erfahrungen, um die ihr „reicher“ werdet. Nicht immer möchte ich mit euch tauschen, wenn die Mücken oder Fliegen stechen/beissen z.B., aber die wunderschönen Landschaften würde ich auch gerne sehen. Bin gespannt und freue mich, schon bald wieder von euch zu lesen. „Hebed eu Sorg!“
Herzliche Grüsse
Barbara
Liebe Barbara
Auf die Mücken und Fliegen könnten wir auch gut verzichten. Sie müssen aber leider in Kauf genommen werden, um die wunderschönen Landschaften des weiten Outbacks und der langen Küste zu erfahren und zu erleben. Unsere verbleibenden Tage in diesem roten Land sind gezählt, aber wir kommen nochmals zurück…
Herzliche Grüsse aus Down Under
Roland und Christine