Zebrastreifen im Etosha Nationalpark
Nach einem langen Fahrtag erreichen wir am späten Nachmittag das Westtor vom Etosha Nationalpark. Die Nacht verbringen wir auf dem nahegelegenen Campingplatz Hobatere, noch ausserhalb des Tierreservates. Was aber nicht heisst, dass sich hier keine Tiere blicken lassen. Im Gegenteil, es gibt jede Menge Wildlife! Der Besitzer vom Campingplatz warnt uns: „Bleibt im Camp, sobald die Nacht einbricht. Oft schleichen Löwen in der Dunkelheit herum.“ Damit haben wir nun doch nicht gerechnet…
Wenige Stellplätze liegen verteilt um ein paar Felsen, abseits weiter oben thront eine Aussichtsplattform mit Blick auf ein Wasserloch. Von hier wie auch von den umliegenden Felshügeln spähen wir in die grüne Weite, beobachten die wilden Tiere. „Unglaublich, überall sind Hälse“, ruft Felix erfreut. Oft ragen nur die langen Giraffenhälse aus dem dichten Gestrüpp. Dunkle Wolken ziehen auf, in der Ferne blitzt es, ein Gewitter ist im Anzug. Die Zebras juchzen laut, scheinen sich über den bevorstehenden Regen zu freuen. Von einer Sekunde auf die nächste giesst es wie aus Kübeln. Es windet heftig, schüttet horizontal und trotz schützendem Dach des Aussichtsdecks sind wir innert Kürze pflotschnass. Feine Hagelkörner peitschen auf unsere nackte Haut, die Temperatur sinkt beträchtlich, wir schlottern. Es dauert eine gefühlte Ewigkeit, bis das tobende Unwetter endlich weiterzieht. Wir schauen drein wie begossene Pudel und wringen unsere tropfenden Kleider aus. Bald blinzelt die Sonne wieder zwischen Wolkenfetzen hervor und wärmt unsere ausgekühlten Körper auf.
Ein Brüllen von Löwen haben wir nachts nicht vernommen und morgens sind die Tiere verschwunden, kein Hals schaut mehr aus dem Gebüsch. Wo sind denn nur alle? Vielleicht treffen wir sie im Etosha wieder… Das Galton Gate im Westen sowie der gesamte westliche Teil des Nationalparks ist den Individualtouristen erst seit 2014 zugänglich. Bis wir schlussendlich das Eintrittsticket sowie eine Übersichtskarte des Parks in den Händen halten, überwinden wir bürokratische Hürden, warten an drei verschiedenen Schaltern für ein und dasselbe. Die Europäer mögen die Bürokratie erfunden haben, die Afrikaner hingegen haben sie perfektioniert!
Der Etosha Nationalpark ist über 350 Kilometer lang und mit einer Fläche von rund 22’000 Quadratkilometern halb so gross wie die Schweiz. Zahlreiche Pisten führen von Wasserstelle zu Wasserstelle, wo sich in der Trockenzeit die Tiere liebend gern versammeln. Nachdem der erste Regen gefallen ist, verlassen die Tiere meist schlagartig die völlig überweideten Gebiete um die Wasserstellen, denn nun gibt es überall Pfützen. Wir sind gespannt auf das nächste Wasserloch, versprechen uns jedoch nicht viel. Aber zu unserer Überraschung tobt hier das Leben. Zebras, Gnus, Kuhantilopen, Warzenschweine, Oryx, Springböcke – es ist ein Kommen und Gehen. Die Viecher sind munter und voller Elan, während sie in der heissen Trockenzeit oft apathisch unter den Bäumen auf den Abend warten.
Im Westen des Parks präsentiert sich eine grüne, hügelige Pracht, auf der Fahrt lassen sich durch die buschigen Sträucher kaum wilde Tiere erspähen. Dann plötzlich, hier eine Giraffe, da eine, und noch viele mehr. Wir sind im Giraffen-Schlaraffenland – Langhälse wohin wir blicken. Wir nächtigen im Olifantrus Camp, dem einzigen Restcamp im westlichen Parkteil. In der Nacht plagen mich Magenkrämpfe, am nächsten Tag fühle ich mich krank und abgeschlagen, warum auch immer. Bei Roland stand dasselbe auf dem Speiseplan und er ist wohlauf. Zum Glück, denn unsere Pirschfahrt geht weiter… Wir starten den Tag mit der Entdeckung einer Handvoll mächtiger Elefanten, jeder trottet für sich allein durch die buschige Savanne. Ausser Büffeln sind auch noch die restlichen Spezies der Big Five – Nashorn, Löwe, Leopard – im Park anzutreffen. Na ja, zumindest besteht die Möglichkeit dazu…
Wir trauen unseren Augen kaum – Hunderte von Springböcken grasen in der weiten Ebene um ein Wasserloch, sättigen sich mit frischem, saftigem Gras. Die Gazellen mit ihrem hellbraunen Haarkleid mit weisser Bauchseite tollen umher und begeistern uns mit ihrer verspielten Eleganz. Ihre typisch hohen Luftsprünge sollen den Feind verwirren. Aus nächster Nähe können wir vergnügte Zebras beobachten. Auch sie strotzen nur so von Leben, necken und lieben sich. Den Giraffen hingegen ist die Puste bereits ausgegangen – wir entdecken heute nur tote, am Boden liegende Exemplare. Vom Hunger getriebene Raubtiere scheinen sich hier bestens verköstigt zu haben, sind aber leider schon abgezogen…
Okaukuejo ist das grösste Restcamp und liegt ungefähr in der Mitte des Parks. Die Attraktion ist das Wasserloch, nur eine niedrige Steinmauer trennt Mensch und Tier. Gemütlich kann man auf Bänken sitzend den wilden Tieren beim Saufen zuschauen. Am frühen Morgen sind die Lichtverhältnisse ideal. Verschiedene Antilopen stolzieren zum Gewässer und stillen ihren Durst. Zebraherden stellen sich in Reih und Glied ans Ufer, spiegeln sich vorzüglich im ruhigen Wasser. Die gestreiften Gesellen geben ein sagenhaftes Bild ab. Wegen jeder Kleinigkeit schrecken die schlürfenden Tiere auf, stolpern einander über die Füsse und verursachen ein Streifengewirr…
Mittelpunkt des Nationalparkes ist die über 100 Kilometer lange Etosha-Pfanne auf rund 1000 Metern gelegen. Vor Millionen von Jahren war diese grosse, weiss glitzernde Senke ein See. Die Strasse folgt dem Südrand der flachen Salztonpfanne – im Sonnenlicht blendet die sich vor uns ausbreitende gleissende Salzfläche. Wir pirschen durch weite, trockene Ebenen, auf denen die Tiere kaum durch Büsche oder Bäume verdeckt werden. Viel Wild ist jedoch nicht auszumachen… Ein paar Zebrastreifen huschen über die Fahrbahn, eine Herde Gnus – ihre kurzsichtige Gefolgschaft – streifen durch die Leere.
Wir entscheiden uns für den Rhino Drive, in der Hoffnung, zumindest eines der seltenen, hier beheimateten Spitzmaulnashörner anzutreffen. Aber wir haben heute kein Nashornglück, vergebens lassen wir unsere Augenpaare durch die Buschsavanne schweifen. „Die Nashörner ziehen wohl ihren freien Tag ein“, spottet Roland. Kein Wunder – es ist Sonntag. In Halali, dem nächsten Restcamp weiter ostwärts, treffen wir spätnachmittags wieder auf unsere Reisegefährten. Felix ist aus dem Häuschen: „Habt ihr den Löwen auch gesehen? Nebst dem Löwen haben wir auch einen Leoparden gesichtet.“ Ich glaube ihm kein Wort. Oder will ihm kein Wort glauben… Seine gelungenen Fotos bezeugen jedoch die Wahrheit. Pia und Felix waren heute im Safari-Glück. Wir sind zwar etwas neidisch, mögen es den beiden aber von Herzen gönnen.
Das Wasserloch von Halali ist verwaist. Anstelle von Wildlife präsentiert sich uns ein spektakuläres Gewitter. Direkt vor unseren Nasen erleuchten grelle Blitze den rabenschwarzen Himmel – nass werden wir zum Glück kaum. Auch am nächsten Morgen wirkt der Wassertümpel ausgestorben, aber wir haben Geduld mitgebracht. Wir lassen uns vom sanften Vogelgezwitscher berieseln. Ein gelber Blumenteppich fällt mir ins Auge. Hat der gestrige Regen diese Pracht hervorgezaubert? Dann endlich, zwei Impalas tasten sich übervorsichtig an die Wasserstelle ran. Es dauert seine Zeit, bis sie es endlich wagen, sich vom köstlichen Nass zu bedienen. Es sind zwei Schwarznasen-Impalas. Wie es der Name verrät, sind sie am schwarzen Fleck auf dem Nasenrücken zu erkennen. Diese Unterart der Impalas ist in Namibia endemisch kommt fast ausschliesslich im Etosha vor.
Anstelle von Halali die restlichen 75 Kilometer bis ans östliche Ende nach Namutoni zu fahren, kehren wir zurück nach Okaukuejo in die Mitte des Parks, da unsere Reise nach den Wildtiererlebnissen erneut nach Westen, hin zur Küste führt. Frisches grünes Gras leuchtet verführerisch in der Ebene und zieht eine Herde Gnus und Kuhantilopen in ihren Bann. Auch Kälber sind mit von der Partie – vorwiegend in der Regenzeit erblicken Jungtiere die Welt. Die Gnus wälzen sich am Boden. Die bulligen, dunkelbraunen Tiere mit der Zottelmähne erinnern an ein Fabelwesen. Sie geniessen das Schlammbad offensichtlich und enden als grasende Dreckklumpen.
Unsere letzte Nacht im Etosha Nationalpark verbringen wir also nochmals in Okaukuejo. Immer wieder zieht es uns ans hinreissende Wasserloch. Die Sonne verschwindet am Horizont und lässt die Wolkenschlieren stimmungsvoll in warme, leuchtende Farbtöne tauchen – zum jetzigen Zeitpunkt das einzige Geschehen. Wir kommen später wieder. Es ist kurz nach zehn Uhr nachts und immer noch schwülwarm, über 30 Grad. Das Wasserloch ist dezent beleuchtet. Was bewegt sich dort hinten neben dem Baum? Wow, ein Nashorn! Leider ist es jedoch bereits auf dem Heimweg. Das Warten lohnt sich – ein zweites Spitzmaulnashorn schreitet zügig durch die dunkle Nacht. Erst erkennen wir nur seine Silhouette, aber als das urtümliche Grautier vor unseren Augen gierig aus dem Tümpel sauft, können wir den walzenförmigen Koloss gut ausmachen. Wir freuen uns tierisch über den gelungenen Abschluss unserer Safari…
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